Der Bayerische Wald ist perfekt zum Schneeschuhwandern vor der skurrilen Kulisse der „Schnee-Manderl“. Zwischen Großem Arber und Brotjacklriegel finden sich auch viele Möglichkeiten zum Skifahren und Langlaufen. Text: Barbara Grüssinger. Fotos: Thomas Linkel
Schneeschuhwandern im Bayerischen Wald
Der Weg ist für Peter ein Klacks. Zügig geht er zu Beginn unserer Schneeschuhwanderung voran, sein roter Rucksack leuchtet zwischen den gezuckerten Bäumen. Er pflügt durch den verschneiten Hang, als läge keine Flocke Schnee. „Aufi, Herr Thomas!“, schallt es nach hinten. Der Fotograf japst und setzt die Stöcke. Nichts wie hinterher!
Wie kleine Monsterzähne greifen die Metallstifte der Schneeschuhe in den knirschenden Schnee. Die Trittflächen hinterlassen Abdrücke wie von Dinosauriern auf dem weichen Boden. Das Gehen ist ungewohnt, als ob sich übergroße Flipflops um die Stiefel schmiegen. Flap, flap geht es vorwärts. Je kleiner die Schritte, desto besser läuft es. „Einfach gehen“ war der Rat – ein bisschen Umstellung muss schon sein.
Längst ist die Jacke offen trotz Minustemperaturen. Die Mütze stört, es wird warm. Der Atem dampft in kleinen Wölkchen durch die kalte Luft.
Mit Schneeschuhen durch Urwald
Mit Rücksicht auf die Natur marschieren wir auf markierten Routen. Nur für kurze Passagen geht es querfeldein. Wo man zu Fuß im Schnee versackt, steht man dank der Riesenpatschen sicher. Peter führt uns unter eisig glasierten Ästen hindurch, vorbei an Steinen und Büschen, die aussehen wie in Watte gepackt. Keine fünfzehn Minuten Autofahrt entfernt in Zenting waren die Wiesen noch grün. Jetzt ist kein Grashalm mehr zu sehen. Winter pur!
„Der Schnee wachst mit der Höhe, da kannst richtig zuschaun“, sagt Peter Maier, als es Richtung Gipfel des Brotjacklriegel losgeht. Von November bis Ende März liege hier in der Regel Schnee, bis zu drei Meter seien drin. „Ja, da brauchst nicht in die Alpen fahren“, grinst der Experte und schüttelt Schneekristalle von einem Ast. Der Bergführer kennt seinen „Woid“.
Der „Woid“: Region für Genießer
Auf 100 Kilometer Länge erstreckt sich der Bayerische Wald an der Grenze zu Tschechien. Das Mittelgebirge bildet mit dem Böhmerwald das größte geschlossene Waldgebiet Europas.
Für seine Bewohner ist der „Woid“ die Region bis zur Grenze. Er ist ein waschechter Woidla, der Peter, der seit mehr als 20 Jahren Ski- und Schneeschuhtouren durch den Bayerischen Wald leitet. Geboren ist er in Thurmansbang, knapp 30 Kilometer nördlich von Passau, „einem Bergsteigerdorf“, wo er im Gemeinderat sitzt.
"Der Bayerische Wald ist nichts für Konditions-bolzen“
Zwischendurch sei er auch mal in Rosenheim und München gewesen. Und auf Gipfeln in Tibet, Südamerika, den Alpen und Alaska. Wenn er erzählt von den Touren mit den Spezln, fragt man sich, wie der Woid da mithalten kann. „Der Bayerische Wald ist nichts für Konditionsbolzen. Sondern für Genießer.“
Fast jeden Abend marschiert Peter auf den Brotjacklriegel. Kurz mit Schneeschuhen auf 1.016 Meter hoch, kurz wieder runter. „Supa, oder?“, fragt er und lehnt sich auf seine Stöcke. Kurze Verschnaufpause nach 270 Höhenmetern. Der Wald leuchtet in Zuckergussoptik, zwischen den Bäumen verschwindet neben unserem Weg die Spur eines Rehs. Den Stopp im „Turm-Stüberl“ auf dem Gipfel sparen wir uns für die geplante Nacht-Tour auf, mit der Hoffnung auf einen sternenklaren Himmel über dem 35 Meter hohen Aussichtsturm.
Tiefschnee-Schwünge am Almberg
Von der Schneeschuhtour aufgepumpt mit Sauerstoff verbringe ich den späteren Nachmittag im Skigebiet Mitterdorf bei Mitterfirmiansreut. Auch wenn der Almberg nur 1.139 Meter hoch ist, finde ich perfekte Bedingungen. Besonders die Abfahrt unter der Almberg-Sesselbahn begeistert, am Pistenrand lockt Pulverschnee, und immer wieder entdecke ich neue unberührte Schneeflächen, in die ich Kurven zeichne.
Knapp 300 Höhenmeter brennen mir dann in den Oberschenkeln, bevor ich in den Sessellift sinke und die Beine baumeln lasse. Als es dunkel wird, wechsle ich auf die andere Seite des Berges und carve bei Flutlicht und mit Blick auf die Häuser von Mitterfirmiansreut, bis es Zeit ist, erneut Ski- und Schneeschuhe zu tauschen und Peter wieder zu treffen, um den Brotjacklriegel ein weiteres Mal zu besteigen.
Nacht-Schneeschuhwanderung mit Bärwurz
„Scho als kloiner Bua war i hier“, erzählt Ingo Müller, als wir das „Turm-Stüberl“ erreichen. Im Schein der Stirnlampen führt uns die Tour bergauf, vorbei am Du-Stein, der Aufsteigern das freundschaftliche Du erlaubt, wenn sie die 1.000-Meter knacken. So ein Berg, der schweißt zusammen. Aber hier ist man ohnehin rasch beim Du. Auf den Bänken in dem holzvertäfelten Raum kann es schnell eng werden. Nachts scheinen sich hier Schneeschuh- und Skiwanderer zu treffen, die man sonst nicht zu sehen bekommt.
Ingo Müller ist der Herr über die Theke. Wer zur Aussichtsplattform des Turms hinaufwill, muss an ihm vorbei. Die Eingangsklappe ächzt unter dem Gewicht der Schneemassen – und bleibt zu. Macht nichts, es wird windig und empfindlich kalt. Winter halt.
Gemütlicher ist es drinnen, zwischen den rot-weiß karierten Kissen. Preußen und Schwaben werden gerne in die Runde aufgenommen, sind sie doch ein guter Anlass für Kommentare zugunsten der blau-weißen Seele.
Arber: Skifahren und Schneeschuhwandern
Am nächsten Morgen steht Peter kurz nach acht am Frühstückstisch: „Aufi geht’s“, ein Tag für Fortgeschrittene steht an. Die Fahrt geht nach Norden, vorbei an Grafenau und Spiegelau. Wir lassen das Auto oberhalb von Bodenmais zurück. „Oben werdet‘s staunen“, prophezeit Peter. Bis auf 1.456 Meter wollen wir bei der heutigen Schneeschuhwanderung rauf. Der Große Arber ist der höchste Berg im Bayerischen Wald und auch zum Skifahren perfekt geeignet.
Die Pisten ziehen sich durch dichten Bergwald, immer wieder gibt es pulvrige Abschnitte für TiefschneefahrerInnen. Wem zum Beispiel der leicht geneigte „Schmugglerweg“ zu sanft ist, der wechselt auf die schwarze Osthangpiste, die 342 Höhenmeter überwindet und steil genug ist, dass auch sehr gute SkifahrerInnen zufrieden sein werden.
Die Luft ist klar, das Hirn schaltet ab
Aber an unseren Füßen hängen jetzt die Schneeschuhe, es beginnt zu schneien und Lifte sind nirgends zu sehen. Gute 700 Höhenmeter liegen vor uns. Schmelzwasser plätschert über den Weg, die Schneeschuhe schrammen über Kiesel und glitschige Tannenzapfen. Dann wird der Untergrund fester, im Nu öffnet sich eine weiße Winterwelt. Der Kleine Arbersee ist zugefroren.
Die pudrige Schicht auf der Eisdecke hätte ein Bäcker nicht schöner sieben können. Der Weg verschwindet mit jedem Meter Höhe, nur die schleifende Schneeschuhspur des Vordermanns gibt Orientierung. Die Luft ist klar, das Hirn schaltet ab, der Handyempfang ist schon lange weg.
Arber-Mandl weisen den Weg
In kleinen Schwüngen robben wir den Hang hoch, der Wald verschwindet, kahle Stümpfe ragen aus dem Boden. Ein Sturm hat die Schneise geschlagen und auch jetzt pfeift der Wind über die ungeschützte Bergkerbe. „Gleich kommt’s“, spornt Peter an. Das Gipfelkreuz vom Kleinen Arber, die letzte Station vor dem Ziel, ist in Eis gepackt. Wie Federn liegen die Zapfen waagrecht übereinander – der Ostwind lässt die Schneeflocken in der Luft gefrieren. Genauso fühlt es sich auch an.
„Wir nehmen eine Abkürzung“, entscheidet Peter und zeigt ins weiße Nirgendwo. Das Schienbein kippt Richtung Fuß, der Bauchnabel Richtung Boden. Himmel, ist das steil! Wenigstens kann nichts passieren. „Bei uns gibt’s keine Lawinengefahr“, sagt Peter. „Das ist im Woid eine Besonderheit.“
Schneeschuh-wandern ohne Lawinengefahr
Wir stapfen weiter bei Gegenwind, die Sicht wird schlechter. Dann tauchen plötzlich die Arber-Mandl aus dem Nebel auf. Wie eine Pilgerkolonne weisen sie die letzten Meter bis zum Gipfel. Riesige Gestalten in dicken weißen Kutten. Die vom Wind verzerrten eingeschneiten Bäume sind zu Bergbewohnern gefroren.
Zwischen ihnen formt der Schnee den Boden und seine Geheimnisse zu einer skurrilen Mondlandschaft. Als wir oben ankommen, haben sich dicke Flocken in Wimpern und Brauen festgesetzt. „Berg Heil“, Peter schüttelt uns die Hand. Wir sind keine Anfänger mehr.
Peitschendes Schneegestöber
Am nächsten Tag fahren wir zur nächsten Schneeschuh-Tour an dem gut 24.000 Hektar großen Urwald vorbei nach Mitterfirmiansreut und Grainet. Dort peitscht der Wind die Flocken zu einem dichten Vorhang. Auf den umliegenden Hängen Richtung Haidel-Berg ziehen sich kilometerlang Loipen und Schneeschuhrouten hinauf. „‘S wachtelt“, kommentiert Helmut Paster gelassen das Schneetreiben.
Der Wirt vom „Bergdorf Hüttenhof“ holt uns mit seinem Allrad ab – das Auto hat schlapp gemacht, trotz Winterreifen. Steil geht es zu massiven Holzchalets hinauf. Echte Waidla-Häuser hat die Familie Paster in den Hang gesetzt, mit einem gemauerten Sockel, Holzverkleidung und kleinen Fenstern.
Ausklang im Hot-Tub
Im „Wastl Haus“ knistert das Holz im Kachelofen, auf jeder Herdplatte in der offenen Küche steht ein Topf. Bettina Windorfer kocht auf Wunsch in den Hütten: Brotsuppe, gekochtes Bauerngeräuchtertes, Knödel, Bayerisch Kraut und Bauernkrapfen.
Zum letzten Mal ziehen wir die Schneeschuhe an. Längst geht das wie im Schlaf. Wir gleiten den Haidel-Berg rauf und staunen, wie leicht es fällt – sind wir mittlerweile in so guter Verfassung? Liegt’s an der bayerischen Ernährung oder ist’s der Schnee? Egal, Schneeschuhwandern ist Gaudi pur. Wir pflügen durch die weiße Pracht, lassen den Gipfel zurück und springen den Hang hinab. Dann kommt die Sonne raus. „Supa“, würde Peter sagen.
Lust auf eine Schneeschuhtour bei Vollmond?
Unsere Reporter waren in der Nagelfluhkette auf großem Fuß unterwegs. Geht mit.