Große Kulleraugen, flauschiges Fell, ein sanftes, neugieriges Wesen. Kein Wunder, dass Alpakas als entspannte Wanderbegleiter gefragt sind. Das mussten wir im Bayerischen Wald ausprobieren. Text: Christian Haas, Fotos: Frank Heuer
Alpakawandern im Selbstversuch
„Spucken die?“, lautet fast immer die erste Frage, die Elke Haase-Sporrer von Kindern gestellt bekommt. Doch die Besitzerin der 16 Arberland-Alpakas gibt schnell Entwarnung. „Keine Sorge, wenn sie das tun, dann meist nur untereinander. Menschen kriegen selten was ab.“ Mit dieser Antwort beruhigt sie in der Regel auch erwachsene Begleiter, die sich das insgeheim ebenfalls fragen.
Alpaka-Wanderungen werden seit Jahren immer beliebter. Über drei Dutzend Anbieter gibt es in Bayern, Tendenz steigend. Seit ein paar Jahren zählt auch Elke dazu, die zudem mit einem attraktiven Wald-Wiesen-Mix zu Füßen des 1.452 Meter hohen Großen Rachel ein besonders schönes Wanderareal vor der Gehege-Tür bietet.
Puschelalarm auch für Männer
„Passen zwei Männer überhaupt ins Gästeschema?“, will ich vorab am Telefon wissen. Der Annahme, die Spaziergänge mit den höckerlosen Mini-Kamelen wären nur etwas für Familien mit Kleinkindern, tiervernarrte Influencerinnen oder Babymooner mit Hormonüberschuss, widerspricht Elke vehement: „Egal, ob Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer, Junge oder Alte: Hier kommen unterschiedliche Alters- und Zielgruppen ins Schwärmen, selbst gestandene Männer, die anfangs eher reserviert wirken.“ Ok, wir kommen!
Kinder, Frauen und Männer. Alle kommen ins Schwärmen
Apropos reservieren. Angesichts der in Pandemiezeiten nochmal gestiegenen Nachfrage ist das keine schlechte Idee. „Bei den vielen Anfragen könnt‘ ich jeden Tag eine Wanderung anbieten“, sagt die verheiratete Mutter von drei Kindern. Sie hat einen ganz anderen, durchaus zeitintensiven Hauptjob. Elke leitet ein Fahrrad- und Motortechnikgeschäft im acht Kilometer entfernten Zwiesel.
„Die Sache mit den Alpakas war anfangs nur als Hobby gedacht“, so Elke, „mit Schwerpunkt Züchtung und bestenfalls gelegentlichen Gästetouren.“ Doch wie so oft kommt es anders: Jetzt ist sie bis zu dreimal pro Woche mit Alpakas und Gästen unterwegs. Auch – oder besser: gerade – im Winter.
Flauschig, kullerig und etwas distanziert
Wir stehen bei geschlossener Schneedecke und wolkenlosem Himmel vor ihrer Tür im idyllischen Oberfrauenau. Im Neuschnee neben dem einsam gelegenen Haus stehen acht Alpakas in sämtlichen Farben: weiß, schwarz, braun, grau, gemischt. Was die bis zu 80 Kilo schweren Tiere eint: ihr flauschiges Fell, ihre dunklen Kulleraugen und ihr freundliches Gemüt, das Neugier und Vorsicht vereint.
Als wir das großzügige Freigehege betreten, drehen alle ihre Köpfe zu uns, spitzen die Ohren und verharren in coronakonformer Distanz von rund eineinhalb Metern. Beim zaghaften Versuch, den Alpakas übers Haupt zu streichen, weichen sie zurück. „Sie mögen es nicht, am Kopf berührt zu werden, da sind sie empfindlich. Eher am Hals und Rücken“, erklärt Elke. „Es braucht etwas Geduld und Zeit, bis sie Vertrauen aufbauen.“
Alpakawandern entschleunigt
Womöglich ist das sogar Teil des Erfolgsgeheimnisses. Dass man sich ihre Zuneigung erst verdienen muss, die Beziehung im Laufe der Wanderung – „in der Regel sind es immer so eineinhalb bis zwei Stunden, mal geht es hierhin, mal dorthin, das Ziel ist eigentlich zweitrangig“ – langsam wächst. „Gerade bei quirligen Kindern erlebe ich da oft eine unerwartete Wandlung. Am Anfang aufgetrillert werden die mit der Zeit immer ruhiger und nähern sich den Tieren an.“
Bei Elke und Alpakas kann von langsamem Annähern keine Rede sein, eher von Schock-Verlieben. Zum folgenschweren Erstkontakt kam es 2014 bei einer Radtour in Oberbayern, als ihr Mann und sie Alpakas auf einer Wiese stehen sehen. „Es heißt nicht umsonst: Wer einem Alpaka zu tief in die Augen schaut, ist sofort verliebt. Bei mir war genau das der Fall.“
Die Mini-Kamele mögen Ruhe
Den Fehler eines schnellen, uninformierten Tierbesitzes wollte sie aber nicht machen und besuchte daher mehrere Haltungs- und Zuchtkurse bei einer erfahrenen Alpakazüchterin und Tierärztin. Klarer Fall: Tierwohl genoss bei Elke von Anfang an höchste Priorität. Das merkt man auch als Wandergast. Im liebevoll hergerichteten Stall hängen Porträts der Alpakas, im Umgang mit ihnen wird die Chefin nie laut. Stets strahlt Elke Ruhe aus und achtet darauf, wer zum Laufen in Form ist.
Die Wahl fällt heute auf Diego, Caruso und Marcello. Als wir mit Heu locken, kommen sie sehr schnell sehr nah, lassen sich den Halfter umlegen und am Strick rausführen. Zugegeben, als wir in die nahe Baumallee einbiegen, helfe ich anfangs noch nach, mit sanftem Ziehen, vor allem aber mit Zureden. Diegos Antwort: ein angenehmes Summen, das er in den nächsten zwei Stunden immer wieder von sich gibt.
Macho-Machenschaften
Dieser Soundtrack hat etwas Meditatives. Erst recht, als wir „in den Flow kommen“. Diego links, ich rechts, beide fast auf Augenhöhe, auf jeden Fall auf gleicher Gehhöhe. Autopilot an. Da bleibt Zeit, das zauberhafte Schneefunkeln auf der weißen Wiese und in den überzuckerten Buchen zu beobachten.
Diego entspannt wohl auch, dass Caruso und Marcello direkt hinter uns laufen. Elke erklärt: „Alpakas sind sehr sozial. Das Schlimmste, was man machen kann, ist, sie allein zu halten.“ Ebenfalls keine gute Idee: eine geschlechterübergreifende Unterbringung. Das sorgt für Stress, vor allem unter den nicht umsonst Machos genannten Männchen. Stichwort Rangkämpfe, bei denen dann Spucke fliegt oder spitze Zähne zu Verletzungen führen. Gut also, dass die acht Ladys samt Nachwuchs auf einem Grundstück in Zwiesel untergebracht sind.
So können wir mit den nicht abgelenkten Macho-Männchen über verschneite Wege ziehen, mal durchs Gebüsch, mal an einem zugefrorenen Weiher vorbei und dann rüber zu den anderen Häusern von Oberfrauenau, darunter das rustikal-schicke Restaurant „Re(h)serviert“. Angesichts des traumhaften Blicks auf das nahe Frauenau und über das weite Tal bis zum Großen Arber verwundert es nicht, dass Familie Poschinger in dieser exponierter Lage neu baut.
Der Name Poschinger fällt ständig. Soweit das Auge reicht, gehört der Wald, rund 2.300 Hektar rund um Frauenau und bis Sankt Oswald, dem „Glas-Baron“. Als einzige der historischen Glasherrenfamilien sind sie bis in die Gegenwart im Glasgewerbe tätig.
Während unserer Wanderung kommen wir ins Reden, zuerst über die Alpakas, dann über das Arberland, die Menschen und die Geschichte. Dass die mitunter schmerzhaft ist, beweist die Produktionsstilllegung der Glashütte der Poschingers im Spätherbst 2021, ein trauriger Tiefschlag für das so traditionsreiche Glasgewerbe in der Region. Wie glänzend die Zeiten einst waren, zeigt das moderne Glasmuseum in Frauenau.
Das im Prunkstil der Neurenaissance erbaute Familienschloss, Beiname „Neuschwanstein von Niederbayern“, existiert nicht mehr. Nach den Beschädigungen im 2. Weltkrieg wurde es Ende der 1950er plattgemacht. Geblieben ist nur das etwas abseitige Haus des Schlossverwalters, in dem nun Elkes Familie wohnt, eine Familiengruft sowie die Schlosskapelle am Waldrand. Gut, dass uns Elke all das erzählt. Die an der Kapellenwand angebrachte Audiostation gibt keinen Ton von sich.
Vielfältige Wolllust
Ganz anders Diego und Co. Ihr Summen ist steter Begleiter. Auch als wir die geräumten Waldwege verlassen und über einen jungfräulichen Schneehang preschen. Das macht Laune. Würde man das ohne Tiere auch tun, fragen wir uns. Jedenfalls fühlen wir uns wie Schnee-Barone. Und haben kein bisschen schlechtes Gewissen, dass es den Tieren nicht gefallen könnte. Frieren tun sie definitiv nicht, der Komfortbereich der ursprünglich aus den Anden stammenden Tiere liegt bekanntlich bei null bis fünf Grad. Wenig überraschend, bei der Wolle!
Alpakas frieren definitiv nicht
Die ist auch bei Menschen sehr begehrt, kratzt sie doch deutlich weniger als Schafwolle, ist von Natur aus schmutzabweisend und dank Hohlfasern besonders leicht – und damit sehr angenehm zu tragen, in Gestalt von Mützen, Stutzen, Handschuhen und vielem mehr. Elke hat in ihrem Haus in zwei Zimmern ein Sortiment zusammengestellt, das wir später noch kennenlernen sollen, teils mit der Wolle der eigenen Alpakas, die etwa in sehr kuscheligen Bettdecken verarbeitet wird, teils mit Fremdprodukten.
Wer kann mit Alpakas wandern?
Alpaka-Wanderungen sind ideal für alle, denen „normales Spazierengehen“ zu langweilig ist. Mit den drolligen Alpakas gibt es stets was zu sehen und zu lachen. Und sie sind ideal für alle, die nicht gleich eine tagesfüllende Wanderung oder eine adrenalinfördernde Hundeschlittenausfahrt (die ein paar Kilometer weiter angeboten wird) brauchen, um Winterglück zu empfinden.
Winterliche Alpakatouren haben einen weiteren Vorteil: Die Tiere bleiben nicht ständig stehen „Im Sommer kann das richtig anstrengend sein, dann wollen sie immer fressen“, lacht Elke. Heute wartet das Futter im Stall. Was man auch daran merkt, dass das Männertrio Gas gibt, je mehr wir uns der Home Base nähern. Stalldrang! Und als ich Diego „daheim“ das Erwünschte reiche, wird er nochmal richtig kuschlig. Stupst mich, lässt sich am Hals und Rücken streicheln, schaut mir zum Abschied tief in die Augen. Da bleibt mir glatt die Spucke weg …
Weitere Informationen
Elke Haase-Sporrer bietet Alpakawanderungen in der Regel jeden Donnerstag um 14 Uhr, Freitag um 13 Uhr und Samstag um 14 Uhr an (außer bei sehr schlechtem Wetter).