Ein Tag im feinsten Neuschnee und eine Nacht im Iglu auf 2.000 Meter Höhe. Mehr Winter kann man in 24 Stunden nicht erleben
Winter am Nebelhorn: Neuschnee, Skispaß und eine Nacht im Iglu
Es gibt diese Tage, an denen einfach alles stimmt. Das Licht, der Himmel, der Schnee. Heute ist so ein Tag. Wie ein weiß glitzerndes Galakleid breitet sich der Schnee an diesem Februarmorgen über die Allgäuer Alpen, lässt punktuelle Schroffheiten unter einer weichen Decke verschwinden.
Schon während der Fahrt in der schicken Gondel hoch zum Nebelhorn konnten wir uns kaum sattsehen, haben immer wieder die Handys gezückt und einmal rundum gestaunt. Nun stehen wir auf dem Gipfel des 2.224 Meter hohen Bergs und inhalieren den Anblick.
„Vierhundertgipfelblick“ nennen die Einheimischen das Panorama, das sich oben entfaltet. Ein Meer von weißen Gipfeln erstreckt sich bis zum Horizont. Und egal, auf welche Bergspitze man deutet, Andi Tauser kennt ihren Namen, manchmal sogar die Höhe auf den Meter genau.
Der 61-jährige gebürtige Oberstdorfer ist Leiter der Alpinschule Oberstdorf und so unverbrüchlich mit den Allgäuer Bergen verwachsen wie seine Skibindung mit den Latten.
Wenn Andi nicht gerade in seinem Büro die Geschäfte schmeißt, verbringt er so viel Zeit wie möglich in der Natur, führt Gruppen im Sommer über die Alpen und im Winter Tourenskigeher durch das Gelände abseits der Pisten.
Off-Piste? Ja, aber mit Führer
Genau das wollen wir heute tun: ein paar Schwünge jenseits der gespurten Abfahrten ziehen – mit einem Bergführer, der das Gelände kennt wie seine Westentasche. Nach einigen großzügigen Kehren auf der perfekt präparierten Abfahrt unterhalb des Nebelhorns verlassen wir die Piste und spuren hinauf zu einer schmalen Anhöhe.
Es ist, als trage uns der Schnee auf Händen
Unter uns öffnet sich ein weißes Wattetuch: glitzernder, unberührter Tiefschnee. „Auf geht’s“, ruft Andi und stürzt sich freudig in den Abhang. Unnötig zu erwähnen, dass seine Spur im Tiefschnee ein makelloses Wellenmuster hinterlässt.
Unsere Skispuren sind nicht annähernd so perfekt, das ändert aber nichts an dem großartigen Gefühl. Wir schweben mehr, als dass wir gleiten. Es ist, als trage uns der Schnee auf Händen. Der sanft abfallende Hang erleichtert die Schwünge und entlockt uns spontane Jubeljauchzer. So schön ist das!
Andi rät uns, noch mehr aus den Knien zu federn, keinesfalls in die Rückenlage zu gehen und das Gewicht nach dem Schwung sofort auf den Talski zu verlagern. Er grinst, als er unser Strahlen sieht. „Wer das erlebt hat, will eigentlich keine Pisten mehr fahren“, sagt er. Ihm selbst geht es so – und einer wachsenden Schar von Skifans nicht anders.
Auch im Allgäu wächst die Zahl der Tourenskigeher. Potenzielle Routen gibt es genug. Sonnenkopf, Riedberger Horn und Rangiswanger Horn zählt Andi als gute Einsteigerreviere auf. Fortgeschrittene zieht es hinauf auf den Daumen und Schochen, ins Gunzesrieder Tal und ins Kleinwalsertal, gern auch aufs Fellhorn. Hauptsache oben! Gipfel des Genusses? Davon hat das Allgäu einige im Angebot. Nicht nur was die Landschaft angeht. Auch „Leibliches“ kommt in den Bergen nicht zu kurz.
800 Kilometer Piste
Dank ihrer Höhenlage gelten die Skigebiete in den Allgäuer Alpen als schneesicher. Rund 800 Pistenkilometer warten im Winter darauf, entdeckt zu werden. Ob am Hochgrat, an der Alpspitze bei Nesselwang, am Söllereck und Breitenberg oder eben am Nebelhorn, dem höchsten Berg in den Allgäuer Alpen.
Mit 7,5 Kilometern ist die komplett beschneibare Abfahrt vom Gipfel des Nebelhorns hinunter nach Oberstdorf die längste im gesamten Allgäuer Skigebiet. Innerdeutsch übertrumpft wird sie nur von einer Piste in Oberbayern: Dort warten zwischen der 1.869 Meter hohen Steinplatte und dem Seegatterl auf 750 Meter sage und schreibe 12 Kilometer Abfahrtsglück.
Respekt und Rücksicht auf die Tierwelt
„Für Nicht-Geländekundige empfiehlt sich eine eigenmächtige Routenwahl auf keinen Fall“, sagt Andi. Nicht nur aus Gründen der eigenen Sicherheit, sondern auch aus Rücksicht auf die Tiere, die hier oben leben und im Winter unbedingt Ruhe brauchen. Das Alpenschneehuhn gehört dazu, das Birkhuhn, der Schneehase und die Gämsen.
„Für Nicht-Geländekundige empfiehlt sich eigenmächtige Routenwahl auf keinen Fall“
Aber dank Andi fühlen wir uns bestens begleitet und geleitet. Sanfte Hügel wechseln mit weich abfallenden Senken, dahinter ragt eine imposante Felsarena auf. Tatsächlich wie im Bilderbuch! Auch die Schwünge im Puderschnee gelingen inzwischen immer besser.
Es sei wichtig, im Tiefschnee den Schnee unter den Skiern durch Tiefgehen zu verdichten und bei der Kehre zur Entlastung hochzugehen, betont Bergführer Andi immer wieder. So langsam bekommen wir den Bogen raus – und gleiten in ein Hochgefühl. Beglückt, hier sein zu dürfen, in dieser fast menschenleeren Schneearena, allein mit ihrer Pracht und Erhabenheit. Wir queren breite Hänge, fädeln uns in Senken, spuren über einen Bach. Warmes Nachmittagslicht legt einen zarten Schimmer auf die Schneedecke.
Party on the Rocks
Am frühen Abend versammeln wir uns nochmals unterhalb der Mittelstation der Nebelhornbahn. Der Himmel schwelgt in Lila- und Rosatönen, die Schneekristalle glitzern wie die Zuckerkruste auf einer Torte. In einer windgeschützten Senke stehen fünfzehn Iglus im Halbrund. Dort, in der „IgluLodge“, werden wir übernachten.
Diese coolen Unterkünfte für zwei oder vier Personen auf 2.000 Meter locken auch Menschen ohne Ski an den Füßen. Für Winterfreunde, die die Bergwelt auf dem Höhenpanoramaweg, dem Nordwandsteig oder anderen ausgewiesenen Winterwanderwegen erleben wollen, gibt es bei der Bergbahn spezielle „Fußgängertarife“.
Mona aus Köln etwa bekam die Iglu-Nacht von ihren Freundinnen zum 30. Geburtstag geschenkt. Stefan und seine Ehefrau Jenny sind sogar von Rostock aus angereist. „Wir wollten das mal erleben, unter einem Dach aus Eis zu schlafen“, sagen sie.
An der Bar, die aus transparenten, jeweils 125 Kilo schweren Eisblöcken gebaut ist, stehen wir nun bei einem wärmenden Punsch und erfahren, wie wir die Nacht im Eis am besten überstehen. Über uns spannt sich eine große, mit Eisschnitzereien verzierte Kuppel, die Wände sind in knalligen Farben illuminiert – in den Schlaf-Iglus wird es dunkler sein. Und es hat es nur 4 Grad!
Die eisigen Bettpodeste sind mit einer Matratze und Rentierfellen bedeckt, darauf liegen arktistaugliche Schlafsäcke. „Wir empfehlen euch, auch die Jacken und die elektronischen Geräte mit in den Schlafsack zu nehmen“, erklären die Iglu-Manager. Wer friert, kann eine Wärmflasche mit ins Bett nehmen oder sich vorher noch einmal in der Fasssauna gründlich aufwärmen. Auch das abendliche Käsefondue im Haupt-Iglu sorgt für innere Wärme.
Millionen Sterne stehen am Winterhimmel, als sich die kleine Iglu-Dorfgemeinschaft zu fortgeschrittener Stunde in ihre Eiskuppeln zurückzieht. Wo könnte die Luft klarer sein als hier oben? Eins ist sicher: Die Nacht auf 2.000 Meter Höhe bleibt ebenso unvergesslich wie der Sonnentag im pudrigen Winterweiß.
Tourenplanung für Skitourengeher
Manfred Scheuermann und Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein verraten im Interview, wie man bei der Tourenplanung am besten vorgeht, was man alles im Gelände berücksichtigen muss und wie man sich als Tourengeher umweltverträglich und rücksichtsvoll verhält.