Bikepacking ist familienkompatibel. Besonders auf Oberbayerns „Wasser-Radlwegen“, die Kultur- und Naturschätze mit den schönsten Fluss- und Seenlandschaften verbinden. Ein viertägiges Mikroabenteuer zwischen Holzkirchen und Murnau
Wasser-Radwege in Oberbayern mit Kindern: Ein Selbstversuch
Zelt, Schlafsack, Isomatte, Gaskocher, Topfset, Taschenmesser, Napf und Teller, Regenjacke, warme Jacke, Kurz- und Langarmshirts, Sandalen, Radlhose, Luftpumpe, Flickzeug, Helm, Erste-Hilfe-Set, Trinkflaschen, Snacks …
Die Packliste wird immer länger, die beiden 25-Liter-Radpacktaschen werden aber nicht größer. Meine Freundin Kathrin und ich tauschen fast im Minutentakt Textnachrichten aus, wer was in welcher Ausführung einpackt. Wie kalt wird es nachts im Zelt, nehmen wir einen leichten oder einen wärmeren Schlafsack mit? Reichen zwei Wechselshirts für die beiden Buben? Soll die dicke Strumpfhose noch mit ins Gepäck?
Während ich stopfe und staple, bis jeder Kubikzentimeter der Radtaschen ausgefüllt ist, denke ich an all das Gewicht, das ich mit reiner Muskelkraft bewegen muss.
Bikepacking mit Kids
Geplant ist eine viertägige Bikepacking-Tour auf den Wasser-Radlwegen. Diese führen auf insgesamt 1.200 Kilometern in drei Schleifen durch ganz Oberbayern. Die jeweils rund 300 Kilometer langen, gut ausgeschilderten Routen zwischen Alpen und Donau widmen sich unterschiedlichen Themen wie Hopfen im Norden, Salz im Südosten und Kunst im Südwesten.
Zentraler Ausgangspunkt ist München, doch dank der Bahnanbindung vieler Orte lassen sich die Routen beliebig variieren. Egal, für welche Route man sich entscheidet, Wassererlebnisse an den oberbayerischen Flüssen und Seen gehören immer dazu – ideal für erfrischenden Radlspaß mit der ganzen Familie.
Fitness-Garantie: 45 Kilo Anhängelast
Für unser Bikepacking-Abenteuer mit zwei Kindern haben wir Holzkirchen als Startpunkt gewählt. Im Voralpenland müssen wir auf der „Kunstschleife“ mit deutlich mehr Steigungen rechnen als auf der „Hopfenschleife“ nördlich von München.
Ich komme schon ins Schwitzen, wenn ich nur daran denke: Der Fahrradanhänger mit den beiden Kindern wiegt rund 45 Kilogramm, dazu kommen die Packtaschen. Zum Glück radelt der dreijährige David kleine Etappen schon allein.
Seine Mutter Kathrin Redl hat einen ausrangierten Kinderanhänger zum Lastenanhänger umgebaut und darauf eine wasserdichte Tasche mit ihrer Ausrüstung platziert. Wenn sich David im Kinderanhänger ausruht, schnallt sie sein Rad obendrauf.
Wir sind ein eingespieltes Team. Es ist nicht das erste Mal, dass wir zusammen unterwegs sind. Im Vorjahr sind wir über 600 Kilometer von Genf bis ans Mittelmeer geradelt. Doch jede Tour erfordert eine individuelle Planung und je nach Alter der Kinder ein anderes Set-up.
Planung? Welche Planung?
Apropos Planung: Die kam diesmal zugegebenermaßen etwas zu kurz, wir haben keine Etappenziele festgelegt, keine Unterkünfte gebucht, und nicht einmal das Ziel unserer Tour steht fest. Mit den Kindern fällt es schwer, genaue Etappen zu planen, da diese je nach Motivation und Wetter sehr unterschiedlich ausfallen können. Auch eine Unterkunft möchten wir nicht schon im Voraus buchen – bei miserablem Wetter macht es keinen Sinn, die Tour überhaupt anzutreten.
Also beschließen wir spontan und nach einem kurzen Wettercheck, an einem Donnerstag Ende Juli aufzubrechen. Zur absoluten Hochsaison! Eine blöde Idee? Das fragen wir uns, als wir am frühen Abend des ersten Radltages am Tegernsee eine Pause einlegen. Die Kinder planschen fröhlich im seichten Wasser an der Seepromenade in Gmund, während die Mamis Brote schmieren. „Bauen wir hier unser Zelt auf?“, fragt Nelion. Direkt am Wasser, mit Blick auf die Voralpengipfel wäre das Kiesufer der perfekte Platz. Wildes Campen ist aber bekanntlich verboten.
Noch zwei Stunden bis zum Sonnenuntergang. Und wir wissen immer noch nicht wohin! Am Oedberg oberhalb des Sees gibt es zwar einen Campingplatz, aber telefonisch ist niemand zu erreichen und wir wollen nicht so weit bergauf in die falsche Richtung fahren, ohne zu wissen, ob wir bleiben können.
Also radeln wir am Westufer weiter aufwärts zur Ortschaft Holz. Idyllisch liegen einzelne Bauernhöfe zwischen Wald und Wiesen auf dem Hügel. Ein Landwirt werkelt an seinem Weidezaun. Wir grüßen freundlich und fragen, ob wir auf seiner Wiese zelten dürfen. „Ja, gar koa Problem“, sagt er und zeigt uns einen Platz neben einer Scheune. „Moing fria wird’s a bissl laud, do bring i de Kia raus aufd Wiesn“, fügt er fast entschuldigend hinzu. Diese Notlösung ist nicht zur Nachahmung gedacht, aber heute kommen wir nicht weiter.
Die Kinder streicheln den Hofhund, zupfen Gras für die Kühe und helfen mit, die Zelte aufzustellen. Wir schaffen es noch, ein Linsencurry zu kochen, dann kuscheln wir uns gegen halb elf todmüde in die Schlafsäcke.
Nah am Wasser: Isarradweg
Donnergrollen und lautes Regenprasseln wecken uns früh. Der Vormittag fällt buchstäblich ins Wasser. Nur gut, dass die Jungs ihre Matschhosen dabeihaben, sonst wären sie schon nach dem Spielen auf der Wiese völlig durchnässt.
Die erste Etappe über Kopfsteinpflaster hinauf zum Weiler Marienstein radeln wir im Trockenen, dann hilft auch die Regenhose nicht mehr. Bei Gewitter und Starkregen strampeln wir nach Bad Tölz. Die Burschen spielen im Anhänger mit Spielzeugautos und erzählen sich lustige Geschichten. Wir sind nass bis auf die Haut. Meine Tante Helga in Tölz rettet den Tag: Sie lädt uns zu Kässpätzle und heißem Tee ein. Die nassen Klamotten wirft sie in den Trockner.
Vorbei an reich mit Lüftlmalerei verzierten Barockhäusern radeln wir später durch die historische Marktstraße von Tölz. Weiter geht es auf Schotterwegen entlang der Isar in Richtung Süden. Das Obere Isartal erstreckt sich vom Ursprung der Isar im Karwendel bis nach München und bildet mit seinen Flussarmen, Kiesbänken und Auen eine der letzten Wildflusslandschaften Bayerns.
In Lenggries verlassen wir dann die Isar und kämpfen uns die letzten Höhenmeter steil hinauf zum „Bergcamping Lenggries“ am Fuße des Braunecks, dem Hausberg der Lenggrieser. Die Kinder halten im Anhänger eine Siesta. Wir nutzen die Gunst der Stunde und legen uns gleich daneben.
Später schlendern wir zum Campingplatz-Check-in. „Ihr habt keine Reservierung?“, fragt die Rezeptionistin ungläubig und will uns schon wegschicken. Aber dann findet sie doch noch ein Plätzchen auf der voll besetzten Campingwiese. Glück gehabt!
Mit Wirtshaus, Fahrradraum, Waschmaschine und luxuriösen Sanitäranlagen ist der Platz bestens ausgestattet. Als der Regen wieder einsetzt, ziehen wir mit Gaskocher und Spaghetti-Topf in den Aufenthaltsraum um.
Badespaß in der bayerischen Karibik
„Helm muss man anziehen, du Quatschvogel!“
- David (3) -
Am kommenden Morgen dauert es etwas länger, bis das nasse Zelt gepackt ist, das Müsli gelöffelt ist und die Kinder angezogen sind. Voll motiviert schwingt sich David auf sein Mini-Rad und gibt vorbeifahrenden Radlern kluge Tipps: „Helm muss man anziehen, du Quatschvogel!“
Etwas südlich von Lenggries biegen wir in Richtung Walchensee ab. Durch eine wilde Auenlandschaft mit Birken, Heidekraut und Wacholder folgen wir der Jachen. Auf einer Kiesbank am Jachen-Ufer legen wir eine Bade- und Brotzeitpause ein. Weiter geht es auf der kleinen Staatsstraße durch das stille Hochtal, die Berge rücken links und rechts immer näher. Die Dörfer der Jachenau präsentieren sich als oberbayerisches Bilderbuchidyll mit Lüftlmalereien und üppigen Geranien vor den Fenstern der großen Höfe.
Mit brennenden Waden ziehe ich den schweren Kinderanhänger die steile Mautstraße hinauf. E-Biker und Motorradfahrer rauschen vorbei. Ein graubärtiger Mann am Straßenrand feuert uns an: „Ihr seid Heldinnen!“ Bei der rasanten Abfahrt jubeln die Kinder im Anhänger.
Die Anstrengung hat sich gelohnt: Der Walchensee, schon auch mal „bayerische Karibik“ genannt, empfängt uns mit türkisblauem Wasser. Wie ein blau funkelndes Juwel liegt der tiefe Bergsee in den bayerischen Voralpen. An schönen Sommertagen wie diesem herrscht Hochbetrieb. Autos, Radler und Fußgänger drängeln auf der schmalen Straße am Südufer um die Wette. Wir machen eine ausgiebige Badepause, die zweite an diesem Tag.
Der Blick auf die Website des „Camping Walchensee“ fällt ernüchternd aus: „Wir sind bis Mitte September ausgebucht“, steht dort in dicken roten Lettern. Die letzten Sonnenstrahlen beleuchten die imposanten Gipfel von Wetterstein und Karwendel, als wir weiter nach Krün radeln, wo uns eine Freundin in ihrem Garten Asyl angeboten hat.
Zwischen Zugspitze und Staffelsee
Am letzten Tag unseres Radabenteuers kommen wir richtig in den Flow. Vor einem tollen Bergpanorama mit Zugspitze, Wetterstein und Karwendel radeln wir von Krün am Barmsee vorbei zum Geroldsee. Der kleine Moorsee verführt uns schon am Vormittag zu einem Sprung ins kalte Wasser. Weiter geht es durch das Werdenfelser Land mit seinen naturgeschützten Buckelwiesen. Über die historische Ludwigstraße fahren wir nach Partenkirchen ein, dem östlichen Teil des Doppelorts Garmisch-Partenkirchen. Die ehemalige römische Handelsstraße verband bereits vor 2.000 Jahren Augsburg mit Venedig.
„Heute können wir nur noch ein bisschen radeln, denn ich brauch noch Kraft für morgen“
Wer sich für die Natur interessiert, besucht die spektakuläre Partnachklamm. Leider läuft uns die Zeit davon, daher reicht es nur für ein Eis in der Sonne. „Heute können wir nur noch ein bisschen radeln, denn ich brauch noch Kraft für morgen“, sagt David, bevor ihm im Anhänger die Augen zufallen. Auf einem idyllischen Radweg durchqueren wir den Natur- und Erholungspark Kuhflucht.
Die Kuhfluchtwasserfälle bei Farchant, die in drei Kaskaden über 270 Meter in die Tiefe stürzen, verpassen wir, weil die Kinder schlafen. Dafür genießen wir die Fahrt durch die einzigartige Landschaft des Murnauer Mooses. 4.200 Hektar groß ist es eines der größten zusammenhängenden Moorgebiete Mitteleuropas.
Bei der steilen Einfahrt nach Murnau kommen wir noch mal ins Schwitzen, dann geht’s bergab zum Strandbad am Staffelsee. Wieder radeln wir bis direkt ans Wasser und würden am liebsten noch eine Nacht bleiben, aber – Überraschung! – der „Campingplatz Halbinsel Burg“ ist ausgebucht. So quetschen wir uns nach der Badepause am frühen Abend mit unseren Rädern in den überfüllten Regionalzug zurück nach München.