Eine Wanderung, die sich gewaschen hat: Unterwegs auf den Premiumwegen „Luftiger Grat“ und „Wildes Wasser“ im Allgäuer Naturpark Nagelfluhkette. Zum Abschluss sprangen unsere Reporter Christian Haas und Frank Heuer ins kalte Wasser der Buchenegger Fälle und in den Alpsee
Genusswandern im Allgäuer Naturpark Nagelfluhkette
Porta Alpinae – Tor der Alpen – nennt Guenter Rauch seine hölzernen Freiluft-Installationen. Davon hat er über dreißig aufgestellt, eine davon mitten auf einem Wanderweg nahe der Hochgrat-Bergstation. Wie ihre Pendants besitzt auch diese von Gebetsfahnen umwehte Pforte keine echte Tür zum Öffnen.
Der Allgäuer Künstler will sie eher als Zeichen der Hoffnung verstanden wissen „und als Aufforderung an den Besucher, eigene Möglichkeiten zu erkennen, indem er eine Tür zu einer anderen Welt durchschreitet“.
Andere Welt? Das Gefühl hatten wir auch, als sich die Tür der gelben Vierer-Nostalgiegondel öffnete und uns im Relaxmodus nach oben beförderte. Zeitreise pur. Nun der nächste Weltöffner: Durchs hölzerne Tor fällt der Blick auf Hunderte Alpengipfel!
Ginge man ostwärts weiter, kämen „Falkenhütte“ und der bereits auf österreichischem Boden befindliche Hochhäderich. Uli Lau, die uns begleitet, hat andere Pläne: Erst mal rauf zum 1.834 Meter messenden Hochgrat. „Vom höchsten Berg im West-Allgäu ist die Sicht unübertroffen“, so die 48-Jährige. Als wir nach kurzem, steilem Anstieg auf dem Gipfel stehen, können wir bestätigen: Von hier überblicken wir einen noch größeren, insbesondere den östlichen Teil des 2008 gegründeten, 400 Quadratkilometer großen Naturparks Nagelfluhkette.
Einen Miniausschnitt kreuzen wir auf dem Weg zur Brunnenauscharte. Dort mündet ein reizvoller, nur zum Schluss etwas steiler Wanderweg ein. „Der ist für alle interessant“, so Uli, „die vom Parkplatz aus ohne Gondel in die oberen Etagen wollen.“ Bergbahnen laufen ohnehin nur an den „Rändern“ des Schutzgebietes, in Balderschwang oder Immenstadt.
Wir sind mitten im Wander-Dorado, das – neben einigen schwierigen – überwiegend leichte bis mittelschwere Touren ohne hochalpine Nebenwirkungen bietet. Wer allerdings die gesamte, 24 Kilometer lange Bergkette durchwandert, braucht Kondition.
„Luftiger Grat“: Kräuterkunde
Weniger schnaufen muss man auf der Panoramarunde zurück zur Bergstation. Durch Guenter Rauchs Porta Alpinae hindurch gehen wir auf dem Premiumwanderweg „Luftiger Grat“, der thrilliger klingt, als er ist, zum Seelekopf (1.633 Meter). Neben dem stählernen Gipfelkreuz mit aufgesetzten Schmuckelementen sowie den auffallend vielen, sonst so seltenen Apollofaltern begeistert uns die Premium-Aussicht, auch gen Oberstaufen.
Dort führt Uli die Geschäfte der „Bergwelt Oberstaufen“, zumindest wenn sie nicht gerade als Ski- oder Wanderguide unterwegs ist. Oder als Kräuter-Insiderin.
„Die Wurzel gab einst den Hirten, die nimmer konnten, noch mal einen Schub!“
Mit Türkenbund, Engelwurz und Schafgarbe kennt sie sich bestens aus. Mal deutet sie hierhin, mal dorthin. Lässt uns an Silberdisteln und Arnika schnuppern. Und am gelben Enzian. Über den weiß sie: „Die Wurzel gab einst den Hirten, die nimmer konnten, noch mal einen Schub!“ Der Grund?
Bitterstoffe, die den Enzian zu einer der bittersten Pflanze Europas machen und schon beim Graben auf die Schleimhäute wirken, sobald man eine Wurzel aus der Erde zu holen versucht. „Da muss man gar keinen Schnaps mehr trinken!“ Den braucht es auch nicht. Das einzigartige Landschaftsmosaik aus Bergwäldern, Bachläufen, Mooren und offenen Alpflächen berauscht genug.
Dazwischen taucht immer wieder das an schlecht gerüttelten Waschbeton erinnernde Nagelfluh-Gestein auf, dem die Region ihren Namen verdankt. „Die verbackene Masse heißt bei uns auch Herrgottsbeton“, erzählt Uli. Fragende Blicke. „Na ja, dieses Phänomen konnte sich früher niemand erklären. Somit musste eine höhere Kraft dafür verantwortlich sein.“
Für die schönen Wasserfälle, an denen wir nach längerem Wandern Pause machen, sind zwei zur Weißach hinfließende Bäche (mit)verantwortlich. An ausgiebiges Füßereinhalten ist nicht zu denken, das Wasser ist unfassbar kalt. Schnell raus aus Wasser und Wald, rein in die Sonne und die Vieh-Fauna.
Auf den rekordartig vielen Alpen, wie die Almen hier heißen, steht immer irgendwo eine Kuh. Mal liegend mit Out-of-bed-Frisur, mal stehend mit „Ich Chef, du nix“-Attitüde, mal freundlich antrabend mit Schlabberzunge im Anschlag.
Schumpen und Schoppen
Auch auf der „Alpe Schilpere“ sorgen rund dreißig „Schumpen“, wie Allgäuer das Jungvieh nennen, für tierisch gute Stimmung. Ausflügler sind ebenfalls willkommen, das beweisen einige Terrassentische und eine Theke in der Scheunentür. Darüber hängen drei Monster-Kuhschellen, die kein Tier tragen könnte – eine Spende zur Viehscheid, dem Almabtrieb.
Unter dem Holztisch rennen Katzen, Hennen und ein Hahn herum
Waltraud, die Chefin, bringt Getränke und eine Brotzeit, selbstredend mit Allgäuer Käse, wenngleich der nur noch auf wenigen Alpen hergestellt wird. Während das Weißbier ins Glas läuft, rennen unter dem Holztisch Katzen, Hennen und ein Hahn herum. Aus dem Lautsprecher Musik von „Alpenstarkstrom“, Motto: „Wo unsere Partyband gastiert, ist super Stimmung garantiert!“
Ihr Sohn, erklärt uns Waltraud, greife da in die Tasten und Saiten. Und nicht nur er. „Wir sind eine große Musikerfamilie.“ Kein Wunder also, dass hier (Live-)Musik zum guten Ton gehört, insbesondere bei den legendären Frühschoppen.
Beschwingt geht es weiter, bis wir auf den zweiten von drei Premium-Wanderwegen in der Region stoßen. Sein Name „Wildes Wasser“ erklärt sich spätestens, als wir hinabsteigen zu den Buchenegger Wasserfällen, an denen die Weißach ihre Wassermassen über zwei Felsstufen spektakulär in die Tiefe schüttet.
Dabei hat sie tiefe Becken, auch als Gumpen bekannt, aus dem Nagelfluh-Gestein geschürft. In die stürzen sich Mutige aus bis zu 18 Meter Höhe publikumswirksam hinein. Unter dem Buzzword „Gumpenjucken“ hat der Nervenkitzel einigen Youtubern enorme Klickzahlen beschert. Allerdings gab es auch böse Unfälle, daher die Warnschilder, die man tunlichst beachten sollte, so Uli.
Wasser in Theorie und Praxis
Andere Tafeln behandeln Geologie, Fauna, Flora. Noch mehr Fakten vermittelt das „AlpSeeHaus“ in Immenstadt. Das fungiert als Tourist-Info und Erlebniszentrum für den Naturpark, dem insgesamt acht Gemeinden in Deutschland und sieben in Österreich angehören.
Speziell an Jüngere richtet sich die neue, von der Regierung von Schwaben mit dem Wasserwirtschaftsamt Kempten konzipierte Sonderausstellung über „Grund- und Trinkwasser“. Das XL-Modell, bei dem Murmeln den Weg des Wassers in und auf den Bergen simulieren, macht Erwachsenen ebenfalls Spaß, genauso wie die Fragenkarten am „Wasser-Würfel“. Beispiel: Wie heißt Deutschlands regenreichster Ort? Balderschwang!
Wassertheorie schön und gut, vergnüglicher ist die Praxis draußen am nahen Alpsee. Platzhirsch ist der historische 12-Meter-Zweimaster „Santa Maria Loreto“.
Ulis Tipp: an heißen Sommertagen die Szenerie vom Liegestuhl der „Beach Bar“ aus genießen. Mit einem Cocktail in der Hand, die Füße im warmen Sand. Karibik-Feeling im Allgäu. Wer es traditioneller mag, bestellt im Oldie-Foodtruck Kasspatzn und sucht sich ein Plätzchen an der Seepromenade.
Lagebesprechung. Was könnte man noch anstellen? Gaudi versprechen der „Alpsee Coaster“, Deutschlands längste Ganzjahres-Rodelbahn, oder Bayerns größter Hochseilgarten, der „Kletterwald Bärenfalle“. Oder lieber rauf auf den Mittag und weiter zum Hochgrat, auf einer der schönsten Gratwanderungen des Landes? Das Rennen macht das ruhige Gunzesrieder Tal an der Ostseite der Nagelfluhkette.
Feinster Fisch aus Quellwasser
Wir wollen wissen, was es mit der 2016 eröffneten Bergfischzucht Gunzesried, der ersten im Allgäu überhaupt, auf sich hat. Petra Bindseil, eine von drei Gründerinnen, erzählt: „Unser Konzept? Frisches Quellwasser in einem auf den Saibling abgestimmten Lebensraum, dazu artgerechte Tierhaltung und eine geringe Besatzdichte.“ Drei Jahre braucht es, bis ein Fisch alle Becken durchschwommen hat, um am Ende in den Hotels der Region, auf dem Wochenmarkt oder im eigenen Laden zu landen.
„Ein Gutteil der jährlich ungefähr 30.000 Saiblinge wird gleich vor Ort verzehrt, in unserer Brotzeitstube.“ Wir verstehen den Wink und kommen im von hellen Weißtannenstämmen geprägten Blockhaus in den Genuss eines unglaublich leckeren Fischmenüs, von der Rauch- über die Beiz- bis zur Salatvariante.
Petras Fische passen auch in den Ernährungsplan der Bayern-Botschafterin Christine Waibel-Beer, die weiter vorn im Tal Ferienwohnungen anbietet. Ihr Motto: „Vier Sterne, 350 Jahre alter Hof“. Als ein gewisser Sebastian Kneipp 1721 in Bayerisch-Schwaben geboren wurde, hatte der schmucke „Waibelhof“ schon einige Generationen erlebt. Einige der nachfolgenden sollte der Wasserdoktor aber nachhaltig beeinflussen, vor allem die jetzige.
„Bei uns soll kein Gast vom Hof gehen, ohne mit Kneipp in Berührung gekommen zu sein“, so Christine, „sei es anhand von Tees aus dem Kräutergarten oder anderer Ernährungsaspekte. Oder in Gestalt von ,Heusäckle‘ am Leberbereich fürs Entschlacken. Und dann natürlich mit den kalten Schwallgüssen und dem Wassertreten.“
Passende Orte bietet sie zuhauf: das Kneipp-Becken im Garten, das separate Wellnesshaus nebenan oder der nette Tretplatz am Bach. Christine jedenfalls beobachtet: „Kneipp ist aktueller denn je. Kneipp ist hip!“
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