Murnau im Winter? Wow! Weiß überzuckerte Berge, davor die bunten Bürgerhäuser des Städtchens. Spazierwege durchs Moos und am Staffelsee entlang. All dies malte die Expressionistin Gabriele Münter. Wir machten uns auf ihre Spuren.
Murnau im Winter: Auf den Spuren des „Blauen Reiter“
Erst die Original-Schauplätze ansehen und dann die Bilder? Oder umgekehrt? Wir entscheiden uns für den Mittelweg. Dieser Wintertag ist so schön, dass wir vor dem Besuch im Schlossmuseum zuerst eine Runde durch die Fußgängerzone von Murnau drehen, vorbei an der in der Sonne leuchtenden Mariensäule am Übergang vom Unter- zum Obermarkt.
Alle paar Meter wenden wir uns um und bewundern die Bergkulisse, die das 12.000-Einwohner-Städtchen mit steinerner Würde beschützt. Nur ein paar Minuten später legt sich ein sanfter, rosiger Glanz auf die Gipfel rund um den 1.790 Meter hohen Heimgarten.
Ein Idyll, das Maler beflügelte
Dieses Licht umschmeichelt ein perfektes oberbayerisches Idyll. Kein Wunder, dass es das Künstlerpaar Gabriele Münter und Wassily Kandinsky ebenso begeisterte wie inspirierte. 1908 verbrachten sie ihre erste Sommerfrische in Murnau. Auf Anregung des Münchner Architekten Emanuel von Seidl waren viele Fassaden gerade erst herausgeputzt worden und leuchteten in kräftigen, fröhlichen Farben. Ein gefundenes Motiv.
Die bunten Häuserzeilen spiegeln sich in zahlreichen Werken, ebenso wie die Nikolauskirche und das Schloss, in dem viele der Bilder heute zu sehen sind. Während Kandinsky schon früh zur Abstraktion überging, malte Münter Straßenszenen und Landschaften anfangs noch fast naturgetreu. Später vereinfacht sie die Formen radikal und lässt die Farben sprechen.
Diese Entwicklung über mehr als vier Jahrzehnte können wir im Museum wunderbar verfolgen – obwohl während unseres Besuchs gerade umgebaut wird, um die Werke von Gabriele Münter und die des „Blauen Reiter“ im ersten Stock noch besser zu präsentieren.
Sehen, was Münter malte
Beim Blick aus dem Fenster haben wir ein Déjà-vu: Die Nikolauskirche, eines der beliebtesten Motive der Künstler, steht in aller Pracht gleich vor uns. Im Hintergrund die Berge und ganz rechts auf einem Hügel das ebenfalls häufig gemalte Münter-Haus mit seinem gelben Sockel.
„Auch nach 20 Jahren im Museum bin ich von diesem Ausblick immer noch begeistert“, schwärmt Museumsleiterin Dr. Sandra Uhrig und macht uns noch auf ein spezielles Bild aufmerksam. Wassily Kandinsky hat es gemalt. Es stellt Gabriele Münter dar, wie sie ihrerseits vor prächtiger Bergkulisse die Tochter des „Griesbräu“-Wirts malt, quasi ein Bild im Bild.
Das „Griesbräu“ gibt es heute noch. Die imposante Fassade dominiert den Obermarkt mit seinem satten Grün, das Gabriele Münter sicher gefallen hätte. Dort verbrachte sie ihren ersten Murnauer Sommer, bevor sie 1909 das Münter-Haus kaufte. Die Aussicht aus ihrem damaligen Zimmer im Gasthof hat sie auch auf Leinwand verewigt.
Brotzeit im Brauhaus
Heute ist das „Griesbräu“, ein nach einem großen Marktbrand im Jahr 1836 neu aufgebauter Vierkanthof, sorgsam renoviert. Münters ehemaliges Zimmer trägt die Nummer eins. Murnaus einziges Kino ist im Gebäude untergebracht, im schönen Gewölbesaal finden Bauerntheater-Aufführungen statt. Der ehemalige Kuhstall wurde im Jahr 2000 in ein Brauhaus umgewandelt. Dort stärken wir uns neben kupfernen Braukesseln mit einer Brotzeit. Käse, Schinken, Wurst und hausgemachtes Bierbrot.
Zur Fastenzeit lässt Inhaber Michael Gilg den „Murnator“ genannten Fastenbock ausschenken. Die Brauerei ist sein ganzer Stolz, schließlich sind von den ehemals dreizehn Murnauer Brauereien, deren Namen immer noch an einigen Häusern zu lesen sind, nur sein wiederbelebtes „Griesbräu“ und die für ihr Weißbier bekannte Brauerei Karg übrig.
Biergarten neben dem Kircherl
Letzterer gehört das „Ähndl“, eine schon fast unverschämt idyllisch gelegene Ausflugsgaststätte am Rand des Murnauer Mooses. Drinnen zwei urige Gaststuben, draußen ein Biergarten mit rund 200 Plätzen direkt neben dem perfekt in die Landschaft gepflanzten Ramsachkircherl.
Seit 2014 pflegt Thilo Bischoff, ehemaliger Sternekoch im nahen Luxushotel „Alpenhof“, eine ebenso kreative wie regional verwurzelte Küche. Räucherfisch, Renken, Saibling und Forellen kommen vom Kochelsee, die Wachteleier zum Tatar aus einer Zucht am Riegsee. Zur Jagdsaison wird schon mal ein ganzer Hirsch verarbeitet.
Eine ebenso kreative wie regional verwurzelte Küche
„Letztes Jahr hat der Christian Bär, der Chef vom ,Alpenhof‘, noch kurz vor der Schonzeit einen Hirsch geschossen“, erzählt Bischoff, „den haben wir im Ganzen gekauft und selbst zerlegt.“ Im Herbst sind die Brunftschreie der Hirsche im „Ähndl“-Biergarten bei Dämmerung gut zu hören. Küchenchef Ronny Buchholz hat immer ein Fernglas griffbereit: „Damit sehe ich die Augen der Tiere in der Dunkelheit leuchten.“
Kunstsinnige Wirte
Eine Holzskulptur vor der Tür weist auf die heute noch lebendige Künstlerszene in Murnau hin. Malerinnen, Grafiker und Bildhauerinnen wie die gebürtige Murnauerin Susanne Assum präsentieren ihre Werke unter anderem im Rahmen des Projekts „Kunstwirte“ an prominenten Stellen des Orts. In der im April 2021 eröffneten „Pulpo Gallery“ sind auch internationale Künstler in Murnau vertreten. Und wie schon zu Münters Zeiten zieht es Sammler und Kunstfans in den bildschönen Ort.
Logenplatz mit Bergblick
Vom „Ähndl“ aus laufen wir in einer guten halben Stunde zum „Panorama-Stadl“, wo wir uns die Sonne ins Gesicht scheinen lassen und das reale Bergpanorama mit dem auf der Infotafel vergleichen: Herzogstand, Heimgarten und das Ettaler Mandl sind leicht zu identifizieren. Gegen Abend färben sich das Moos und die Berge erst in einem zarten Rosa-Orange, dann dunkelviolett – Lichtstimmungen, die wir auch bei Münter und Kandinsky gesehen haben
Bayerns größtes Moorgebiet
Am nächsten Morgen treffen wir uns an der 2019 eröffneten „Biologischen Station“ am Wanderparkplatz mit Tim Korschefsky. Der Landschaftsökologe und Leiter der Station kennt das Moos wie kaum ein anderer. Und er ist ein wenig verstimmt.
Das mit rund 32 Quadratkilometern größte lebende Moorgebiet Mitteleuropas ist eine ungemein wertvolle Kulturlandschaft und ein wichtiges Vogelbrutgebiet. Doch obwohl es zwei schöne, sonnige und bestens beschilderte Rundwege gibt, laufen immer wieder Jogger, Spaziergänger und viele Hunde kreuz und quer durchs Moos, vor allem im Frühjahr und Sommer, wenn Wild und Wiesenvögel zur Aufzucht des Nachwuchses besonders viel Ruhe brauchen. Zur Brutzeit vom 1. März bis 30. Juni herrscht offiziell ein Betretungsverbot in den ausgewiesenen Schutzgebieten.
Bernhard Bierling und seinen Vater Georg trifft Korschefsky gern im Moos. Die Nebenerwerbslandwirte helfen, die Feuchtwiesen zu erhalten und vor der Verbuschung zu bewahren. Auch Gehölze und Bäume müssen immer wieder entfernt werden.
„Wiesenbrüter wie Brachvogel, Braunkehlchen oder Wiesenpieper benötigen offene Landschaften“, so der Naturschützer. Und vor allem brauchen sie Ruhe. Die Wiesen im Moos werden erst ab dem 1. September gemäht – davon profitieren auch seltene Pflanzen- und Insektenarten.
Entdeckungen im Moos
Getrocknet dient das Gras als Streu für die Kühe. Vater und Sohn Bierling sind die letzten Bauern, die die Mahd noch kunstvoll zu „Strahdrischn“ aufschichten, wo Sonne und Wind sie trocknen. „In eineinhalb Stunden ist so a Drischn zammgricht“, sagt Bernhard. Keine Viertelstunde dauert es, sie mit Heugabeln auf den Hänger zu verfrachten.
Zwei dieser sogenannten Strahdrischn kann man vor der „Biologischen Station“ bewundern, im Inneren erfährt man in einer schön gemachten Schau viel Wissenswertes über die ungemein reiche Flora und Fauna im Murnauer Moos. Schon Mitte Februar sprießen Leberblümchen und Märzenbecher, begleitet von Sumpfmeise, Wasseramsel und dem Gartenbaumläufer.
Alpenblick zum Verlieben
Mit ihrer Staffelei war Gabriele Münter oft im Moos anzutreffen. Auch den Staffelsee verewigte sie in glühenden Farben, wie man sie Abend für Abend in der Murnauer Bucht oder im lauschigen Nachbarort Seehausen mit seinen Bootshäusern am Ferchenbach erleben kann. Sanfter zeigt sich die Winterlandschaft am kleinen Froschhauser See.
Richtig verliebt sind wir in die Aussicht vom Biergarten-Restaurant „Alpenblick“ in Uffing. Ein idyllisches Plätzchen, das an sonnigen Winterwochenenden vor allem wegen seiner Kuchen beliebt ist. Im benachbarten Strandbad setzen wir uns auf eine Holzbank und schauen über den See in die Berge. Auf dem Wasser glitzert die Sonne und über die Gipfel streicht ein Hauch von Rosa.
Zum Abschluss besuchen wir das Münter-Haus in Murnau. Dort lebte die Künstlerin von 1909 bis 1914 und von 1931 bis zu ihrem Tod im Jahr 1962. Es wirkt ganz und gar nicht museal, obwohl natürlich viele Münter-Bilder an den Wänden hängen. Wie zu ihren Lebzeiten sind die bescheidenen Zimmer in Pastellfarben gestrichen, von den Künstlern entworfene Bordüren schmücken die Wände. Eine Holztreppe hat Kandinsky bunt bemalt. Hier wurde im Herbst 1911 mit den Arbeitssitzungen zum Almanach „Der Blaue Reiter“ Kunstgeschichte geschrieben.
Schöngeister und bayerische Lebensart
Gleichzeitig tauchten Gabriele Münter und ihre illustren Künstlerfreunde wie Marianne von Werefkin, Alexej Jawlensky, Franz Marc und August Macke sowie der Komponist Arnold Schönberg begeistert in die oberbayerische Lebensart ein, mit Lederhosen, Wadlstrümpfen, Dirndln und allem Drum und Dran.
Die eigentlich uralte Tradition der Schellenrührer, die mit scheppernden Kuhglocken und archaischen Masken alljährlich am Faschingssonntag den Winter austreiben, wurde erst Ende der Siebzigerjahre wieder aufgenommen – sonst hätte sie sicher auch als Inspiration gedient.
Schlittengaudi auf dem See
Münter und Jawlensky rutschten mit Holzskiern auf dem Dünaberg herum, wie ein Foto im Schlossmuseum zeigt. Eine besondere Gaudi stellte die Schlittenfahrt über den damals noch häufig zugefrorenen Staffelsee dar: Auf dem „Boandlrodl“, einem Schlitten mit Kufen aus blitzblanken Rinderhörnern, ließen sich die Damen über den See chauffieren.
Gleich hinter dem Münter-Haus beginnt die von alten Eichen gesäumte Kottmüllerallee, die Münter ebenfalls malte. Kurz vor Sonnenuntergang spazieren wir sie entlang. Als die letzten Strahlen das Moos an den Stämmen in einem schwefligen Gelb aufleuchten lassen, haben wir das Gefühl, in einem Gemälde unterwegs zu sein.
Blaues Land: Highlights
Schlossmuseum: Mehr als Münter!
Das Schlossmuseum widmet sich auch einer weiteren Murnauer Künstlerpersönlichkeit, nämlich dem Schriftsteller Ödön von Horváth. Außerdem ist eine schön präsentierte Sammlung heimischer Hinterglasmalerei zu sehen sowie Beispiele dieser Technik aus aller Welt.
schlossmuseum-murnau.de
Ausflug nach Kochel: Franz-Marc-Museum
Keine 20 Kilometer entfernt bewahrt das Franz-Marc-Museum in Kochel hochklassige Werke des „Blauen Reiter“, die in thematischen Sonderausstellungen immer wieder neu arrangiert werden.
franz-marc-museum.de
Schellenrührer: Derber Winterspaß
Mit scheppernden Kuhglocken und archaischen Masken treiben die Murnauer Schellenrührer alljährlich am Faschingssonntag den Winter aus – ein Spektakel, das sich danach in den Wirtschaften am Markt fortsetzt.
Winterspaziergang: Große Moosrunde
Mit 12,7 Kilometer Länge, von denen ein guter Teil im offenen, sonnigen Gelände verläuft, ist die „Große Moosrunde“ auf markierten Wegen eine durchwegs „natursensible Tour“. Ein Highlight ist der Holzbohlenweg durch lichten Wald bei Murnau/Westried, für die Einkehr bietet sich das „Ähndl“ an.
murnauermoos.de
Für Sportliche: Staffelsee-Rundweg
Gut 20 Kilometer legt man bei der Umrundung des Staffelsees zurück und genießt dabei herrliche Ausblicke, etwa in Uffing beim Gasthof „Alpenblick“ oder in Seehausen. Am Startpunkt beim Großparkplatz an der Murnauer Bucht kann man sich an einem noch recht neuen Kiosk mit Kaffee und Snacks stärken.