Wandern auf dem Jakobsweg ist beliebt. Doch warum nur per pedes auf spirituelle Reise gehen? Bayern durchzieht ein Netz von Radpilgerwegen, auch das schöne Franken. Wir sind losgeradelt und haben uns das angesehen. Text: Markus Stein, Fotos: Frank Heuer
Radpilgern in Bayern
„E ultreia!“, übersetzt etwa: „Immer weiter!“, ruft Pfarrer Jürgen Nitz und zieht seinen Fahrradhelm fest. Die Begleiter, Reporter und Fotograf, schauen fragend in den ausgerechnet heute grauen, nassen Himmel über der St.-Lorenz-Kirche in Hof. Heißt das nun, dass es heute immer weiter regnen wird? Oder will der radbegeisterte Geistliche mit dem traditionellen Gruß der Jakobspilger zum Aufbruch animieren. „E ultreia! E sus eia! Deus aia nos y Santiago!“ „Immer weiter, auf geht’s! Gott steh uns bei und Sankt Jakobus!“ Also los ...
Alle Wege führen nach Rom? LOL!
Bekanntlich führen alle Wege nach Rom. Aber sehr, sehr viele führen auch nach Santiago de Compostela. Seit dem Mittelalter überzieht ein riesiges Netz von Pilgerwegen ganz Europa mit nur einem Ziel: der bis heute verehrten Grabstätte des heiligen Jakobus im Nordwesten Spanien.
Santiago entwickelte sich im 11. Jahrhundert neben Rom und Jerusalem zum wichtigsten Pilgerort der Christenheit, später sogar, als Rom für Jahrhunderte von Konstantinopel übertrumpft und Jerusalem von Muslimen erobert worden war, zum wichtigsten Pilgerort überhaupt!
Acht Jakobswege queren Bayern
Die Bayern waren schon immer fromm und reisefreudig, deshalb verlaufen acht Haupt-Jakobswege auf dem Gebiet des Freistaats. Zwei „Oberfränkische Jakobus-Radpilgerwege“ beginnen in Hof. Sie nehmen die Wege aus Sachsen und Thüringen auf und ziehen über das Fichtelgebirge oder durch Bayreuth nach Nürnberg, von dort wahlweise weiter nach Augsburg, Ulm oder Eichstätt. Dann weiter an den Bodensee, in die Schweiz, nach Frankreich und über die Pyrenäen nach Spanien. Eben immer weiter ... Wobei man sich nicht immer die Füße wundlaufen muss ...
„Wir haben schon über 2.000 Kilometer Radpilgerwege in Bayern. Die sind auch schon mit dem Rad-Muschel-Zeichen beschildert“, freut sich Nitz. Er ist im besten Silver Age und agiert als Pilgerbegleiter der Evangelischen Kirche und Tourguide des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs ADFC.
„Wir“ meint ein Team von engagierten Helfern rund um Initiator Nitz im Auftrag der Evangelischen Kirche Bayern und fünf ADFC-Bauteams aus Landsberg am Lech. Das Projekt trägt den Namen „Radfahren mit Sinn und allen Sinnen“.
Warum bitte Radpilgern?
„Nun, ganz einfach: Das Fahrrad, und gerade die innovativen E-Bikes, machen es allen Interessierten, die nicht so gut zu Fuß und doch mobil sind, möglich, aufzubrechen, unterwegs zu sein und das Abenteuer ,Pilgern‘ zu entdecken“, so Nitz. Gerade für Menschen, die eine Krise erlebten oder eine Auszeit brauchen, sie das Radpilgern eine gute Gelegenheit, den Kopf freizubekommen und wieder neue seelische Kraft zu tanken.
Und warum ausgerechnet auf dem Jakobsweg und nicht einfach bei einer Wanderung mit dem Alpenverein? „Nun, Menschen sind seit Jahrhunderten auf diesen Routen unterwegs, diese Tradition hat schon eine Auswirkung auf den, der ein Gespür dafür hat. Und, ganz wichtig, die Wege sind auch Begegnungsorte, wo man Gleichgesinnte treffen und sich mit ihnen austauschen kann. Es sind dadurch schon viele tiefe Freundschaften entstanden.“
Die Streckenführung der Radpilgerwege orientiert sich an den Fußpilgerwegen und bedient sich, wo möglich, bereits existierender Fernradwege. Die Radpilgerwege sind geeignet für E-Bikes und in angemessenen Tagesetappen zu schaffen.
450 Kilometer durch Franken
Jüngstes Kind der radbegeisterten „Jakobus-Jünger“ ist das Radpilger-Wegenetz in Oberfranken. „Rund 450 Kilometer wurden hier ausgeschildert, mit großer Unterstützung durch die Kreisbauhöfe. Und es hat sich gelohnt“, bilanziert Nitz nicht ohne Stolz.
Ein blaues Schild mit der gelben Aufschrift „Jakobus Radpilgerweg“, einer stilisierten Jakobsmuschel und einem Fahrrad, lotst den Pedalpilger durch die Lande.
Die jüngst eingeweihte Route führt Radpilger von Hof über Bayreuth und Creußen durch die Fränkische Schweiz nach Nürnberg. Wer will, kann ab Hof ostwärts eine Tour-Variante durchs Fichtelgebirge wählen, so wie das Reporterteam bei seiner Testfahrt.
Entlang der Saale
Der Pilgerradweg verläuft zunächst entlang des Saaleradwegs. Das Ziel: die Saalequelle bei Zell. Ohne nennenswerte Steigung bewältigen zu müssen, rollen die Räder flussaufwärts dahin. Mühelos. Der junge Fluss schlängelt sich beschwingt durch sein romantisches Tal, vorbei an Wiesen und Bäumen. Verträumt ragt da und dort ein Ast ins Wasser.
Der Regen hat Erdreich aus dem Boden gelöst und die Saale braun gefärbt. An einigen Stellen sprudelt das Flüsschen über große Steine, teilt sich in kleinere Arme oder zeigt sich bedeckt mit weißen Blüten. Gelegentlich zieht auch ein Kirchturm den Blick der Biker auf sich.
Bildergalerie
Impressionen von unterwegs
Alle zwei Stunden eine Kirche
Pilgerkirchen gehören zum Pilgern wie die Luftpumpe ans Fahrrad. „Wir versuchen bei unserer Routenführung, dass alle zwei Stunden eine Pilgerkirche angefahren werden kann“, erklärt Nitz. Kirchen seien Orte der Ruhe und Stille. Orte, an denen man ins Gebet komme, die Seele Ruhe und Kraft finde – und der Körper etwas zu trinken und oft auch eine Toilette. Wichtig: In Pilgerkirchen liegen die begehrten Pilgerstempel für den Pilgerpass bereit!
Wer im Mittelalter weder Händler noch Mönch war, hatte es nicht leicht, aus dem engen Dunstkreis seines Dorfes hinauszukommen und die Welt zu entdecken. Aber als anerkannter Pilger, mit Erlaubnis des heimischen Bischofs, ging das. Wer also in die Ferne aufbrach (und natürlich auch sein Seelenheil fördern wollte), begab sich auf den Weg, den „Camino“.
Wichtige Utensilien waren Hut, Pelerine, Kürbisflasche und bei der Rückkehr die Jakobsmuschel. Mit dem Pilgerpass heute lässt sich dokumentieren, dass man in den Herbergen, Hospizen und Klöstern nur jeweils eine Nacht bleibt und am nächsten Tag wieder weiterzieht ... Die meist kunstvoll gestalteten Stempel sind auch ein schönes Souvenir.
Spätgotik im Original!
Die Kirche St. Maria in Weißdorf liegt gut 20 Kilometer und eine gute Radstunde von Hof. Die spätgotische Hallenkirche, um 1480 eingeweiht, ist noch weitgehend im originalen Zustand erhalten und besitzt eine ganz eigene Ausstrahlung. Eine Besonderheit sind die freskierten Säulen im Inneren der heute evangelisch-lutherischen Kirche.
Beachtenswert an der nordöstlichen Säule die holzschnittartige Kreuzigungsdarstellung mit der Jahreszahl 1483 (das Geburtsjahr Luthers) und an der nordwestlichen ein kleiner, schwarzer Widder, der vermutlich den „Sündenbock“ darstellt. (Einst wurden Widder symbolisch mit den Sünden des Volkes Israel beladen und „in die Wüste geschickt“ zur Versöhnung zwischen Gott und Mensch.)
Zusammen mit dem hohen Kreuzrippengewölbe, dem barocken Altar mit seinen Evangelistenfiguren und dem barocken Taufengel verleihen die Fresken der Kirche ihren unverwechselbaren Charakter. „Eine Kirche, die berührt“, so Pfarrer Nitz.
Rauf zum Großen Waldstein!
Das tut auch die Natur! Kurz vor Weißenstadt, dem heutige Etappenziel, wartet der Große Waldstein, mit 877 Metern der höchste Berg des nördlichen Fichtelgebirges. Tourguide Nitz warnt lachend: „Hinter Zell wird’s knackig!“
Auf der Wasserscheide zwischen Saale und Eger zweigt ein Waldweg in nördlicher Richtung zum „Waldsteinhaus“ ab, einer Gaststätte mit Biergarten. Dann bleibt das Fahrrad stehen und es geht zu Fuß noch eine Viertelstunde hinauf zum Aussichtspunkt Große Schüssel.
Man betritt auf dem Weg dorthin eine märchenhafte Welt aus fantastischen Felsgebilden, aus dschungelartig grünem Mischwald und mit den Resten einer einst mächtigen Burg. Wie aufeinandergeschichtete Wollsäcke türmen sich die Granitfelsen, zum Teil bedeckt mit Moosen und Flechten, sie plustern sich auf wie Michelin-Männchen, erinnern an flach gedrückte Marshmallows. Vereinzelt haben sich Bäume auf Felsvorsprüngen festgekrallt. Aberwitzig.
Am Schüsselfelsen angelangt, genießt man einen weiten Blick über das dunkle Waldmeer des Fichtelgebirges – nach Osten bis zum Erzgebirge, Böhmerwald und Steinwald, nach Westen zum Frankenwald, Rhön und Thüringerwald. Im Süden liegt das schmucke Weißenstadt mit denkmalgeschützter Altstadt und See.
Ganz in Ufernähe residiert die moderne Therme „Siebenquell“ mit riesiger Wasser- und Saunawelt und Wellnessmassagen. Genau das Richtige, was jetzt müde Radpilgerbeine brauchen. Weg mit dem Fahrrad also und her mit Badekleidung. Gracias a Santiago! Und die Jakobuskirche in der Stadtmitte lädt ein, auch die Seele zu streicheln.
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