Schlafen im Wald? Man nehme Fichtenzweige, Isomatte, Regenschutzplane und garniere das mit Knistern und Rascheln
How to waldschrat

Waldbaden liegt im Trend. Im Wald zu leben dagegen gilt als kauzig. Doch beim Bushcraften geht es genau darum: Wie richtet man sich in der Natur mit einfachen Mitteln ein? Das ließen wir uns vom Waldhandwerk-Experten Sepp Fischer zeigen

Lesezeit: 10 Minuten

Bushcraft in Bayern: Ein Selbstversuch

„Wenn man draußen in der Natur ist, lernt man ganz neue Geschmäcker kennen“, sagt Sepp Fischer, als wir auf der Suche nach Essbarem durch den Wald streifen. Mal zupft er hier ein bisschen Sauerklee, dann dort ein paar Brennnesselblätter, dann fischt er eine Handvoll Wasserlinsen aus einem Teich.

Wenig später stochert Sepp in einem morschen Baumstumpf herum, in dem sich Ameisen eingenistet haben. Mit einem verschmitzten Lächeln hält er mir einen Zweig mit Krabbeltieren vor die Nase: „Da, probier mal!“ Kurzes Zögern, dann stecke ich mir eine Ameise in den Mund. Der Hautflügler schmeckt würzig und erstaunlich fruchtig, aber satt werde ich davon nicht. Etwa eine Stunde lang spazieren wir durch den Wald.

Prost, Moos! Bushcraft-Trainer Sepp zeigt, wie man mit Moos den Durst stillt
Esspare Pflanzen im Wald: Brennesselblätter, Sauerklee und Co

Moos, der Survival-Allrounder

Mit Adleraugen scannt Sepp unsere Umgebung. Sobald er etwas Interessantes sieht, teilt er sein Wissen mit mir. Ist diese Pflanze essbar oder giftig, kann man sie als Heilmittel verwenden oder ist sie sonst irgendwie hilfreich? Binsen kann man zu einem reißfesten Seil flechten, aus den Wurzeln des Wurmfarns lässt sich ein Entwurmungsmittel herstellen

Auch Moos ist beim Bushcraft ziemlich nützlich. „Du kannst es als Topflappen verwenden, du kannst damit dein Messer oder deinen Hintern sauber machen und ein eingewickeltes Ei im Feuer garen“, erklärt Sepp.

Außerdem habe feuchtes Moos eine wichtige „Survival-Funktion“: Mit der Hand quetscht Sepp ein Moospolster aus, sodass ein paar Tropfen Wasser in seinen Mund träufeln. Verdursten werden wir Bushcrafter in spe also nicht.

Das Survival Camp mitten im Wald von oben

Bushcraft oder Survival?

Der gebürtige Österreicher und Wahloberbayer Sepp Fischer ist professioneller Survival- und Bushcraft-Trainer, 2014 machte er sein Hobby zum Beruf. Egal ob Sommer oder Winter, Sepp lebt am liebsten draußen.

Bei seinen Bushcraft-Kursen lernen normale Menschen, wie man mit einfachen Mitteln in der Natur überlebt – und es sich sogar recht komfortabel einrichtet.

Unser weitläufiges Trainingsgelände befindet sich im Bergtierpark Blindham in der Gemeinde Aying, etwa 30 Kilometer von München. Der Bergtierpark ist ein beliebtes Ausflugsziel für Familien. Neben einem großen Indoor- und Outdoor-Spielplatz gibt es jede Menge Viecher, von Ziegen und Eseln bis zu Hirschen und Wildschweinen.

Selfmade-Kraxe: Vier Holzstöcke und zwei Riemen sorgen für Tragekomfort
Bushcraft-Werkzeug: zurechtgeschnitze Astgabeln als Hammer und Zelthering

Bushcraft-Mückenschutz

Unser Bushcraft-Lager liegt abseits der Besucherströme im angenehm kühlen Fichtenwald. Dort gibt es eine Feuerstelle mit ein paar verkohlten Töpfen, einige Baumstümpfe als Hocker und grüne Plastikplanen, um Feuerholz und Ausrüstung trocken zu halten.

An einem quer gespannten Seil hängen wir Holunderzweige auf, deren Blätter wir in den Händen verreiben. „Die ätherischen Öle halten Insekten fern“, sagt Sepp. „Unsere Nahrung hängen wir an einen Ast, damit die Tiere nix anfressen.“

Ich lege meinen Rucksack auf den Waldboden und inspiziere neugierig Sepps Koppeltragegestell, mit dem er eine Klappsäge, Feuerstahl, Zunder, Plane, Poncho, Wasserflasche, Lebensmittel, Erste-Hilfe-Set und einen Beutel mit Schnüren transportiert.

Am Gürtel trägt er ein großes Messer und am Handgelenk ein Survival-Armband, das man zu einem zweieinhalb Meter langen Seil auflösen kann. Damit ich neben ihm nicht völlig mittellos dastehe, hänge ich mir an diesem Wochenende Feuerstahl, Pfeife und Messer an den Gürtel.

Autorin Astrid Därr hat das Bushcraften in Bayern gemeinsam mit Sepp Fischer ausprobiert
Mit Feuerstahl und Birkenrinde feuer machen

Birkenrinde ist ein super Zunder

Lager, Feuer, Wasser, Nahrung, in dieser Reihenfolge geht's an die Arbeit. Zuerst suchen wir eine stattliche Fichte und ein weiches Stück Waldboden, um einen Schlafplatz einzurichten.

Mit dem „Sibirischen Knoten“ lässt sich ein Seil einhändig um einen Baum winden und ebenso leicht wieder lösen – ich merke mir diese Bushcraft-Technik als praktischen Wäscheleinenknoten.

Über das Seil hänge ich eine Plastikplane und befestige sie mit zurechtgeschnitzten Astgabeln im Boden. Statt stundenlang ein Trapperbett aus Ästen und Moos zu bauen, darf ich netterweise auf meiner Isomatte unter dem Tarp schlafen. Übernächtigte Kursteilnehmer können sich schließlich schlecht merken, was Sepp ihnen vermittelt ...

„Bushcraft bedeutet, Zeit in der Natur zu  verbringen und sich dort mit den einfachsten Mitteln zu helfen wissen“

Auch Hunger wirkt sich negativ auf die Konzentrationsfähigkeit aus, deshalb heißt die nächste Aufgabe: Feuer machen. „Jetzt schauen wir mal, was du draufhast“, neckt mich Sepp.

Nix, denke ich. Ich habe zwar schon in den unwirtlichsten Gegenden von der Sahara bis zur Arktis überlebt, aber dort hatte ich immer zwei Feuerzeuge und einen Campingkocher dabei. Ich sammle ein paar kleine Zweige, trockene Fichtenrinde und -zapfen. Sepp gibt mir zwei Streichhölzer. Streichholz Nummer eins ist sofort wieder erloschen.

Mit Streichholz Nummer zwei fangen die Zweiglein kurz zu rauchen an. Ich kratze etwas Harz von einer Fichte ab und versuche es noch mal. Ebenfalls vergeblich. Nun hat Sepp doch Mitleid. „Zum Anzünden sammelst du ein Bündel an zahnstocher-, streichholz-, bleistift- und fingerdicken Zweigen. Birkenrinde ist ein super Zunder“, erklärt er. Schließlich brennt das Feuer. Wir kochen einen aromatischen Tee aus gesammelten Pflanzen und stellen eine Seifenlotion aus Efeublättern her.

Für das Mittagessen müssen Holzspieße angespitzt werden

Bushcraft Cuisine: Insekten fürs Protein

Für unser Mittagessen hat Sepp ein paar besondere Spezialitäten parat. Um Zeit zu sparen, kommen sie aus dem Asiamarkt. Die Heuschrecken leben noch, bevor ihnen Sepp flink die Köpfe umdreht und diese mitsamt den Eingeweiden vom Körper abzieht. Mit Öl sind die proteinreichen Insekten in wenigen Minuten in der Pfanne gegart.

Gebratene Froschschenkel und gekochte Hühnerkrallen vervollständigen das Menü. Die dicken Froschschenkel schmecken nach zartem Hühnerfleisch und die Heuschrecken knusprig-kross nach gar nix – guten Appetit!

„Alle Kröten sind giftig, alle Frösche sind essbar“, erläutert Sepp, während er einen Speer schnitzt, mit dem man die Tiere in der Natur selbst erbeuten könnte.

Bushcraft-Trainer Sepp bereitet die Heuschrecken fürs Mittagessen vor
Autorin Astrid Därr probiert im Bushcraft-Camp skeptisch eine Hühnerkralle

Lernen vom Ötzi

Der Nachmittag steht im Zeichen des Feuers. Sepp demonstriert, wie man mit Feuerstahl und Feuerstein Funken schlägt, wie Feuerbohren mit und ohne Bogen funktioniert. Neben einem Feuerstahl hat er stets ein Döschen mit verkohlten Stofffetzen in der Tasche. Dieser Zunder lässt sich sogar mit einem leeren Feuerzeug zum Glühen bringen.

Eine weitere Feuer-Geheimwaffe ist der Zunderschwamm. Mit diesem Baumpilz (Fomes fomentarius) lässt sich Glut erhalten und transportieren. „Der Ötzi hatte schon vor über 5000 Jahren einen Zunderschwamm dabei“, erzählt Sepp. Inzwischen raucht nicht nur das Feuer, sondern auch mein Kopf vom vielen Input. Doch bevor wir Feierabend machen, steht noch Orientierung auf dem Lehrplan.

Der Mensch geht im Kreis

Sepp demonstriert mit einem kleinen Experiment, dass wir Menschen ohne äußere Orientierungshilfen intuitiv im Kreis gehen. Er fordert mich auf, mit verbundenen Augen auf freiem Feld geradeaus auf ihn zu zugehen – ich lande weit rechts von ihm. Umso wichtiger ist es, anhand des Sonnenstands und der Sterne die Himmelsrichtung bestimmen zu können. Nach dem Abendessen (diesmal echte Hühnerschenkel!) schlüpfe ich früh in meinen Schlafsack und lausche den Pfauenrufen in der Nähe.

Die wärmenden Strahlen der Morgensonne wecken Astrid auf
Schlafen im Wald? Man nehme Fichtenzweige, Isomatte, Regenschutzplane und garniere das mit Knistern und Rascheln

Bushcraften: Das friedlichste Hobby der Welt

Vogelgezwitscher und die warmen Strahlen der Morgensonne wecken mich auf. Entgegen meinen Erwartungen wurde ich in der Nacht nicht von den Mücken aufgefressen. Dafür war um 1 Uhr nachts meine Matte platt, sodass ich mir doch ein moosiges Trapperbett gewünscht hätte. Sepp reicht mir einen Kaffee vom Feuer, als ich ihn frage, was wir hier eigentlich machen: Survival, Bushcraft oder Biwakieren?

„Survival nennt man es, wenn man sich in einer lebensbedrohlichen Situation befindet, aber sich noch selbst zu helfen weiß – zum Beispiel, wenn du versuchst, eine schlimme Blutung zu stoppen“, erklärt Sepp. „Bushcraft bedeutet dagegen, dass man eine gewisse Zeit freiwillig an einem Ort in der Natur verbringt. Beim Bushcraften kannst du mit dem kleinsten, billigsten Graffel draußen existieren“, ergänzt er.

Autorin Astrid versucht sich auch am Feuer machen

Der Begriff Bushcrafting respektive Bushcraft wurde in den 1970er-Jahren vom Kanadier Mors Kochanski geprägt. Sepp Fischer war der Erste, der 2010 einen YouTube-Kanal zum Thema im deutschsprachigen Raum etablierte. Später erfand und schützte er den deutschen Begriff „Waldhandwerk“.

Neben der Gewinnung und Zubereitung von Wasser und Nahrung, Orientierung, Erste Hilfe, Feuermachen, Knotenkunde und Schlafplatzbau gehören auch handwerkliche Fertigkeiten wie das Herstellen von Werkzeugen, Behältnissen und Seilen zum Waldhandwerk. „Für mich ist dieses Hobby das friedlichste der Welt. Es bringt Menschen jeder Religion und Couleur zusammen. Draußen sind wir alle gleich“, sagt Sepp.

Wasser? Erstmal filtern!

Dank mitgebrachter Lebensmittel und eines Wasserhahns beim Bibergehege fällt uns das Überleben im Bergtierpark nicht schwer. Ein wichtiges Thema darf trotzdem nicht fehlen: Wasseraufbereitung.

In einem Tümpel schöpfe ich Sumpfwasser, zerstampfe Kohle zu feinem Pulver und fülle dieses zwei Zentimeter hoch in eine abgeschnittene Flasche. Von oben fülle ich das Sumpfwasser ein, das langsam durch den Kohlefilter, eine weitere Sand-/Lehmschicht und dann durch ein kleines Loch im Flaschenkopf in ein zweites Behältnis sickert.

Nach etwa einer Stunde haben wir einen Becher voll klarem, keimreduziertem Wasser gewonnen. Weiter geht es mit Schnitztechniken, Fallenstellen und Wundversorgung, dann ist mein Bushcraft-Training zu Ende. Wir bauen unsere Schlafplätze ab und verlassen den kühlen Wald. Als Souvenir nehme ich einen selbst geschnitzten Löffel, einen Zeckenbiss und den Rauchgeruch meiner Kleidung mit nach Hause.

Den selbstgemachten Holzlöffel nimmt Astrid als Souvenir mit nach Hause
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