Thomas Gut macht Laien fit für den Hundeschlitten-Führerschein, das Musher-Diplom. Unsere Reporter genossen dabei kilometerlange Ausfahrten durch den verschneiten Bayerischen Wald. Text: Christian Haas, Fotos: Frank Heuer
Selbstversuch: Hundeschlittenkurs im Bayerischen Wald
Montagmorgen im Januar. Stille im Wald. Die wird jäh durchbrochen, als wir das „Haus Waldschrat“ in Flanitzmühle erreichen und das Geländetor hinter uns schließen.
Überall heult und bellt, wuselt und hechelt es. Dutzende Schlittenhunde in allen Farben und Größen laufen in weitläufigen Gehegen an langen Leinen hin und her. Auch aus dem Wohnhaus und aus der Scheune kläfft es.
Menschen? Keine in Sicht. Bis nach ein paar Minuten ein Mann mit Rauschebart, Zauselhaar, Minigläserbrillen und verschmitztem Lachen um die Ecke stapft. Thomas Gut, der Chef! Der ist in der Region bekannt wie ein – sorry für das Wortspiel – bunter Hund.
Wegen seiner rund fünfzig Alaskan Huskys, aber auch aufgrund seiner Erscheinung, die ihm den Spitznamen „Waldschrat“ eingebracht hat. Selbst beim Einkaufen im nahen Frauenau, erzählt man sich, sei er barfuß unterwegs.
Heute trägt Thomas Schuhe – und dazu zwei Eimer, aus denen es streng riecht. „Ein Mix aus Schwein, Lachs, Rind und viel warmem Wasser“, erklärt Thomas. All das hat er gerade in einem Betonmischer verquirlt. Think big! Schließlich müssen für das große Fressen Unmengen verarbeitet werden.
Erziehung geht durch den Magen
Mit dieser „Morgensuppe“, wie Thomas die Mischung nennt, zieht er los. Aber nicht allein. Zwei weitere Kursteilnehmer, Monika und Klaus, sind auch munitioniert und mir drückt er ebenfalls einen Kübel in die Hand. Dann geht es, unter extra lautem Gejohle, durch das Gatter zu den weiblichen Hunden ins sogenannte „Kloster“. Jedes Tier läuft an einer Leine, die nach oben an ein rund vier Meter langes Seil führt. Das ermöglicht kleine Runden, bis zu einer Hütte samt Topf davor.
Doch das Essen landet nicht einfach so im Napf. Vorher muss man das Tier mit Namen ansprechen – dieser steht auf dem Schild über dem Verschlag –, dazu den Finger heben und „Sitz!“ sagen. Klappt das, folgt das Kommando „Auf geht’s!“. Zwei Sekunden später wird geschlabbert.
Füttern, kraulen, kuscheln!
Bei den Männchen nebenan das gleiche Spiel. Nachdem der größte Hunger gestillt ist, geht es um Bonding: kraulen, kuscheln, Beziehung aufbauen. Die anfangs so wild wirkenden Hunde sind teils richtig verschmust. Angenehm auch, dass längst viel weniger Dezi-Bell herrschen.
Zeit, etwas über Thomas‘ Husky-Karriere zu erfahren. Die nahm 1988 mit seinem Umzug in den Bayerischen Wald Fahrt auf. Aus anfangs sechs wurden mehr als fünfzig Huskys, aus dem Start-up entwickelte sich eine deutschlandweit einmalige Institution.
Von den Corona-Zwangspausen abgesehen läuft es richtig rund. Und das rund ums Jahr. „Im Sommer – oder wenn zu wenig Schnee liegt, was kaum vorkommt – schnallen wir einfach Rollen unter die Schlitten“, erzählt der Wahl-Waidler.
Nach sechs Tagen winkt der Hundeschlitten-Führerschein
„Am meisten los ist freilich im Winter, von November bis Ostern.“ Den Schwerpunkt des Programms bilden, neben Schnupperwochenenden, die Wochenkurse: Nach sechs Tagen winkt der Hundeschlitten-Führerschein. Wenngleich Thomas sagt: „Das ist eher ein Gag, im Gegensatz zum echten Führerschein hat das keine Bedeutung.“
Für das „Musher-Diplom“ kommen Gäste nicht nur aus ganz Deutschland, sondern aus Europa und Übersee: „Um die Kunst der Schlittenführung zu lernen, von einem Profi, der sich im Schlittenhundesport, als Ausbilder sowie als Autor einen Namen gemacht hat“, so Klaus.
Sechs Tage volles Programm
Die Kursteilnahmebedingungen skizziert Thomas so: „Tierliebe, a bisserl Kondition und Bereitschaft zur Teamarbeit“. Monika bringt das, aber kaum andere Vorkenntnisse mit, Klaus hingegen sein eigenes Husky-Quartett. Mit den Vierbeinern schläft er sogar im Wohnmobil. Üblicherweise aber nächtigen Teilnehmer im Haus, wo auch Frühstück und Abendessen serviert werden und das Rahmenprogramm stattfindet.
„Der Ablauf des Kurses ist immer gleich“, erklärt Thomas. „Sonntags reisen die Gäste, in der Regel ein bis zwei, an. Abends wird eine persönliche Zugleine gespleist und man lernt sich kennen.“ Am Montag – den erleben wir mit – geht es in die Hundepraxis inklusive Fütterung, Kontaktaufbau, Pflege und erster Ausfahrt. „Das ist das Besondere, dass es so schnell rausgeht in die Natur“, so Monika.
Davor steht noch die Frage, wer mit wem. Dazu zückt Thomas eine ziemlich abgegriffene Holztafel, auf der sämtliche Hundeteams auf Namensschildern aufgeführt sind. Gemäß ihren jeweiligen Stärken und Fähigkeiten werden die Vierbeiner eingeteilt. „Musher-iPad“ nennt das der Trainer.
Hot Dogs auf Klassenfahrt
Dann ruft er die Hundenamen auf und die Auserwählten kommen angeschossen. Voller Elan springen sie in die Einzelkojen des bereitstehenden Spezialtrucks. Juhu, Klassenausflug! Wir noch auf den Rücksitz – und ab!
Nach vier, fünf Radiosongs stellen wir das „Husky-Mobil“ auf einem Parkplatz am Waldrand ab, heben vier Schlitten vom Dach und präparieren diese mit allerlei Leinen.
„Huskys sind miserable Autofahrer und schneiden gern die Kurven“
Die Hunde müssen sich noch gedulden. Erst mal „trocken“ lenken! „Huskys sind miserable Autofahrer und schneiden gern die Kurven. Schlecht, wenn dann der Hänger hinten hängen bleibt. „Daher übrigens der Name“, witzelt Thomas.
Wir üben das, indem wir die Hunde mimen und den Schlitten ziehen. Der Musher, also der Gespannlenker, übt dabei die Gewichtsverlagerung sowie das Mitlaufen, der Fachausdruck dafür: Pedalen.
Thomas rät zu „laaaangen Schwüngen! Für die Entlastung viel besser als so hektische Tippler“. Dann lernen wir noch so einiges über Seile, Hundegeschirr und die Kommandos „Gee“ – sprich: tschi – für rechts und „Haw“ – ho – für links. „Go“ und „Stop“ erklären sich von selbst.
Auf Kufen durch die Kurven
Die Hunde werden ungeduldig. Doch sind die mal draußen, muss es schnell gehen. Kaum habe ich meine „fantastischen Vier“ – Sopherl und Falter vorne, dahinter Flou und die verspielte Neele – eingespannt, sind sie nur noch schwer zu bändigen.
Die Ankerkralle, eine Art Handbremse, ist schon gelöst. Nun heißt es, mit beiden Füßen auf dem Bremsteppich zu bleiben, um den Schlitten im Zaum zu halten. Das gelingt nur kurz, denn als Thomas vorne losfährt, gibt es kein Halten mehr: schnell die Füße rüber auf die Kufen, denn die Huskys zischen los.
Klar, die flitzen ihrem Herrchen hinterher, denk‘ ich. Doch gerade, als ich in einen passiven Fahrgeschäftmodus zu verfallen drohe und auf dem manchmal etwas abschüssigen Waldweg zur Hanglage neige, wird mir klar, dass ich die Zügel mehr in die Hand nehmen muss. Konzentration! Kontakt zu den Hunden! Also lobe ich, dirigiere, verbreite Chefstimmung. Gut so, denn der Trail führt mal rauf, mal runter, mal nach links und mal nach rechts.
Wackelmomente steigern den Puls
Einmal gerate ich fast aus der Bahn und in eine Schneeanhöhe. Akute Umkippgefahr! Gerade noch kann ich gegensteuern. Ein anderes Mal, als die Hunde mit Tempo die Steigung emporhecheln, will ich pedalen. Doch als ich beherzt in den Boden treten will, versinkt mein Schuh im unerwartet tiefen Schnee. Schon wieder so ein Wackelmoment. Der nächste kündigt sich an, als ich Thomas erblicke, seine Hunde neben sich geparkt.
Was will er denn? Mich anfeuern? „Schieb an!“, brüllt er. Gehört, getan. Runter von den Kufen und, die Hände stets am Schlitten, in der Außenkurve mitlaufend. Ich hab‘ Puls, weil es bergan geht und – huch, was ist das hinter der Kurve? – durch einen Bach! Den Huskys ist‘s egal. Ich mit nassen Schuhen und nasser Stirn wieder rauf auf die Kufen. Kaum Tempoverlust! Aaah!
Der leicht gespurte Weg führt weiter durch den einsamen Wald bergauf. Die Schneedecke an den Seiten wird immer höher, je höher wir gelangen. Auf einer Lichtung Pause, bis alle da sind. Lang darf sie nicht sein. Die Hunde wollen rennen, rennen, rennen. Und jaulen, jaulen, jaulen, wenn sie das nicht dürfen.
Also weiter, die 600 Höhenmeter wieder runter. Jetzt nicht zu schnell werden! Ich bleib auf dem (Brems-)Teppich, unter dem sich gerne Schneeklumpen ballen, aber das Wichtigste ist: Spur halten. Damit tut sich Monika zuweilen schwer, zweimal testet sie die Qualität ihrer Outdoorklamotten im nassen Schnee. Dazu lärmende Hunde, die weiter wollen. Neben ihren auch meine, die notgedrungen in der Warteschleife hängen, Überholen ist nicht.
Die wollen doch nur schmusen
Mit gebührendem Abstand heißt es dann: laufen lassen! Vorausschauendes Lenken ist Gold wert, vor allem um verengten Kurvenradius zu vermeiden. Dann kommen wir mit strahlendem Gesicht respektive hechelnder Zunge nach 15 Kilometern wieder am Truck an.
Alle freuen sich, die Hunde über rohes Fleisch und Suppe aus Thermoskannen (damit sie nicht so viel Schnee fressen). Irre, wie ruhig die Energiebündel von eben plötzlich sind. Sie schmusen und heben brav die Pfoten.
Verletzungen müssten mit Salbe kuriert werden, aber alles gut. „Im Umgang mit den Huskys geht mir immer wieder das Herz auf“, seufzt Thomas. „Du kannst gar nicht anders, als alles Unnötige vergessen.“
Zur Suppe gibt‘s Hundekunde
Nötig ist, alles zusammenzupacken. Die Hunde hüpfen in ihre Kojen, heim geht‘s. Dort hat Thomas‘ Frau Anke schon gekocht. Es gibt Suppe – diesmal Gemüse! – in der ofenwarmen Privatstube. Auch sechs Huskys ballen sich zwischen Herd und Tisch, plus zwei Katzen. Für mein Gefühl wäre eine Tierpause mal nicht schlecht gewesen, aber mei ...
„Trainierst du die Hunde nicht, trainieren sie dich!“
Bei der Hauptspeise erzählt Thomas über die verschiedenen Rassen von den Samojeden bis zu den Siberian Huskys (die mit den eisblauen Augen, aber geringerer Laufenergie, wie wir an Klaus‘ Hunden merkten). Was alle eint: „Es gilt in jedem Rudel eine Rangordnung, inklusive Chef. Die Jüngeren respektieren das.“
Und bei der „Erziehung“ gehe es genau darum: Dass der Musher als Chef anerkannt wird. Wie lautet ein Sprichwort: „Trainierst du die Hunde nicht richtig, trainieren sie dich, aber richtig!“
Die kommenden Tage kriegen wir nicht mehr live mit, aber wir erfahren: Jeden Tag wird das Verhältnis zu den Hunden inniger, die Ausfahrten zwischen Großem Arber und Großem Falkenstein werden länger, das Selbstbewusstsein wird größer. Dazu tragen auch ein Videoabend und tiefe Gespräche bei, über Hundepsychologie, Erkrankungen, Trainingsmethoden – und Skandinavien.
Dorthin fahren Thomas und Anke, die sich im Übrigen bei einem Musher-Grundkurs kennen und lieben lernten, traditionell nach der Wintersaison: „So geht für uns Urlaub: Mit dem Truck und zwanzig Hunden nach Lappland, um mal richtig Strecke zu machen.“