München-Expedition per Tram und pedes. Mit der Tramlinie 19 über 34 Haltestellen durch sieben Stadtbezirke. Und vorbei an einigen der schönsten Sehenswürdigkeiten Münchens. Wir machten zwischen Pasing und Berg am Laim den Familien-TÜV
Tramwandern in München
Unter allen Münchner Trambahnlinien gilt die Nummer 19 als die schönste. Sie verkehrt auf einer Paraderoute von Pasing nach Berg am Laim, einmal von West nach Ost oder umgekehrt. In gut 50 Minuten reiner Fahrtzeit geht es über 34 Haltestellen mitten durch die Stadt und vorbei an vielen Sehenswürdigkeiten: Stachus und Promenadeplatz, Staatsoper, Maximilianstraße und Maximilianeum. Eine tolle Sightseeing-Tour für Touristen und Einheimische.
Die Neunzehner bietet sich geradezu ideal für eine Entdeckungsreise mit Kindern an. Wir haben die Münchnerin Heike und ihre beiden Töchter Marlene (11) und Romy (8) auf ihrem Tagestrip entlang der Tramroute begleitet, auch bei den lustigen Hop-on-Hop-offs. Eine Stadtwanderung zu Flüssen und Museen, großen Wahrzeichen, kleinen Geheimnissen und verwunschenen Orten mitten in der Großstadt.
Bitte einsteigen: Pasing
Los geht’s am zweitgrößten Fluss der Stadt. Die Würm schlängelt sich südlich der Kaflerstraße gemütlich durch einen verträumten Grünstreifen. Schauen, staunen, Steine schmeißen – das geht immer.
Fast mehr als für den Spielplatz interessieren sich Marlene und Romy für das 90 Meter lange, bunte Mural unter der Bahnüberführung. „Ein Langzeitprojekt des Münchner Künstlers Martin Blumöhr“, weiß Heike. „2014 schuf er dieses Mural und ließ sich dabei auch von den Lebensgeschichten der vorbeikommenden Passanten inspirieren.“ Man sieht einen Schwanenflüsterer, eine Pilotin und einen früheren Bankräuber, der Gedichte schreibt. Sowie Alois Hingerl, den legendären Dienstmann aus Ludwig Thomas Satire „Der Münchner im Himmel“.
Auch die Bildwünsche von Kindern erfüllte Blumöhr: Wolken haben die Formen von Schildkröten und Schlangen, zwischendrin eingestreut sind die Highlights des Viertels: Eisdielen, Rodelhügel, Shopping-Arkaden. Ein Wimmelbild, in dem man sich endlos lang verlieren könnte, hätte man nicht an diesem Tag noch ein großes Programm vor sich. Über den Spielplatz am Hellihofweg geht’s unter der Bahn zurück zum Startpunkt der Neunzehner. Und schon surrt die Tram los.
Nächster Halt: Schrenkstraße
Willkommen im Westend, dem alten Handwerker- und Arbeiterviertel. Über die Ligsalzstraße spazieren wir auf die Schwanthalerhöhe zum Verkehrszentrum des Deutschen Museums, das vor 20 Jahren auf dem früheren Münchner Messegelände eröffnete.
Auf dem Vorplatz mühen sich Marlene und Romy noch vergeblich beim Erklimmen der überdimensionierten Schnecke. Die Skulptur der amerikanischen Bildhauer und Installationskünstler Jason Rhoades und Paul McCarthy ist ein ironischer Gegenentwurf zum Traum von der im Museum thematisierten grenzenlosen Mobilität.
Die Ausstellungshallen laden zu einer Zeitreise durch mehr als 120 Jahre Großstadtverkehr, durch die Entwicklung der Eisenbahn. Ein Highlight uner den Exponaten ist Puffing Billy, die erste gebrauchsfähige Dampflok von 1815. Dass wir für die tägliche Vorführung zu früh sind, macht nichts.
Dafür toben sich Marlene und Romy im Indoor-Spielbereich samt Röhrenrutsche aus. Kostet viel Kraft, weshalb gleich die erste Pause ansteht. Ein üppiger Teller Käsespätzle im „Café Cava“, seit Jahrzehnten ein herrlich unaufgeregter Kneipenklassiker im Westend.
Nächster Halt: Stachus aka Karlsplatz
Wir spazieren zurück zur Neunzehner. Vorbei am Hauptbahnhof geht es zum Karlsplatz. Weil nicht nur Kinder sich immer wieder fragen, warum der verkehrstechnisch so wichtige Ort im Volksmund Stachus genannt wird: Im 18. Jahrhundert betrieb der Münchner Gastronom Eustachius Föderl dort den nach ihm benannten „Stachusgarten“. Der Name hielt sich bis heute.
Woher kommt eigentlich der Name Stachus? Wie lautet die Sage vom Teufelstritt?
Noch viel älter als das Lokal vom Föderl ist unser nächstes Ziel: die Frauenkirche. Die damit verbundenen Sage vom Teufelstritt wollen Generationen von Münchner Kindern immer wieder hören. Wie jetzt Marlene und Romy, die sie von ihrer Mama erzählt bekommen.
Mag es die Überlieferung auch in verschiedenen Varianten geben, Heikes Version ist die vom Kirchenbaumeister Jörg von Halspach, der dem auf dem Wind angerittenen Teufel einst seine Seele versprach, falls ihm dieser das Bauwerk fertigstellen würde, solo im Alleingang.
Als sich der Deifi wochenlang mühsam abgeschuftet hatte und nach Vollendung seinen Lohn einforderte, führte ihn der listige Architekt an eine Stelle der Kirche, von der aus keine Fenster zu sehen waren.
Er entgegnete dem Höllenfürst schulterzuckend, wenn dieser zu blöd sei, die Fenster mit einzubauen, dann behalte er seine Seele eben für sich. Wutentbrannt über sein Versäumnis stampfte der sauber angeschmierte Leibhaftige auf den Boden und hinterließ auf immerdar den noch heute sichtbaren Fußabdruck.
Weil der Teufel vor lauter Frust zu Fuß in die Hölle zurücklief, blieb auch der von ihm an der Kirchenmauer angebundene Wind hier – eine plausible Erklärung dafür, warum es dort immer so furchtbar zieht. Es bläst auch, als die Mädchen am Frauenplatz das Bronzemodell der Innenstadt bestaunen, das seit 2004 vor der Kirche steht, zum Schauen und auch zum Fühlen.
Eine Kirche ganz am Rand des Reliefs ist unsere nächste Station. Der Alte Peter eröffnet, zumindest nach der Bewältigung von 306 Stufen, nicht nur eine herrliche Rundumsicht, sondern birgt auch ein kleines Geheimnis, ganz hinten neben dem südlichen Ausgang: Ein alter Glaskasten aus den 1950er-Jahren, mit einer Kapelle, aus der sich nach Einwurf eines Fünf-Cent-Stücks ein Engerl herausschiebt. Mit imposantem Bim-Bam-Glockengeläut schlägt die Figur das Kreuzzeichen und fährt dann auf seiner Schiene wieder zurück in das Kirchlein.
Über die Dienerstraße ziehen wir rechts vorbei am Rathaus in Richtung Residenz und Nationaltheater, wo uns die Linie 19 drei Haltestellen weiter und über die Maximiliansbrücke ans Ostufer der Isar bringt.
Nächster Halt: Maximilianeum
Heike erzählt ihren Töchtern vom Bau des imposanten Gebäudes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf Initiative von König Max II. Seit 1949 ist das Maximilianeum der Sitz des bayerischen Landtags.
Von der Politik zweigen wir recht zügig in die Isar-Anlagen ab und schleichen über einen lieblichen Trampelpfad vorbei an Büschen und Bäumen hinunter Richtung Isar. Dabei passieren wir das Maximiliansbergerl, den beliebten Rodelhügel und Hausberg der Haidhausener. Der Wasserfall auf der Nordseite der Maximiliansbrücke rauscht noch tosender als sonst. Die Regenfälle der vergangenen Tage haben ganze Arbeit geleistet.
Auf dem Rückweg kraxeln Marlene und Romy vorbei an mächtigen Bäumen und wilden Wurzeln den Hang hinauf. Dann ist es allerhöchste Zeit für eine Pause: Rast am Wiener Platz mit seinen Marktständen, dem Maibaum und den kleinen, flachen Häuschen. Ein Stück Dorfidyll in der Großstadt. Wir setzen uns bei Kaffee und Eis auf eine ruhige Bank und freuen uns auf den Endspurt.
Der Weg zur Straßenbahn führt vorbei an Herbergshäusern, einstigen Quartieren für Tagelöhner und Wanderarbeiter, und hinunter in eine ganz urige Gasse. Die Kreppe ist ein alter Hohlweg, der mit seinem einzigartigen Charme schon oft als Filmkulisse diente, unter anderem für die BR-Kultserie „Die Hausmeisterin“. Über einige Stufen gelangen wir zur Wiener Straße und von dort zur Haltestelle Max-Weber-Platz. Zeit für die letzte Etappe.
Letzter Halt: Berg am Laim, Endstation
Unser finaler Stopp ist eine der jüngsten Stationen des Münchner Nahverkehrs. 2016 wurde sie eröffnet, sozusagen als Osterweiterung im Liniennetz der Straßenbahn. Man merkt nach acht Stunden auf Stadttour den langen Tag, die Kinder sind ebenso ermüdet wie die Erwachsenen, das Quengel-Potenzial steigt.
Die Motivation ist ziemlich überschaubar, als es noch auf einen zehnminütigen Fußweg unter den Bahngleisen hindurchgeht und hinein in ein zunächst wenig spektakuläres Neubauquartier. Was soll da noch kommen? Und wie lang ist es noch? Können wir bitte umdrehen?
Doch mit einem Mal eröffnet sich auf der rechten Seite ein riesiges Naturreservat, das bei Marlene, Romy und Mama Heike noch mal für Interesse sorgt. Es ist die ökologische Vorrangfläche Baumkirchen-Mitte, ein wildes Biotop auf dem Areal des 1992 stillgelegten Eisenbahn-Betriebswerks.
Wie Bäume, Büsche und Pflanzen in gerade mal gut 30 Jahren die alten Gleisanlagen überwucherten, wie die Natur sich ihren Raum zurückeroberte, wie Tier- und Pflanzenarten ein neues Zuhause fanden, das beeindruckt.
Auch Marlene und Romy sind begeistert, weniger von der riesigen Gleisdrehscheibe, die als Industriebrache vor sich hin verwittert, als von der Eidechse, die immer wieder unter den alten Gleisschwellen herausspitzt. Die Natur bietet das schönste Kino.
Ein langer Tag geht zu Ende. Zurück am Bahnhof Berg am Laim sehen wir die Anzeige für die bald eintreffende S-Bahn der Linie 6 nach Ebersberg. Und für die S2 nach Erding. Würde sich ja auch eignen, als Tour zur Endstation mit Erlebniswanderungen zwischen den Haltestellen. Na, wie wär‘s, liebe Kinder, vielleicht gleich jetzt? Entsetzen in den Kindergesichtern! Machen wir dann doch lieber an einem anderen Tag …