Nördlichste Stadt Italiens – dieses Attribut passt auch zu Weiden in der Oberpfalz. Die Menschen treffen sich auf dem Marktplatz und genießen auf dieser „Piazza“ in Cafés das Leben. Die Sehenswürdigkeiten der charmanten Renaissance-Altstadt liegen zudem nah beieinander
La Dolce Vita auf Ostbayerisch
Hätte er nur in unseren Tagen gen Süden reisen können! Dann hätte er sich in Weiden auf das Land im Süden eingrooven können. Doch im Jahr 1786, als Goethe auf seiner Reise nach Italien in der Poststation am Oberen Markt logierte, schlummerte Weiden noch tief im Dornröschenschlaf.
Heute würde Herr G. in einem Café auf der Piazza Espresso oder Cappuccino ordern. Und er würde den Menschen zusehen, wie sie vorüberflanieren, beim schnellen Ratsch ihre Köpfe zusammenstecken oder die Café- und Restaurant-Stühle bevölkern. Ganz so, wie es die Menschen im Sehnsuchtsland jenseits der Alpen gern tun.
Altes Rathaus: Drinnen altdeutsch, draußen Eiscafé
„Wohnzimmer“ nennen die Weidener liebevoll ihren Marktplatz mit seiner erstaunlich großen Zahl an Cafés und Restaurants. Die Studierenden der Technischen Hochschule am Ort und Schüler sorgen für jugendliches Flair. Riesige Schirme spannen sich über die Tische und Stühle – für den Fall, dass sich der Oberpfälzer Wettergott doch mal unitalienisch zeigt.
Ein schönes Beispiel des südlichoberpfälzischen Lebensgefühls ist das „Piccola Venezia“ an der Westseite des Alten Rathauses. Seit über 25 Jahren bietet es Eisspezialitäten an. Weiße Café-Tische und Sonnenschirme verströmen Italo-Flair, im Rathausinneren verbreitet dunkles Holz altdeutsche Stimmung.
Die Decke im großen Sitzungssaal mit ihren breiten Balken ist noch original erhalten und stammt aus dem 16. Jahrhundert.
Da ist jede Menge Musik drin! Und viel Farbe
Der lang gezogene Marktplatz teilt sich in den Oberen Markt und den Unteren Markt, den man jeweils durch ein Stadttor betritt. In der Platzmitte dominiert das freistehende Alte Rathaus. Das Glockenspiel über der Freitreppe an der Westfassade erklingt täglich um 11.35 und 16.35 Uhr – im Repertoire sind 99 Melodien, von traditionell bis modern.
Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert säumen die Piazza. Die sorgsam renovierten Fassaden leuchten gelb, blau, rostrot, weiß oder blassorange. Ihre Giebel zeigen mal spitz, mal stufig oder auch mal geschwungen gen Himmel. Highlife ist jeden Mittwoch und Samstag, wenn der Wochen- und der Bauernmarkt stattfinden. Regionale Händler bieten ihre Waren an, von Gemüse und Obst über Brot und Fleisch bis zu frischer Pasta. Bereits 1331 werden die Weidener Marktprivilegien erstmalig erwähnt.
Zoigl-Bier: So schmeckt die Oberpfalz
Bestimmt würde Herr G. auch den Weg in die „Kloine Zoigl-Stub’n Zum Stich’n“ finden. Die Oberpfälzer Kneipe nahe dem Unteren Tor ist mindestens so urig wie Auerbachs Keller. Nur dass, statt wie dort Wein, im „Stich’n“ eine Oberpfälzer Spezialität in die Gläser fließt: Zoigl. Das untergärige Bier wird von Privatpersonen gemeinschaftlich gebraut und dann im eigenen Keller individuell vergoren.
„Wir beziehen unseren Zoigl aus dem nahen Windisch-Eschenbach, einer Zoigl-Hochburg,“ erklärt Wirtin Petra in der gemütlichen Gaststube. Drei, vier Holztische, ein weißer Kachelofen, kleine historische Fotos an der grün gestrichenen Wand – mehr braucht’s nicht. Lediglich der ausgestopfte Auerhahn sorgt für einen kurzen Kitschmoment …
„Im Sommer, vor allem in den lauen Nächten, ist es hier wie in Italien“
Dunkel bernsteinfarben leuchtet das Zoigl im Glaskrug. Es schmeckt süffig-mild und wenig hopfenbetont. Dazu werden einfache Brotzeiten serviert. „Wichtig beim Zoigl ist das Zusammensitzen am Tisch, auch wenn man sich nicht kennt. Und jeder wird selbstverständlich mit du angesprochen“, bringt Petra den Zoigl-Knigge auf den Punkt. „Im Sommer, vor allem in den lauen Nächten, ist es hier wie in Italien“, beschreibt sie die Stimmung in der Altstadt. Auch vor der Zoigl-Stube „Zum Stich’n“ laden Holzbänke zum Ausruhen und Passantenbeobachten ein.
St. Michael: Aussicht bis zur Nordsee?
Einen schönen Blick über Marktplatz und Altstadt hat man vom Turm der evangelischen St.-Michaels-Kirche. Der Torre mit der barocken Doppelhaube ist ein Wahrzeichen Weidens. „Man sieht von oben, in gut 30 Meter Höhe, die Ausläufer des Oberpfälzer Waldes, die Vulkankegel Parkstein und Rauher Kulm. Und sogar die Nordsee …“ – diesen Spaß lässt sich Türmer Christian Stahl nicht entgehen, auch wenn es das Fischgeschäft nicht mehr gibt. Er ist einer von sieben Türmern, die in der Europäischen Nachtwächter- und Türmerzunft vertreten sind.
Ungewöhnlich: Die Kirche St. Michael wurde während des sogenannten Simultaneums von 1663 bis 1900 von Katholiken wie Protestanten gemeinsam genutzt.
Ein Kunstjuwel ist die Kirche St. Josef, einen kurzen Fußweg weiter nördlich: außen neoromanisch, innen reinster Jugendstil. Gemälde in starken dunklen Farben erzählen aus Altem und Neuen Testament, flankiert von lebensgroßen Stuck-Skulpturen.
Vor allem wenn die Sonne in den Kirchenraum scheint, glitzern die vielen Goldtöne der Bilder und Mosaike geheimnisvoll und schön. Viele Kunstfreunde kommen eigens wegen dieser Kirche nach Weiden.
Aufschwung dank Eisenbahn
Weiden wird erstmals 1241 in einer Urkunde erwähnt. Der Aufstieg beginnt, als Kaiser Karl IV. 1353 die Stadt in sein Gebiet „Neuböhmen“ integriert und Weiden wichtiger Zollstützpunkt wird. Es liegt an der Kreuzung der Magdeburger Straße, die von Norden bis Oberitalien führt, und an der Goldenen Straße von Prag und Nürnberg.
Der Dreißigjährige Krieg markierte den Niedergang. Erst der Anschluss an das Eisenbahnnetz bringt Weiden wieder auf Trab. Zahlreiche Fabriken siedeln sich an, darunter die Porzellanfirmen Bauscher 1881 und Seltmann 1910. Auch Witt mit seinem Versandhaus zieht 1913 hierher.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Weiden zur neuen Heimat für Geflüchtete. Circa 10.000 Heimatvertriebene ließen sich in der Stadt nieder und wirkten mit am wirtschaftlichen Aufschwung. Davon profitierte auch die Firma Seltmann Weiden, ein Familienunternehmen, das heute in vierter Generation geführt wird.
Werksbesichtigung in Erbendorf nördlich von Weiden: Die Abwärme der Brennöfen erhitzt die Hallenluft. Man hört lautes Quietschen und drohendes Zischen, Brummen und Dröhnen. Orangefarbene Roboterarme bewegen sich unermüdlich, sie greifen nach noch ungebrannten Tellern, fräsen den Rand ab, säubern und polieren ihn anschließend.
Circa 1,3 Millionen Einzelteile verlassen pro Monat die Hallen
„Wir stellen das gesamte Flachgeschirr wie etwa die Teller vollautomatisch her“, erläutert Abteilungsleiter Roland Wende, „vom Granulat und Pressen bis zum Brennen und Glasieren. Nur bei Hohlgeschirr wie Schüsseln ist noch Handarbeit erforderlich.“ Circa 1,3 Millionen Einzelteile verlassen pro Monat die Hallen.
Momentan schwer im Trend seien alle Sorten von Food-Bowls. „Da kommen wir mit der Produktion kaum hinterher“, so der Abteilungsleiter.
Max Reger: Alles andere als Easy Listening
Reine Handarbeit hingegen leistet Judith Bauer. Die Geigenbauerin ist in Weiden aufgewachsen, hat viele Jahre in Italien gelernt, war in Portugal. Nun baut, repariert und vermietet sie in ihrer Heimatstadt Geigen, Bratschen und Celli. In ihrer Werkstatt reihen sich die Streichinstrumente in warmen, rötlichen Brauntönen. An Weiden schätzt die „Rückkehrerin“ die überschaubare Größe und dass man schnell in der Natur ist.
Und was hält sie von Weidens berühmtestem Sohn, dem Komponisten Max Reger? „Nun, das ist nicht unbedingt mein Lieblingskomponist, aber es gibt schon ein paar Sachen, die mir gefallen“, lacht sie verschmitzt.
Seine Musik, aber nicht nur die, kann man während der Weidener Max-Reger-Tage im September und Oktober hören, einem exzellenten Klassik-Festival. Hochkarätige Künstler treten auch bei der traditionsreichen Veranstaltungsreihe „Weidener Meisterkonzerte“ auf, die von Oktober bis Mai auf dem Programm steht. Die Max-Reger- Halle habe eine tolle Akustik für diese Konzerte, so die Geigenbauerin.
Max Reger wurde 1873 im Fichtelgebirge geboren. Er verbrachte seine Kindheit und Jugend in Weiden ... und die längste Zeit seines Lebens, das von Rückschlägen geprägt war. 1916 ist er gestorben.
Das Stadtmuseum im Alten Schulhaus erinnert mit einem Zimmer an den Komponisten. Darin steht auch der Flügel, an dem Max Reger Klavier spielte. Seine Musik zwischen Spätromantik und Moderne, aus der das Orgelwerk herausragt, ist keine leichte Kost. „Max Reger wird manchmal als der letzte Riese in der Musik bezeichnet.
Seine Musik gilt als sehr deutsche Musik, die man sich erst erarbeiten muss“, so Dr. Sebastian Schott vom Stadtmuseum. Vielen sei sie zu bombastisch und kompliziert, anderen nichtsdestotrotz – oder gerade deshalb? – höchster Kunstgenuss.
Zu Tisch
Genussvolle Augenblicke im kulinarischen Sinne des Wortes versprechen zwei angesagte Lokale am Oberen Markt: Nacht- und Tagesschwärmer sollen sich im stylish eingerichteten „Zimmer Nr. 2“ wie in einem zweiten Wohnzimmer fühlen. Das junge Lokal, eine Kombi aus Bar, Café und Restaurant und mit Terrasse, verteilt sich gleich über drei Etagen.
Im trendigen „Das Louis“, seines Zeichens Restaurant, Bar und Enothek, speist man in modernem Ambiente regionale und internationale Gerichte wie Oberpfälzer Saiblingsfilet oder Rinderfilet in cremiger Stroganoff-Soße. Mmmh!