Schön an der Wand lang!

Unsere Reporter radeln mit dem Künstler und Bayern-Botschafter Thomas Neumann zu Münchens lässigsten Street-Art-Spots. Ein Tag voller Farbenfreude und mit einem feinen Anstrich von Schwarzmalerei. Text: Florian Kinast, Fotos: Thomas Linkel

Lesezeit: 14 Minuten

Street Art Bike Tour durch München

Unsere Tour mit dem Münchner Grafiker und Kunstmaler Thomas Neumann beginnt im Norden der Stadt, im Olympiadorf. Für die Olympischen Spiele von 1972 entwarf Architekt Werner Wirsing 800 kleine Häuser als Athleten-Unterkünfte. „Das waren die Tiny Houses der Seventies“, sagt Thomas. „35 Jahre hielten sie. Dann waren die Dächer undicht und die Leitungen kaputt.“ Schimmel überall, 2007 schwang die Abrissbirne.

Start: Connollystraße, Olympiadorf München

Dafür entstanden 1.052 neue Bungalows, alle 18,8 statt 23 Quadratmeter groß, auf zwei Etagen mit Balkon, Bad, Bett und Doppelkoch-Elektroplatte. Unter Studenten sind sie äußerst begehrt, die Wartezeit auf ein freies Quartier (bei einer Monatsmiete von 330 bis 349 Euro) beträgt fünf bis sechs Semester.

Wer drin ist, darf die Fassade selbst bemalen. Die Farbe stellt das Studentenwerk, die Pinsel holt man sich beim „Farbtutor“. Und so streift der Besucher durch ein Sammelsuri­um an kunterbunten Häuserwänden mit völlig unterschiedlichen Motiven. Wunderbar und wandelbar.

Das Spektrum reicht von sanftblauer Nordsee-Romantik bis hin zur düsteren Skyline eines Millionen-Molochs, dazu Porträts von Donald Duck, Walter White, Homer Simp­son, Breaking Bad. Zwischendrin ein täuschend echter Roy Lichtenstein.

Die Wohndauer ist begrenzt, auf sechs Semester maximal. Danach kommt der nächste Bewohner – und der nächste Anstrich.

360°-Panorama Olympiadorf: Reinzoomen. Rauszoomen. Nach oben und nach unten. Im Kreis drehen...

5 km. 16 Min.
Zur Landshuter Allee 54

Auf dem Rad geht es weiter zur zweiten Station der Tour, durch den Olympiapark zur Landshuter Allee und zum riesigen Mural an der Seitenfront von Hausnummer 54. Ein gewaltiges Wandgemälde auf 190 Quadratmetern. Eine Fläche größer als zehn Olympia-Bungalows, beherrscht von einer schwarzen Dose Öl. Das Werk von Shepard Fairey und seinem Team wurde 2015 in zwei Tagen fertiggestellt.

Der US-Amerikaner ist ein internationaler Star der Street Art und wurde 2008 weltberühmt mit seiner Hope-Kampagne und den längst schon ikonischen Porträts von Barack Obama. Hauptthema der Kunst Faireys seien die Kritik an Kapitalismus und Profitgier, sagt Thomas. Das Motiv hier erinnere ihn an Warhols Tomatendose, richtet sich aber gegen die Allmacht von Ölkonzernen. Daher auch der Titel: „Paint It Black“.

1,4 km. 8 Min.
Zur Donnersberger Brücke

Genug der Schwarzmalerei, weiter zu mehr Farbenfreude. Zur Donnersberger Brücke. Mit mehr als 120.000 Fahrzeugen pro Tag eine der meistbefahrenen innerstädtischen Überführungen Europas. Ihre schönsten Seiten verbergen sich unter der Fahrbahn.

„Eine Freiluftgalerie, die ab 2011 mit Unterstützung des Baureferats entstand und in der sich gut fünfzig Künstler mit großartigen Werken verewigten“, erzählt Thomas. An grauen Mauern und Betonpfeilern, mit verschlungen-abstrakten Graffiti-Linien und heiteren Comic-Figuren, außerdem Hommagen an die Heimatstadt mit dem Münchner Kindl und einem Porträt Karl Valentins, dazwischen düstere Dämonen, futuristisch anmutende Fabelgestalten und fantastische Tierwesen.

2,3 km. 9 Min.
Zur Bayerstraße 69

Wir radeln in Richtung Stadtmitte, über die Hackerbrücke, deren Eisenträger über den Bahngleisen angesagte Chill-out-Hotspots fürs Feierabendbier sind, und weiter bis zur Hausnummer 69 in der Bayerstraße, gleich neben dem Verlagsgebäude von „Münchner Merkur“ und „tz“. Das Mural ist 23 Meter hoch, 11,5 Meter breit. Da wurde nicht gekleckert.

„Das Werk entstand im Sommer 2017“, weiß Thomas, „damals sprühten die zwei Münchner Künstler Loomit und Won ABC auf Initiative des damaligen tz-Chefredakteurs Rudi Bögel ein riesiges Bild zu Ehren von Georg Elser.“ Der verübte 1939 ein Sprengstoff-Attentat auf Adolf Hitler, das jedoch scheiterte. Rund um Elsers Porträt viele kleine Details zum Thema Tyrannei und Rebellion, mit Figuren von Julius Cäsar bis Robin Hood, von Zorro bis Darth Vader. Mahnmal modern. Ein wunderbares Wimmelbild des Widerstands.

1,6 km. 8 Min.
Zur Hotterstraße 12

Das MUCA aka Museum of Urban and Contemporary Art wurde 2016 in den Räumen des ehemaligen städtischen Umspannwerks von den Kunstliebhabern und Eheleuten Stephanie und Christian Utz eröffnet. Heute bietet es auf drei Etagen dauerhafte Heimat für zeitgenössische Kunst aus aller Welt.

„Dort gibt es eine umfassende Würdigung von Richard Hambleton, dem zu Unrecht fast vergessenen Godfather of Street Art“, sagt Thomas, „und mit dabei sind auch originale Banksys.“ Wie etwa das Ölgemälde „Are You Using That Chair“ als humoristische Anlehnung an Edward Hoppers legendäres Bild „Nighthawks“.

2,8 km. 10 Min.
Bis zur Luitpoldbrücke

Später Nachmittag. Wir rollen durch die kleinen Straßen des vornehmen Stadtviertels Lehel bis zur Luitpoldbrücke und über die Isar in den Untergrund. Der kleine Fußgängertunnel am Friedensengel ist eine weitere urbane Freiluftgalerie, in der sich Loomit zusammen mit anderen Künstlern in den vergangenen Jahren verwirklichen konnte.

„Dabei ist alles legal“, sagt Thomas, der sich noch daran erinnert, wie Loomit alias Mathias Köhler alias Cryptic2 im März 1985 einer der sieben Mitwirkenden am unvergessenen „Geltendorf Train“ war, dem ersten komplett besprühten S-Bahn-Zug in ganz Deutschland. Und wie Köhler vom polizeilich gesuchten Kleinkriminellen zu Münchens bekanntestem und mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichneten Sprayer wurde.

8,6 km. 33 Min.
Übers Werksviertel zum alten Viehhof

Das Werksviertel hinterm Ostbahnhof ist ein Stadtquartier im Umbau, das Raum bietet für Provisorien wie das 500 Quadratmeter große Container Collective. Dann geht es weiter zum riesigen Brachfeld des alten Viehhofs, wo München am allerweitesten entfernt ist vom Image als neureiche, gentrifizierte, glatt geschliffene Schicki-Micki-Hochburg. Wo die Stadt auch mal schmutzig kann, wo es scheint, als habe das alte München ein letztes Bollwerk okkupiert, ein gallisches Glasscherbenviertel.

Wer nur auf die bunten Mauern neben dem „Bahnwärter Thiel“ schaut, der alternativen Kultur- und Begegnungs-Location des jungen München, der riskiert, dass er sich bei den zerbrochenen Flaschen zwischen den Kopfsteinpflastern einen Platten in den Reifen radelt.

4 km. 14 Min.
Zu Short-Ribs und Bier

Die letzte Etappe führt durch Sendling und Thalkirchen zum „Asam Schlössl“. Früher das Wohnhaus des Baumeisters Cosmas Damian Asam, heute Gaststätte unter Leitung von Shane und Barbara McMahon. Dort hat Thomas seine Bilder hängen, wie auch auf dem Nockherberg oder in der „Moar Alm“ in Sachsenkam.

Lange sprechen wir im „Asam Schlössl“ bei geschmortem Ochsen-Short-Rib und einer Halben Augustiner über Heimat, über Brauchtum, Identität und Tradition. Über das ungekünstelte Bayern fernab von billigen Musikantenstadl-Klischees, so wie es sich in Thomasʼ Werken wiederfindet. Schlicht, einfach, gradraus. Ein ehrliches Bild von Bayern.

Über der zweiten Halben beginnt ein wohliges Sinnieren über unsere Tagestour zwischen Olympiadorf und Schlössl. Mit kleinen Graffiti und den großen Wandgemälden an Münchner Verkehrsknotenpunkten wie der – laut Kabarettist und Wortkünstler Willy Astor „greislich krumma“ – Donnersberger Brücke oder der staugeplagten Landshuter Allee. 

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