Dillingen an der Donau bietet mehr als Historie und viele Kirchtürme. Der Erfinder des U-Boots, Mozarts Urahn und Sebastian Kneipp lebten in dieser Stadt. Ein Streifzug durch eine frische und junge Stadt mit entschleunigten Bäckern, wilden Brauern und einem Stadtstrand als Zufluchtsort
Dillingen an der Donau
Plötzlich steht da ein eiserner Bottich. Einfach so. Auf unserem Streifzug durch die verwinkelten Gassen der Dillinger Altstadt spazieren wir vorbei an schönen, alten Giebelhäusern und Satteldächern, Ziegelbauten und Fachwerkfassaden.
Dann stoßen wir neben dem Stadt- und Hofstiftmuseum plötzlich auf diesen merkwürdigen Brunnen. Was so aussieht wie der Abguss einer stählernen Badewanne, ist tatsächlich die Nachbildung des sogenannten Brandtauchers, des ersten deutschen Unterseeboots.
Ein U-Boot? Mitten in Dillingen?
Dass Wilhelm Bauer 1822 gleich im Nebenhaus auf die Welt kam, dass wir in der Heimat jenes Mannes sind, der 1850 das erste deutsche U-Boot entwickelte und baute, das passt ganz gut. Schließlich ist Dillingen eine Stadt, die man bei einem Bayern-Besuch auf den ersten Blick nicht gleich entdeckt. Eine Stadt, die sich zwischen den urbanen Platzhirschen des Freistaats wie Nürnberg, München, Augsburg, Würzburg und Regensburg dezent zurückhält und in der man sich entspannt treiben lassen kann.
Goldener Saal: Rokoko in 3-D
Dillingen an der Donau, zwischen Günzburg und Donauwörth in Bayerisch-Schwaben gelegen, wird wegen seiner mehr als tausendjährigen Historie und der zahlreichen Kirchtürme auch „schwäbisches Rom“ genannt.
Der Geschichte begegnen wir auf unserem Stadtbummel an vielen Ecken. Beispielsweise bei der Basilika St. Peter, einer Kathedrale des Bistums Augsburg. Deren achteckiger Turmaufsatz wurde von Barockbaumeister David Mozart entworfen. Mozarts Ururenkel machte später in Musik: ein gewisser Wolfgang Amadeus.
Historisch ist auch das stolze Schloss, der einstige Sitz der Augsburger Fürstbischöfe. Oder die ehemalige Universität des Jesuitenkollegs in der Kardinal-von-Waldburg-Straße, heute die zentrale Akademie für Lehrerfortbildung und Personalführung in Bayern.
Von optisch opulenter Wucht ist der dortige Goldene Saal im Obergeschoss. Er stellt in einem überwältigenden Fresko die Gebäude der Universität und der Stadt um 1740 dar. Mit faszinierender räumlicher Wirkung und Stuckornamenten, die aus dem Deckengemälde regelrecht herauszuwachsen scheinen.
Donau: Ursuppe Kneipp’scher Heilkunst
Doch Dillingen bietet noch weit mehr als geschichtsträchtige Schlösser und Hochschulen, als Kirchen von Komponisten-Ahnen und einen Brunnen vom U-Boot-Bauer. Hier kann man sich auf einen Rundweg auf den Spuren von Sebastian Kneipp begeben.
Der Wasserdoktor hatte justament in dieser Stadt während seines Theologie- und Philosophiestudiums die lebensbedrohliche Lungenkrankheit Tuberkulose durch winterliche Kaltbäder in der Donau kuriert – die Grundlage für seine heute weltbekannte und erfolgreiche Heilkunst.
„So cool es in Neuseeland war, zog es mich am Ende wieder heim. Weil ich letztlich doch nach Hause gehöre“
Wie harmonisch sich die Historie mit einem jungen Stadtleben zusammenfügt, wie Tradition und Zeitgeist verschmelzen und ein frischer Wind durch das alte Ambiente weht, wird bei Jakob Lenzer und seinem Café „Peng & Pane“ in der Königstraße deutlich.
Jakob ist Anfang dreißig und Bäcker aus dem alteingesessenen Familienbetrieb „Himmelbäck“ in Lauingen, fünf Kilometer weiter westlich. Den Himmelbäck gibt es dort seit 300 Jahren, längst ist der Laden in der Gegend eine Institution. Jakob sitzt an diesem warmen Frühsommertag an einem der Tische vor seinem Lokal in Dillingen über einem Espresso und erzählt, wie er nach der Lehre erst einmal weit weg ging. Mehr als ein Jahr arbeitete er am Ende auf einer Kiwi-Farm in Neuseeland. Eine Art Ausbruch aus der beschaulichen Heimat ans andere Ende des Planeten.
„War wichtig, mal rauszukommen“, sagt er. Und dass er immer wieder von der weiten Welt geträumt habe. Dass aber dann in der Ferne plötzlich die Heimat zu einem Sehnsuchtsort für ihn wurde. „So cool es in Neuseeland war – da kam die Erkenntnis, dass es mich heimzieht. Und dass ich letztlich doch nach Hause gehöre.“
Dillingens entschleunigter Bäcker
Jakob ging zurück nach Lauingen und arbeitete bei den Eltern. Dann kam die Sache mit dem Dillinger Rathaus. Das mehr als 500 Jahre Gebäude war bei einem verheerenden Großfeuer im Juli 2017 bis auf die Außenmauern komplett niedergebrannt, die Flammen hatten sich vom Dachstuhl bis ganz nach unten durchgefressen.
Der Wiederaufbau dauerte fünf Jahre. Als man Büros und Sitzungssäle wieder fertiggestellt hatte, ging es auch um die Frage: Was und wer kommt in das frisch renovierte alte Café im Erdgeschoss?
Ein Franchise-Lokal einer globalen Coffee-Kette wollte die Stadtspitze ganz bewusst nicht. Lieber einen regionalen Pächter mit Heimatbezug. Da war Jakob genau der Richtige, mit seinem Doppelkonzept aus Bäckerei und Café untertags, mit Bistro und Vinothek am Abend.
Immer wieder spricht Jakob von der Reduktion auf das Wesentliche. Oder auch vom Slow Baking, einer recht stimmigen Backstuben-Philosophie im perfekten Einklang mit dem entspannten Grundrauschen der Dillinger Altstadt.
Alles schön langsam, keine Hektik. Entspannt und ganz ruhig. So geht es auch bei Jakobs abendlicher Konzertreihe „Peng und Piano“ zu, bei den Musik- und Liederabenden mit unterschiedlichen Künstlern in der Königstraße.
Episch: Luitpoldhain und Donauwald
Eine „epische Landschaft“ nennt Jakob die Gegend rund um die Dillinger Donau. Ob im Luitpoldhain in Lauingen, der parkähnlichen Grünoase neben der Mündung der Brenz. Oder auch im alten Auwald mit seinen kleinen Teilstücken des 60 Kilometer langen Donauwald Premiumwanderwegs, der bei einer Publikumswahl 2020 zum zweitschönsten Wanderweg der gesamten Republik gekürt wurde.
„Man muss es einfach zulassen, Stadt und Land hier zu genießen“
Zwischendrin lässt Jakob den schönen Satz fallen: „Man muss es einfach zulassen, Stadt und Land hier zu genießen.“ Aber wie kam es eigentlich zum Namen des Lokals? Pane, klar, wegen Brot. Aber Peng? Wegen der ploppenden und knallenden Korken beim Öffnen der Weine.
Eigenartige Namen findet man auch in einer Lagerhalle in Gundelfingen, einige Kilometer weit westlich von Dillingen. Bei Frau Gruber. Bei Enzo und Matthias, deren Nachnamen Frauenschuh und Gruber die Basis für den Titel ihrer Craft-Brauerei bildeten. Die beiden Kumpels hatten sich beim Skaten und BMX-Biken im Skatepark von Gersthofen kennengelernt.
Aus einer Vision wurde 2017 Realität, als Enzo als Braumeister bei einer großen Brauerei in Augsburg gearbeitet und Matthias einen Hopfen-Großhandel aufgebaut hatte. Als perfektes Team brachten sie die ersten sechs Sorten auf den Markt. Inzwischen exportieren sie in 22 Länder. Besonders beliebt ist Frau Gruber gerade in Japan oder Skandinavien.
Biere, bei denen nicht nur die Namen ausgefallen sind. „Velvet Horizon“ oder „Cannibal King“, „Symphonic Distortion“ oder „Hounds of Hell“. Apropos Hell: Ein Helles haben sie auch. Und sogar ein Pils. Wirkt bei diesem experimentellen Sortiment aber eher exotisch.
Prost! Vanilla Muffin mit zehn Prozent
Es sind die Hopfensorten, die für abenteuerliche Geschmackserlebnisse sorgen und für die Stärke. Das Bier, dessen Aroma seinem Namen „Blueberry Vanilla Muffin“ alle Ehre macht und das mit mehr als zehn Prozent Alkoholgehalt als Imperial Pastry Stout die Kehle runterrinnt, ist kräftig und heftig.
Enzo und Matthias haben Freude am Tüfteln und Experimentieren, sagen sie. Aber so global sie auch denken, so viel sie unterwegs sind, fort möchten auch sie nicht. Von den Wurzeln sprechen die beiden, die sie im Bayerisch-Schwäbischen haben, auch wenn sie inzwischen nicht mehr ganz so viel auf Board und Bike unterwegs sind wie früher.
Schade, denn gerade in dieser Hinsicht haben sie in Dillingen zuletzt mächtig aufgerüstet. Direkt neben dem Donaustadion, dem Sportplatz des örtlichen SSV, entstanden in den letzten Jahren ein Skatepark und ein Dirtpark.
Das Gelände ist zu einem beliebten Treffpunkt für die hiesigen Teenager geworden. Auch am heutigen Nachmittag performen die Jungs Sprünge und Kunststücke, die manchmal mehr und manchmal weniger waghalsig anmuten. Spaß scheint’s ihnen aber allen zu machen.
Der Stadtstrand als Zufluchtsort
Wir lassen die adrenalinhaltige Action hinter uns und gehen zurück Richtung Königstraße. Durch die Entengasse und das Mitteltor, den letzten noch erhaltenen Stadtturm aus der frühen Dillinger Blütezeit im 13. Jahrhundert. Auf den ersten Blick wirkt die gegenüberliegende Straßenseite wenig einladend. Zu sehen sind ein schmuckloser Neubau, eine Postfiliale, ein Optiker, eine Zahnarztpraxis.
Durch eine kleine Passage aber geht es hinauf zu einem richtig spannenden Ort: Auf der Terrasse an der Rückseite des Hauses öffnet sich ein Stadtstrand mit Lounges, Liegen und viel Sand – der richtige Ort, um sich mit einem Sundowner auf die nahende Dämmerung einzustimmen. Betrieben von den Machern des Escape-Rooms direkt darunter.
Noch mal schlendern wir zum Abschied durch die Königstraße. Die Straßenlokale sind gut besucht, vor allem dank der Lehrerinnen und Lehrer, die sich nach ihren Fortbildungen an der Akademie nun am Sommerabend erfreuen. Links im „Peng & Pane“ steht Jakob und winkt heraus. Glücklich über seinen neuen Laden, glücklich über die Heimat. Er ist wieder zurück, in seinem neuen Lokal mit dem frischen Anstrich und dem alten Handwerk wie vor 300 Jahren. Man könnte auch sagen: Bäck to the roots.