Genießer pilgern zwischen September und April in den fränkischen Aischgrund, um sich die berühmten Karpfen der Region schmecken zu lassen. Typisch für die Tiere ist die rundliche Form mit hohem Rücken. Ihr Fleisch ist dank vieler ungesättigter Fettsäuren super gesund. Von Markus Stein (Text) und Tobias Gerber (Fotos)
Aischgründer Karpfen
„Waaas, ihr habt noch nie an baggnen Karpfen gess’n?“ Staunen in der freundlichen Wirtsstube im „Landgasthof zur Hammerschmiede“ in Gerhardshofen. Das Reporterteam hat sich soeben als Banause in Sachen Cyprinus carpio und seiner klassischen Zubereitung geoutet.
Aus Mangel an Gelegenheit? Aus Scheu vor den Gräten oder dem angeblich moosigen Geschmack? Wie auch immer, eine kulinarische Bildungslücke, die mit der Reise in den Aischgrund und mithilfe von Wirtin Daniela Schiwon geschlossen werden soll.
In der Restaurantküche steht eine große Metallschüssel bereit, gefüllt mit feinem Mehl, Gries und „Dunst“, grob gemahlenem Mehl. Daneben aufgereiht zum Panieren: Aischgründer Karpfen, halbiert und frisch aus dem hauseigenen Teich.
Karpfenzeit? September bis April
Eine ganze Region – von Bad Windsheim über Neustadt an der Aisch bis Höchstadt und darüber hinaus – fiebert alljährlich dem Spätsommer entgegen, wenn endlich wieder der schwimmende Schatz aus den Teichen geborgen wird.
Mehr als siebentausend Weiher gibt es beiderseits der Aisch, einem gut 80 Kilometer langen Nebenfluss der Regnitz. Die Karpfensaison dauert von September bis April, vom ersten bis letzten Monat mit „r“ im Namen. Zeit genug also für heimische Genießer und auswärtige Gäste. Eine wahre Schlemmer-Hochzeit für Aficionados sind die beliebten Karpfenschmecker-Wochen im Herbst.
Besser Fasten mit Karpfen
Der Karpfen stammt ursprünglich aus Asien, nach Mitteleuropa kam er mit den Römern. Die ersten ablassbaren Teichanlagen entstanden vor 1250 Jahren an den fränkischen Königshöfen, wie dem in Riedfeld auf dem Gebiet des heutigen Neustadt.
Der Karpfen startete dann so richtig durch mit der Blütezeit der Klöster im Hochmittelalter – als Fastenspeise. „Damals gab es rund hundertdreißig Fastentage im Jahr!“, weiß Gästeführerin Christiane Kolbet. „Fisch allerdings war erlaubt.“ Man kann sich gut vorstellen, wie heiß der Hunger von Nonnen und Mönchen auf Karpfen war!
Karpfen durften die fastenden Mönche unbegrenzt essen
Ein Big Player im Fisch-Business der Region waren die Karpfenfreunde aus dem Kloster Münchsteinach. Die Benediktiner züchteten die Fastenspeise in über sechzig Weihern. Das Kloster wurde im Bauernkrieg 1525 zerstört.
Die sensationelle dreischiffige romanische Pfeilerbasilika der Klosterkirche St. Nikolaus aber hat als verstaubte Rumpelkammer die Zeitläufte überstanden. Sie ist heute, nach der Renovierung, Ziel von Romanik-Fans aus ganz Europa.
Ideales Terrain für Teiche
Unterwegs auf dem Karpfen-Rundweg bei Uehlfeld, der am Egelsbach entlangführt. Im Tal zwischen sanften, bewaldeten Hügeln folgt ein Weiher auf den anderen. Die Sonne verbirgt sich hinter Hochnebel, das verfärbte Laub der Bäume setzt rot-braun-gelbe Farbtupfer in die melancholische Landschaft.
Einige der hüfttiefen Weiher sind bereits abgelassen und abgefischt. Herbstblues liegt über dem Tal. Über den Köpfen der Besucher segelt ein Graureiher hinweg. Ein junger Schwan ruht regungslos auf einem der gefüllten Teiche, das Grüppchen Spaziergänger fest im Blick.
„Der Aischgrund mit seinen wasserundurchlässigen Tonschichten ist in weiten Teilen für Landwirtschaft wenig geeignet, aber ideal für den Bau von Teichen“, erklärt Christiane Kolbet. Gespeist werden sie von fließenden Gewässern oder vom Regen, in letzterem Fall heißen sie dann „Himmelsweiher“.
Teppich oder Kette
Im Lauf der Jahrhunderte entstand so eine einzigartige Kulturlandschaft mit großen Teich-Flickenteppichen oder, sehr typisch, lang gezogenen Teichketten, mitunter kilometerlang.
Das erlaubt sparsamen Umgang mit dem Wasser. Beim Abfischen und Entleeren eines Teichs fängt der jeweils unterhalb liegende das Wasser des oberen auf und wird damit für das folgende Jahr befüllt.
Es kann Jahre dauern, bis das Wasser beim untersten Teich ankommt. Ein besonders schönes Beispiel geben die treppenartig ansteigenden Weiher bei Rohensaas, die im 16. Jahrhundert von Nürnberger Patriziern angelegt wurden.
Die Teiche sind Lebensraum für eine artenreiche Pflanzen- und Tierwelt. Weniger gern gesehen sind hungrige Fischotter und Kormorane. Als Nebenfische werden unter anderen Schleie, Zander und Hecht eingesetzt. Ja, auch der. „Es kommen nur kleine Exemplare rein, die den Karpfen nicht gefährlich werden, aber sie auf Trab halten“, so die Gästeführerin.
Spiegelkarpfen: Schön rund
Zurück in die „Hammerschmiede“. Daniela salzt die Karpfenhälften und wendet sie mit versierten Handgriffen in der Panade, bis sie vollständig bestäubt sind. Eines ist ihr besonders wichtig: „Unsere Karpfen bekommen nur Getreide als Ergänzung zu ihrer natürlichen Nahrung – Mückenlarven, Schnecken oder Würmer. Sonst nix. Kein Fischmehl, Soja oder anderes Hochleistungsfutter. Sie erhalten keine Medikamente, keine Antibiotika. Die Karpfen wachsen ganz natürlich heran, drei Sommer lang. Auch gibt es kaum Transportwege. Mehr Bio geht eigentlich nicht!“
Die Karpfen wachsen natürlich heran, drei Sommer lang
Ursprünglich waren Karpfen lang gestreckt und mit Schuppen bedeckt. Im Lauf der Zeit bildeten sich durch Züchtung verschiedene Arten heraus. Zu wortwörtlich Höchstform lief Cyprinus carpio im Aischgrund auf.
Merkmale des sogenannten Spiegelkarpfen: seine besondere „Hochrückigkeit“, der gelbliche Bauch und nur ganz oben am Rücken eine Reihe von Schuppen, die wie Spiegel glänzen.
Weil die Mönche nur das essen durften, was nicht über den Teller hinausragte, waren Karpfen gefragt, die so geformt waren, dass sie optimal auf die runden Teller passten. Sagt man ...
Schwanz als Knusper-Delikatesse
Und das tut der (halbe) Karpfen vorbildlich, den Daniela serviert. Hellbraun gebacken und mit aufgerollter Schwanzflosse nimmt er den runden Teller ein, keinen Millimeter ragt er über den Rand hinaus. Der obligatorische Kartoffelsalat wird separat gereicht.
Wie isst man das gute Stück? Zuerst die große knusprige Schwanzflosse mit den Fingern ablösen, umdrehen und bis zum Gelenk abknabbern. Köstlich! Ebenso die kleineren Brustflossen. Dann mit Gabel und Fischmesser den Fisch vom Bauch in Richtung Rücken verspeisen. Klappt prima. Erst am Rücken fordern die kleinen fiesen Y-Gräten Konzentration. Wer will, nimmt jetzt die Finger …
Zart, saftig, fein - und unfischig!
Der Karpfen schmeckt sehr fein, rund und zart nussig, überraschenderweise gar nicht nach Fisch. Das Fleisch ist saftig. Bei Qualitätskarpfen liegt der Fettgehalt auf dem Niveau von Rindfleisch und enthält wertvolle ungesättigte Fettsäuren und Vitamine.
Das Karpfen-Image leidet unter dem Vorurteil, sein Fleisch schmecke schlammig-erdig, moosig. Das kann passieren, wenn die Fische eine bestimmte Sorte Blaualgen aufnehmen. Ist aber selten.
Um dieser unerwünschten „Aromatisierung“ vorzubeugen, werden die Karpfen Tage vor der Verarbeitung in Becken mit frischem Wasser gehalten, sie werden „ausgewässert“, so heißt das.
Pils, Helles oder ein Kreativbier
Zum Karpfen trinkt man im Aischgrund gern ein Glas Bier. Bevorzugt aus einer der Familienbrauereien, die es hier gibt: Döbler, Windsheimer, Loscher, Hofmann oder Prechtel.
Ortstermin bei der „Brauerei & Gasthof Zwanzger“. In dem Ein-Mann-Betrieb braut Christian Zwanzger in zwölfter Generation (erste Erwähnung 1639!) handwerklich Bier. Frau Susanne leitet den Gasthof. „Mein Großvater hat selbst Hopfen angebaut, als der Aischgrund noch Hopfenanbaugebiet war, früher“, erzählt der junge Brauer mit dem markanten, zu einem langen Zopf gebundenen Bart.
Neben den Klassikern wie Pils oder Helles experimentiert der Brauer gern mit „Kreativbieren“: India Pale Ale, Honigbier, Chocolate-Erdbeer-Stout oder was ihm so einfällt. Hobbybrauer herhören: Christian bietet Braukurse an, einen Tag lang oder ein ganzes Wochenende.
Zeitreise im Freilandmuseum
Beim Brauen live dabei sein können Besucher im Fränkischen Freilandmuseum in Bad Windsheim. „Wir zeigen, wie man vor 120 Jahren modern gebraut hat“, sagt Braumeister Sigi Brückler. In dem alten Kommunbrauhaus, um 1844 erbaut, geschieht alles in Handarbeit.
Vom Befeuern des Ofens mit Holz, der den Sudkessel heizt, bis zur Hopfenaromazugabe am Schluss. Gebraut wird einmal in der Woche ein helles Zwickel oder ein Dunkles, man bekommt es in den Museumsgaststätten zu trinken oder in der Flasche zum Mitnehmen.
Der Rundgang durch das liebevoll gestaltete Freilandmuseum gleicht einer Zeitreise durch 700 Jahre fränkische Alltagsgeschichte. Man spaziert vorbei an Fachwerkhäusern, Mühlen, Landhäusern und Scheunen, Feldern und Obstbäumen, Bächen und Weihern.
Mal watschelt eine Schar Landgänse über den Weg, mal tuckert ein alter Traktor vorbei. Alte Bauernhöfe samt Misthaufen plus Gockel drauf, Kuhstall, Taubenhaus und dem Schwäbisch-Hallischem Landschwein „Martha“. Ausstellungen sowie Handwerksvorführungen, Konzerte und mehr runden den Besuch ab.
"Der Aischgründer Karpfen ist eine EU-geschützte geografische Angabe"
Karpfensushi oder Karpfenburger?
Das letzte Wort gehört der amtierenden Karpfenkönigin Svenja I. Die junge Herrscherin stammt aus einer Teichwirtsfamilie und ist schon mit Kindesbeinen im Teich gestanden. Ihr Vater besitzt elf Weiher und betreibt Teichwirtschaft – wie fast alle im Aischgrund – im Nebenerwerb.
„Der Aischgründer Karpfen ist eine EU-geschützte geografische Angabe, und die Teichwirtschaft wurde sogar ins bundesweite immaterielle Kulturerbe aufgenommen“, darauf verweist die Königin stolz bei einer Audienz am Nutzweiher Demantsfürth. Ein Grund für die Auszeichnung: Fütterung, Teichpflege und Abfischung erfolgen in traditioneller Handarbeit.
Am liebsten isst Svenja I. Karpfen gebacken, etwa vier Stück verzehrt sie im Schnitt pro Monat. Wer die Gräten vermeiden möchte, dem empfiehlt die Königin die von Gräten befreiten Filets. Tolle Rezepte dafür gebe es heute in Hülle und Fülle – von geräuchert wie Schinken über Karpfenbratwürste, als Karpfensushi oder in Streifen geschnitten und frittiert als Karpfenknusper, in Calvadossoße oder sogar als Karpfenburger. Am besten, man kommt einfach selbst in den Aischgrund und bringt ausreichend Appetit mit!