Iphofen bewahrte mit pfiffiger Stadtplanung sein historisches Architekturensemble. In der rausgeputzten Heimat von über zwanzig Winzern dreht sich fast alles um Wein und Genuss. Resümee unseres Besuchs? Hervorragende Work-Wine-Balance
Weinstadt Iphofen
Bürgerturm, Mittagsturm oder Eulenturm? Für die Gesetzesbrecher des Mittelalters verhießen alle drei nichts Gutes. Bürger- und Mittagsturm dienten als Gefängnis. Die Lebenslänglichen landeten im Eulenturm, um ihn nie wieder zu verlassen. Nicht umsonst nannte man ihn auch „Faulturm“. Anekdoten aus dem Munde von Heinrich Halbleib, mit dem wir einen Rundgang durch Iphofen machen.
Der gut gelaunte Stadtführer war bis zu seiner Pensionierung im Polizeidienst tätig – das gibt den Crime-Geschichten eine besondere Note. „Sogar der Henker hatte einst einen eigenen Turm“, erzählt Halbleib. Aber nicht, weil der Scharfrichter so gut entlohnt wurde, sondern weil er als „unehrenhafte Person“ am Rand der Gesellschaft lebte. „Und hier bestrafte man Bürger für kleinere Vergehen“, sagt der Guide am Rathaus und zeigt auf die beiden „Hundslöchli“, die unter dem prächtigen Portal als Pranger dienten.
Fachwerk und Barockbauten
Genug der düsteren Seiten! Bei unserer Tour durch das fränkische Weinstädtchen Iphofen am Rande des Steigerwalds erleben wir ein perfekt saniertes historisches Ensemble mit intakter Stadtmauer, Fachwerkbauten, barocken Bürgerhäusern und einem Labyrinth aus Plätzen und Gassen. Viele davon sind so eng, dass kein Platz für Bürgersteige bleibt – aber das macht nichts, Autos fahren hier ohnehin kaum.
Beim Bummel durch die Straßen mit ihren rund 140 denkmalgeschützten Gebäuden stoßen wir immer wieder auf liebenswerte Details: von rosenumrankten Lehmfassaden über Hausmadonnen bis hin zu Türmen mit achteckigen Echter-Hauben. Letztere sind nach dem Fürstbischof benannt, der die Region prägte.
Besonders eindrucksvoll ist das Rödelseer Tor, eines der drei erhaltenen Stadttore mit seinem markanten Vorwerk. Das Iphöfer Wahrzeichen mit dem kunstvollen Spitzdach steht am Herrngraben, einer knapp zwei Kilometer langen Flaniermeile, die einmal rund um die Altstadt führt, immer am Stadtgraben entlang, der von wildem Grün bedeckt ist. Auf der anderen Seite sehen wir die Iphöfer in ihren Gärten an der Stadtmauer werkeln, manche Häuser sind sogar in die Mauer hineingebaut.
Obst vom Auktionator
Die knorrigen Zwetschgen-, Birnen- und Apfelbäume am Wegrand tragen alle Nummern. Die 127 ist klein und üppig grün, die 112 vom Alter gebeugt und die 122 kränkelt. „Einmal im Jahr versteigert die Stadt den Ertrag der Bäume“, sagt Halbleib. Nicht das einzige Privileg der Altstadtbewohner: Fast jedes Grundstück besitzt Holzrechte aus dem 18. Jahrhundert und darf sich an einer ausgewählten Parzelle bedienen.
Dank der vor 30 Jahren begonnenen Sanierung finde man in der Altstadt kaum noch ein leer stehendes Häuschen, erklärt der alteingesessene Iphöfer: „Wer ein historisches Haus renovieren will, bekommt einen Stadtplaner an die Seite gestellt. Der Mehraufwand für die denkmalgerechte Sanierung wird gefördert.“ Dabei darf zugunsten der Wohnqualität auch moderne Architektur integriert werden.
Kulinarische Reise in der Vinothek
Viele Fassaden sind mit Reimen verziert: „Willst du deine Gesundheit mehren, sollst Du die Frankenreben ehren, niemals andere Weine begehren“, heißt es da. Und auch der Leitspruch der Stadt ist verewigt: „Wein, Gips und Holz sind Iphofens Stolz.“ Der Gips unter der Erde bildete nicht nur die Grundlage für den Erfolg der Firma Knauf – im gleichnamigen Museum sind mehr als 200 Gipsrepliken von berühmten Kunstwerken zu sehen.
„Wein, Gips und Holz sind Iphofens Stolz“
Auch der Wein profitiert von der Gipskeuper-Schicht unter dem Schwanberg, dem Hausberg der Stadt. „Er gibt unseren Weinen ihre unverwechselbare mineralische Note“, sagt Anna Maria Gamm in der Vinothek im ehemaligen Mesnerhaus der Stadtkirche.
Jedes der Iphöfer Weingüter hat dort ein eigenes Fach, in dem es seine Top-Weine präsentiert. Dazu gibt es regionale Produkte wie Sil[1]vanergurken oder Wurst vom frei laufenden Eichelschwein.
„Wenn man direkt zum Winzer geht, fühlt man sich meist verpflichtet, auch etwas zu kaufen“, sagt Anna-Maria und öffnet eine Flasche Silvaner für eine Kostprobe. „Bei uns könnt ihr erst mal probieren, welche Geschmacksrichtungen und welche Winzer euch gefallen.“ Wir bleiben zur Weinprobe und kommen auf der Terrasse mit Blick zum Markt schnell mit Einheimischen ins Gespräch.
Silvaner mit päpstlichem Segen
„Spinnweben gehören einfach dazu“, sagt Klaus-Peter Heigel. „Schließlich wollen wir Emotionen wecken.“ Wir stehen in der „Schatzkammer“ des Weinguts Wirsching, wo unter Staub und Spinnweben die besonderen Tropfen aus der langen Geschichte des Hauses lagern, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Zum Beispiel die 1967er Silvaner Auslese, die Papst Johannes Paul II. 1980 in Altötting sichtlich genoss.
„So alle 20 bis 30 Jahre verkosten wir die Schätze und füllen nach“, erklärt Heigel. Nur den Silvaner von 1967 öffnen die Winzer wegen seiner besonderen Geschichte nur noch selten. „Für Weinliebhaber ist es im Moment eine ganz tolle Zeit, denn die Qualität ist in der breiten Masse deutlich besser als vor Jahrzehnten“, schwärmt der promovierte Önologe.
Nachhaltigkeit im Klimawandel
„Unsere Herausforderung heute ist die Bewässerung“, sagt Heigel. In einem geplanten Projekt soll Wasser aus dem Main im Winter gespeichert werden, um es in trockenen Sommern in den Iphöfer Weinbergen zu nutzen. „Wenn das Wasser knapp wird, kann man irgendwann nur noch mit Ertragsreduzierung reagieren – und dann können manche Betriebe nicht mehr mithalten“, erklärt der Winzer.
Das Weingut Wirsching hat deshalb sämtliche Prozesse hinterfragt: Anbaumethoden, Stromverbrauch, Kühlung, CO2-Bilanz, Verpackung, Etiketten und Verschlüsse. Jetzt wird nachhaltig und nach den Regeln des Fair’n-Green-Siegels produziert: ohne Insektizide und Herbizide, aber immer noch unter Einsatz von synthetischen Pflanzenschutzmitteln.
Auch die Glasflaschen stehen auf dem Prüfstand: „Auf Dauer sind sie energetisch ein Unding. Aber ein Premiumwein für 30 Euro in der Milchtüte würde nicht funktionieren“, sagt der Önologe, ein bekennender Fan des traditionsreichen Bocksbeutels: „Für Franken ist es gut, dass er geschützt ist. Der Bocksbeutel hat eine wunderschöne Form, rollt nicht aus dem Kühlschrank raus und ist ein Handschmeichler.“
Cabernet Sauvignon vom Biowinzer
„Mit den wärmeren Sommern kommen der Silvaner oder Burgunderweine besser klar als jüngere Rebsorten wie Müller-Thurgau oder Bacchus“, erklärt Heigel. Aus diesem Grund pflanzt das Weingut in seinen neuen Lagen Burgunderreben und plant mit pilzresistenten Rebsorten.
Auch Merlot oder Cabernet Sauvignon aus dem Barrique kann man im Restaurant des Weinguts Zehntkeller zu französisch angehauchter Küche bestellen. Das Weingut setzte schon früh auf internationale Rebsorten.
Kellermeister Johannes Weickert hatte bei der Planung immer auch die eigene Gastronomie im Blick – entsprechend breit ist das Sortiment. Neben den Klassikern Silvaner, Riesling, Müller-Thurgau und den Rotweinen produziert Weickert einen Secco, der in der Flasche reift.
Im Jahr 2009 stellte Zehntkeller komplett auf Bio-Anbau um. „Konventionell bewirtschaftet, ist der Rebstock ein bisschen wie ein Junkie, der an der Nadel hängt, deshalb haben wir einen radikalen Entzug gemacht“, erzählt der Weinbautechniker. Wir steigen mit ihm die Treppen in den Keller hinab. Es ist der wohl tiefste von Iphofen. Mit jedem der drei Stockwerke wird die Luft kühler, bis wir zwischen den Stahltanks stehen.
Weinerlebnis am Schwanberg
Danach zieht es uns wieder hinaus in die Sonne, die nun am Nachmittag die Steillagen der Weinberge mit ihrem Licht überflutet: den Julius-Echter-Berg, Kronsberg und Kalb.
Wanderwege wie die Traumrunde Iphofen, die Weinentdeckerrunde oder der Rebsorten-Lehrpfad führen durch das Rebenmeer – und weiter in den angrenzenden Naturpark Steigerwald. Beim Biobäcker Philipp Scheckenbach in der Altstadt kann man dafür sogar einen Picknick-Rucksack bestellen.
Wir schließen uns einer Tour mit dem Weinerlebnisführer Matthias Popp an. Er leitet mit seiner Frau Sabrina das Bioweingut Bausewein mit kleinem Hotel und Sommerweingarten. Vorbei an einem von Wildrosen umrahmten Marterl geht es bergauf, bis wir zwischen satt-grünen Reben auf einem Teppich aus Blutklee stehen. „Der produziert Stickstoff für die Reben“, erklärt uns der Winzer.
„Im Moment sind wir in der Triebkorrektur, das ist sehr wichtig“, sagt Popp, während er mit schnellen, routinierten Griffen einzelne Triebe abbricht und wegwirft. „Wenn wir alles dranlassen würden, hätten wir bis zu sechzig Trauben an einem Stock – das kann nicht funktionieren. Jetzt sind es noch elf, das passt!“
Picknick mit Aussicht
Wir spazieren weiter, hinter jeder Kurve ein neues Panorama vor Augen, bis wir die Natursteinterrassen des Geschichtsweinbergs erreichen, ein ehrenamtliches Projekt, an dem auch Matthias Popp teilnimmt. „Hier pflanzen wir alte Sorten aus drei Epochen an. Das macht Spaß und fördert die Gemeinschaft. Rebsorten wie beispielsweise Räuschling, Adelfränkisch oder Vogelfränkisch kannte ich nicht einmal aus meiner Ausbildung.“
Dann ist Zeit für ein Picknick. Die nahe gelegene Landmarke Terroir F ist der ideale Ort dafür, Iphofen war der Pionier bei diesem frankenweiten Projekt. Ein alter Aussichtsturm wurde zum View Point mit Blick über die Weinlage Julius-Echter-Berg umgebaut. Eine Kunstinstallation thematisiert unter dem Motto „Die Ferne so weit. Der Wein so nah“ den Weinbau in aller Welt.
Rennradler surren vorbei, Grillen zirpen und in der Ferne tuckert ein Traktor langsam einen Steilhang hinauf. Die Sonne wirft ihre letzten Strahlen über die Weinberge. Der Main ist in der Ferne nur zu erahnen, als wir unsere Rucksäcke auspacken. Es gibt frisches Brot, Obst, Käse und Edelsalami vom Eichelschwein. Und natürlich einen kühlen Silvaner vom Julius-Echter-Berg. Angebaut nur wenige Meter von uns entfernt – das ist gelebte Nachhaltigkeit.