Der letzte München-Bummel mit Künstler Thomas Neumann drehte sich um Street-Art. Diesmal ging es sakraler zu. Wir ließen uns die architektonisch und kunsthistorisch bedeutendsten Kirchen zeigen. Text: Florian Kinast, Fotos: Thomas Linkel
Stadtspaziergang zu den schönsten und bedeutendsten Münchner Kirchen
Zwischendrin, für einige Minuten nur, ändert sich an diesem Tag die Perspektive. Oben auf der Aussichtsplattform des Alten Peter, nach 306 schweißtreibenden Stufen. Ein grandioser Blick über die Stadt und darüber hinaus. Es ist einer dieser angeföhnten Tage, an denen man dasteht und sich denkt: Hätte der liebe Gott im Süden nicht die Alpen hingestellt, reichte der Blick bis zum Mittelmeer!
Ganz in der Nähe, direkt unter uns, herrscht zur Mittagszeit ein reges Gewusel, auf dem Marienplatz, auch nebenan auf dem Viktualienmarkt. Schnell wird einem bewusst, dass es einer der wenigen Momente an diesem Tag ist, an dem man nach unten schaut, mit dem Kinn auf der Brust.
Ansonsten liegt meist der Kopf im Nacken, auf dieser viele Stunden währenden Tour mit Blicken nach oben. Auf unserer himmlisch segensreichen Reise zu Münchens schönsten und beeindruckendsten Kirchen.
Heilig Kreuz: Älter ist keine
Unser Begleiter ist der Münchner Grafiker, Kunstmaler und Bayern-Insider Thomas Neumann. Wir treffen ihn frühmorgens in Fröttmaning, in einem kleinen versteckten Hain nur wenige Meter östlich der A9: bei Heilig Kreuz.
Hier beginnt unsere Reise – und die Geschichte der Münchner Gotteshäuser. Münchens ältestes Kircherl wurde erstmals in einer Schenkungsurkunde aus dem Jahr 815 erwähnt, also gut 340 Jahre vor der Stadtgründung 1158.
Thomas erzählt von der Geschichte der Kirche, die mehr als 1.100 Jahre das Zentrum des Dorfes Fröttmaning war, bevor nach 1945 die Häuser und Höfe nach und nach abgerissen wurden. Sodass heute nur noch die Kirche als stiller Zeuge an die alte Siedlung erinnert.
Die Replik steckt im Müllberg
„Ende der 1960er wollten sie beim Bau der A99 auch Heilig Kreuz plattmachen“, erzählt Thomas. Der Erhalt war letztlich allein dem Widerstand des damaligen Kirchenpflegers Ludwig Maile und einiger Mitstreiter zu verdanken.
Das geplante Autobahnkreuz wurde weiter nach Norden versetzt, die Kirche durfte bleiben. Maile fand vor einigen Jahren mit seiner Frau Hildegard seine letzte Ruhe am Friedhof direkt daneben.
Bevor wir mit dem Rad Richtung Innenstadt starten, geht es noch kurz auf den benachbarten Schuttberg, von dem aus nicht nur das Original von Heilig Kreuz zu sehen ist, sondern auch eine in den Müllberg hineingebaute, nicht begehbare Kopie.
„Eine Installation des Künstlers Timm Ulrichs mit dem Titel ‚Versunkenes Dorf‘“, weiß Thomas, „zur Erinnerung an das alte Fröttmaning.“ An den Ort, der heute die 2005 eröffnete, weltbekannte Arena des FC Bayern westlich der Autobahn beheimatet.
Ludwigskirche: Monumentales Altarfresko
Die halbstündige Radelei führt uns durch die an diesem Morgen noch sanft benebelten Isarauen und den noch weitgehend verwaisten Englischen Garten zur Ludwigskirche. Diese gab König Ludwig I. beim Bau der gleichnamigen Prachtstraße in Auftrag.
Das sorgte für Ärger. Der Stadtrat lehnte eine Kirche an diesem Ort ab. Als der König damit drohte, München die Residenz und die Universität zu entziehen und sie in eine andere bayerische Stadt umzusiedeln, lenkte das Rathaus ein.
Weshalb die Kirche mit ihren markanten Doppeltürmen in die Silhouette der Stadt hineinwuchs. „St. Ludwig wurde als erste Monumentalkirche im Rundbogenstil erbaut“, weiß Thomas, „das bedeutendste Kunstwerk ist ganz hinten ‚Das jüngste Gericht‘ von Peter von Cornelius, das zweitgrößte Altarfresko der Welt.“
Wirkt St. Ludwig ansonsten in seiner Ausstattung eher nüchtern und schlicht, so kommt unsere nächste Station fünf Radminuten weiter südlich umso schmuckvoller daher: St. Kajetan am Odeonsplatz, den meisten wohl besser bekannt als Theatinerkirche.
Theatinerkirche aka St. Kajetan: Alles Fassade?
„1675 geweiht war sie in Altbayern die erste im Stil des italienischen Hochbarock erbaute Kirche“, weiß Thomas zu erzählen. „Bemerkenswert ist, dass sie außen lange im Rohbau blieb, weil man sich nicht auf die Gestaltung der Vorderfront einigen konnte.“
Erst nach 90 Jahren, 1765, entwarf François de Cuvillies im Rokoko-Stil die vielleicht bekannteste und schönste aller Münchner Kirchenfassaden, die im Sommer immer die prachtvolle Kulisse für das Klassik-Open-Air an der Feldherrnhalle abgibt.
Alter Peter, Asamkirche und der Brezenreiter
Auf unserer Route tauchen wir nun immer mehr in Münchens sakrales Epizentrum ein, streifen und besuchen viele der gut ein Dutzend Kirchen inmitten der Altstadt. Steigen auf den Alten Peter für den Bilderbuchblick über die Dächer der Stadt und lassen uns in der Asamkirche überwältigen von der erschlagenden Wucht der spätbarocken Pracht, mit der die Gebrüder Cosmas Damian und Egid Quirin Asam vor bald 300 Jahren den Innenraum bereicherten.
Wir ergründen im Prälat-Miller-Weg das Geheimnis des Deckenfreskos der Heilig-Geist-Kirche, in der Cosmas Damian Asam 1727 eine Breze verewigte. „Eine Hommage an den berühmten Brezenreiter“ erklärt Thomas.
Dann erzählt er uns die Geschichte des großherzigen Kaufmanns Burkard Wadler, der im 14. Jahrhundert begann, jedes Jahr nach den Weihnachtstagen am 27. Dezember einen Reiter loszuschicken, der vom Pferd herab 3.000 Brezen an arme und kranke Münchner verteilen sollte – eine Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert Bestand hatte.
Frauenkirche: Das Wahrzeichen
Im spätgotischen Dom zu Unserer Lieben Frau, meist Frauenkirche genannt, einem der berühmten Wahrzeichen der Stadt, hören wir die Sage vom Teufelstritt, die es in verschiedenen Varianten gibt.
Thomas erzählt die Version, in der der Höllenfürst dem Architekten Jörg von Halspach beim Bau der Kirche geholfen habe und im Gegenzug zur Belohnung nach Fertigstellung dessen Seele einkassieren sollte.
Der schlaue Baumeister freilich führte nach der Vollendung des Baus den etwas tumben Teufel an eine Stelle, von der aus keine Fenster zu sehen waren, und schlussfolgerte: Für so einen Pfusch am Bau gibt’s auch keine Seele.
Für so einen Pfusch am Bau gibt’s auch keine Seele
Wutentbrannt stampfte der Satan auf und stürmte aus der Kirche, vom Teufel selbst war seither nichts mehr zu sehen, sein Abdruck aber blieb im Kirchenboden als eine altbekannte Attraktion, die Münchner Eltern seit Generationen ihren Kindern zeigen und dabei die Legende erzählen, über die die Kleinen ungläubig staunen.
Zu einer ganz neuen Sehenswürdigkeit führt uns Thomas einige Meter weiter. Neben dem Shop der Kirche geht es über eine schmale Wendeltreppe erst 86 Stufen und dann mit dem Aufzug 80 Meter nach oben, zum höchsten zugänglichen Punkt der Münchner Altstadt: in den neu renovierten und wiedereröffneten Südturm der Frauenkirche. Ein schlichter Raum mit vielen Fenstern und bester Sicht auf den Zwillingsturm gegenüber.
Ein guter Zeitpunkt für Thomas, um mit der alten Münchner Mär aufzuräumen, der eine Turm sei mit 99 Metern einen Meter niedriger als der andere: Mit 98,45 und 98,57 Metern beträgt der Unterschied nur zwölf Zentimeter.
Herz-Jesu-Kirche: Moderner Rekordhalter
Wir verlassen den Stadtkern und radeln Richtung Neuhausen und Nymphenburg: für einen Abstecher zur Herz-Jesu-Kirche, einem architektonisch spektakulären, im November 2000 geweihten Neubau, der anstelle der im Jahr 1994 bei einem Brand zerstörten Vorgängerkirche errichtet wurde.
Diese Kirche ist ein heller, lichtdurchfluteter Glasquader mit den – ein weiterer sakralbaulicher Rekord der Stadt – weltgrößten Kirchentoren, die sich an besonderen Feiertagen als gewaltige Flügeltür öffnen. Für Thomas „ein moderner Kontrast und meisterhaft gelungener Gegensatz zu den vielen historischen Kirchenbauten, die München zu bieten hat“.
Rokoko-Star: Klosterkirche St. Anna
Zurück Richtung Stadtmitte, ins Lehel, zur recht unauffälligen Klosterkirche St. Anna, die direkt gegenüber der erst später errichteten, viel größeren gleichnamigen Pfarrkirche errichtet wurde. Erbaut wurde die Klosterkirche als Altbayerns erste Rokoko-Kirche zwischen 1727 und 1733, als das Lehel (anders als heute!) eine Armen-Gegend war.
Im Inneren finden sich wieder Artefakte der Asam-Brüder. Im April 1944 wurde das Gotteshaus bei einem Bombenangriff bis auf die Außenmauern zerstört, der Wiederaufbau zog sich bis 1979.
Wer sich wie Thomas noch an Helmut Dietls unvergessene TV-Serie „Münchner Geschichten“ erinnert, der kennt die Szene aus dem legendären „Der lange Weg nach Sacramento“: Als Zorro, Gringo und Zapata vor den Toren der Klosterkirche, der „Mission Santa Anna“, vom Padre einen Teller Suppe spendiert bekamen.
Mariahilfkirche: Unüberhörbar
Etwas Appetit befällt auch uns, als sich der Nachmittag schön langsam in seine Spätphase neigt. Zwei Etappenziele stehen aber noch aus, beide jenseits der Isar. Zunächst die Mariahilfkirche, der Stolz von der Au, in den 1830er-Jahren als erster neugotischer Sakralbau in ganz Deutschland erbaut.
Eine Kirche mit einem ganz besonderen Klang, nicht nur wegen der fünf Großglocken, die nach dem Alten Peter die tiefsten Tonlagen der ganzen Stadt haben. Das vor zehn Jahren installierte Carillon ist mit 65 Glocken das größte in Bayern und das drittgrößte der Republik. Das Glockenspiel bringt mittwochs und samstags jeweils um 11 Uhr für mindestens zehn Minuten die Au zum Klingen.
Pfarrkirche Heilig Kreuz: Giesings Wahrzeichen
Zum Schluss erwartet uns noch die kräftezehrende Königsetappe mit den meisten Höhenmetern: der finale Anstieg auf den Giesinger Berg zur Pfarrkirche Heilig Kreuz.
Das Wahrzeichen des ganzen Viertels ist ebenfalls im neugotischen Stil errichtet und beherbergt ein schaurig anmutendes Relikt: die Überreste eines Kruzifixes, bei dem nur noch die verkohlten, an einem Balken angenagelten Füße von Jesus Christus zu sehen sind.
Die Geschichte dieses Kreuzes reicht weit zurück, wie Thomas erzählt. „1463 wurde es vermutlich aus dem Isarwinkel bei einem Hochwasser am Ufer in Untergiesing angeschwemmt“, berichtet er. „Lange hing es als Heiligtum in einer Herberge in der Krämerstraße, bei einem Fliegerangriff 1944 wurde es schwer beschädigt. Nun fand das historische Stück hier in der Kirche einen würdevollen Platz.“
Letzte Etappe? Giesinger „Bräustüberl“
Das nachdenkliche Ende einer besinnlich eindrucksvollen Tour, die gegenüber im „Bräustüberl“ vom Giesinger Bräu ihren verdienten Ausklang findet: bei einem halben Liter Giesinger Erhellung, Schweinsbraten, Bockbier-Pflanzerl und einem herzhaften Wirtshausbrettl.
Es fällt der Blick auf das Bierglas mit der Giesinger Kirche im Wappen. Über Tegernseer Bergkas und Münchner Obazd‘n, über Radi, Schinken, Brot und Kren kommt in einem ruhigen Moment der Rückblick auf die heutige Tour, die sich wie ein Kreis schloss: von Heilig Kreuz am Morgen in Fröttmaning zu Heilig Kreuz am Abend in Giesing.
Dazu die Erkenntnis, dass wir, ohne es beabsichtigt zu haben, von einer der in Sachen Meereshöhe am tiefsten verorteten Münchner Kirchen unseren Weg fanden zum Gottesbau mit der am höchsten gelegenen Kirchturmspitze der ganzen Stadt. Ein Tag, an dem wir dem Himmel immer näher kamen.
Mehr über die Münchner Kirchen unter muenchen.de
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