Bayerns kleinste Großstadt überrascht mit vielen Facetten. Sie ist Hugenottenstadt, Bierstadt, Universitäts- und Medizintechnikstadt. Und sie ist die deutsche Comic-Hauptstadt. Ein tolles Ziel für Neugierige, Entdecker und Genießer
Bonjour, Erlangen!
„Da, sehen Sie, mit Jean Mengin hat es begonnen.“ Andreas Mengin, Nachfahre in neunter Generation, deutet auf den Namen des Altvorderen. Der steht ganz oben auf dem Poster. Der Gemeindesekretär der Evangelisch-Reformierten Kirchengemeinde, ein sportlicher Mitvierziger, hat es ausgerollt.
Es zeigt die weitverzweigte Ahnengalerie seiner Familie. „Jean wurde 1652 in Bernis bei Nîmes geboren. Nach Flucht und Zwischenstopp in Aargau in der Schweiz kam er vermutlich mit den ersten seiner Glaubensbrüder nach Erlangen. Sohn David wurde schon 1695 in Erlangen geboren.“
Das Erbe der Hugenotten
Als 1685 das Toleranzedikt in Frankreich aufgehoben wurde, verließen 150.000 Calvinisten, Hugenotten genannt, das Land. Etwa zwanzig Familien fanden anfangs „à Erlang“ eine neue Heimat. Schließlich wurden es tausend Neubürger. Sie sollten frischen Wind in die mittelfränkische Ackerbürgerstadt, auf halber Strecke zwischen Nürnberg und Bamberg an der Regnitz gelegen, bringen.
Markgraf Christian Ernst hatte mit seinem „Refugees welcome“ nicht nur Menschenliebe in Sinn, er wollte auch vom Know-how der Franzosen profitieren. Jetzt, nach Ende des verlustreichen Dreißigjährigen Kriegs, konnte das mal nicht schaden!
Mit bis dato in der Stadt unbekanntem Gewerbe und Handwerks-Hightech sowie Raffinesse machten die Hugenotten Erlangen als „Fabrikstadt“ bekannt, etwa dank der Strumpfwirker, Hutfabrikanten oder Handschuhmacher. Wie bei den Mengins. Ein vergoldeter Handschuh ist noch heute das Aushängeschild am Stammhaus in der Goethestraße. Erst in den 1950ern endete die Handschuhproduktion.
Bis 1822 wurde der Gottesdienst französisch gehalten
Etwas vom calvinistischen Spirit spürt man in der Hugenottenkirche. Der Markgraf ließ sie, quasi als Werbegeschenk, für seine Neubürger errichten. Schlicht wirkt das ovale Innere („Schmücket eure Kirchen nicht aus. Gebt das Geld lieber den Armen“, so Calvin), kein Altar, nur vor einem großen Fenster Abendmahltisch, Taufbecken und Kanzel. Die Gläubigen sitzen im Kreis, die Kirchenbänke sind auf die Kanzel ausgerichtet.
Bis 1822 wurde der Gottesdienst in französischer Sprache gehalten – auch wenn aus den Français bald Franken geworden waren. „Etwa drei Generationen hat das gedauert, bei uns Mengins erscheint da bereits mit ‚Erich‘ ein deutscher Vorname“, erklärt der Gemeindesekretär.
"Fronkreisch"-Flair
Die Hugenotten bekamen eine neue Stadt, südlich der alten. Typisch die rechtwinklig angelegten Straßen und zweistöckigen Häuser. Und in Rekordtempo erbaut: Ein Viertel der 200 Häuser stand nach einem Jahr! Als Mittelpunkt war im Bauplan die „Grande Place“ eingetragen, heute der Markt- und Schlossplatz.
Das Denkmal von Markgraf Friedrich vor dem Markgrafenschloss und der Paulibrunnen auf der Westseite kamen erst später dazu. Heute ein schöner, weiter Platz zum Schauen und Verweilen mit Cafés sowie Obst-,Gemüse- und Imbiss-Ständen, wo vegane Falafel genauso im Angebot ist wie „Drei im Weggla“.
Flanieren in französisch angehauchten Sträßchen – mit Fensterläden, Bistrotischen auf dem Trottoir und Pflanzenschmuck – kann man zwischen dem beschaulichen Altstädter Kirchenplatz und der Wasserturmstraße. Man passiert nette Restaurants wie das „Herzstück“, kann stöbern und shoppen in kleinen Läden oder logieren in dem sympathischen „Hotelchen am Theater“ mit seinem bezaubernden Innenhof. Und entdeckt in der Schiffstraße durch ein Schaufenster Ungewöhnliches: knallgelbe, leere Regale ...
Schepper! Krach! Bumm!
„Hier entsteht ein Schauraum für Comics“, erzählt Elisabeth Neun, geborene Wienerin und Vorsitzende des Vereins Comicmuseum Erlangen e.V. „Erlangen ist die deutsche Comic-Hauptstadt!“, freut sich die Zeichnerin.
Rrrrrums, klirr, mampf! Der Comic Salon lockt Fans aus aller Welt in die Stadt
„Seit 1984 findet hier alle zwei Jahre der Comic Salon statt. Eine Messe mit Ausstellungen, Börse, Lesungen und mehr. Zuletzt hatten wir 30.000 Besucher.“
Der Salon ist Treffpunkt der internationalen Zeichnerszene. Es kommen mehrere Hundert Künstler. Und die ganze Stadt macht mit, in vielen Schaufenstern stellen dann Zeichner Bilder aus. Mit dem Schauraum sollen Comics dauerhaft präsent werden. „Unser großer Traum ist aber ein Comic-Museum hier in Erlangen!“, wünscht sich die Künstlerin.
Rokoko und Palmen: Schlossgarten
Sie könnten einer lustigen Zeichnung entsprungen sein, die zwei kleinen Mädchen im Schlossgarten! Gekleidet in lange Rüschenkleidchen, das eine hell-, das andere dunkelrosa, hüpfen sie über den Rasen.
Die blonden Zöpfe glänzen in der Sonne, im Hintergrund die dunkel-verwitterte Schlossfassade. Dann schiebt jede ihren Puppen-Kinderwagen – ebenfalls in Rosa! – weiter übers Grün.
Ein Mann ruht im Gras, krault seinen Hund. Ein zweiter Hund spitzt die Ohren und schaut aufmerksam nach Norden. Dort leuchtet ockergelb die Fassade der Rokoko-Orangerie, davor sechs Palmen in großen Kübeln. Im Hugenottenbrunnen blasen Fontänen Wasser in die Luft. Zwei Tauben stürzen erstaunlich schnell im Tiefflug vorbei. Stadtpark-Idyll.
Der Schlossgarten ist die grüne Oase Erlangens. Und beliebter Treffpunkt der vielen Studenten. Denn Schloss und Schlossgarten gingen 1818 in den Besitz der 1742 gegründeten heutigen Friedrich-Alexander-Universität über. Das gesunde Ego der Forscher symbolisiert das neobarocke Kollegienhaus am Südrand: Es ist größer und prächtiger als das Schloss selbst – ein echter Palast der Wissenschaft!
Schlaue Köpfe, findige Geister
Mit circa 40.000 Studenten ist die FAU heute drittgrößte Universität Bayerns, bekannt vor allem für ihr Universitätsklinikum. Es bietet Medizin auf höchstem Niveau und umfasst mit 24 Kliniken – man begegnet ihnen auf Schritt und Tritt – alle Bereiche der modernen Medizin, von Kopf bis Fuß.
Die Stadt ist eben ein gutes Pflaster für findige Geister – wie den von Erwin Moritz Reiniger. Aus seiner kleinen Werkstatt am Schlossplatz entstand 1886 die Elektrotechnische Fabrik Reiniger, Gebbert & Schall. Sie stellte elektromedizinische Apparate her. Nach Entdeckung der Röntgenstrahlen verlegte sie sich auf Röntgenröhren und -apparate.
1888 hat RGS bereits 142 Auslandsvertretungen. 1932 geht die Firma in den Siemens-Reiniger-Werken auf – Grundstein für die Siemens Healthineers AG von heute. Das MedMuseum im ehemaligen RGS-Maschinensaal von 1893 informiert über die spannende Geschichte der Medizintechnik.
Botanischer Garten: Da blüht dir was!
Kein Erlangen-Besucher sollte den Botanischen Garten verpassen. Ein Highlight in Grün! Hat man ihn betreten, fällt das laute Quaken auf: In Becken und Tümpeln genießen Frösche ihr Amphibienleben. „Die faszinieren jeden Besucher, vor allem Kinder, viele sehen hier das erste Mal welche, wo können sie das heute sonst noch?“, meint Claus Heuvemann, Technischer Leiter des Gartens.
Im Garten sind Tausende Pflanzen aus aller Welt versammelt, vom Enzian bis zur Nikau-Palme aus Neuseeland. Dass so viele Palmen gehegt werden, geht auf den Erlanger Botaniker und Palmenforscher Martius zurück, den „Humboldt Frankens“.
„Aber wir kümmern uns auch um heimische Pflanzen“, betont Heuvemann, „so erhalten wir die seltene Mehlbeere, einen Baum, und siedeln sie wieder in der Fränkischen Schweiz an.“ In exotische Welten eintauchen – mit Mangroven oder Drachenbäumen – kann man im Tropenhaus und im Kanarenhaus. Ganz ohne Fernflug.
Süffiges Untergäriges
Umgekehrt, von Erlangen in die weite Welt ging ein besonderes, heiß begehrtes Gut: Bier. Über zwanzig Brauereien gab’s im 19. Jahrhundert in der Stadt, viele bedienten die lokalen Kehlen, einige aber exportierten auch. Bis nach Spanien, Skandinavien und sogar in die USA. „Ein Erlanger bitte!“ wurde zum Begriff. Die Beglückung der Welt mit süffigem Untergärigen wurde begünstigt durch den Eisenbahnanschluss 1844 und die großen Felsenkeller am Burgberg als kalte Lagerstätten. Die Brauereiblüte ist jedoch verwelkt, allein der aufrechte Steinbach Bräu hält die Erlanger Bierfahne hoch ...
Es ist früher Abend. Die ersten Gäste nehmen Platz im Biergarten vor der Brauereigaststätte, Nachbarn holen in großen Krügen Frischgezapftes für zu Hause. „An diesem Ort wird seit Jahrhunderten Bier gemacht. Meine Familie braut hier, mit Unterbrechung, seit 1861.“ Braumeister Christoph Gewalt steht zwischen zwei kupfernen Sudkesseln und gibt Auskunft. Dahinter per Live-Schalte Video-Einblicke ins Storchennest auf dem Dach.
Von dem Wappentier der „handwerklichen“ Brauerei sind ein erwachsener Vogel und drei Jungvögel zu sehen. „Unser tägliches Brot ist das ‚Storchenbier‘ – untergärig, unfiltriert, mit Aromahopfen versehen, süffig.
Dazu gibt’s abwechselnd ein Bier des Monats“, erklärt der Brauer. Die Craft-Spezialitäten haben Namen wie „Scotty“, „Sündikuss“ oder „Hopferla“, sie reichen vom Leichtbier mit Zitrusaroma bis zum dunklen Bockbier.
Wie ist das mit dem „Berch“ aka Berg?
Zum Steinbach Bräu gehört ein kleines Biermuseum. Hingucker ist die liebevolle Miniaturdarstellung der Erlanger Bergkirchweih, kurz „der Berch“. Herr Gewalt drückt auf einen Knopf, und schon drehen sich die Karusselle, schunkeln und prosten die Gäste zur Blasmusik. Zwei Störche, in der Luft kreisend, beobachten den Spaß von oben.
Etwa 500 Meter sind’s vom Steinbach Bräu zum Originalschauplatz, dem „Berch“ mit seinen berühmten Bierkellern. „In den siebzehn Kellern, die in den Berg gehauen wurden, wird heute eine Strecke von etwa sieben Kilometer im Verbund genutzt“, weiß Vincenz Schiller, Juniorchef des „Entla’s Keller“, der auch außerhalb der Kirchweih seine Zapfhähne öffnet.
Eine Inschrift tief im kalten Fels verrät das Baujahr des ersten Kellers: 1686. Schiller braut ein eigenes Bier, nur für den Ausschank hier oben: Spezialsud „Ariana“, kalt gehopft und – unschwer zu erraten – süffig.
Skulpturenpark
Sind sie beseelt nach einem „Berch“-Besuch? Wie überlebensgroße Strichmännchen bevölkern die Bronzefiguren den Skulpturenpark Heinrich Kirchner im Osten des Burgbergs. Sie stehen mit breit gespreizten Beinen da, gehen in die Hocke oder in die Knie. Breiten ihre langen, dünnen Arme aus oder strecken sie gen Himmel. Jubilierend? Betend?
Die kleinen Gesichter wirken fröhlich und scheinen zu lächeln. Der Bronze-Mann am Scheitelpunkt des Hangs, mit weit ausholendem Arm und Blick zum Himmel, trägt den Titel „Wanderer, er sieht das Heilige“ – von hier oben hat man aber auch einen sehr schönen Blick über Erlangen!
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