Zwischen Hecken, Heiligen, Rebstöcken, Blumenwiesen und einer Hollywoodschaukel. Genussvolle Wanderung mit dem Winzer und Bayern-Botschafter Thomas Schenk durch dessen fränkische Heimat. Text: Florian Kinast, Bilder: Thomas Linkel
Weinwanderung in Franken
Ein früher, lauer Juni-Abend auf dem Lämmerberg. Die Sonne steht noch hoch über dem Pfülben, dem Nachbarhügel im Westen. Gleich dahinter liegt Würzburg. Der Picknicktisch ist üppig gedeckt. Teller mit eingelegten Oliven, Salaten, Käse, Brot und Wein. Natürlich Wein. Thomas Schenks Wein.
Thomas öffnet den dunklen Bocksbeutel und reicht ein Glas Silvaner vom Sonnenstuhl, Steillage, Südsüdwesthang. Der erste Schluck: trocken, ehrlich, geradeaus. Ein echter Franke eben.
Vor einigen Jahren haben Thomas Schenk und seine Frau Caro am Rande ihres Weinguts einen kleinen, romantischen Rastplatz harmonisch in die Landschaft gesetzt – zwei Bänke, ein Tisch, daneben eine aus zwei Europaletten genagelte Hollywoodschaukel an den Ästen des großen Walnussbaums.
Ein beschwingter Ort, frei zugänglich für Wanderer, für eine Erholungspause, für jeden, der zur Ruhe kommen möchte. Für einen Blick auf den Marsberg gegenüber, jenseits des Tals. Unten räkelt sich Thomas’ Heimatort Randersacker im Herzen des Weinlands Franken.
Randersacker ist ein Markt mit dreieinhalbtausend Einwohnern. Ein Vorort von Würzburg, bekannt vor allem aus dem Verkehrsfunk: „... die A3, zwischen Würzburg-Heidingsfeld und Randersacker Stau an einer Baustelle. In der Gegenrichtung drei Kilometer zähfließend ...“
300 Jahre Winzer-Tradition
Schon vor drei Jahrhunderten machten Thomas’ Vorfahren hier in Weinbau, lange aber nur so als Hobby neben den eigentlichen Berufen. Thomas’ Großvater war Wagnermeister, die alte Stellmacherei am Spielberg im Ort, in welcher der Opa seine Räder zusammenzimmerte, hat Thomas zur Heckenwirtschaft umgebaut.
Thomas nimmt Gäste regelmäßig mit zu Wein-Wanderungen
Zweimal im Jahr öffnet er für einige Wochen für Gäste, im Frühling und im Herbst. An der Steinmauer die Tafel mit den Angeboten. Der Schoppen Rivaner feinfruchtig ist für vier Euro zu haben, die Bauernhofbratwurst mit Kraut und Brot kostet achtfuchzig.
Die Wirtschaft unter Thomas’ Wohnung ist nicht nur ein Treffpunkt von Einheimischen, Ausflüglern und Urlaubern für gemütliche Abende, sie markiert auch den Start der Weinwanderungen, auf denen Thomas seine Gäste immer wieder durch die Landschaft rund um Randersacker führt, so wie auch an diesem Nachmittag.
Mit dem gut gefüllten Rucksack geht es ein Stück entlang der Ochsenfurter Straße, rein in die Maingasse, vorbei an dem Platz mit dem schönen Namen Tanzplan. Der heißt so, weil sie dort früher immer zusammenkamen, wenn es im Ort etwas zu feiern gab. Fachwerkhäuser, Torbögen, Kopfsteinpflaster. Alter Dorfcharme.
Weinheilige Dreifaltigkeit!
Über steile Treppen erreichen wir die Bergkapelle. Über dem Eingang eine Skulptur des heiligen Urban. Neben dem Kirchlein aus dem Jahr 1903, das an Festtagen noch als Ziel von Prozessionen fungiert, steht die Geschichte vom Schutzpatron der Winzer geschrieben.
Zu lesen ist, dass es am Ende drei von ihnen brauchte, bis ein Urban zum Weinheiligen wurde. Erstens: Papst Urban aus dem 3. Jahrhundert, den sie mit Bleikugeln malträtierten, während später die Bildnisse von ihm die Kugeln vor seinem Körper als Weintrauben stilisierten. Ob Kugeln oder Trauben – weinerlei!
Zweitens: Den französischen Bischof Urban, der 200 Jahre später bei einer Verfolgungsjagd hinter einem Rebstock Zuflucht fand und unentdeckt blieb. Und drittens den Missionar Urban, der im 7. Jahrhundert am Bodensee in Weinbau machte. Drei Urbans, ein Heiliger.
Weiter geht es über den Rosen- und Weinweg, der vom Teufelskeller herüberführt. Der Teufelskeller ist wie Pfülben und Lämmerberg ein Name von Weinfluren. Links und rechts des Wegs stehen die Rebstöcke verschiedener Sorten: zehn Reihen Spätburgunder, sieben Reihen Müller-Thurgau.
Sieben Hektar von 6.000
Bei gemütlichem Wandertempo erzählt Thomas über die Herkunft der Namen. Der Teufelskeller zum Beispiel sei benannt nach der Würzburger Patrizierfamilie Deuffel. Der Pfülben, der sich wie eine schöne, aufgeschlagene Daunendecke am Nordrand von Randersacker emporwölbt, gehe auf das mittelhochdeutsche Wort Pfülwe zurück, was so viel bedeute wie ein aufgeschlagenes Kissen.
Der Blick nach rechts reicht über die Reben auf den Main. Vor dem Horizont ein Querstrich in der Landschaft: die A3. Ganz hinten grünt der Steigerwald. Thomas spricht über die Geschichte des Weinlands Franken.
Noch vor dem Zweiten Weltkrieg bestand die Anbaufläche aus beinahe 40.000 Hektar, danach folgte ein deutlicher Schwund wegen mangelnder Rentabilität. Heute wächst Wein auf 6.000 Hektar zwischen Bamberg und Aschaffenburg. Thomas besitzt davon sieben.
Der Weinberg als XL-Spielplatz
Als Kind, als er bei der Weinlese seinen Eltern helfen musste, wusste er damit freilich noch wenig anzufangen, sagt er, während der Weg um eine leichte Linkskurve Richtung Norden knickt, vorbei an einem verwitterten Jägerstand. „Für mich war das eine einzige Plackerei, ich hatte keinen Bezug dazu und konnte gar nicht verstehen, was an der Winzerei so toll sein soll.“
Thomas' Liebe zur Winzerei wuchs erst mit den Jahren
Die Weinberge waren für ihn ein aufregender Abenteuerspielplatz, in dem er mit seinen Freunden herumtollen konnte. In Steinbrüchen, in Bodenlöchern, hinter den Hecken, rund um die Mauern. Im Miteinander mit Rebhühnern, Fasanen, Feldhasen. „Wir haben Hütten gebaut, wir haben gezündelt, wir hatten unheimlich viel Spaß. Schöne Erinnerungen“, sagt er, „die mich hier immer begleiten.“
Am Wegrand steht plötzlich an einer Natursteinmauer ein Klavier. Das habe ein benachbarter Winzer vor etlichen Jahren dort abgestellt. Früher habe man darauf noch spielen können, sagt Thomas. Heute ist es verwittert, verzogen, die Tasten sind hinüber. Mancher Ton geht noch, ein f, ein a, bizarre Kakofonie inmitten dieser bezaubernden landschaftlichen Komposition, Optik in Dur.
Winzer mit Ethos
Die Liebe zur Winzerei war bei Thomas nicht unbedingt ein Selbstläufer. Er fand sie erst mit den Jahren, als er in Geisenheim Weinbau studierte, dann zurückkehrte und das elterliche Weingut übernahm. Er begann, es ökologisch und nachhaltig zu bewirtschaften. Mit einem Dutzend weiterer Winzer schloss er sich zur Gruppe „Ethos“ zusammen.
Hierbei geht es um den Verzicht auf Herbizide und Insektizide, um die Begrünung von Weinbergrändern als Lebensraum für Insekten. „Letztendlich aber geht es um die Natur und damit auch um uns Menschen“, sagt Thomas. „Und es geht um die Zukunft der Tradition.“
Trampelpfad zum Finale
Etwas weiter hat sich unlängst ein Banker aus München mit seiner französischen Frau einen Hektar Weinland zugelegt. Manchmal geht es eben beim Weinmachen auch um die Erfüllung von Lebensträumen und Selbstverwirklichung.
Der Weg verengt sich zu einem Trampelpfad durch wildes Gestrüpp und Gehölz, die letzten Meter führen auf den Lämmerberg. Zum Panorama. Zum Rastplatz. Zum Schauplatz.
Oft sind Thomas und seine Caro selbst dort, an Abenden wie diesen, manchmal allein, manchmal mit ihren Besuchern. Manchmal sind es Passanten, die zufällig des Weges kommen und sich erst staunend, dann zögernd und schließlich beglückt niederlassen.
Und hin und wieder sind es Stammgäste wie die Studenten der Würzburger Universität, deren mächtiger Campus gerade einmal zwei Kilometer entfernt liegt, dort auf der Rückseite des Lämmerbergs.
Kürzlich erhielt Thomas von einem Studenten eine Mail mit einem großen Dankeschön. Er habe, so schildert es dieser, seine entscheidenden Klausuren nur deswegen geschafft, weil er hier an diesem einzigartigen Platz immer so viel Ruhe und Muße zum Lernen gefunden habe. Das Examen als erfolgreiche Ernte der Arbeit am Weinberg.
Die Kargheit der Böden treibt die Rebwurzeln tief in den steinigen Untergrund
Am Marsberg gegenüber hat Thomas einen halben Hektar Cabernet Blanc neu angelegt, auf Muschelkalk. Randersacker ist die Hochburg des Muschelkalks, der sich nicht nur als Untergrund für Rebstöcke eignet, sondern auch als Baumaterial.
Muschelkalk aus Kirchheim, keine zehn Kilometer im Südwesten, steckt auch in der Substanz des Berliner Olympiastadions. Bis in die 1950er-Jahre bauten sie Unmengen ab. Daher auch die vielen Steinbrüche, in denen Thomas früher so oft spielte.
Langsam senkt sich die Dämmerung herab. Rechts verläuft der Höhenweg weiter nach Würzburg, für uns geht es links auf einer kleinen Schleife zurück Richtung Randersacker. Hinter einer Biegung öffnet sich wieder ein schöner Blick: hinunter auf den Main und die Staustufe, davor die grünen Flussauen. Im Sommer finden hier Feiern und Feste statt, eine natürliche Bühne für Kultur-Events und Konzerte.
360°-Panoramabild vom Rastplatz am Weinwanderweg
Kleines Barock-Meisterwerk
Eine letzte Aussicht auf Randersacker und seine Kirche St. Stephanus mit einem der schönsten fränkischen Dorfkirchtürme.
Unten im Häusergewirr versteckt sich auch der Gartenpavillon von Johann Balthasar Neumann. Dabei handelt es sich um das kleinste Gebäude des großen Barockmeisters, der in Würzburg die Residenz hinstellte, die es später bis zum Weltkulturerbe der UNESCO schaffte.
Gegenüber dem Pavillon an dem zu Ehren der französischen Partnerstadt Place de Vouvray genannten Platz steht eine heitere Brunnenanlage: „Balthasars Badewanne“. Ein goldener Bottich. Edle Tropfen.
Die letzte Etappe endet vor Thomas‘ Haus. Weg von hier wolle er nie mehr, betont er. Hier habe er seinen Grund und seine Rebstöcke. Seine Heimat und seine Familie. Wein und einen Walnussbaum. Darauf ein Glas exotisch-fruchtigen Bacchus.