Hagen Dittmer zeigt Interessierten, wie man aus einem Stück Stahl ein hochwertiges Messer schmiedet. Wie sich so ein „Oberlandmesser“ zusammensetzt, weiß Autorin Susanne Pahler jetzt. Und auch, wie gut es sich anfühlt, etwas mit Kraft, Rhythmus und den eigenen Händen zu erschaffen
Messerschmied Hagen Dittmer
„Muss das so weh tun?“, frage ich Hagen Dittmer. Nein: Ich schreie es ihm zu, denn vor mir kreischt die Säge. Die Kanten des zwei, drei Millimeter dicken Stahls, den ich gerade zusäge, sind nicht ohne, wenn einem der Alltag am Computer keine schützende Hornhaut beschert.
Handschuhe sind nicht erlaubt, viel zu schnell kommt man damit ans Sägeblatt. Den Rest kann sich, wer mag, selbst ausmalen. Ich plage mich also beim ersten Schritt zu meinem Do-it-yourself-Messer etwas.
Habe ich womöglich doch zwei linke Daumen? Hagen bleibt ganz entspannt. „Des passt schon“, sagt er nach einem prüfenden Blick über meine Schulter. Und bald ist es sowieso geschafft. Aus dem Stück Stahl, auf das ich zuvor mithilfe einer Schablone die späteren Umrisse gemalt habe, wurde die Basis für mein neues Küchenmesser.
„Ich würde sagen, eine 3“, benotet Hagen das Ergebnis mit einem kleinen Schmunzeln. Ich würde sagen: Für das erste hoch konzentrierte Kreissägen in meinem Leben sowie aufgrund der coolen Schutzbrille und der kernigen Lederschürze mindestens eine 3+.
Es ist einer der kühlen Tage nach den vielen Hitzetagen im Juli 2023, als ich Hagen – Anfang vierzig, blitzende Augen, Tattoos bis zum Hals, Silberringe an den Fingern und eine schwarze Stoffkappe auf dem Kopf – in seiner Werkstatt besuche. Mit dem rauen Holzfußboden und den salbeigrünen Wänden ist sie quasi sein Corona-Glück: Die Räume, damals noch eine Schreinerei, fand er Anfang 2020 über Ebay!
Der Duft von Maschinenöl und Holz
Bald konnte er, wie zuvor in seiner kleineren Werkstatt in Waging am See, Kurse anbieten, bei denen er zeigt, wie man sein eigenes Outdoor-, Jagd- oder Küchenmesser macht. Viel verändert habe er nicht, außer dem Namen des Betriebs. Früher hieß der Chiemgaumesser, heute Oberlandmesser.
Über zwei Werkbänken hängen alte Steigerl an der Wand, die einem Handschleifer und einer Schutzbrille mit rotem Band einen hölzernen Rahmen geben. Über alten Kupferrohren warten dicke Kopfhörer auf ihren nächsten Einsatz. An der Wand gegenüber geben Schrauben diversen Stahlbürsten, Sägen und Winkeln Halt. Es riecht nach Öl, Holz, Maschinen.
Vor dem Fenster meines Arbeitsplatzes Kuhweiden, Holzzäune und bewaldete Hänge. Wir sind auch in Bilderbuch-Bayern, im schönsten Nirgendwo kurz hinter dem Schliersee.
Bis die Funken fliegen!
Viel Zeit zum Schwärmen bleibt mir aber nicht. Denn Hagen zeigt mir jetzt, wie ich am Bandschleifer mit Druck und Drehung die Form des Metallgriffs ausarbeite. Die Funken sprühen. Ich zucke erst mal unwillkürlich weg, merke aber bald: So wie Wunderkerzen tun die gar nix! Es dauert ziemlich lang, bis sich die grobe Form ergibt, ich kann also nicht viel falsch machen. „Das ist gut so, mach weiter!“, ermutigt Hagen nach einem weiteren prüfenden Blick.
„Wenn man etwas lernen will, schafft man das in kürzester Zeit auch“
Einen Meistertitel braucht man nicht mehr, um als „Metallbildner“ einen eigenen Betrieb zu gründen. Hagen hat sich sein Wissen selbst angeeignet, über YouTube, Bücher und viel Ausprobieren. „Ich bin überzeugt: Wenn man etwas lernen will, schafft man das in kürzester Zeit auch“, sagt er. Hagen hat das mehrmals bewiesen. Der gelernte Automobilkaufmann war später Inhaber eines Modelabels in München und Berlin.
Doch er vermisste die Kreativität in seinem Alltag. Sein neues Leben begann mit einem Damastmesser-Kurs. „Ich weiß gar nicht mehr genau, wie ich da draufgekommen bin. Danach wusste ich aber ziemlich schnell: Schmieden und Kurse anbieten, das möchte ich auch, das taugt mir total“, erzählt er.
„Schon als Jugendlicher hab’ ich gern was mit den Händen hergestellt. Ich hab’ dieses Talent und die Affinität dafür nur aus dem Blick verloren. Dabei ist mein Vater Werkzeugmacher und meine Mutter Lehrerin. Mein Job jetzt ist also lustigerweise eine Symbiose aus ihren Berufen.“
1.000 Grad und viele Hammerschläge
Dann geht es ans Eingemachte. Nachdem wir in den Griff noch drei Löcher für die goldenen Pins gebohrt haben – sie verbinden später Holz und Metall –, gehen wir in die Schmiede, ein Hütte neben der Werkstatt. Dort wird aus dem rechteckigen Stück Metall die Klinge. Die Esse läuft schon seit einer Weile.
1.000 Grad Celsius lassen sie im Innern neonrot leuchten. Dort wartet ein Gestell, in das Hagen nun das Messer legt. Nach ein paar Minuten würde ich sagen: Es ist jetzt durch. Glühend rot landet es auf dem Amboss. Der Schmied zeigt mir, was ich jetzt gleich zu tun habe: Das Ding mit einer Zange sehr gut festhalten, die Unterseite der Klinge nach oben drehen und dann mit dem dicken Hammer von links nach rechts und wieder zurück je zwei, drei Mal zügig und rhythmisch draufklopfen.
Das Metall wölbt sich dabei, deshalb dreht man das Messer zwischendurch auch auf die flache Seite und gleicht den Bauch mit ein paar Hammerschlägen aus. Bald ist das Metall zu kalt und muss zurück in den Ofen. Beim nächsten Mal darf ich ran.
Schwer liegt der Hammer in meiner behandschuhten Hand. Ich hole aus – und fühle mich bei den ersten Schlägen ziemlich ungelenk. Diese Bewegungen mache ich sonst nie!
Heiß, laut, entspannend
Das macht den Reiz eines solchen Kurses aus: Konzentriert mal etwas anderes machen, als Gegengewicht zum hektischen Alltag. Fachleute empfehlen genau das für echte Entspannung.
„Schneller“, schreit Hagen mir zu. Es ist nicht nur heiß, sondern auch laut und wir tragen sehr effektive Stöpsel in den Ohren. „Hier hin! Weiter rüber! Und jetzt nur die Spitze nach vorne! Gut!“ Messer wieder in den Ofen. Der nächste Durchgang läuft etwas runder.
Es braucht Zeit und Übung, bis Rhythmus, Dynamik und Kraft zu halbwegs sinnvollen Bewegungen werden können. Ich weiß nicht, wie lange wir das wiederholen, bei einer solchen Arbeit verliert man schnell das Gefühl für die Zeit.
Irgendwann brüllt der Messermentor: „Passt. Den Rest mach’ ich.“ Er schiebt das Metall mehrmals in eine riesige Hydraulikpresse, bis es richtig flach ist. „Wir würden das schon auch mit der Hand hinkriegen, aber du willst am Ende ja mit einem richtig schönen Messer heimgehen. Das klappt so einfach besser.“
Am Schluss packt Hagen mein Werkstück in einen Behälter voller Sand: „Die Klinge kühlt so langsam ab, dadurch bleibt sie flexibler und lässt sich im Anschluss besser weiter bearbeiten.“
Bis es so weit ist, machen wir Pause. Nicht immer die leichteste Übung für Hagen: „Ich bin ständig in Bewegung, auch geistig“, erzählt er. Deshalb sei sein Beruf inzwischen seine Berufung: „Schmieden und Kurse zu geben haben auf mich eine unglaublich beruhigende Wirkung. Wenn ich mich auf das Schaffen konzentrieren kann, wo jeder Schlag sitzen muss, dann habe ich den Kopf frei. Dieser Mix aus entspannter Monotonie, die es braucht, um im Rhythmus zu schmieden, und der körperlichen Arbeit, der tut mir gut.“
Auch die inzwischen nicht mehr ganz so neue Heimat hat es ihm angetan: „Für mich ist Schliersee ein Energieort: Wie die Berge und die Bäume aus dem See herauswachsen und wie sich der Ort einfügt, das ist in Sachen Naturharmonie nur schwer zu toppen.“
Zeit für Griff und Gebrauchshärte
Mit den Händen geht es weiter: Am Bandschleifer verjünge ich den Klingenkeil des abgekühlten Messers. Hagen klemmt ihn mir dafür im richtigen Winkel in eine Vorrichtung, ich muss das Ganze nur mit Druck hin und her bewegen. Easy! Danach braucht das Messer noch mal ordentlich Feuer unterm Stahl.
Die 800 Grad des Mini-Werkstattofens garantieren, dass das Werkstück die sogenannte Gebrauchshärte von rund 60 Rockwell bekommt. Danach tunkt es Hagen zum Aushärten schnell in ein Ölbad und legt es erneut in den Ofen. Diesmal reichen handelsübliche 200 Grad im Backofen. „Anlassen“ nennt sich dieser Prozess, der die Klinge flexibler macht.
Derweil habe ich die Qual der Wahl aus wunderbaren Hölzern für das Griffstück. Nach ein paar Minuten weiß ich: Es muss rotbraun schimmerndes Cocobolo aus Mittelamerika sein. Per Schablone transferiere ich die Umrisse aufs Holz und wage mich für den Zuschnitt an die Kreissäge.
Holz zu schneiden liegt mir und meinen Fingern definitiv mehr als harten Stahl voranzutreiben. Am Standbohrer bekommt das Holz noch die passenden Löcher für die Pins, dann ist das Messer zurück aus dem Backofen und erlebt mit der Verbindung von Griff, Pins und 5-Minuten-Epoxy seine „Hochzeit“. Den Griff bearbeite ich am Bandschleifer, bis er rund und symmetrisch ist. Prüfend gleiten meine Finger über das immer weicher werdende Holz, das ich im Anschluss mit Schmirgelpapier samtig schleife.