Tobias Enzl spielt seine Gitarre
Heimatsound mit vui Gfui

Tobi Enzl schreibt Lieder über das Leben, die Liebe und seine niederbayerische Heimat. Wir begleiteten den Mundart-Künstler bei einem Konzert, wanderten mit ihm zu einem besonderen Kraftort und erfuhren in Untergriesbach viel über ihn und seine Vorfahren. Und auch über das geheimnisvolle Guckloch der Lanzn-Marie im Herrgottswinkel

Lesezeit: 10 Minuten

Unterwegs mit dem Mundartsänger Tobi Enzl

An der Lichtung hält Tobi Enzl inne, auf halbem Weg zum Höhenberg. Zeit, an diesem Sonntagvormittag das Panorama zu genießen. Vor ihm breitet sich der Blick aus über Wiesen, Wälder, grüne Hügel. Ganz hinten links der Große Rachel, der zweithöchste Berg des Bayerischen Walds, und weiter rechts direkt an der tschechischen Grenze am Bergkamm vom Dreisesselberg der Bayerische Plöckenstein.

Weiter vorn spitzt der Kirchturm von St. Michael heraus. Dort liegt Untergriesbach, sein Heimatdorf. „Irgendwann tragt’s jeden wieder heim“, sagt der Tobi, dann summt er leise vor sich hin: „Des is heit, des is moagn, des bleibt dahoam ...“. Der Refrain aus seinem Lied „Dahoam“, einer Liebeserklärung an seine Heimat am Südrand des Bayerwalds.

Tobi Enzl beim Soundcheck: Gitarre stimmen, Lautstärke regeln, Drum-Effekte testen

Vom Hund Kowalski und schönen Augen

Tags zuvor einige Kilometer weiter in Wegscheid. Urlauber spazieren an diesem sonnigen Frühlingsspätnachmittag schnurstracks durch die Marktstraße zum Biergarten vom „Goldenen Löwen“. Nebenan in der „Cadro-Bar“ steht Tobi Enzl beim Soundcheck. Gitarre stimmen, Lautstärke regeln, das Pedal für die Drum-Effekte testen.

Nach und nach strömen die Gäste herein. Wirtin Erika, die den Laden im Herbst 2022 übernommen hat, schenkt Bier, Wein und Aperol Sprizz aus. Und wen der Hunger packt, dem schmiert die Erika auf einem Holzbrett für vier Euro ein Käsbrot samt Essiggurkerl als Garnitur. Mehr zum Essen gibt’s hier nicht, es ist alles sehr bodenständig und geerdet. Was gut passt zur Musik vom Tobi Enzl, dem Enzian, wie er sich auch nennt.

Gute zwei Stunden wird er später hier singen und zwischendrin Geschichten erzählen, Texte und Anekdoten aus seinem Leben, von der Liebe, von dahoam. Süffig, flüssig, mit Charme und Witz, manchmal erinnert er in seiner Art an den jungen Fredl Fesl.

Ein Lied ist Kowalski gewidmet, seinem Hund, einer Mischung aus Labrador und Australian Shepherd, das hat er ihm zum ersten Geburtstag geschrieben. Außerdem besingt er „Scheene Aung“, ein Mutmacher für alle, die in zu viel Schwermut und Melancholie versinken. Und natürlich darf der Titelsong seines aktuellen Albums nicht fehlen, der Song mit dem wunderschönen Namen „Blendig“.

Toib Enzl mit seinem Hund Kowalski
Die „Cadro-Bar“ in Wegscheid

Blendig – und ganz vui Gfui

Ein Kind von Freunden habe in seinem Beisein diesen herrlichen Begriff neu kreiert, schildert er kurz vor der Halbzeitpause seines Auftritts, als allgemeingültiges Synonym „für alles, was ihr super findet“. Ein Wort, das er nicht mehr aus dem Kopf brachte und das er gleich als Lied vertonte. Wie so vieles, das ihn beschäftigt, die schönen Dinge, die ihm widerfahren, wie auch die traurigen.

Wenn man sich nach dem Konzert umhört bei den sechzig Leuten an den Tischen, dann kann man gut heraushören, dass sich viele der Gäste wiederfinden in seinen Liedern: „Der trifft’s genau“,„Ganz authentisch“ oder einfach auch „Vui Gfui“.

Tu‘s oder lass es bleiben! Eine Art Lebensmotto von Tobi Enzl

Wie das mit ihm und seinem Heimatsound so richtig anfing, das erzählt Tobi am nächsten Tag beim Ausflug nach Gottsdorf, einem Gemeindeteil von Untergriesbach. Schon als Kleinkind war er oft hier, damals noch in der Kraxe seines Vaters, der ihn auf dem Buckel den Höhenberg hochtrug. Die sanfte Erhebung neben dem Ortsrand misst harmlose 120 Höhenmeter und ist doch ein ganz besonderer Kraftort für Tobi Enzl. Ein Platz, an dem er immer zur Ruhe kommt, wie er sagt.

Gitarre lernte er schon in Grundschulzeiten, später im Gymnasium schloss er sich der Bigband der Schule an, aber so richtig wohl fühlte er sich mit der Gitarre da nie. Jazz, das war nicht so das seine.

Der Forstweg führt durch ein kleines Waldstück. Tobi erzählt, wie er zur 8. Klasse auf die Realschule wechselte, nach dem Abschluss mit 17 nach Nürnberg ging und dort die Band „There is No Try“ gründete. Der Name ist angelehnt an ein Zitat des alten, weisen Yoda aus „Star Wars“: „Es gibt kein Versuchen!“ Kurzum: Tu‘s oder lass es bleiben! Wurde auch eine Art Lebensmotto von Tobi Enzl.

Tobi Enzl wandert auf der Höhenbergrunde mit seinem Hund Kowalski

Zwischen Heavy und Heimat: Vom Metal zur Mundart

Alternativer Hardrock bis hin zu Metal, schwere Riffs, Moshpits, englische Texte – das war der Sound der Band. Bis sich Tobi 2018 eine Auszeit nahm und zur Heuernte ging, auf einen Bergbauernhof in Südtirol. „Den ganzen Tag draußen auf dem Feld, körperlich waren‘s die anstrengendsten drei Wochen überhaupt“, sagt Tobi.

Das will was heißen, bei der durchtrainierten Statur, den wuchtigen 1,87 Metern und bei Tobis Vergangenheit als Ringer. Viele Jahre stand er für den SV Weiß-Blau Untergriesbach auf der Matte. Ein Traditionsverein, der Weltmeister und Gewinner von olympischen Medaillen in seinen Reihen hatte und kurze Zeit sogar in der Bundesliga kämpfte.

„Im Dialekt kannst‘ dein Gefühl eh am besten ausdrücken“

Damals im Ultental jedenfalls erzählte er der Bäuerin von seiner Liebe zur Musik, und dass er über seine Erfahrung gern ein Lied schreiben würde, dass ihm aber noch die richtige Inspiration für einen Text fehle, worauf seine Gastgeberin erwiderte: „Dann schreib’s doch in deiner Mundart. Im Dialekt kannst‘ dein Gefühl eh am besten ausdrücken.“ Neudeutsch würde man dazu sagen: Dieser Augenblick war ein Game-Changer.

Sänger Tobi Enzl mit einigen seiner Gäste in der Cardo Bar in Wegscheid

Debüt mit dem Bergbauern

Mit „Bergbauer“, einer Hommage an seine eigene Zeit dort und an das harte Leben als Landwirt in den Alpen, begann die neue Musik von Tobi Enzl, der seitdem drei Alben veröffentlichte, mittlerweile quer durchs Bayerische tourt – und 2023 bundesweit ins Fernsehen kam: mit dem Lied „Bierle in da Sun“ in „The Voice“.

Eine sonderbare Welt, in der sich Juroren wie Shirin David, Tom und Bill Kaulitz eher blasiert belustigten über die fremde Sprache des niederbayerischen Exoten. Giovanni Zarrella legte ihm ans Herz, sein Texten nochmals zu überdenken – Mundart sei doch eher etwas für eine kleinere Zielgruppe.

Vielleicht, mutmaßt Tobi, wäre er eine Runde weitergekommen, wenn er in Tracht aufgetreten wäre und rein optisch mehr altbackene Bayern-Klischees erfüllt hätte. Wollte er aber bewusst nicht. Sich verstellen und anpassen, das ist nicht er.

„Eine wichtige und gute Erfahrung“ sei es gewesen, sagt er. Und letztlich, das lässt er durchblicken, war das aber doch ein furchtbar alberner Schmarrn. Wer braucht schon The Voice, wenn er Untergriesbach hat. Von unten aus Gottsdorf tönt das 12-Uhr-Läuten nach oben.

Merchendise-Artikel von Mundartsänger Tobi Enzl aus Niederbayern
Wandergruppe auf dem Gipfelplateau des Höhenbergs mit Gipfelkreuz
Blick vom Höhenberg im Bayerischen Wald auf die ganze Breitseite österreichischer Alpengipfel

Vom Bayerwald zur Steiermark: Kraftvolles Berg-Panorama

Der ganze Reiz der Landschaft offenbart sich allein schon auf dem Gipfelplateau des Höhenbergs. Richtung Norden der Blick hinein in den Bayerwald. Im Süden die ganze Breitseite österreichischer Alpengipfel bis in die Steiermark. Berge, die auch die Uroma sah, wenn sie in Untergriesbach gleich hinter der Kirche aus ihrem Fenster schaute. Bis zum Schluss, sagt er, habe sie geglaubt, dass dahinter nichts mehr kommt. Dass dort die Welt ein Ende hat.

Ganz rechts, hinter Salzburg, der Watzmann. Tobis Lieblingsmassiv, das er schon zweimal überschritten hat. Den Berg hat er sich deswegen prominent eintätowieren lassen. Das Bildnis eines bayerischen Bergs, auf einem Mannsbild wie gemalt.

Zurück auf dem Rundweg Richtung Gottsdorf geht es über die Wallfahrtskapelle Kaltenbrunn, die einst an einer Quelle gebaut wurde, der eine heilende Wirkung gegen Augenleiden nachgesagt wurde. An der Mauer des kleinen Kircherls geht es auch um ernste Themen. Um seinen Bruder, der vor vielen Jahren nach Hamburg ging und schließlich den Kontakt zu seiner Familie daheim in Niederbayern abbrach. Ihm widmete Tobi erst vor einigen Wochen das Lied „Kimmst nimmer“.

Autor Florian Kinast und Sänger Tobi Enzl vor der Wallfahrtskapelle Kaltenbrunn

Benefizkonzerte für die kleine Miriam

Dann spricht er noch über die Miriam, ein inzwischen neunjähriges Mädchen aus der Umgebung, die am Rett-Syndrom leidet. Die durch einen Gendefekt bedingte Störung tritt fast ausschließlich bei kleinen Mädchen auf, die sich ab einem Alter von etwa einem Jahr nicht weiter, sondern nur zurückentwickeln und ihre motorischen, sozialen und kognitiven Fähigkeiten wieder komplett verlernen.

Miriams Schicksal beschäftigte Tobi so sehr, dass er immer wieder Benefizkonzerte veranstaltete und dabei Spenden von knapp 10.000 Euro für die Forschung an Behandlungsmethoden sammelte. Wie sagte er doch am Vorabend in der „Cadro-Bar“: „Manchmal wiss ma gar ned, wia guad‘s uns geht.“

„Manchmal wiss ma gar ned, wia guad‘s uns geht.“

Auf der letzten Etappe der Heimat-Tour geht es noch nach Untergriesbach. Auf ein Mittagessen im „Lanz“, dem alten Gasthaus am Marktplatz, schräg vis-à-vis vom Pongratz, dem früheren Kramerladen. Schnäpse, Schnupftabak und Süßigkeiten, alles habe es dort gegeben, erzählt der Tobi und weckt spontan Erinnerungen an Jim Knopf auf Lummerland und den Laden von Frau Waas, die ja auch alles hatte: Hustenbonbons, Alleskleber, Regenschirme, Leberkas.

Gegenüber im „Lanz“ jedenfalls saß schon Tobis Opa, den sie alle nur den Hausl Richard riefen. „Wenn er ned dahoam war, dann war er in der Wirtschaft“, sagt der Tobi, „und wenn du reingegangen bist, hast ihn erst g’hört und dann erst g’sehn.“ Weil er so ein großartiger Geschichtenerzähler gewesen sein soll, der Hausl, mit einem recht sonoren Organ.

Sänger Tobi Enzl im Wirtshaus „Lanz“ in Untergriesbach
Außenansicht des Wirtshaus „Lanz“ in Untergriesbach

Von der Kirche in die Wirtschaft: Nach dem Segen eine Halbe

Eine Institution war die Lanzn-Marie. Sie hatte jeden Sonntag von ihrem Ausschank durch ein Guckloch im Herrgottswinkel den Eingang der Kirche St. Michael fest im Blick. Wenn die Türe drüben aufging und die ersten Kirchgänger aus der Messe herausströmten, schenkte sie schon die ersten Gläser voll, damit die Halbe beim Eintreffen der Gäste noch mit einladender Schaumkrone frisch gezapft auf dem Tisch stand. Ein optimiertes Workflow-Management für noch größere Kundenbindung!

Die Lanzn-Marie gibt’s nimmer, dafür inzwischen eine schöne Terrasse auf dem Marktplatz. Für einen Liedtitel vom Tobi. Für das „Bierle in da Sun“.

Noch lange reihen sich alte Anekdoten aneinander, sie handeln auch von der alten erbitterten Rivalität zwischen den Röhrndlern, die in Untergriesbach unten in einer Senke wohnten, und den Marktlern im oberen Teil des Ortes, zwischen den „Drenteren“ und den „Heroberen“. Dann sagt der Tobi Servus, vielleicht ja auf bald. Bei einem Konzert in der Nähe. Irgendwo dahoam.

Beim Abschied aus Untergriesbach spitzen im Süden noch einmal die weißen Gipfel der fernen Berge hervor. Und dahinter hat die Welt ein Ende. Einfach blendig!
 

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