Barbara Häusler aus Oberstaufen beginnt ihren Tag als Dunstwickel-„Packerin“ für Gäste, die eine Schrothkur machen. Und abends unterhält sie die Kunden mit der Gitarre
Barbara Häusler, „Dunstwickel-Packerin“
Punkt vier Uhr morgens geht es los: Zeit zum Aufwachen für die Gäste im „Kurheim Geissler“ im Dörfchen Zell. Den Frühstart machen alle ganz freiwillig mit, denn sie haben eine Schrothkur gebucht: „Nein, mit Körnern oder geschrotetem Getreide hat das gar nichts zu tun“, sagt Barbara Häusler. „Dieses Naturheilverfahren aktiviert die Selbstheilungskräfte und stärkt den Körper.“
Das Morgenritual der Kur, die Johann Schroth (1798–1856) Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte, beginnt mit einem frisch gebrühten Lindenblütentee. Danach hüllen die Packerinnen und Packer, wie Barbara und ihre Kollegen genannt werden, die Gäste fachmännisch in einen „Dunstwickel“: unter dem Körper ein nasses Laken, Wärmflaschen an Füßen, Rücken und Bauch, darüber weitere Laken. Nun ist Ruhen angesagt – und Schwitzen!
Trinkverordnung mit Kurwein
„Das nasse Laken fühlt sich erst einmal sehr kalt an, es signalisiert dem Körper: Da stimmt etwas nicht. Ich muss aufheizen. Und das Nervensystem erkennt, dass es Vollgas geben muss“, erklärt die junge Allgäuerin die Wirkung. „So entsteht ein künstliches Fieber, verstärkt durch die Wärmflaschen und die Laken. Die Poren öffnen sich und Gifte können mit dem Schweiß aus dem Körper geschwemmt werden.“
Die Packung ist eine von vier Säulen einer Schrothkur
Die Packung ist eine von vier Säulen einer Schrothkur, die zwischen zwei und drei Wochen dauert und unter ärztlicher Begleitung stattfindet. „Die zweite Säule ist eine salzarme, zuckerfreie Ernährung ohne tierische Fette und Eiweiße“, sagt Barbara.
„Ein weiterer wichtiger Reiz ist die Trinkverordnung, die der Kurarzt für jeden Gast individuell erstellt. Inklusive Kurwein – aber der ist natürlich kein Muss.“ Die letzte Komponente ist Ruhe oder Bewegung, je nach Bedarf des Kurgastes. Möglichkeiten für beides findet man reichlich hier in Zell in Oberstaufen.
Mehr Kühe als Menschen
In Barbaras Heimatort lässt es sich aushalten. „Unser Dorf ist sehr klein, und es gibt hier mit Sicherheit mehr Kühe als Menschen“, sagt sie und lacht. „Alle zehn Minuten fährt mal ein Trecker durch, ansonsten hört man nur den Schlag der Turmuhr und das Plätschern des Brunnens.“
Die Zeller nennen sich stolz die „Ureinwohner des Allgäus“, denn ihr Ort wurde als erster in der Region bereits vor rund 1.200 Jahren urkundlich erwähnt. „Alle sind hier sehr familiär miteinander. Man kennt sich und unterstützt sich gegenseitig“, sagt Barbara, deren Familie seit Generationen in Zell lebt – anfangs als Landwirte, seit 1981 auch als Gastgeber und Anbieter der Schrothkur.
Reset-Knopf zum Stressabbau
„Die ersten drei Tage sind für jeden Kurgast eine Herausforderung“, gesteht Barbara – das weiß sie aus eigener Erfahrung, denn sie macht zweimal im Jahr selbst eine Schrothkur. „Wenn man so eingepackt auf dem Bett liegt, dann hat man keine Chance auf Ablenkung. Man muss sich mit sich selbst auseinandersetzen“, sagt sie. „Ich fühle mich danach konzentrierter, aufnahmefähiger und nicht mehr so träge.“
Die gelernte Hotelfachfrau und Kauffrau für Tourismus und Freizeit rät allen, die vorsorgen, runterkommen und entgiften möchten, zu einer Schrothkur – nicht nur älteren Gästen: „Viele junge ‚Schrothler‘ haben einen sehr stressigen Alltag und möchten den Reset-Knopf drücken. Oft erzählen sie, dass auch sie sich nach der Kur fitter und konzentrierter fühlen.“
Heimatverbundene „Zeller Fehl“
Barbara hilft nicht nur im Familienbetrieb mit, sondern arbeitet auch in der Touristeninformation. Kein Wunder, dass sie sich als „Zeller Fehl“, so der Allgäuer Dialekt für ein Mädchen aus Zell, besonders mit dem Ort und seinen Menschen verbunden fühlt:
„Heimat ist für mich da, wo meine Familie und meine Freunde sind. Es zieht mich nicht hinaus in die große, weite Welt, denn hier bin ich verwurzelt“, erklärt sie. „Dazu gehören für mich die traumhafte Landschaft, der Zusammenhalt, die Vereine, die Mentalität, die Gastfreundschaft und unsere Kultur.“
Alpenmusik mit Dreiklang
Nicht zu vergessen die Musik! Die Abende klingen im Ferienhof Geissler häufig mit volkstümlicher Alpenmusik aus: Barbara spielt dann gemeinsam mit ihrem Bruder für die Gäste – sie auf der Gitarre, er auf der Steirischen Harmonika, einer Art Akkordeon mit Knöpfen statt Tasten. „Manchmal singen wir auch dazu“, erzählt sie. „Mein Bruder nennt es dreistimmig: laut, falsch und mit Begeisterung. Aber es macht unheimlich Spaß.“
Die Gäste fangen dann oft an zu schunkeln, man stößt miteinander an und kommt ins Gespräch. „Für mich sind das immer die schönsten Abende“, schwärmt die musizierende Gastgeberin. Allzu spät wird es jedoch nicht, schließlich sind alle schon bald wieder verabredet – pünktlich um vier Uhr morgens.
Ausflugstipps von Barbara
Aussicht über das Allgäu
Einer meiner Lieblingsplätze ist die Muttener Höhe. Über einen verwurzelten Wanderweg kommt man zu einer Bank am Waldrand mit Blick über Oberstaufen und das Westallgäu – an klaren Tagen sogar bis nach Österreich und in die Schweiz. An diesem Platz bin ich unheimlich gerne, weil ihn noch nicht so viele Leute entdeckt haben.
oberstaufen.de
Wandern und Biken
Die Natur ist bei uns unbeschreiblich schön. Man kann sich auf unserem 360 Kilometer langen Netz aus Wanderwegen austoben und mit dem Fahrrad oder dem E-Bike aufbrechen. Im Sommer bieten wir auch geführte Fahrradtouren an, zum Beispiel rund um den Imberg.
Drei Bergbahnen
Gleich drei Bergbahnen sorgen in der Region für Abwechslung. Sie fahren zur Sonnenterrasse auf dem 1.834 Meter hohen Hochgrat, ins grenzüberschreitende Wandergebiet rund um den Imberg und aufs Hündle mit seinen vielen Attraktionen für Familien.
huendle-imberg.de | hochgrat.de
Winterspaß
Im Winter sollte man unbedingt die Langlaufloipen – zum Beispiel die Moos-, Kalzhofen- oder Thalkirchdorfer Loipe – ausprobieren, rodeln gehen oder an einer unserer Abendwanderungen auf beleuchteten Wegen durchs Dorf teilnehmen. Danach kann man im Erlebnisbad Aquaria entspannen.
aquaria.de
Feste feiern
Wir feiern das eine oder andere Fest, zum Beispiel das Schützenfest mit Musik und Allgäuer Bier oder das Grillfest im Nachbardorf, an dem wir im Juli und August mit unseren Gästen teilnehmen. Besonders gut kommt der Trachtenverein an, es wird gejodelt, Kinder schuhplatteln und Volkstanzgruppen treten auf. Sehr schön finde ich auch den Viehscheid, den traditionellen Almabtrieb im September.