Wolfgang Pusch ist europaweit der einzige Kunsthandwerker, der den detailgetreuen Reliefbau von Bergzügen und Gipfeln beherrscht. Ein Besuch im Atelier des früheren Gebirgsjägers in Bischofswiesen. Text und Fotos: Angelika Jakob
Wolfgang Pusch, der Gipfelkünstler
„Mit Flachland kann ich nichts anfangen,“ stellt Wolfgang Pusch klar, während er mit einem feuchten Pinsel einen Gletscher abstaubt. „Schroffe Wände, steile Anstiege, Kanten und Abbrüche, Felsnadeln und Gletscherflüsse, das alles begeistert mich.“
Der K2, nach dem Everest zweitgrößter Berg der Welt, steht vor ihm als etwa 60 Zentimeter hohes, halb fertiges Stufenmodell aus Gips im Maßstab von 1:15 000. Dahinter, auf zwei mit Gipsflecken gesprenkelten Computerbildschirmen ragen Ansichten des Achttausenders in den eisblauen Himmel über dem Karakorum.
Pusch schabt nun mit einer Drahtbürste an einem Geröllfeld, Gipsbrösel rieseln auf Tisch und Tastatur. Wenn man sich diese Bröcklein maßstabsgerecht vorstellt, hätte man es mit einem gewaltigen Steinschlag zu tun: Es würde Hochhäuser regnen! Der Modellbauer darf also auf keinen Fall schludern, ein falscher Schnitzer in eine Flanke oder Zinne bedeutet viele Meter am echten Berg, die dann nicht mit dem Modell übereinstimmen würden.
Formvollendet Berge schrumpfen
Niemand in Europa, vielleicht sogar weltweit, kann Berge so schön schrumpfen. Nur Wolfgang Pusch ist so versessen auf die bizarren Formen der Massive, dass er sich mit Podcast und Klavierkonzerten in seiner Werkstatt in Bischofswiesen eingräbt, bis seine kleinformatige Bergwelt bis in die letzte Karstrinne der echten gleicht.
Es ist ein einsamer Langstreckenlauf, an dessen Ende ein perfektes Objekt steht. „Ich meditiere über dem Berg, ich denke an nichts außer an den nächsten Schritt. So wie beim Klettern in einer schwierigen Wand dreht sich das Gedankenkarussell erst langsamer, später dann, wenn ich Glück habe, lässt es mich los. Es ist befreiend“, beschreibt er seine besten Momente.
14 Achttausender für Messners Museum
Steinerne Riesen aus aller Welt hat der 46-jährige Geodät und Geoinformatiker in den letzten zwanzig Jahren aufgetürmt: Zugspitze, Drei Zinnen, Ama Dablam, Eiger, Mönch und Jungfrau stehen fertig zur Auslieferung im Werkstattregal.
König Watze mit Frau und den fünf Watzmannkindern samt Königssee verkaufen sich auch in kleinen Maßstäben gut, für 50 bis 200 Euro sind sie zu haben. Tourismusbüros und Nationalparks bestellen große Modelle für ihre Besucherzentren, Hotels für die Foyers, Privatleute als Erinnerung an ihre abenteuerlichste Tour. Reinhold Messner präsentiert alle vierzehn Achttausender in seinem Museum in Firmian.
In der Kinderkraxe auf die Gipfel
„Ich habe immer schon Landkarten gemocht. Mein Vater hatte diese Karten dabei, auf denen die Höhenlinien eingezeichnet sind, wenn er mit mir im Karwendel wandern gegangen ist,“ sagt der Modellbauer und legt die Drahtbürste beiseite, „ich habe dann aus Pappmaschee und Gips meinen ersten Berg gebaut, schief und ungenau wahrscheinlich, aber egal, es war ein kleiner Berg, um den ich herumgehen konnte.
Berge als natürliche Kunstwerke, die durch unfassbare große Kräfte geformt werden
Die Idee hat mich nicht mehr losgelassen: Berge als Objekt. Berge als natürliche Kunstwerke, die in Jahrmillionen aus Sedimentgestein und durch unfassbare geologische Kräfte geformt werden. Ein Prozess, der niemals aufhört. Gerade jetzt sehen wir mit Bestürzung, wie schnell die Gletscher abschmelzen.“
Aus der Sicht der Dohlen
Eigentlich ist Wolfgang Pusch zu bescheiden, um so viel von sich zu erzählen. Er zeigt sein sympathisches, etwas schiefes Lächeln und geht zu dem Schwerlastregal, das die ganze Länge seines Ateliers in Bischofswiesen einnimmt. Er stemmt seinen Hausberg, den Watzmann, vom Regalbrett.
Über den schmalen Grat zwischen den drei Watzmann-Gipfeln, den er schon mindestens fünfzig Mal entlanggeturnt ist, kann er mit dem Finger streichen. Oder den Abstieg von der Südspitze ins Wimbachgries nachvollziehen. Bilder von der bizarren Schönheit der legendären Ostwand, die Aussicht auf den Königssee hat er für immer im Kopf. Pusch will aber mehr: einen Blick auf das Massiv, wie er nur den Dohlen vergönnt ist.
Süchtig nach Höhenluft
Den Bergsteiger und ehemaligen Gebirgsjäger sieht man ihm an, drahtig und muskulös steht er da, nicht groß, aber ganz gerade, seine Bewegungen sind effizient. Um mittags kurz mal Höhenluft zu atmen, rennt er entweder auf den Rauhen Kopf, den Grünstein oder die Brettgabel, dann geht es wieder hinunter zu Gips, Farbe und Sperrholz, zurück zur Arbeit an der dritten Dimension, die oft durchaus nicht das sei, was sie zu sein vorgebe.
„Wenn wir meinen, weit entfernte Berge dreidimensional zu sehen, sitzen wir einer Illusion auf. Weil wir wissen, dass die Welt nicht platt ist, spielt uns unser Gehirn einen weiten Raum vor. Nur bei nahe liegenden Szenen können wir räumliche Tiefe wahrnehmen. Wenn ich ein Relief habe, kann ich die ganze Form eines Gebirges erkennen und aus allen Winkeln bewundern.“
Blütezeit der Reliefs
Modelle von Landschaften, Festungsanlagen und Städten gibt es wohl schon sehr lange. Bekannt ist ein Relief des östlichen Alpenraumes, das der Habsburger Maximilian I. vor über 500 Jahren anfertigen ließ.
Weil wir wissen, dass die Welt nicht platt ist, spielt uns unser Gehirn einen weiten Raum vor
Die Blütezeit des Reliefbaus beginnt 1870, als ein Atlas mit Karten erscheint, die mit Höhenlinien ausgeführt sind. Damit konnten Topografen und Kartografen detaillierte dreidimensionale Landschaften erstellen.
„Der Säntis aus dem Jahr 1903 im Maßstab 1:5.000 ist das schönste Relief, das je geschaffen wurde“, schwärmt Wolfgang Pusch, „es ist nicht nur die für die damalige Zeit unglaubliche Präzision, die es zu einem Kunstwerk macht, es ist einfach schön. Technisch habe ich heute ganz andere Möglichkeiten: Die meisten Gebirgszüge sind durch Satelliten-Fernerkundung erfasst, Genauigkeit ist also kein Problem mehr. Nur Wind, Wolken und Düfte kann ich nicht darstellen.“
Schicht für Schicht zum Modell
Vaters Landkarten mit den Höhenlinien, die er so liebte, hat er durch Datenbanken ersetzt, in denen zu jeder Koordinate die zugehörige Höhe gespeichert ist, Satellitenbilder und Fotos besorgt er sich im Netz, Sperrholz, Schnitzwerkzeuge und Gips müssen her, eine Drahtbürste für Schrunden und Sandrinnen, grün gefärbter Sand, um Krüppellatschen wachsen zu lassen, Farbe und Polystyrol für Siedlungen.
Die Höhenlinien lässt er maßstabgerecht auf Papier ausdrucken und klebt sie auf Sperrholzplatten, die genau so dick sind wie die Abstände der Höhenlinien in diesem Maßstab zueinander. An diesen Linien entlang sägt er Schicht für Schicht schmale Streifen aus. Aufeinandergeklebt entsteht daraus eine Art hohler Schichtkuchenberg. Den dreht er um und gießt ihn mit Gips aus, um ein treppenförmiges Positiv zu erhalten.
Nun kann er mit der Feinarbeit beginnen und nach vielen Fotos die Details herausholen. Von diesem Original erstellt er eine Silikonmaske, mit der er Kleinserien produziert. Bei markanten und beliebten Bergen gibt es immer wieder Bestellungen. Trotzdem bleibt so ein Bergmodell Handarbeit, schon wegen der Bemalung.
Die Seele des Bergs
Für die digitale Konkurrenz, die mit 3-D-Druckern und programmierten Fräsen arbeitet, hat Wolfgang Pusch nur ein desinteressiertes Schulterzucken übrig: „Sie sind halt genau, das ist alles. Bei einem handgeschnitzten Relief hingegen kann ich hervorheben, was die Schönheit eines Berges ausmacht, seine Eigenheiten betonen, seine Seele sichtbar machen.“
Von der Schönheit der Berge hat Wolfgang Pusch genaue Vorstellungen. Spektakulär müssen sie sein, steil, felsig und wild. „Wild bedeutet, dass die Natur das Gegenteil von Zivilisation ist, von normaler Landschaft“, verlangt er, „so ein Gipfel steht für sich, ist majestätisch und lässt sich nur von wenigen erobern. Und nur für kurze Zeit. Wenn an einer Flanke Dutzende Meter dickes Eis hinunterfließen, eingerahmt von steilen, vereisten Felswänden, bin ich hin und weg. Das ist wild!“
Gerade haben seine blauen Augen noch vor Begeisterung geleuchtet, jetzt schielt er zum halb fertigen K2 hinüber und lacht sein etwas schiefes Lächeln. Dieses Mal bedeutet es, dass nun genug geredet worden ist. Wolfgang Pusch will endlich wieder sein Zwiegespräch mit dem Gletscher aufnehmen. Höhenmeter um Höhenmeter arbeitet er heraus, wie sich das Eis an den legendär schönen Gipfel schmiegt, starr, aber doch immer in Bewegung. Wenn man genau hinschaut, fließt auch der Gletscher an Puschs Modell. Man muss sich nur auf den Berg einlassen.