Schloss Neuschwanstein in Schwangau
Jenseits von Ettal

Die Deutsche Alpenstraße ist fast 500 Kilometer lang. Unsere Cabrio-Tour von Garmisch bis Lindau am Bodensee war garniert von Schlössern, Burgen, kunstreichen Kirchen, wunderbaren Seen und Almen. Eine Reportage von Markus Stein (Text) und Bernhard Huber (Fotos)

Lesezeit: 12 Minuten

Cabrio-Tour zwischen Zugspitze und Bodensee

Adieu Zugspitze! Schön war's. Ein letzter Blick in den Rückspiegel und die Reise geht los. In Richtung Westen, immer die Deutsche Alpenstraße entlang bis zum Bodensee. Der zitronengelbe Käfer macht sich bereit zum Klettern. Brummt im zweiten Gang ab Oberau bergwärts, gewinnt an Höhe.

Kaum ist der Vierzylinder-Boxermotor warm geworden, darf er wieder verschnaufen. Oben, nach dem Ettaler Sattel, leuchtet die eindrucksvolle Fassade der berühmten Benediktinerabtei im Sonnenschein.

Von Kaiser Ludwig dem Bayern 1330 gegründet, erlebte Kloster Ettal vor allem im 17. und 18. Jahrhundert seine Blütezeit als Wallfahrtsort. Ziel der Frommen war und ist die sogenannte Ettaler Madonna, eine Marienstatue aus weißem Marmor. Sie soll aus Pisa stammen.

Nach einem Brand 1744 wurden Kirche und Kloster neu errichtet. Es entstand ein Meisterwerk des Rokoko mit herrlichen Fresken, Stuck und Statuen. Wie es sich für ein bayerisches Kloster ziemte, produzierten die Ettaler Mönche ihr eigenes Bier und „Liqueure“ … und tun dies heute noch.

Oben, nach dem Ettaler Sattel, leuchtet die eindrucksvolle Fassade der berühmten Benediktinerabtei im Sonnenschein
Mit dem zitronengelben Käfer Cabrio auf der Deutschen Alpenstraße im Graswangtal unterwegs

Hightech-Grotte anno 1878

Die frische Luft des Ammertals weht kurz um die Nase, dann wartet wenige Kilometer abseits der Alpenstraße, im Graswangtal, die nächste Premium-Sehenswürdigkeit: Schloss Linderhof. Die aus einem königlichen Försterhäuschen geborene „Königliche Villa“ ist das einzige größere Schloss, das Märchenkönig Ludwig II. ausgiebig genießen konnte. Das im Stil des Neorokoko erbaute Linderhof gilt als Lieblingsschloss des Monarchen.

Einzigartig ist die künstliche Venusgrotte mit Tropfsteinen und Wasserfall im Schlossgarten. Sie erinnert, je nach Beleuchtung, an die Blaue Grotte von Capri oder an ein Szenenbild aus der Wagner-Oper „Tannhäuser“.

Und sie ist ein technisches Bravourstück: Die Dynamomaschinen, die ab 1878 für die elektrische Beleuchtung sorgten, gelten als eines der ersten bayerischen Elektrizitätswerke! Für das Blau der Capri-Grotte, ein künstlich hergestelltes Indigo, wurde BASF mit einem kaiserlichen Patent aus Berlin belohnt.

Bibelspiel und Herrgottsschnitzer

Bleiben oder fahren? Bleiben und dann weiterfahren! In den Ammergauer Bergen locken viele Unternehmungen. Etwa gemütlich im Tal der Ammer wandern. Oder –etwas anspruchsvoller – die Tour zum knapp 1.600 Meter hohen Pürschling in Angriff nehmen. Regelrecht fordernd ist die Besteigung der Großen Klammspitze oder der Kreuzspitze.

Wohin man schaut: Wallendes Haupthaar und ungezähmte Bärte

Mancher lässt sich lieber in einer nostalgischen Gondel zum Laber hinaufschaukeln, hoch über dem weltbekannten Passionsspielort Oberammergau. Alle zehn Jahre findet dort unten das traditionsreiche Bibeltheater statt, bei dem das halbe Dorf mitmacht, mit wallendem Haupthaar und ungezähmten Bärten. Die 42. Passionsspiele finden übrigens vom 14. Mai bis 2. Oktober 2022 statt.

Doch auch in den Jahren dazwischen, wenn die Friseure die Frisuren pflegen und die Bärte kürzer sind, lohnt ein Bummel durch den Ort mit seinen lüftlmalereiverzierten Häusern und Herrgottsschnitzer-Schaufenstern.

Kühe am Straßenrand der Deutschen Alpenstraße
Rokoko-Juwel und Weltkulturerbe: Die Wieskirche in Steingaden

Himmlische Momente

Der gelbe VW-Oldie nimmt wieder Fahrt auf, vorbei an Bad Bayersoien und seinem See, mit Kurs auf Wildsteig. Kurzer Blickkontakt mit einer Kuh am Straßenrand. Ruhig liegt sie auf der Weide und kaut wieder und sieht dabei sehr zufrieden aus. Kein Wunder bei der Aussicht!

Weit reicht der Blick über den kleinen Schwaigsee auf die alpine Bergwelt am Horizont, davor sanft gewellte Hügel. Hinter einem dieser Buckel verbirgt sich ein ganz besonderes Rokoko-Juwel, Monument bayerischer Volksfrömmigkeit und Weltkulturerbe: die Wieskirche bei Steingaden. Die Wallfahrtskirche steht auf einer kleinen Anhöhe inmitten einer Wiese, man sieht sie schon von Weitem.

Der helle, ovale Kirchenraum ist in kräftigen, warmen Farben gehalten, reich dekoriert und ausgeschmückt. Alles ist künstlerisch von höchster Qualität, strahlt Leichtigkeit und Heiterkeit aus. Und das trotz oder gerade wegen des einigenden Themas der Kirche: der Erlösung des Menschen durch die Leiden und den Tod Christi.

Die bayerische Ikone

Bald nach Steingaden wechseln die Kühe auf den Weiden ihr Outfit: von scheckig zu uni braun bis grau. Ein untrügliches Zeichen – der Käfer rollt ins Allgäu. Und das zieht gleich seinen größten Tourismustrumpf.

Schon aus der Ferne ist der Anblick ein Hammer, vor wildromantischer Bergkulisse stürmt der auf einem Felssporn schwindelerregend hoch aufragende Bau in den Himmel, weiß leuchtend, mit all seinen Türmen, Balkonen, Giebeln und Zinnen: Schloss Neuschwanstein, der Traum von einer Ritterburg, geträumt von König Ludwig II. Die bayerische Schlossikone ist ein Magnet für Heerscharen von Besuchern.

Schloss Neuschwanstein in Schwangau
Die Raubritterburg auf dem Falkenstein bei Pfronten
Luitpold Scholl in der Oberen Hammerschmiede in Bad Oberdorf
Oberjoch Passstraße: Deutschlands kurvenreichste Straße

Ein Traum von einer Raubritterburg

Doch der Märchenkönig wollt es noch doller treiben. Was hat mehr Wumms und Kühnheit als eine Ritterburg? Richtig, eine Raubritterburg. Und eine solche plante Ludwig auf dem steilen Falkenstein bei Pfronten.

Noch märchenhafter, noch trutziger und noch weltentrückter! Doch daraus wurde leider nichts. So blieben dort die Reste einer alten Burg, in knapp 1.300 Meter Höhe, erhalten.

Wer hätte gedacht, dass König Ludwig noch eine Raubritter-Burg wollte?

Aus dem Tal führen Wanderpfade herauf, auch eine Mautstraße gibt es. Für Gäste steht unterhalb der Ruine ein Hotel mit Restaurant bereit. Man kann auf einer Felsenterrasse in Liegestühlen chillen, vielleicht bei einem Drink des schwermütigen Monarchen gedenken und auf jeden Fall die Aussicht genießen. Im Osten erkennt man Neuschwanstein und bei guter Sicht die Zugspitze. Wie hätte das dem Kini gefallen!

Hellebarden zu Bratpfannen!

Das enge, steile Sträßchen zum Falkenstein haben Cabrio und Fahrer auf den Geschmack gebracht und Appetit geweckt auf einen größeren Leckerbissen: die Haarnadelkurven von Oberjoch hinab nach Bad Hindelang. Mit zehn Spitzkehren, 106 Kurven auf 20 Kilometern und über 300 Höhenmetern Deutschlands kurvenreichste Straße!

Bad Hindelang liegt im Ostrachtal, eingebettet im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Die Region ist ein Paradies für Wanderer. In den höheren Lagen wurde früher Eisenerz gefördert, an der Ostrach entstanden zahlreiche Hammerschmieden.

Drei davon gibt es noch. In der Oberen Hammerschmiede, die von einem großen Wasserrad angetrieben wird, ist der junge Luitpold Scholl am Werkeln. Die großen Hämmer machen einen ohrenbetäubenden Lärm.

Freundlicherweise nimmt der Schmied fürs Foto kurz den Ohrenschutz ab. „Im Mittelalter wurden hier Waffen für Soldaten hergestellt, etwa Hellebarden und Spieße, später dann Werkzeuge, heute machen wir nur noch Eisenpfannen“, erzählt der Handwerker in einer Pause. „Auch gab es viele Almbauern, die in Bad Hindelang im Winter als Nagelschmiede arbeiteten“, sagt Scholl noch, bevor die Hämmer wieder auf den Amboss schlagen ...

Senner Peter Haslach aus Gunzesried
Brotzeit auf der „Sennalpe Gerstenbrändle“

Viele Kräuter veredeln den Käse

Eine rustikale Eisenpfanne ist goldrichtig für die stilechte Präsentation von Allgäuer Kässpatzn. Den besten Käse dafür findet man ein paar Kilometer weiter hinter Sonthofen in einem wunderschönen ruhigen Seitental. „Unser Käse ist ein Naturprodukt aus Rohmilch“, erklärt Peter Haslach von der Sennerei im Gunzesrieder Tal, einer unserer Bayern-Botschafter.

„Im Käse spiegelt sich die Kulturlandschaft wider, das Wetter – und die Laune des Käsers“, fügt er lachend hinzu. Zwölf Bergbauern aus dem Tal liefern die Milch für den Gunzesrieder Käse. Es sind kleine Höfe mit zehn bis fünfundzwanzig Kühen.

„Der Käse spiegelt die die Laune des Käsers wider“

Dazu gehört die „Sennalpe Gerstenbrändle“ weiter hinten im Tal. Familie Endreß betreibt die hübsch gelegene Alm mit Bewirtung, ein geraniengeschmücktes Schindelhaus mit Gästezimmern. Von der Weide freundliches Kuhschellengeläute.

„Unser Braunvieh ist im Sommer Tag und Nacht draußen und frisst nur Gras und Kräuter“, verrät die junge Bäuerin Alexandra, „darum schmeckt die Milch auch so gut!“ Familie Endreß stellt auch eigenen Käse her. Die Alpe inmitten des Naturparks Nagelfluhkette ist Ausgangspunkt für zahlreiche Wanderungen.

Der Große Alpsee im Allgäu bei Immenstadt
Der Skywalk im Allgäu mit Aussichtsturm

Aufs oder ans Wasser

Wer den Alpenstraßen-Asphalt gegen See- oder Flusswellen tauschen möchte, tut dies am besten rund um Immenstadt. Dort fährt man mit einem Raftingboot die Iller hinab oder mit dem Leih-SUP über den Großen Alpsee, den auch die Kitesurfer und Segler schätzen.

Schwimmen geht natürlich auch! Ein ebenso außergewöhnliches wie kaltes Wassererlebnis wartet nach einstündiger Wanderung ab Steibis, südlich von Oberstaufen, in einer Waldschlucht. Dort fallen die Buchenegger Wasserfälle über Felsstufen in zwei riesige Becken.

Den See und mehr seh’n!

Unser Ziel Lindau rückt näher. Die Landschaft öffnet sich und gibt Blicke übers Land frei. Bei Lindenberg sehen wir im Westen einen blauen Fetzen: ein Stück vom Bodensee. Für den ganz großen Überblick sollte man den Baumwipfelpfad Skywalk Allgäu beschreiten und auf den Aussichtsturm klettern.

Die Rundum-Panorama-Schau reicht bei guter Sicht von der Lindauer Bucht im Westen über die Spitzen des Ulmer Münsters im Norden, die Nagelfluhkette und Oberstdorfer Berge im Osten bis zum Bregenzerwald im Süden!

Die Buchenegger Wasserfälle südlich von Oberstaufen

Letzte Serpentinen zum Ziel

Ein letztes Mal Kurvenfeeling und durch Serpentinen brummen, 400 Höhenmeter den Rohrach-Anstieg hinab. Die gesamte Alpenstraße läuft nochmals wie ein Film vorm inneren Auge ab. Abschiedsblues. Arm- und Beinmuskeln werden das tägliche Training an der schwergängigen Lenkung und der trägen Trommelbremse vermissen und das laute Röhren des Boxermotors wird fehlen. Na ja, ein bisschen …

Einfahrt in die Inselaltstadt von Lindau, Zielfoto auf der Hafenpromenade. Im Hintergrund ragen Bayerischer Löwe und Leuchtturm aus dem Wasser. Glücklich und zufrieden steht er nun da, der zitronengelbe Oldie. Und auch ein bisschen stolz. Gut gemacht, kleiner Käfer!

Zielfoto auf der Hafenpromenade in Lindau im Bodensee
Roadbook Oldtimer Allgäu: Oberjochpass: Zehn Spitzkehren und 106 Kurven auf 20 Kilometern

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