Die Pfeifen im Hinterteil der Pferde bleiben immer unbemalt
Arschpfeiferl statt „made in China“

Christbaumschmuck made in China? Nein danke. Lieber traditionelles, handgefertigtes Holzspielzeug. Unser Tipp für das adventliche Shopping? Berchtesgadener War – authentisch und nachhaltig. Wir besuchten den Schnitzer Stefan Grassl in seiner Werkstatt

Lesezeit: 10 Minuten

Berchtesgadener Arschpfeifenrössl

Mitten im Ortszentrum von Berchtesgaden, gegenüber vom Kongresshaus, grüßt unübersehbar ein blau gekleidetes Manderl auf einem roten Pferd, dem etwas aus dem Hinterteil ragt: Eine überdimensionale Pfeife bildet den Schweif des Rosses.

Damit setzt der Bilderbuch-Ort zu Füßen des Watzmanns einer Tradition ein Denkmal, die sich vom äußersten Südwesten Bayerns einst über halb Europa verbreitet hatte: Grob geschnitztes und bunt bemaltes Holzspielzeug aus Berchtesgaden war vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein ein wahrer Exportschlager, allen voran die „Arschpfeifenrössl“ oder auch kurz „Arschpfeiferl“.

Dann kam das Blechspielzeug und drängte die sogenannte Berchtesgadener War aus dem Markt. Doch der ortsansässige Künstler Anton Reinbold kam vor über 100 Jahren auf die pfiffige und rettende Idee, die Arschpfeiferl, Fatschenkindl, Kreisl-Mandl und Co. als Weihnachtsschmuck an den Christbaum zu hängen.

Historische Berchtesgadener War auf Schloss Adelsheim

Etwas Echtes am Baum

Heute erlebt die Berchtesgadener War eine Renaissance und verziert, aufgefädelt auf roten Wollfäden, rund um den Königssee Adventskränze und Christbäume. „In den letzten Jahren hat das immer mehr zugenommen“, sagt Stefan Grassl, der die Rösser, Steckvögel und Kutschen in seiner Werkstatt in Ramsau noch von Hand fertigt. „Die Leute mögen gerne etwas Echtes am Baum, nicht nur Glitzer und Lametta.“

Wieder in Mode: handgefertigte Rösser, Vögel und Kutschen

Kaufen kann man die handbemalten Holzfiguren direkt am Schlossplatz im Laden der „Berchtesgadener Handwerkskunst“ in der um 1510 erbauten, ehemaligen Fronfeste sowie im Heimatmuseum im Schloss Adelsheim.

Mehr als 500 Jahre alt ist die Tradition der Berchtesgadener Handwerkskunst, die vor allem auf den abgelegenen Bauernhöfen der Region in langen, kalten Wintern entstand. Da die Einwohner das Recht hatten, sich in einem ausgewiesenen Waldgebiet mit Holz zu versorgen, entwickelte sich ab dem 15. Jahrhundert ein einträgliches Handwerk, das nach einem strengen Zunftwesen geregelt war.

Export in alle Regionen Europas

Hölzerne Haushaltswaren, Holzspielzeug und filigrane Spanschachteln wurden zum Verkaufsschlager und von sogenannten Verlegern in fast ganz Europa und bis nach Kleinasien vertrieben. Mit hoch aufragenden Kraxen trugen Hausierer die Berchtesgadener War in die Welt.

Der bekannteste unter ihnen war Anton Adner, der noch als Hundertjähriger durch Bayern, Österreich und die Schweiz gewandert sein soll. Sein Ehrengrab ist auf dem Alten Friedhof in Berchtesgaden zu finden, Carl Spitzweg setzte der im Jahr 1822 verstorbenen Legende mit seinem Gemälde „Der Kraxenträger in der Schlucht“ ein Denkmal.

Das Pferd wird aus heimischem Lindenholz gefertigt
Die Pfeifen sind aus Bergahorn und Buchenholz gefertigt

18 Teile für ein Pferd

Was Adner in seiner Kraxe trug, unterscheidet sich nicht wesentlich von den kleinen Kostbarkeiten, die Stefan Grassl heute noch in seiner Werkstatt herstellt. Jedes einzelne Teil schneidet er mit Hilfe einer Schablone aus heimischem Lindenholz aus („Des is schön weich“) und verfeinert es mit dem Schnitzmesser.

Achtzehn Miniatur-Elemente braucht es beispielsweise, bis so ein Arschpfeifenrössl komplett ist, von Ross und Reiter nebst Feder auf dem Kopf bis hin zu den Rädern, Achsen und Splinten – denn rollen soll das Ross schon können, auch wenn es heute eher unbeweglich am Weihnachtsbaum hängt.

Pfeifen aus hartem Bergahorn

Zum Schluss bekommen die Figuren ihre fröhlichen Farben. Die Rösser bemalt Grassl in einem leuchtenden Orange, mit einem daumengroßen Schwämmchen werden weiße Muster aufgetupft. Die Reiter sind meist tannengrün oder kornblumenblau. Oft setzt Grassl auch Stempel ein, mit denen er auf einfache Art und Weise ein vielfältiges Blumenmuster auf Karren oder einer Kutsche entstehen lässt.

Nur die Pfeifen im Hinterteil der Pferde bleiben immer unbemalt. Sie sind aus hartem Bergahorn, gerade mal so lang wie ein kleiner Finger, und bekommen ihren Klang durch ein rundes Stück Buchenholz, das in die fertig gedrehte und aufgebohrte Pfeife geschoben wird. Denn reinpfeifen und sich am Ton erfreuen soll man schon, ganz so wie früher.

Die Rösser bemalt Grassl in einem leuchtenden Orange
Die Rössl pfiffen früher durch zahllose Bauernstuben

Berchtesgadener War im Museum

Es pfeift, hell und schrill. Und das war ja auch der Zweck der Sache. „Lärmbrauch“ nennt Friederike Reinbold vornehm die Lust am Krachmachen. Schließlich schepperten und pfiffen die Rössl früher durch zahllose Bauernstuben, geschoben und gezogen von Generationen von Kindern.

Vom Exportschlager zum Ladenhüter und zurück

Auf Schloss Adelsheim bewahrt sie die schönsten Exemplare der historischen Berchtesgadener War, zu der auch Puppenmöbel und Grillenhäusl gehörten, in denen die Kinder im Sommer die zirpenden Insekten hielten – sicherlich angenehmere Geräusche als die von Rasseln und Pfeifen.

Aber wenn sie am Christbaum hängen, pfeift ja keiner auf den Arschpfeifenrössl. Dann sehen sie nur hübsch aus, schön bunt und stolz mit der Feder am Kopf und der Pfeife als Schweif. Friederike Reinbolds Großvater Anton war es übrigens, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee hatte, die Berchtesgadener War an den Weihnachtsbaum zu hängen.

Und heute? Freut man sich darüber, dass es das noch gibt: kleine, handgemachte Figuren, die dem Weihnachtsbaum eine persönliche Note geben. Auf dem Berchtesgadener Christkindlmarkt sind sie selbstverständlich – auch in Übergröße – die Attraktion.

Auch Puppenmöbel gehörten zur
Auch mit den historischen Rasseln und Tröten wurde gern Lärm gemacht

Mehr Tipps für Berchtesgaden

Die Pfarrkirche St. Andreas (links) und die Stiftskirche St. Peter und Johannes der Täufer (rechts)

10 Berchtesgaden-Tipps

Was sollte man außer Königssee, Jenner und Obersalzberg in Berchtesgaden und Umgebung noch sehen?

weiterlesen
Berchtesgadener Altstadt mit Hirschenhaus (links) und Marktbrunnen

Zwischen Watzmann und Jenner

Berchtesgaden bietet Besuchern einen tollen Mix aus Bergpanorama und Altstadtflair. Perfekt für einen Tagestrip mit Aperitivo auf dem Schlossplatz

weiterlesen
Filmreif Berchtesgadener Land: Die Filme rund um die Familie Trapp entstanden am Königssee

Klappe, Berchtesgaden!

Zu Füßen des Watzmann wurden Thriller, Krimis und berühmte Hollywoodszenen gedreht. Wir stellen die Region etwas genauer vor, nicht nur für Cineasten

weiterlesen
Auftakt zur musikalischen Schlossführung in der Gotischen Halle des

Sopran unterm Hirschgeweih

Der Berchtesgadener Advent bietet besondere Highlights: Mehr über Christkindlmarkt, das Christkindl-Anschießen und musikalische Schlossführungen

weiterlesen
Spiegelsee im

Glück auf!

Eine fantastische Erlebnistour: Tief im Inneren des Berchtesgadener Salzberges wartet eine verborgene Welt darauf, erforscht zu werden

weiterlesen
Regionen auswählen
Kategorien auswählen

Mehr zu Brauchtum und Tradition

Fischstand auf dem Christkindlmarkt auf der Fraueninsel im Chiemsee

Fisch statt Kitsch

Christkindlmarkt mal anders: An den ersten beiden Adventswochenenden verwandelt sich die Fraueninsel im Chiemsee in ein romantisches Wintermärchen

weiterlesen
Stadtschloss im fränkischen Treuchtlingen bei Nacht

Haizahn unterm Tannenbaum

Unser Tipp zur Adventszeit in Franken? Auf nach Treuchtlingen. Auf der dortigen Schlossweihnacht gibt es neben Met und Hollertrunk tolle Geschenkideen

weiterlesen
Geigenbauerin Hannah M. Lobe lackiert eine Geige in der Werkstatt in Bubenreuth

Elvis, Beatles, Deep Purple & Bubenreuth

Geigen und Gitarren für Elvis oder die Beatles kommen aus dem fränkischen Bubenreuth. Ein Besuch beim Geigenbaumeister Günter Lobe und dessen Tochter

weiterlesen
Leonhardiritt: Vorreiterin Ramona Pauli auf Kaltblutpferd Paul

Hoch zu Ross…

Jeden ersten Novembersonntag ziehen Reiter und Gespanne zum Leonhardifest durch Aigen am Inn, einem alten Ortsteil des bekannten Kurorts Bad Füssing

weiterlesen
Hagen Dittmar steht neben einem Boxsack

Meines Glückes Schmied

Nahe des Schliersee zeigt Hagen Dittmer seiner Kundschaft, wie man aus Stahl ein hochwertiges Messer schmiedet. Unsere Autorin wagte den Selbstversuch

weiterlesen
Verkleidete Männer und Frauen als Brautpaar, Pfarrer und Ministranten auf dem Misthaufen bei der Bettelhochzeit in Ascholding

Hochzeit auf dem Misthaufen

Die Ascholdinger feiern nur einmal in zehn Jahren ihre Bettelhochzeit. Dann machen sie alles verkehrt und lassen es gehörig krachen. Wir waren dabei

weiterlesen

Post aus Bayern

Hol dir aktuelle Tipps zu Reportagen, Reiseberichten und Events aus erster Hand!