Die Weihnachtszeit hat in Berchtesgaden ganz individuelle Noten. Stadtbesuch mit Knalleffekt, Kettensägen und einer musikalischen Schlossführung
Advent in Berchtesgaden
Von wegen stade Zeit! In den letzten Tagen vor Weihnachten ist auf den Hügeln über Berchtesgaden die Hölle los. Wer keine Ohrenstöpsel dabei hat, sollte sich nicht zu nah an den Akteuren des „Christkindl-Anschießens“ heranwagen. Was klingt wie ein blasphemischer Mordversuch, hört sich auch so an, ist aber immaterielles Kulturerbe im Freistaat.
Christkindl-Anschießen – Ballern an der Kapelle
Eine Woche vor Heiligabend geht es los. Täglich um 15 Uhr sind an der Kirchleitn-Kapelle dann in Tracht die Weihnachtsschützen aufgereiht, die nacheinander ihre historischen Handböller zünden, aus Holz geschnitzte und üppig verzierte Riesenpistolen, deren Lauf mit Schwarzpulver vollgestopft ist. Die Explosion schießt dabei weiße Wolken aus den Vorderladern, der Donner pflanzt sich fort durchs Tal, hinauf zum Watzmann und hallt als Echo lange nach.
Der Krach hat Tradition, die vier Jahrhunderte zurückreicht. Im gesamten Alpenraum versucht man bekanntermaßen seit eh und je, in den längsten Nächten des Jahres den ollen Winter zu vertreiben – mit Masken und Ketten, Glocken und Feuer. In der Version „Buttnmandl“ und „Ganggerl“ treiben im Berchtesgadener Land Gestalten in Fell und Stroh ihr Unwesen. Das Buttnmandl- und Kramperllaufen findet an den Adventssonntagen statt.
In Berchtesgaden kam im 17. Jahrhundert zudem die Idee auf, die kalte Jahreszeit und all die bösen dunklen Geister einfach wegzuballern. Was heute geliebtes Brauchtum ist, galt der Obrigkeit lange als heidnische Randale. Erst die Einbindung in die christliche Tradition der Vorweihnachtszeit sorgte für „Feuer frei!“ mit festem Terminkalender und schrägem Namen.
Die Berchtesgadener Knall-Variante von „Wir warten aufs Christkind“
Das tägliche „Christkindl-Anschießen“ wurde so zur Berchtesgadener Knall-Variante von „Wir warten aufs Christkind“ und startet am 17. Dezember. Das Weihnachtsschießen findet am 24. Dezember vor der Christmette statt, von halb zwölf bis Mitternacht. Während der Wandlung sind dann nochmals sechs Schüsse zu hören.
Die 3.100 Berchtesgadener Weihnachtsschützen, die in siebzehn Vereinen organisiert sind, lassen sich natürlich auch den Silvesterspaß nicht nehmen: Um 15 Uhr verabschieden sie das alte Jahr und begrüßen das neue von 24 bis 0.15 Uhr sowie mehrere Male am Neujahrstag. Dagegen ist das Discounter-Böllersortiment made in China ein lächerlicher Plopp!
Christkindlmarkt – Lichterglanz überm Nebelmeer
Es ist übrigens eine gute Idee, nach dem Spektakel noch ein bisschen beim beleuchteten Christbaum an der hübschen Kirchleitn-Kapelle zu verweilen. Der Platz bietet zum Sonnenuntergang den ziemlich besten Blick auf Berchtesgaden und die Bergwelt – dann in buchstäblich himmlischer Ruhe! Nachdem das Rot überm Watzmann erloschen ist, kriecht an diesem Abend vom Königssee kommend eine Nebelbank durchs Tal, umfließt das Städtchen, das bald wie eine Insel aus Tausenden Lichtern darüber emporragt.
Eine bessere Einstimmung auf den „Berchtesgadener Advent“ kann es kaum geben. So heißt der Christkindlmarkt mit seinen fünfzig Ständen. Er ist verteilt auf das ganze historische Zentrum der Stadt und liebevoll kitschbefreit. Statt Weihnachtsmänner und Mariah Carey besinnt man sich zwischen Stiftskirche, Schloss und unter den Fassaden der historischen Bürgerhäuser eher auf regionale Traditionen, Schmankerl und Bräuche.
Zu erwerben ist dabei auch der ausgefallene Christbaumschmuck, Berchtesgadener War genannt. Vor allem die traditionellen Arbeitsgeräte der Bauern werden dabei im Miniaturmaßstab aus Holz nachgebildet: Hornschlitten, Leiterwagerl und Butterfassl, dazu auch Trompeten und das bekannte Arschpfeifenrössl.
Mittlerweile gibt es auch zeitgemäße Anhängsel: Bierkästen und sogar Kettensägen sind im Angebot. Die bis zwei Meter großen Holzfiguren, die den Christkindlmarkt an verschiedenen Stellen zieren, stehen allerdings nicht zum Verkauf. Ebenso wenig wie der riesige Christbaum vor der Veranstaltungshalle Alpen Congress, der mit überdimensionaler War geschmückt ist.
Derart eingestimmt kann’s weitergehen zum „Advent im Schloss“. Die musikalische Führung durchs propere Anwesen findet an den Adventssonntagen jeweils um 15 und 17 Uhr statt.
Advent im Schloss – Konzert für Prinzessinnen
Beim Termin am frühen Abend indes kommen die Hunderte von Kerzen, die Berchtesgadens königlichen Ansitz bei der Veranstaltung erleuchten, noch besser zur Geltung. Das gemütliche Schummerlicht in der gotischen Halle, den langen Gängen und opulenten Sälen ist furchtbar romantisch und nimmt dem Bau gleich das Museale. Man hat das Gefühl, als seien die kleinen Prinzessinnen gerade erst umhergehuscht.
Im 12. Jahrhundert als Chorherrenstift gegründet, dient das Schloss seit 1810 als Sommerresidenz der Wittelsbacher. Bei der Führung wird erzählt, wie Irmingard von Bayern, die 1923 im Schloss Berchtesgaden geboren wurde, als Kind Weihnachten erlebte. Und falls es damals eine ähnlich schöne musikalische Begleitung gab, wie sie heutzutage Franziska Brandner beisteuert, muss das ein traumhaft schönes Weihnachten gewesen sein.
Die Sopranistin aus Berchtesgaden freut sich jedes Mal aufs Schloss: „Akustik und Ambiente sind einfach wunderbar“, schwärmt sie, darum macht sie auch im Sommer hier musikalische Führungen. Die Adventausgabe startet in der Gotischen Halle, wo das „Ave Maria“ von Gounod die lange Treppe hinab zu den Zuhörern unter die kathedralenhaften Gewölbe fließt.
„Akustik und Ambiente sind einfach wunderbar“
Im unteren Fletz (Flur) aus dem 16. Jahrhundert singt Brandner „Es ist ein Ros entsprungen“, das ebenfalls zur Zeit der Renaissance von einem unbekannten Komponisten ersonnen wurde. Im Musiksalon gibt’s „Tu virginum corona“ von Mozart.
Im großen Speisesaal, der festlich gedeckt ist, als würden die Herrschaften jeden Moment Platz nehmen, ist mit „Mille cherubini in coro“ ein in Italien bekanntes Weihnachtslied zu hören. Zur Kapelle, die nur bei den Adventsführungen zu besichtigen ist, passt „Gesu Bambino“, bei uns bekannt als „Oh lasset uns anbeten“.
Auf den knarzenden alten Dielen im Dekanatsgang sollte man sich besser nicht bewegen, wenn „Maria durch den Dornwald ging“ gegeben wird. Die Führung schließt in der Gotischen Halle mit „O holy night“, einer Komposition aus dem 19. Jahrhundert
Überhaupt geht es rund um den Berchtesgadener Advent sehr musikalisch zu. Ein Highlight ist dabei das Adventsingen im „Alpen Congress“, wenn echte alte Volksmusik auf Theater-Höchstleistungen trifft: Die „Riederinger Hirtenbuam“ geben dabei die biblische Weihnachtsgeschichte zum Besten.
Musikgenuss gibt’s aber auch als Open-Air-Event: Jeden Samstag und Sonntag im Advent legen um 14.30 Uhr die Turmbläser im Glockenturm der Stiftskirche los. Das ist zwar nicht so laut wie das Christkindl-Anschießen, dafür umso heimeliger!