Christbaumschmuck made in China? Nein danke. Lieber traditionelles, handgefertigtes Holzspielzeug. Unser Tipp für das adventliche Shopping? Berchtesgadener War – authentisch und nachhaltig. Wir besuchten den Schnitzer Stefan Grassl in seiner Werkstatt
Berchtesgadener Arschpfeifenrössl
Mitten im Ortszentrum von Berchtesgaden, gegenüber vom Kongresshaus, grüßt unübersehbar ein blau gekleidetes Manderl auf einem roten Pferd, dem etwas aus dem Hinterteil ragt: Eine überdimensionale Pfeife bildet den Schweif des Rosses.
Damit setzt der Bilderbuch-Ort zu Füßen des Watzmanns einer Tradition ein Denkmal, die sich vom äußersten Südwesten Bayerns einst über halb Europa verbreitet hatte: Grob geschnitztes und bunt bemaltes Holzspielzeug aus Berchtesgaden war vom 16. bis ins 19. Jahrhundert hinein ein wahrer Exportschlager, allen voran die „Arschpfeifenrössl“ oder auch kurz „Arschpfeiferl“.
Dann kam das Blechspielzeug und drängte die sogenannte Berchtesgadener War aus dem Markt. Doch der ortsansässige Künstler Anton Reinbold kam vor über 100 Jahren auf die pfiffige und rettende Idee, die Arschpfeiferl, Fatschenkindl, Kreisl-Mandl und Co. als Weihnachtsschmuck an den Christbaum zu hängen.
Etwas Echtes am Baum
Heute erlebt die Berchtesgadener War eine Renaissance und verziert, aufgefädelt auf roten Wollfäden, rund um den Königssee Adventskränze und Christbäume. „In den letzten Jahren hat das immer mehr zugenommen“, sagt Stefan Grassl, der die Rösser, Steckvögel und Kutschen in seiner Werkstatt in Ramsau noch von Hand fertigt. „Die Leute mögen gerne etwas Echtes am Baum, nicht nur Glitzer und Lametta.“
Wieder in Mode: handgefertigte Rösser, Vögel und Kutschen
Kaufen kann man die handbemalten Holzfiguren direkt am Schlossplatz im Laden der „Berchtesgadener Handwerkskunst“ in der um 1510 erbauten, ehemaligen Fronfeste sowie im Heimatmuseum im Schloss Adelsheim.
Mehr als 500 Jahre alt ist die Tradition der Berchtesgadener Handwerkskunst, die vor allem auf den abgelegenen Bauernhöfen der Region in langen, kalten Wintern entstand. Da die Einwohner das Recht hatten, sich in einem ausgewiesenen Waldgebiet mit Holz zu versorgen, entwickelte sich ab dem 15. Jahrhundert ein einträgliches Handwerk, das nach einem strengen Zunftwesen geregelt war.
Export in alle Regionen Europas
Hölzerne Haushaltswaren, Holzspielzeug und filigrane Spanschachteln wurden zum Verkaufsschlager und von sogenannten Verlegern in fast ganz Europa und bis nach Kleinasien vertrieben. Mit hoch aufragenden Kraxen trugen Hausierer die Berchtesgadener War in die Welt.
Der bekannteste unter ihnen war Anton Adner, der noch als Hundertjähriger durch Bayern, Österreich und die Schweiz gewandert sein soll. Sein Ehrengrab ist auf dem Alten Friedhof in Berchtesgaden zu finden, Carl Spitzweg setzte der im Jahr 1822 verstorbenen Legende mit seinem Gemälde „Der Kraxenträger in der Schlucht“ ein Denkmal.
18 Teile für ein Pferd
Was Adner in seiner Kraxe trug, unterscheidet sich nicht wesentlich von den kleinen Kostbarkeiten, die Stefan Grassl heute noch in seiner Werkstatt herstellt. Jedes einzelne Teil schneidet er mit Hilfe einer Schablone aus heimischem Lindenholz aus („Des is schön weich“) und verfeinert es mit dem Schnitzmesser.
Achtzehn Miniatur-Elemente braucht es beispielsweise, bis so ein Arschpfeifenrössl komplett ist, von Ross und Reiter nebst Feder auf dem Kopf bis hin zu den Rädern, Achsen und Splinten – denn rollen soll das Ross schon können, auch wenn es heute eher unbeweglich am Weihnachtsbaum hängt.
Pfeifen aus hartem Bergahorn
Zum Schluss bekommen die Figuren ihre fröhlichen Farben. Die Rösser bemalt Grassl in einem leuchtenden Orange, mit einem daumengroßen Schwämmchen werden weiße Muster aufgetupft. Die Reiter sind meist tannengrün oder kornblumenblau. Oft setzt Grassl auch Stempel ein, mit denen er auf einfache Art und Weise ein vielfältiges Blumenmuster auf Karren oder einer Kutsche entstehen lässt.
Nur die Pfeifen im Hinterteil der Pferde bleiben immer unbemalt. Sie sind aus hartem Bergahorn, gerade mal so lang wie ein kleiner Finger, und bekommen ihren Klang durch ein rundes Stück Buchenholz, das in die fertig gedrehte und aufgebohrte Pfeife geschoben wird. Denn reinpfeifen und sich am Ton erfreuen soll man schon, ganz so wie früher.
Berchtesgadener War im Museum
Es pfeift, hell und schrill. Und das war ja auch der Zweck der Sache. „Lärmbrauch“ nennt Friederike Reinbold vornehm die Lust am Krachmachen. Schließlich schepperten und pfiffen die Rössl früher durch zahllose Bauernstuben, geschoben und gezogen von Generationen von Kindern.
Vom Exportschlager zum Ladenhüter und zurück
Auf Schloss Adelsheim bewahrt sie die schönsten Exemplare der historischen Berchtesgadener War, zu der auch Puppenmöbel und Grillenhäusl gehörten, in denen die Kinder im Sommer die zirpenden Insekten hielten – sicherlich angenehmere Geräusche als die von Rasseln und Pfeifen.
Aber wenn sie am Christbaum hängen, pfeift ja keiner auf den Arschpfeifenrössl. Dann sehen sie nur hübsch aus, schön bunt und stolz mit der Feder am Kopf und der Pfeife als Schweif. Friederike Reinbolds Großvater Anton war es übrigens, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Idee hatte, die Berchtesgadener War an den Weihnachtsbaum zu hängen.
Und heute? Freut man sich darüber, dass es das noch gibt: kleine, handgemachte Figuren, die dem Weihnachtsbaum eine persönliche Note geben. Auf dem Berchtesgadener Christkindlmarkt sind sie selbstverständlich – auch in Übergröße – die Attraktion.