Amberg besticht mit mittelalterlichem Flair und zahlreichen Kunstschätzen. Der Wald rund um die Wallfahrtskirche Maria Hilf leuchtet im Herbst besonders schön. Eine hohe Brauereidichte und gastliche Wirtshäuser machen den Genuss perfekt
Stadttour durch Amberg
Morgenlicht fällt in den Raum. Seltsam, das kleine Fenster in Über-Kopf-Höhe ist vergittert. Die rau verputzten Wände sind hell und kahl. Die Tür aus massiven alten Balken ist mit Eisen beschlagen. Schrecksekunde – sieht ja aus wie in einer Gefängniszelle? Gottlob, jetzt fällt’s dem Reporter wieder ein. Nein, er hat keine goldenen Löffel gestohlen und wurde deshalb eingebuchtet, sondern er hatte das leicht skurrile Vergnügen, sich in den „offenen Schlafvollzug“ im Hotel „Fronfeste“ zu begeben.
Das einstige Landgerichtsgefängnis beherbergte fast 300 Jahre lang, von 1699 bis 1966, schwere Jungs. Der turmartige Gebäudekasten ist Teil der Amberger Stadtmauer. „Als ich erstmals durch das Gebäude gegangen bin, wusste ich, das sieht ja aus wie ein Hotel“, schwärmt Hotelier Gerald Stelzer.
Über sechs Jahre haben er und seine Mitstreiter das Kittchen renoviert, dabei mit dem alten Gemäuer und dem Denkmalschutz gerungen. 2013 wurde das Themenhotel eröffnet. „Zeitweise haben wir jeden Tag zehn Stunden geschuftet – heute würde ich mir das nicht mehr antun …“, lacht der Hotelier. Das „Zimmer“-Angebot reicht von der Einzelzelle bis zur Suite, der ehemaligen Wohnung des Gefängnisdirektors. Das Hotel wurde mit einem Denkmalschutzpreis ausgezeichnet.
Flussabwärts Eisen, flussaufwärts Salz
Es ist Vormittag geworden. Ein sonniger Herbsthimmel spannt sich über der Stadt und den mehr als 40.000 Einwohnern. Amberg liegt in der mittleren Oberpfalz, etwa 60 Kilometer östlich von Nürnberg und 50 Kilometer nördlich von Regensburg. Die Vils, ein rechter Zufluss der Naab, fließt von Norden nach Süden durch die Stadt.
Langsam treibt die Plätte flussabwärts. Abgelegt hat das flache Boot an der Schiffbrücke, einer überdachten Holzbrücke. Das Boot hat einen Motor, ist ansonsten aber historischen Kähnen nachempfunden. Diese transportierten im Mittelalter Eisenerz und Eisen aus der Region, die heute oft als das „Ruhrgebiet des Mittelalters“ bezeichnet wird, zum Fernhandel an die Donau.
Gezogen von Pferden, brachten die Plätten dann Salz zurück. Der Handel machte die Amberger Bürger reich. Zumal die Stadt an einer zweiten Handelsroute lag, der Goldenen Straße. Sie verlief von Ost nach West zwischen Prag und Nürnberg.
Amazonas-Feeling auf der Vils
„Die Fahrten waren so wichtig, dass die Amberger Dispens vom Papst einholten für Sonntagsfahrten“, erzählt Hans-Martin lächelnd. Der hoch aufgewachsene IT-Berater ist Plättenkapitän, begeisterter Hobby-Historiker und darüber hinaus Stadtführer.
Kaum hat die Plätte die Altstadt verlassen, dringt sie, so scheint es, in Dschungel ein. Mussten früher die Anwohner die Ufer freihalten für die Treidelfahrten, so wächst hier heute ein Dickicht aus Gräsern, Büschen und Bäumen. Aufgeschreckte Enten flüchten schnatternd davon. Eine blau schillernde Prachtlibelle tanzt in der warmen Herbstluft. Im Wasser spiegelt sich das bunte Laub in gelb, rot und braun. Hier und da tauchen Äste ein in den ruhigen Fluss.
Die Fahrt hat das ehemalige Gelände der Landesgartenschau zum Ziel und dauert etwa eine halbe Stunde. Zurück in die Altstadt schippert man wieder per Boot oder spaziert am Ufer dieses „bayerischen Amazonas“ entlang.
Das Wahrzeichen? Die Stadtbrille!
„Mein liebster Moment ist es, wenn wir wieder auf die Altstadt zusteuern und der Turm der Martinskirche hinter der Stadtbrille auftaucht“, sagt Hans-Martin. Das Stadttor, das sich mit zwei Bögen über die Vils wölbt – durch Spiegelung im Wasser entsteht die typische Brillenanmutung –, und der weithin sichtbare Kirchturm sind Wahrzeichen der Stadt. Die Kirche Sankt Martin wurde um 1500 von den stolzen Bürgern erbaut. Sie ist nach dem Regensburger Dom das größte und bedeutendste gotische Bauwerk der Oberpfalz.
Amberg wird 1034 erstmals urkundlich erwähnt, archäologische Funde weisen auf eine jahrtausendealte Besiedelung hin. 1269 geht die Stadt an die Wittelsbacher. Diese teilen 1329 ihren Besitz: Die Bayerische Linie erhält Altbayern, die Kurpfälzer Linie (1214 fiel die Kurpfalz an die Wittelsbacher) die Rheinpfalz und Gebiete im bayerischen Nordgau. Amberg wird zum Regierungssitz dieser „Oberen Pfalz“, die der „Unteren Pfalz“ um Heidelberg gegenübersteht.
Big Party: Die Amberger Hochzeit
Eine wuchtige Stadtmauer umgibt noch heute in weiten Teilen die ovale Altstadt, das „Amberger Ei“. Man kann außer- oder innerhalb der Mauer herumspazieren und immer wieder schöne Ecken und Winkel entdecken. Ein besonderes Schmuckstück ist das charaktervoll-trutzige Nabburger Tor.
Ein Mega-Event sorgte in Kurpfälzer Zeit für viel Aufsehen: die Amberger Hochzeit 1474, als der pfälzische Kurprinz die Tochter des Herzogs von Bayern-Landshut heiratete. Die Party dauerte fünf Tage und galt als Vorbild für die Landshuter Hochzeit ein Jahr später. Tausende Liter Wein flossen durch die Kehlen. Am Marktplatz wurde sogar eine Häuserzeile abgerissen, damit die Herren Ritter mehr Platz hatten für ihr Turnier!
Winterkönig und Industrie 4.0
Während der Reformation wechselt in Amberg, in Abhängigkeit vom jeweiligen Herrscher, fünfmal die Konfession: von katholisch zu protestantisch zu calvinisch und wieder zurück. In den Anfängen des Dreißigjährigen Kriegs dann wird der in Amberg geborene Kurfürst Friedrich V. als Führer der Protestantischen Union 1619 zum König von Böhmen gekrönt. Doch 1620 besiegt der katholische Herzog Maximilian von Bayern seinen Vetter Friedrich in der berühmten Schlacht am Weißen Berg. Daraufhin flieht der als „Winterkönig“ verspottete Friedrich.
Die Obere Pfalz fällt als Kriegsbeute zurück an Bayern, Amberg wird endgültig katholisch. Ein Großteil der Oberschicht verlässt die Stadt, ein wirtschaftlicher Niedergang folgt. Im Jahr 1810 wird dann der Sitz der Oberpfälzer Regierung nach Regensburg verlegt.
Mit dem Anschluss ans Eisenbahnnetz im Jahr 1859 setzt in Amberg das Industriezeitalter ein. 1883 wird das Hochofenwerk Luitpoldhütte errichtet, kurz darauf die Emaillefabrik Baumann gegründet, die ihr Blechgeschirr weltweit vertreibt. Heute ist Amberg Standort der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) und Heimat erfolgreicher mittelständischer Firmen. Spezialist für Zukunftstechnologien und Industrie 4.0 ist das Siemens- Elektronikwerk Amberg (EWA).
Highlights von Gotik bis Rokoko
„Am besten, man bringt Zeit mit, um in Muße die Stadt zu genießen, denn es gibt viel zu entdecken“, empfiehlt Hans-Martin, als die Passagiere an der Anlegestelle aussteigen. „Amberg hat aus jeder Epoche seit der Romanik eine Perle zu bieten“, so der Stadtführer.
Sankt Martin steht für die Gotik, die Renaissance repräsentiert die Regierungskanzlei, ein Gebäudekomplex aus Sandstein. Ein barockes Monument ist die Bergkirche Maria Hilf hoch über der Stadt, nach Plänen von Wolfgang Dientzenhofer errichtet und von Cosmas Damian Asam freskiert. Der Spaziergang hinauf zur Wallfahrtskirche unter dem gefärbten Blätterdach von Eichen und Buchen ist ein Muss. Ein herrlicher Blick auf Amberg belohnt für den 150-Höhenmeter-Aufstieg.
Jedes Jahr im Sommer zieht es Tausende Besucher hinauf zu dem weithin bekannten Bergfest, das rund um Mariä Heimsuchung am 2. Juli gefeiert wird, mit Andachten, Bratwürsten und Bier. Die sogenannte Schulkirche schließlich leuchtet landesweit als Rokoko-Juwel. Nicht zu vergessen die „Glaskathedrale“, ein Glasfabrik-Industriebau aus den 1960er-Jahren und letztes Meisterwerk von Bauhaus-Architekt Walter Gropius.
Weltweit einmalig: Das Luftmuseum
Amberg, eine der besterhaltenen mittelalterliche Stadtanlagen Europas, atmet nicht nur Geschichte. In der Altstadt weht auch ein frischer Wind. Und das im wahren Sinn des Wortes. Auf Initiative des Künstlers Wilhelm Koch wurde in einem ehemaligen Schlösschen an der Vils das Luftmuseum eingerichtet.
Koch hatte sich bereits während seines Studiums intensiv mit der Luft als bildnerischem Material beschäftigt und zum Beispiel verschlungene Skulpturen aus aufgepumpten Schläuchen geformt.
„Wir möchten Luft sichtbar und hörbar, erlebbar und begreifbar machen“, so der Künstler. Und das anhand von Kunst, Architektur, Design und Technik. Und dass dabei Witz und Ironie à la Marcel Duchamp oder Karl Valentin nicht zu kurz kommen, wird beim Rundgang schnell klar. „Das ist unser Haustier, psst, sie schläft noch“, flüstert Koch und deutet mit bierernster Miene auf einen Glaskasten. Eine bunte Luftschlange hat es sich gemütlich gemacht …
Acht Sonderausstellungen im Jahr ergänzen die Dauerausstellung, die viele originelle und witzige Objekte zeigt, darunter eine Luftdusche oder einen Luftballon, der auf einer Leiter punktgenau von Stufe zu Stufe geblasen wird. Amberg trägt mittlerweile den offiziellen Titel „Luftkunstort“.
So schmeckt die Oberpfalz im Herbst!
In unmittelbarer Nachbarschaft flussabwärts wurde gleich fünf alten Häusern ein neues Leben eingehaucht. Liebevoll restauriert, bietet dort das „Bootshaus“ Gästen fünfzehn Zimmer und vier Suiten. Das Restaurant serviert moderne Oberpfälzer Küche wie beispielsweise Dotsch (Kartoffelpuffer) mit Grünkohl, Hirse und Mandeln.
Der Clou: die drei überdachten Terrassen-Plattformen. Über der Vils genießt man so open air das Ambiente mit einem Hauch Venedig. „Wir verleihen an unsere Gäste auch Kajaks für individuelle Spritztouren auf der Vils, jetzt im Herbst ist das besonders schön“, so Chefin Eva Bogner.
Traditionelle kulinarische Genüsse verspricht das „Casino“, ein Oberpfälzer Wirtshaus par excellence. Seit Jahren wird es vom „Slow Food Genussführer“ empfohlen. Vor fast 200 Jahren hatten Amberger Bürger ein Civil-Casino als Pendant zum Offizierscasino gegründet. Das Wirtshaus, in den Räumen einer ehemaligen Kirche untergebracht, empfängt seine Gäste in einem großzügigen, dunkel getäfelten Gastzimmer.
Man kocht ehrlich ohne industrielle Vorprodukte und macht jeden Sonntag die Erdäpfelknödel selbst. Klar, im Herbst kommt Wild auf die Speisekarte. „Wir bekommen das Wild direkt vom Jäger, zerlegen es aber selbst“, erklärt Wirt Hans Graf, „wir verwerten das ganze Tier, auch die Innereien, bereiten sie als ‚sauren Wildaufbruch‘ zu.“
Neben Aktionsbieren von kleinen Brauereien aus Franken und der Oberpfalz wird natürlich das Bier der angestammten Amberger Brauerei Kummert ausgeschenkt. Insgesamt gibt es in der Stadt sechs inhabergeführte Brauereien. Sie bieten ein breites Spektrum an Bieren: Helles, Dunkles, Weizen, Märzen, Bockbier und mehr. Ein weiterer guter Grund, Amberg –nicht nur im Herbst – zu genießen!