Römer, Reichsstadt, Renaissance. Das romantische Städtchen Weißenburg ist die reinste Zeitmaschine. Die schmucke Altstadt begeistert Fachwerk-Fans, die vorbarocke Festung Wülzburg ist eine Rarität und der Römerschatz einzigartig
Weißenburg: Welche Sehenswürdigkeiten kann man sehen und erleben?
Ein letztes Mal. Reitersoldat Mogetissa betritt die Zinnen des Nordtors im Kastell Biriciana. Im Hintergrund Stimmen von Soldaten, das Wiehern ihrer Pferde. Die 500 Mann starke Garnison ist am Raetischen Limes stationiert und sichert das neu eroberte Territorium nördlich der Donau.
Mogetissa blickt in die Ferne, vor ihm die endlosen Wälder Germaniens. Fest hält er das Diplom in seinen Händen, 16 mal 13 Zentimeter groß und aus Metall. Es bekundet die ehrenvolle Entlassung nach 25 Dienstjahren und verleiht ihm Römisches Bürgerrecht. Andere sollen jetzt die Barbaren in Schach halten.
Er wird heute früher Dienstschluss machen, in den Thermen relaxen und später in einer Kneipe des Vicus, der Zivilsiedlung, feiern.
So oder so ähnlich könnte es gewesen sein. Fest steht, es ist das Jahr 107 nach Christus und Reitersoldat Mogetissa tritt in den verdienten Ruhestand. Gesichert ist auch, dass 150 Jahre später Alemannen das Kastell zerstören und die Römer an die Donau zurückdrängen werden. Gras wird über die Fundamente wachsen und erst viel später rundherum das Städtchen Weißenburg entstehen.
Lukanerwurst und Knoblauchkäse
Bekanntlich führen alle Wege nach Rom. Doch um in die Welt der Antike einzutauchen, muss man gar nicht so weit reisen. Auch Bayern birgt Spuren aus der Römerzeit.
Weißenburg beispielsweise, zwischen Altmühltal und Fränkischem Seenland gelegen, bietet mit dem Limes-Infozentrum, Kastell Biriciana und den Römischen Thermen ein breites Spektrum an Zeugnissen. Highlight ist das Römermuseum mit einem einzigartigen Römerschatz.
Am besten, man stärkt sich vor dem Antike-Trip im Museumscafé. Gemütlich sitzen die Gäste auf der kleinen „Piazza“, dem Doktor-Martin-Luther-Platz, unter den orangefarbenen Sonnenschirmen oder im Schatten der Kirche St. Andreas.
Wer die 178 Treppen des Kirchturms hinaufklettert, wird mit einem Rundumblick über das Städtchen belohnt. Auf Vorbestellung serviert das Café stilgerecht römische Snacks wie Lukanerwurst (mit Weinraute und Pinienkernen), Moretum (Knoblauchkäse) oder Mulsum (Würzwein). Im Westen zieht die alte Lateinschule, ein wunderschönes Fachwerkhaus mit ockerfarbenen Balken, die Blicke auf sich.
Schmelztiegel Weißenburg
Das Café betreibt Mathias Meyer, alteingesessener Weißenburger, Buchhändler und Kultureventmanager. Sein Museumstipp: „Man sollte unbedingt das Militärdiplom des Mogetissa beachten, ein eher unscheinbares Bronzetäfelchen, das im Museum an einer Wand hängt. Es ist der Wahnsinn, dass man daraus die Biografie eines einfachen Soldaten aus der Römerzeit herauslesen kann. Mogetissa ist quasi der erste Weißenburger, den wir mit Namen kennen! Das Diplom ist wegen seines gut erhaltenen Zustands schon etwas Besonderes.“
Übrigens, der Reitersoldat entstammte den keltischen Boiern, seine Reitereinheit wiederum, die „Ala I Hispanorum Auriana“, kam aus Spanien. Tja, die Welt war halt auch damals schon klein.
Preziosen aus dem Spargelbeet
Im Museum faszinieren vor allem, geheimnisvoll beleuchtet, die 114 Bronzestücke des Römerschatzes. Mit undurchdringlicher Miene schauen da drei Reitermasken den Besucher an – eine unheimliche Begegnung der antiken Art! Fantastisch die siebzehn kunstvollen Götterstatuetten.
Würdevoll präsentiert sich die Creme der Götterschar trotz Schrumpfung auf circa 30 Zentimeter, die Damen mit umgeworfener Toga, die Herren mit durchtrainiertem Body: Apollo, Juno, Minerva, Merkur, Herkules und Venus, Letztere, wie Zeus sie schuf. Dazu silberne Votivtafeln sowie Alltägliches: Weinkannen, Tischleuchter, Bratpfannen und sogar ein Klappstuhl aus Eisen.
Gefunden hat den Schatz 1979 ein Bürger von Weißenburg, als er in seinem Garten ein Spargelbeet vergrößern wollte. Welche Gottheit da ihre allmächtige Hand im Spiel hatte?
Ein Traum aus Fachwerk und alten Mauern
Sprung ins Mittelalter. Der Name „Weißenburg“ taucht erstmals 867 auf als karolingischer Königshof „Uuizzinburg“. Im 13. Jahrhundert dann Aufstieg zur Stadt im rechtlichen Sinn, 1338 Nennung als Reichsstadt: Weißenburg untersteht damit nur dem Kaiser und ist weitgehend autonom. Blütezeit im 14. Jahrhundert. Es wird viel gebaut, unter anderem die Kirche St. Andreas. 1530 Beitritt zum evangelischen Bekenntnis. Plünderungen und Brandschatzungen im Dreißigjährigen Krieg. 1802 schließlich dank Napoleon Anschluss an Bayern!
Den Atem der Geschichte spürt man auf Schritt und Tritt. Die Altstadt von Weißenburg ist gut erhalten und überschaubar. So spaziert man in nur einer Stunde um die Stadtmauer herum — im Mai blühen im Stadtgraben Flieder und Kirschbäume. Auf dem Seeweiher, dem einzigen mit Wasser gefüllten Abschnitt, glitzert das Sonnenlicht. Dann durchs schöne mit Wappen geschmückte Ellinger Tor in die Stadt.
In der Stadt kann man sich treiben lassen. Man passiert prächtig herausgeputzte Fachwerkhäuser, die Balken in vielen Farben, grau, braun, gelb und ocker bis rot, oft in kunstvollem Muster angeordnet. Ständig ergeben sich neue Blicke auf einen Turm, in romantische Ecken oder Gassen.
Auffallend sind die vielen kunstvollen Ausleger: schmiedeeiserne Schilder, die von den Hauswänden in die Straßen ragen. Hier eine Breze, da eine Krone, Rose oder Glocke. Kaum zu verfehlen der Marktplatz mit dem gotischen Rathaus und die Luitpoldstraße mit ihren Bürgerhäusern. Ein Päuschen dann im grünen Klostergarten mit einem Brunnen.
Süßes Start-up und Römertee als Souvenir
Spätestens jetzt ist ein Kaffee-Stopp fällig. Im „Café Retiro“, „einem Coffeeshop in spanisch-italienischem Stil“, so Barista Christian, wird selbst gerösteter Kaffee gebrüht. Wer ein Mitbringsel sucht, wird im Tee- und Gewürze-Eck „Lux“ fündig. Wie wär’s mit Römertee? „Der liegt kräftig rot in der Tasse und enthält viel Hibiskus und Beeren“, so die junge Chefin Anna-Katharina.
Regionale Angebote sind Holunderprodukte aus Franken oder Nudeln und Walnuss-Spezialitäten aus dem Altmühltal. Und wer auch seiner Haartracht Gutes tun will: Barbier Arben Lumi, Preisträger der International Barber Awards und Inhaber des Herrensalons Schneider nahe dem Römermuseum, verschönert jeden Mann. „Die Römer trugen keinen Schnurrbart, sie kannten nur Kinn- und Backenbart“, verrät er über den Beauty-Style der römischen Männer.
Weißenburg kann auch Lebkuchen
Besondere Leckerbissen kreiert Bäckermeister Frank Schiesl. Lange Zeit Hausmann, hat er vor Jahren begonnen, im Keller Elisen-Lebkuchen zu backen. „Wir benutzen nur zum Teigrühren eine Maschine, alles andere machen wir in Handarbeit.“ Elisen-Lebkuchen enthalten mindestens 25 Prozent Nüsse und höchstens zehn Prozent Mehl.
„Welche Gewürze wir nehmen, bleibt natürlich geheim“, sagt der Bäckermeister lächelnd. „Wichtig ist vor allem hochwertige Kuvertüre, keine billige Schokolade.“ So entstehen außergewöhnliche Köstlichkeiten wie Dattel-, Macadamia- oder Sanddorn-Lebkuchen. Sein Start-up, als Hobby gedacht, boomt so sehr, dass Schiesl nun ein eigenes Gebäude für die Manufaktur baut.
Wülzburg: Top-Adresse für Fledermäuse
Beim Gang durch Weißenburg fällt gelegentlich der Blick auf die Mauern der Wülzburg („wilde Burg“). Georg Friedrich d. Ä., Markgraf von Brandenburg-Ansbach, ließ das „bastionierte Schloss“ Ende des 16. Jahrhunderts auf einem Berg errichten, drei Kilometer westlich und rund 200 Meter über der Stadt. Damals reichte sein Herrschaftsgebiet bis nah an Weißenburg.
Der Grundriss der Festung mit fünf bastionenbewehrten Ecken war das Nonplusultra seiner Zeit. Allerdings war ihr tatsächlicher militärischer Nutzen fraglich. O-Ton eines Offiziers: „Die Vestung seye kein Schlüßel oder Paß des Landes, (sondern) ein enger Steinhauff …“
Festung, Knast, Fledermaus-Paradies
Die Wülzburg ging später an Bayern, diente als Gefängnis, Kriegsgefangenenlager — berühmter Häftling war 1918 der junge Offizier Charles de Gaulle — und nach 1945 als Flüchtlingslager. Technisch beachtenswert sind neben dem 143 Meter tiefen Brunnen die später unter König Ludwig I. errichteten klassizistischen Regenwasserzisternen.
Die Anlage zählt zu den besterhaltenen Renaissancefestungen in Deutschland. Und sie ist Fledermaus-Schutzgebiet. Große Mausohren, Braune Langohren und Co. überwintern in den Gewölben, in denen früher Gefangene schmachteten.
Tipp für Nichtflieger: Die schönste Aussicht auf Weißenburg und übers Land genießt man von der Bastion „Kaltes Eck“, seit Neuestem von Ruhebänken aus …
Fränkische Wan-Tan
Wenn es Abend wird und man von Bratwurst und frischem Bier träumt, schlägt die Stunde fränkischer Gastlichkeit. Zum Beispiel im altehrwürdigen Fachwerk-Gasthof „Der Schwarze Bär“ am Marktplatz mit hausgebrauten Bieren – Helles, Weizen, Rotbier – und guter Küche.
Oder im alteingesessenen Wirtshaus „Zur Kanne“ in der Bachgasse. Man sitzt vor dem schmucken klassizistischen Haus unter Sonnenschirmen oder drinnen im urigen Bräustüberl.
„Unsere Gerichte sind traditionell mit internationalen Einflüssen“, beschreibt Marius Bansemer seine Küche. Der 29-jährige Koch stammt aus der Region und hat nach Jahren im Ausland vor Kurzem das Gasthaus übernommen. Seine Klassiker sind Schäufele, Schulterbraten oder Steaks, für den Hauch Exotik sorgen Kreationen wie fränkische Bratwurst in Wan-Tan-Teig.
Das Bier liefert die kleine, traditionsreiche Brauerei Schneider. Sie hat im Keller ein Brauereimuseum eingerichtet. Wenn es auch keine Römischen Götter und Masken birgt, ein kleiner Schatz ist das Museum allemal.
Weißenburg Sehenswürdigkeiten im Überblick
1. Römer-Museum
Das Römer-Museum präsentiert neben dem Schatzfund zivile und militärische Objekte aus dem Limes-Gebiet. Das angeschlossene Limes-Infozentrum informiert über Orte entlang des Limes, außerdem kann man Nachbildungen wie Helme oder Sandalen anziehen und ausprobieren. Lustig nicht nur für Kinder.
museen-weissenburg.de
2. Kastell Biriciana und Römerfest
Das Kastell Biriciana existierte von etwa 100 bis 250 nach Christus. Das nachgebaute Nordtor, porta decumana, und der archäologische Park dazu geben eine Ahnung, wie das Kastell damals ausgesehen haben könnte. Im Sommer 2023 findet auf dem Gelände wieder ein großes Römerfest statt mit vielen Gruppen und Akteuren.
museen-weissenburg.de
3. Römische Thermen
Ein heißes Bad war für die Römer ein unverzichtbares Stück Lebensqualität. Davon zeugen die Weißenburger Thermen. In der überdachten Anlage sind die ausgegrabenen Fundamente des antiken „Fitnesscenters“ zu sehen, genaue Erläuterungen geben Infotafeln und Schaubilder. Videos im Medienraum informieren unterhaltsam.
museen-weissenburg.de
4. Römererlebnispfad in Burgsalach
Römisches Erbe entdeckt man spielerisch auf dem knapp zehn Kilometer östlich von Weißenburg angelegten Erlebnispfad mit zwölf Stationen. Kurze Variante 2,5 Stunden, lange Variante vier Stunden.
altmuehlfranken.de/roemer
5. Reichsstadtmuseum
Weißenburg war von 1338 bis 1802 Reichsstadt und nur dem Kaiser untertan. Alltagsgegenstände, Urkunden und Preziosen bringen das mittelalterliche und neuzeitliche Weißenburg näher.
museen-weissenburg.de
6. Wülzburg
Die pentagonale Renaissance-Festung wurde 1588 bis 1608 erbaut. Nach 1945 fanden hier mehr als 10.000 Flüchtlinge eine erste Heimat. Innenhof täglich zugänglich. Führungen von Mai bis Oktober Sa. 13 bis 17 Uhr, sonn- und feiertags 11 bis 17 Uhr, während der bayerischen Pfingst- und Sommerferien Mo. bis Fr. 13 bis 17 Uhr.
weissenburg.de/wuelzburg
7. Apothekenmuseum
Almut Binkert führt charmant durch das von ihr liebevoll eingerichtete Apothekenmuseum. Man sieht viele historische Objekte, vom Pillenmörser und der Opiumwaage über alte Tablettenröhrchen und Heilkräuter bis zu gar nicht so bitteren Rezepten: So wird einem Patienten bescheinigt, er sei infolge einer Lungenerkrankung „in nächster Zeit des Weines bedürftig“ … Empfehlung: „1 Flasche Marsala“.
apothekenmuseum-weissenburg.de
8. Luna-Bühne
Der leidenschaftliche Theatermann Thomas Hausner leitet das Kleinkunsttheater Luna-Bühne. Er ist Autor, Schauspieler und Regisseur und veranstaltet mit seiner etwa zwanzig Frau und Mann starken Truppe sowie Gast-Künstlern Theater, Kabarett, Kindertheater, Musik-Kabarett und Lesungen. Dauerbrenner ist das „Fränkische Amtsgericht“, nun schon in der 44. Folge.
lunatheater.de
9. Weißenburger Lebkuchen Manufaktur
Die handgefertigten Lebkuchen der Manufaktur erhält man September bis Dezember in der Manufaktur, online und an ausgewählten Weißenburger und überregionalen Verkaufsstellen, zu finden unter:
weissenburger-lebkuchen.de