Johannes Follmer aus Homburg am Main belebte die alte Kunst des Papiermachens. Seine Büttenpapiere begeistern Künstler und Restauratoren. Seine historische Papiermühle bei Würzburg bietet Einblicke in die Arbeit der Papiermacher. Text und Fotos: Angelika Jakob
Papiermacher Johannes Follmer und die Papiermühle Homburg
In Gummistiefeln und Schürze steht Johannes Follmer am hölzernen Schöpftrog, der Bütte, und stampft kräftig mit einem Quirl in der flockigen Brühe herum. Immer wieder stößt er mit dem Rührlöffel in die Suppe, so lange, bis sich die weißen Faserteilchen gleichmäßig im Wasser verteilt haben. Dann greift er zu einem eng mit Bronzeschnüren bespannten Rahmen und taucht ihn ein. Beim Herausheben trieft und tropft überschüssige, wässrige Masse in den Trog zurück, auf dem Sieb verbleibt eine spiegelnde Mischung aus Wasser und Textilfasern.
Sekunden entscheiden
„Ich muss zugleich hellwach sein und doch in eine Art Trance verfallen“, beschreibt Follmer diesen Moment. „In Sekunden entscheide ich, ob der Bogen stimmt, also ob Menge und Zusammensetzung des Papierbreis den passenden Bogen ergeben.
Alle Blätter ebenmäßig und gleich stark zu machen, das gehört zur Königsdisziplin des Papiermachens. Ganz identisch können sie zwar nicht sein, sie variieren leicht, doch das macht den Charme der Handarbeit aus. Ich will Perfektion, aber sie muss lebendig sein.“
Die Kunst des Papiermachens
Er kippt den Rahmen hin und her, sodass sich die Fasern gleichmäßig verteilen, restliches Wasser tröpfelt durch die Bespannung ab. Sieht er eine zu hohe Dichte an einer Stelle, schöpft er sie ab.
Fasern, die sich verknotet haben oder abstehen, entfernt er mit der Pinzette. Beim Papierschöpfen zählen Erfahrung und Gefühl. Damit Follmer sich ganz in der Kunst des Papiermachens versenken kann, braucht er absolute Ruhe, Kraft und Zeit. Allein die Herstellung der Pulpe dauert viele Stunden.
„Ich will Perfektion, aber sie muss lebendig sein“
Ein anstrengender, einsamer Beruf war das Papiermachen, bevor die Industrie mit ihren lärmenden, riesige Hallen füllenden Maschinen die Produktion aufnahm. Die Mühsal des alten Handwerks muten sich nur noch ein paar Eigenbrötler zu, darunter Follmer in seiner historischen Papiermühle in Homburg, einem Ortsteil von Triefenstein bei Würzburg.
„In der Papiermacher-Szene treiben sich verrückte Leute herum, oftmals Außenseiter“, weiß Follmer. „Wir wollen etwas Altes wieder aufleben lassen, damit tanzen wir aus der Reihe. Ich bin eigentlich Einzelgänger, doch durch das Papier habe ich Freundschaften mit Gleichgesinnten in ganz Europa geschlossen.“
Papiermühle und Papiermuseum
Unter den Papiermachern stellt Follmers Arbeiten aufgrund des historischen Hintergrunds etwas Besonderes dar. Er arbeitet in einem Nebengebäude der Papiermühle Homburg, errichtet 1807, einem Fachwerkhaus mit Trockenboden und Maschinenkeller im Spessart. Schon der Ururgroßvater schöpfte Papier.
Zuletzt modernisiert wurde vor 100 Jahren: Der Urgroßvater schaffte Maschinen für die Herstellung von Pappen und Papieren an. Wie es unter Papiermachern üblich war, lebten damals noch Meister, Familie und Gehilfen unter einem Dach, denn die Papiermühlen lagen meistens weit abseits der Siedlungen an Bächen, die Wasser und Energie für die Produktion lieferten.
Sinnlich erfassen kann man diesen Kosmos in Follmers Papiermuseum. Das lang gezogene Gebäude neben der historischen Papiermühle, in dem sich die Werkstatt befindet, wurde über einer Quelle gebaut, die heute noch im Keller sprudelt und das Wasser für die Bütte liefert.
Der Bischbach, ein Zufluss des Mains, treibt das Wasserrad an, das restauriert wurde und das Gebäude mit Energie versorgt. Ein Techniker setzte die Maschinen instand, eine Volkskundlerin richtete die Wohnung der Papiermacher ein. Fachleute von der Landesstelle für nichtstaatliche Museen betreuten den Aufbau des Museums. Träger ist der Main-Spessart-Kreis.
Meditative Versenkung
„Das Papier und die Mühle ließen mich nicht los, ich wollte das Erbe der Papiermacher nicht nur als Museum bewahren, das Handwerk sollte leben“, erzählt Follmer. „Also panschte ich nebenher autodidaktisch etwas mit Sieb und Bütte herum. Der Prozess sprach die meditative Seite meiner Persönlichkeit an. Mehr als das Schreinerhandwerk, das ich gelernt hatte. Ich sammelte Erfahrungen im Papiermachen bei Praktika in Gmund, dann in Basel und Gernsbach.“
Follmer hält den CD-Spieler an, er hat etwas Bebop gehört. Nun braucht er wieder Ruhe zum Papierschöpfen. Dass er noch eine große Sammlung an CDs besitzt, passt zu dem angenehmen Retrogefühl, das einen in Mühle und Werkstatt umhüllt. In welchem Jahrzehnt man sich gerade befindet, verschwimmt. Man lauscht dem Fallen des Wassers vom Wasserrad, beobachtet den Bach, wie er vorbei an Stauden, Himbeerbüschen und Gemüse im Bauerngarten auf die Mühle zufließt.
Im Rhythmus des Schöpfers
Follmer hat seinen Rhythmus gefunden. Bogen für Bogen holt er aus dem kalten Wasser-Faser-Gemisch, stürzt jeden auf einen Filz, presst ihn mit vollem Körpereinsatz an, hebt das Sieb ab, kontrolliert, pickt noch mal Fasern heraus, deckt den Bogen mit Filz ab. Nach drei bis vier Bogen füllt er Pulpe in den Bottich nach, nach 32 Bogen kommt der Stapel in die hydraulische Presse. Dann hängt er die Blätter im Trockenboden auf.
„Es sieht vielleicht einfach aus, weil immer die gleichen Abläufe nötig sind, aber gerade das bringt mich zur Ruhe, in meinem Kopf herrscht dann gedankenfreies Bewusstsein. So Zeug wie ,Ich soll den Dings noch anrufen‘ oder die Geschichten, die meine Frau oder die beiden Kinder hereinbringen würden, müssen für eine gewisse Zeit draußen bleiben. Ich habe hohe Ansprüche an meine Projekte.“
Das Eigenleben der Papiere
Jeder Papiermacher gibt seinen Büttenbogen etwas Charakteristisches mit. Ist sein Wasser weich oder hart, welche Bespannungen haben seine Siebe, welche Rohstoffe verwendet er? Follmer muss wenig Material zukaufen. „Nachbarn bringen mir alte Stoffe. Wenn sie weiß und aus Naturmaterial sind, dann kommen sie in den Papierholländer“, freut sich Follmer, der nach einem 32er-Stapel Papier eine Pause braucht.
„Das alte Wissen wird nicht sterben. In letzter Zeit kommen junge Leute, die sich dafür begeistern“
Die kleine Maschine wurde im 17. Jahrhundert erfunden und zermalmt in Follmers Werkstatt die verschiedenen Gewebe. Abgetragene Lumpen und alte Bettwäsche aus Baumwolle oder Leinen eignen sich gut, um die Pulpe herzustellen, die Follmer dann in der Bütte mit Wasser vermischt. Es ist ein Brei aus Fasern, Leim und Kalziumkarbonat.
Baselitz ist Follmer-Fan
Künstler wie Georg Baselitz schätzen seine Arbeit und ließen bei ihm bestellen, die Herzogin Anna Amalia Bibliothek restaurierte nach dem verheerenden Brand ihre Bestände mit Follmers Büttenpapier. Wenn Follmer über solche Aufträge spricht, leuchten seine dunklen Augen, die sonst eher still und in sich gekehrt wirken.
„Das alte Wissen wird nicht sterben. In letzter Zeit kommen junge Leute, die sich dafür begeistern“, freut er sich, „sie sehen, dass man etwas Besonderes schaffen kann. Etwas, das in 100 Jahren vielleicht noch da ist. Nur mithilfe von Wasser, Lumpen und Fingerspitzengefühl.“