In Ludenhausen steht jedes Jahr ein frischer Maibaum, aufgestellt durch einen äußerst ungewöhnlichen Traditionsclub. Rekordverdächtig: Noch nie wurde der nackte Maibaum gestohlen. Unser Reporter hat sich umgesehen. Text und Fotos: Klaus Mergel
Ludenhausens Maibaum-Könige
Einen Maibaum aufstellen macht Freude. Die Organisation, also Baum auswählen, schneiden, transportieren, schmücken, bewachen und schließlich aufstellen, die kostet Zeit, Geld und Arbeit. Darum steht ein Maibaum in Bayern bis zu sechs Jahre lang. Nur in dem kleinen Dorf Ludenhausen im Landkreis Landsberg gönnt man sich den Spaß jedes Jahr.
Richtig gelesen: ein Maibaum, der nicht mal 365 Tage steht. Recht kurz für den Aufwand, eine hohe Fichte zu schmücken und aufzustellen, der Holzpreis allein macht ein paar hundert Euro aus.
In Bayern werden Maibäume nicht selten schon im vierten oder fünften Jahr morsch. Wenn ein Sachverständiger das feststellt, muss er weg. Kein Thema in Ludenhausen, da kommt doch jedes Jahr am 1. Mai ein frischer Baum auf den Dorfplatz.
Jugendclub auch für Fünfzigjährige
Federführend bei der Aktion ist der „Jugendclub Ludenhausen“. Während sich andernorts Burschenverein, Trachtler oder Landjugend ums Aufstellen kümmert, macht es in dem 600 Einwohner-Dorf seit Jahrzehnten dieser etwas eigenwillige Verein.
140 Mitglieder, männlich wie weiblich. Konfession? Egal, auch wenn die Gegend tiefkatholisch ist. Alter: zwischen 14 und 50 Jahre alt. Früher schied man per Heirat oder mit dem 26. Geburtstag aus – diese Regel gilt nicht mehr.
Mit 26 war man früher zu alt, dann hieß es "Servus!"
1965 wurde der Jugendclub gegründet, 1984 bekam er offiziellen Vereinsstatus. Der Erste Vorsitzende Magnus Stork erklärt: „Man gründete damals keine Landjugend, da man gegenüber der Kirche keine Verpflichtungen eingehen wollte. Und die Gründer wollten keinen Burschenverein, um die Mädchen nicht fern zu halten“, sagt der Fachinformatiker. Eine Prise Säkularisierung und Emanzipation im Voralpenland.
50 Meter lange Fichtenzweig-Girlande
Neben Skifreizeit, Kickerturnier, Herbstfete und Faschingsspektakel lautet die Hauptaufgabe des Clubs seit 54 Jahren: der jährliche Maibaum. Was seinen Mitgliedern durchaus einiges abverlangt. Fichtenzweige, die man hier „Dox“ nennt, werden aus dem Wald geholt und zurechtgeschnitten. Ein Baum wird gefällt und ins Dorf transportiert. Aufgestellt wird er per Hand mit sogenannten Schwalben.
Mühselig vor allem: das Winden der zwei Kränze und die Herstellung der rund 50 Meter langen Girlande mit Fichtenzweigen. „Zwei Wochen sind wir da beschäftigt“, schätzt der Zweite Vorstand Manuel Leppelt.
Ludenhausen steht auf nackte Bäume
Jedes Jahr dieselbe Prozedur. Warum man jährlich einen Maibaum aufstellt, weiß keiner mehr unter den jungen Leuten. „Aus Tradition“, vermutet eine junge Frau. Richtig, aber welche? „Vielleicht, weil unser Baum nicht bemalt wird“, sagt einer. „Durch die Witterung ist er ab Herbst nicht mehr so schön.“
In Ludenhausen ist man stolz auf den Naturbaum, die Vereinschronik spricht von einem „schönen Gegensatz zu den kitschig angemalten Bäumen der Umgebung.“
Ein Vorteil des „nackterten“ Baums: Das Risiko, dass er geklaut wird, ist gering. Wer seinen Baum bemalt, muss ihn über Wochen bewachen. In Ludenhausen schneidet man den Stamm erst eine Woche vor dem Aufstellen. Und holt ihn erst kurz vor dem 1. Mai ins Dorf. „Im Wald darf er nach den Regeln nicht gestohlen werden“, sagt Stork.
Der Mengle-Bauer hängte sich kühn an die Spitze des Baums
Begehrt, aber nie gestohlen
Und noch niemandem gelang es, den Ludenhausener Maibaum zu stehlen. Legendär der Versuch der Thaininger: Sie wurden vom Mengle-Bauer überrascht. Der stimmte lautes Geschrei an, hängte sich kühn an die Baumspitze und brachte so die Diebe aus dem Gleichgewicht. Ein Sieg, den die Baumbesitzer in einem Spottlied verewigten.
1950 scheiterten die Nachbarn aus Rott, die es mit einem Lkw versuchten. Sie wurden überrascht. Der Kampf um den Baum entwickelte sich zur Schlägerei, die „lange dunkle Schatten auf das Verhältnis zwischen den Ludenhausener und Rotter Bürgern“ warf, wie man sich in der Festschrift 1976 erinnerte.
Ganz klar: Ludenhausen hat den Längsten
Auch 35 Mann aus der Gemeinde Reichling, die das kleine Ludenhausen heute mitverwaltet, wagten es. Zwar ließen sie den Traktor am Dorfrand stehen, wurden jedoch entdeckt. Die Flucht muss sich hastig gestaltet haben: Ein Spottlied mit dem Vers „Bei uns liegt nun manche Mütz“ erzählt, dass etliche Reichlinger Kopfbedeckungen auf Ludenhausener Flur verblieben. Schon klar: Das Verhältnis zu Reichling ist emotional. Aber ironischerweise spendiert den Maibaum heute meist die Gemeinde Reichling.
Und der darf nicht mickrig sein. In den vergangenen Jahren waren die Maibäume zwischen 36 und 42 Metern lang. Oft oben mit einem Stahlring angestückelt. „Die Krone bricht oft beim Fällen“, erklärt Leppelt. Für die offizielle Länge zählt das dennoch. Ludenhausen hat schon viele hundert Liter Freibier bei Wettbewerben à la „Wer hat den Längsten“ gewonnen.
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