Bubenreuth nahm nach dem Zweiten Weltkrieg rund 2.000 Heimatvertriebene aus dem Sudetenland auf. Sie brachten die Kunst des Geigenbaus mit. Noch heute entstehen dort international gefragte Geigen und Gitarren. Ein Besuch bei Meister Günter Lobe und seiner Tochter Hannah
Geigenbauer in Bubenreuth
Bei einer Geige aus dem 17. Jahrhundert wird man schon nachdenklich. Durch wie viele Hände ist diese Schönheit gegangen, in welchen Konzerten durfte sie brillieren? Wo verzauberte sie einst ein Publikum, das Musik nur live erleben konnte statt jederzeit und überall per Kopfhörer? Was machte die Zeit mit ihrem Klang? Und wer darf sie heute spielen …
Da stoppt ein Kleinwagen vor der Werkstatt von Geigenbaumeister Günter Lobe. Eine junge Frau springt heraus, sie ist in Eile. Lobe überreicht ihr die Geige, sie bedankt sich kurz und weg ist sie.
„Das war die Erste Violinistin der Nürnberger Staatsphilharmoniker“, sagt Lobe, „sie hat ihre Maggini abgeholt. Diese Geige ist eine hohe sechsstellige Summe wert.“ Vor rund 400 Jahren wurde die Geige in Oberitalien geschaffen, Lobe hat sie nach den Wünschen der Profimusikerin klanglich überarbeitet und einen neuen Steg aufgepasst.
Werkzeuge wie vor 300 Jahren
Mit historischen Instrumenten kennt Lobe sich aus, schließlich fertigt er regelmäßig Reproduktionen wertvoller Geigen von Amati, Stradivari oder Guarneri. Viel hat sich nicht geändert, seit italienische Meister im 16. Jahrhundert damit begannen, den Geigenbau zu perfektionieren. „Im Prinzip benutzen wir Werkzeuge und Techniken wie vor 300 Jahren“, sagt Hannah Lobe.
Nach ihrer kaufmännischen Ausbildung entschied sich die junge Frau, doch lieber mit den Händen zu arbeiten. Nach der Ausbildung in der Werkstatt ihres Vaters steht sie nun kurz vor der Meisterprüfung.
Im 4.600-Einwohner-Ort Bubenreuth, mit der S-Bahn keine fünf Minuten von der Universitätsstadt Erlangen entfernt, ist der Geigenbau allgegenwärtig. Braune Schilder mit weißer Schrift weisen den Weg zu den Handwerksbetrieben. Insgesamt achtzehn sind es noch, Geigen-, Gitarren- und Bogenbauer sowie Zulieferer zusammengenommen.
Im eher schmucklosen Ortszentrum steht das Denkmal eines Geigenbauers, das der aus Egern im ehemaligen Sudetenland stammende Künstler Helmut Lederer 1969 errichtete. Es ist ein Symbol des Aufschwungs, den das kleine Dorf Bubenreuth durch den Zuzug der Heimatvertriebenen genommen hatte.
Vom Dorf zum Musikzentrum
Im Jahr 1949 entschied der Gemeinderat, rund 2.000 Menschen aus der Geigenbauerstadt Schönbach (heute Luby in Tschechien) aufzunehmen. Eine ganze „Geigenbauer-Siedlung“ wurde errichtet, selbst Bundeskanzler Konrad Adenauer kam zur Eröffnung.
Bald schon florierte das in Franken bislang eher unbekannte Handwerk des Saiteninstrumentenbaus und gab zahlreichen Menschen aus Bubenreuth und Umgebung Arbeit. Aus einem landwirtschaftlich geprägten Dorf wurde eine musikalische Metropole.
Elvis Presley holte sich eine Gitarre sogar persönlich ab, als er als GI in Grafenwöhr stationiert war
Elvis, Beatles und Gary Moore
Mit dem Aufkommen der Rockabilly- und Beat-Musik verlegten sich einige Hersteller Anfang der Sechzigerjahre auf die Produktion von E-Gitarren und -Bässen, etwa Karl Höfner oder Fred Wilfer mit seiner Firma Framus, die Mitte der Sechzigerjahre zum größten Gitarrenproduzenten Europas aufstieg.
Paul McCartney spielt seinen berühmten Höfner-Bass bis heute. 1956 erstmals vorgestellt, wird der „Violin Bass“ mit seinem tiefen, fetten Ton bis heute in diversen Modellen produziert. Auch Ritchie Blackmore von Deep Purple, Gary Moore und Andy Summers von The Police besitzen Instrumente aus Bubenreuth. Elvis Presley holte sich eine Gitarre sogar persönlich ab, als er in Grafenwöhr als Soldat stationiert war.
Ein klangvolles neues Museum
All diese spannenden Geschichten und Hintergründe erfuhr man bisher nur in eher bescheidenem Rahmen im Untergeschoss des Rathauses. Im Frühjahr 2025 bekommen sie eine angemessene Bühne. Dann eröffnet der „Kulturhof H7“ in einem aufwendig umgebauten Dreiseithof im Zentrum von Bubenreuth.
Das Museum „Musik und Integration“ erzählt modern und interaktiv die Erfolgsgeschichte der Einwanderer aus dem Sudetenland, gibt Einblicke in die Herstellung von Saiteninstrumenten und informiert über berühmte Bubenreuth-Kunden aus der Rockgeschichte. Ein Konzertsaal mit 200 Plätzen sowie ein Café gehören ebenfalls zu dem Komplex. „Das ist eine tolle Sache“, zeigt sich Lobe begeistert.
Mit der neu konzipierten Ausstellung schließt Bubenreuth zu zwei anderen bayerischen Zentren des Geigenbaus auf, die beide interessante Museen zum Thema besitzen: Das Museum der Stadt Füssen im Allgäu erinnert im noblen Rahmen des ehemaligen Benediktinerklosters St. Mang an die lange Tradition des Lauten- und Geigenbaus.
Und im oberbayerischen Mittenwald präsentiert das Geigenbaumuseum in einem der ältesten und schönsten Häuser des Orts eine Sammlung wertvoller Instrumente und lässt die Besucher in die Geheimnisse des Geigenbaus buchstäblich hineinschnuppern.
Das Geheimnis der Mischung
Mastix, Sandarak, Benzoe oder Drachenblut heißen die Naturharze, die bereits im 16. Jahrhundert über die Handelswege aus Griechenland und dem Orient zu den Geigenbauern in Venedig, Padua und Cremona gelangten.
Die Harze sind wichtigster Bestandteil des Lacks. Er verleiht der Geige nicht nur Glanz, sondern wirkt sich auch auf den Klang aus. Wie jeder Meister mischt Lobe seinen Lack selbst in einem ganz bestimmten, in jahrzehntelanger Erfahrung perfektionierten Verhältnis an. „Schellack, Mastix, Sandarak, Benzoe, Drachenblut, Safran“, zählt er auf. Ob die Reihenfolge einen Hinweis auf die Mischung gibt? Da lacht er nur. „Das Wichtigste ist ohnehin das Tonholz“, sagt der Obermeister der Streich- und Zupfinstrumentenmacher-Innung Erlangen.
Ein Schatz aus Holz
Auf Lobes Dachboden lagern Kostbarkeiten. Der Geigenbauer zieht einen Ahornscheit aus dem Regal. Selbst als Laie sieht man, wie wunderbar er gemasert ist. Lobe klopft daran – wie das klingt! Schon immer kaufte er bei jeder sich bietenden Gelegenheit gut gelagertes Tonholz auf, etwa von Geigenbauern, die ihr Geschäft aufgaben.
„Jedes Instrument ist ein Individuum, und bei jedem Musiker klingt es anders“
Vor knapp zehn Jahren gelang ihm ein Coup: Ein Bogenmacher aus Luby, jener Stadt, aus der einst die Instrumentenbauer nach Bubenreuth kamen, entdeckte bei Renovierungsarbeiten einen großen Vorrat des wertvollen Ahornholzes, das mittlerweile an die 100 Jahre alt ist.
Es wurde wohl in den Wirren des Zweiten Weltkriegs unter dem Fußboden versteckt. Und weil zwischen Bubenreuth und Luby eine Städtepartnerschaft besteht, erfuhr Lobe als Innungsobermeister natürlich von dem Schatz und zögerte nicht, ihn zu erwerben.
Hannah wird plötzlich ernst. „Das ist ein wunderbares Erbe“, sagt sie. „Mein Dad wird all dieses Tonholz in seinem Leben sicher nicht mehr verarbeiten können.“
Acht bis neun Geigen baut Günter Lobe pro Jahr, ab und zu auch mal eine Bratsche oder ein Cello. 160 bis 180 Arbeitsstunden fließen in ein neues Instrument, das bis zu 15.000 Euro kostet. „Jedes Instrument ist ein Individuum, und bei jedem Musiker klingt es anders“, sagt der Meister.
Es geht um Zehntelmillimeter
„Der erste Schritt ist natürlich die Auswahl des Holzes“, erklärt Lobe. Für Korpus und Steg wird Ahorn verwendet, der auf nährstoffarmen Böden in Höhenlagen gleichmäßig gewachsen ist – dadurch entsteht auch die „Flammung“, die charakteristische Zeichnung des Holzes.
Die Decke wird aus Fichte gefertigt. Zunächst kommt das Stoßeisen zum Einsatz, um das Holz auf Stärke, Form und Wölbung zu bringen. Dann werden die Werkzeuge immer feiner: Mit Ziehklinge und daumennagelkleinen Hobeln arbeiten Hannah und Günter die einzelnen Teile aus, messen die Stärke der Decke mit dem auf Zehntelmillimeter genauen Uhrenzirkel und überprüfen immer wieder, wie flexibel das Holz ist, wie es schwingt und klingt. Ähnlich diffizil ist die Arbeit an der Geigenschnecke.
Mitentscheidend für den Klang einer Geige ist der Steg aus unlackiertem Spiegelahorn. Die Rohlinge dafür liefert Stegmacher Roland Schuster, der im selben Haus arbeitet.
Die Lobes teilen sich ihre Werkstatt außerdem mit Bogenbaumeister Sebastian Dirr. Auch bei ihm steht die Qualität des Grundprodukts im Vordergrund. Die Haare, die er für die feinen Saiten verwendet, stammen von Pferden aus kühlen, kargen Regionen wie Sibirien, der Mongolei oder dem nördlichen Kanada: „Da wächst alles langsamer und gleichmäßiger. Die Haare sind gleichzeitig dünner, aber reißfester.“
Magischer Moment im Musikzimmer
Wer seine Geige bei Lobe in Auftrag gibt, bekommt gleich den passenden Bogen dazu. Im gediegenen Musikzimmer – dunkles Holz, Glasvitrinen, Chesterfield-Sofa – darf die neue Geige vor Ort ausprobiert werden. Klingt sie zu laut, zu leise, zu hell oder zu dunkel?
Erst wenn Mensch und Instrument zum ersten Mal zusammenkommen, zeigt es sich, ob sie harmonieren. Ein magischer Moment! Gelegentlich werden mit dem Musiker noch kleine Feinabstimmungen gemacht. Und dann geht das Instrument in die Welt hinaus.
Zwei Lobe-Geigen sind etwa im Orchester des Sultans von Oman im Einsatz. Und wer weiß, wo andere Instrumente, die in den letzten 75 Jahren in Bubenreuth entstanden, heute erklingen? Durch wie viele Hände sie gegangen sind, welches Publikum sie verzaubern?
Lobe schmunzelt und erzählt die Anekdote vom Erlanger Siemens-Manager in den USA. Mit dem Ort „Earlangen“ in Germany konnte dessen US-Kollege nichts anfangen. Doch dann stellte sich heraus, dass der Amerikaner recht passabel Geige spielte. Bei einem Europa-Trip hatte er sein Instrument persönlich in Bubenreuth abgeholt. Und schon wusste er, wo Erlangen liegt – nämlich „next to Bewbenreed“.