Zwischen historischen Gemäuern und moderner Kunst, zu Kultur und Kulinarik. Mit Schauspieler und Kabarettist Thorsten Siebenhaar auf Erkundungstour durch sein Ansbach, auf den Spuren eines tiefenentspannten Lebensgefühls
Ansbach: Unterwegs mit Schauspieler Thorsten Siebenhaar
Einmal geht’s an diesem Tag so richtig um die Wurst. In der Karlstraße in der Metzgerei Holch, einem alteingesessenen Familienbetrieb, dritte Generation. Hier gibt es natürlich die originale Ansbacher Bratwurst, aus grobem Schweinefleisch mit der hier typischen Grundgewürzmischung aus Salz, Pfeffer, Piment, Majoran.
1430, sagt Thorsten Siebenhaar, sei die Ansbacher Bratwurst erstmals urkundlich erwähnt worden. „Sogar älter als das bayerische Reinheitsgebot!“ Dann bestellt er an der Theke die Wurstspezialität in drei Varianten: roh, geräuchert und gebraten.
Während wir uns durchprobieren, geht es selbstverständlich auch um eine ganz entscheidende Frage. Um den Unterschied zum Nachbarn von nebenan: Was ist an der Ansbacher Bratwurst anders als an der aus Nürnberg, an den Drei im Weggla?
Gröber. Größer. Besser
Thorsten beißt in die Semmel mit der geräucherten Version und sagt: „Unsere ist gröber und größer. Und natürlich besser.“ In jedem Fall hat sie einen ganz eigenen Charakter, und wenn man einmal hineinschmeckt, macht sie Appetit auf mehr. So wie Ansbach selbst auch.
Thorsten Siebenhaar ist Schauspieler und Regisseur, Kabarettist … und Gastronom. Er ist der perfekte Begleiter an diesem warmen Sommertag, an dem er uns „sein“ Ansbach zeigen will. Seine Stadt, in der aufwuchs, in der er die Schulbank drückte, das Abitur machte und ans Theater ging. Die Stadt, in der er heute mit seiner Frau und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn lebt. Die Stadt, aus der er nicht mehr weg möchte.
Wir treffen Thorsten vormittags in seinem Stammcafé, dem „Green & Bean“, etwas versteckt und abseits am Gumbertusplatz gelegen. Bei Cappuccino und Croissant spricht er über das Ansbacher Lebensgefühl. Über die hiesige Grundstimmung und den Unterschied zu Großstädten wie Nürnberg, mal ganz abgesehen von der Bratwurst.
Alles außer anonym
„Jeder kennt hier jeden“, sagt Thorsten, „man grüßt sich und kommt andauernd mit irgendjemand ins Gespräch. Beim Bäcker, beim Metzger, im Café und auf der Straße. Und selbst wenn es bei einem angeblich kontaktscheuen Menschen wie dem Franken an sich auch ein bisschen länger dauern kann: Es entstehen Freundschaften und Bekanntschaften, die dann auch dauerhaft sind.“
Wer unerkannt bleiben wolle, die Anonymität suche, sagt er, der fühle sich sicher in Nürnberg wohler oder in München. Wer aber wie er gern kommuniziere, mit Menschen spreche, sich durch die täglichen Kontakte inspirieren lasse fürs Leben und seinen Beruf, der sei in Ansbach mit seinem feinen Charme der historischen Kleinstadt genau richtig.
Kurz nach dem Start unserer Tour stehen wir schon mittendrin in der langen Stadtgeschichte: Die Ansbacher Residenz, bis 1791 über viele Jahrhunderte der Herrschaftssitz der Hohenzollern-Markgrafen von Brandenburg-Ansbach, ist prächtig ausgestattet im Stil des frühen Rokoko.
„Stimmungsvoll sind besonders die Veranstaltungen im Innenhof“
„Stimmungsvoll sind besonders die Veranstaltungen im Innenhof“, sagt Thorsten. „Die Abende im Rahmen unseres Kultursommers mit Theater, Kleinkunst und Live-Musik, die haben immer eine ganz eigene Atmosphäre.“ Kunstgenuss in einer lauen mittelfränkischen Sommernacht, im widerhallenden Resonanzraum der alten Gemäuer unter freiem Himmel. Ansbach unplugged.
Denk mal Kunst!
Thorsten begleitet uns über den Schlossplatz mit der modernen Skulptur des „Anscavallo“. Das Bronzedenkmal des Bildhauers Jürgen Goertz soll an die Vergangenheit der Stadt als Garnisons-Stützpunkt erinnern. Anmut ist anders, das Denkmal wirkt zerrissen und bedrohlich.
„Nach der Aufstellung 1993 gab es große Proteste aus der Bevölkerung, viele forderten den Abbau“, sagt Thorsten. „Heute haben sich die meisten daran gewöhnt, es ist fast schon ein Wahrzeichen und ein beliebtes Fotomotiv.“ Mehr noch: Zum zehnjährigen Geburtstag des Anscavallo im Jahr 2003 begann die Geschichte der hiesigen Skulpturenmeile, einer im Zwei-Jahres-Turnus immer in den ungeraden Jahren stattfindenden Freiluftausstellung mit stets neuen Objekten und Installationen verschiedener Künstler, modern, mitunter provokativ, stets spannend. So machte das Pferd am Schlossplatz den Aufgalopp zu Ansbachs Biennale.
Weiter geht unsere Erkundungstour durch den Hofgarten, einer Parkanlage, die im 18. Jahrhundert im französisch-barocken Landschaftsstil errichtet wurde. Eine entspannte Grün-Oase, beliebter Rückzugsort zwischendrin auch für Thorsten, zum Entspannen und Nachdenken auf einer der Bänke irgendwo zwischen der Orangerie und dem Pavillon. Unter den Linden.
Nächster Halt: Einkehr beim Metzger
Bei der Bratwurst erzählt uns Thorsten, dass er einige Jahre zum Studium auch in Köln und Siegen lebte. Schön sei es dort gewesen. Kam aber nicht hin an Ansbach, weil er vieles vermisste, unter anderem das gute fränkische Brot, wie er betont. Und überhaupt das Lebensgefühl. Das Gespür der Heimat.
Später kam er wieder zurück, ans Theater. Wirkte dort als Schauspieler wie auch als Regisseur und engagiert sich seitdem bei den Kammerspielen, unserer nächsten Station in der Maximilianstraße.
Dort leitet Thorsten die „Kammerkneipe“, wo alte Projektoren und nostalgische Schilder noch an die Zeit erinnern, als im Lichtspieltheater in den Nachkriegsjahren die neuesten Streifen auf der Leinwand liefen – bevor das Haus in den 1990er-Jahren zu einem Zentrum für Kunst und Kultur umgebaut wurde, für Theater und Konzerte, Kabarett und Kleinkunst.
Große Kunst und Kleinkunst
Nationale und internationale Künstler traten dort schon auf, auch bayerische Bühnenprominenz wie Gerhard Polt und die Well-Brüder, Django 3000 oder Dreiviertelblut. Und Thorsten Siebenhaar selbst, der hier an zwei Abenden im März 2023 zum Starkbier-Anstich in die Rolle des Hausmeisters Schorsch schlüpfte und als Redner die anwesende Lokalprominenz aus Politik und Gesellschaft fein-ironisch aufzog. Derblecken auf die fränkische Art.
Es ist Nachmittag geworden, als wir allmählich wieder losziehen von den Kammerspielen, zurück in Richtung Altstadt. Immer wieder ein Hallo, ein Servus, wenn Thorsten Freunde oder Bekannte über den Weg laufen. Zwischendrin bleibt er immer wieder für einen kleinen Plausch stehen. Wie geht’s der Familie? Was machen die Projekte? Man kennt sich. Ansbach eben.
In den alten Stadtkern geht es durch das Herrieder Tor aus dem 18. Jahrhundert zurück. Gleich dahinter erzählt Thorsten in einer kleinen Gasse, der Büttenstraße, wie er früher als Kind mit seinen Eltern oft hier durchspazierte und ihm sein Vater von den vielen Jazzlokalen erzählte, den Bars und Nachtclubs, in denen nach dem Krieg die stationierten GI-Soldaten tanzten und tranken, groovten und feierten. Ansbachs amerikanische Partymeile.
Kaspar Hauser: Rätsel seiner Zeit
Wir biegen rechts ab in die Platenstraße und kommen zum bemerkenswerten Denkmal für die wohl legendärste Persönlichkeit, die hier jemals lebte: Kaspar Hauser. Zwei Bronzefiguren sind in einigen Metern Abstand zueinander aufgestellt. Rechts eine bucklige Gestalt, leicht verwahrlost. So, wie er nach der Vorstellung von Bildhauer Friedrich Schelle ausgesehen haben könnte, als man Kaspar als verwirrten und orientierungslosen jungen Mann am Pfingstmontag 1828 in Nürnberg auf dem Unschlittplatz aufgriff.
Ein mysteriöser „Findling“, der im Herbst 1831 auf Initiative seines englischen Gönners, des schillernden Lord Stanhope, nach Ansbach umzog und als gefeierter Star der Society in den besten Gesellschaftskreisen verkehrte. Kaspar Hauser war im Jetset angekommen, als – so wie ihn die linke Figur zeigt – gut gestylter Ehrenmann. Bis er im Dezember 1833 einem Mordanschlag im Hofgarten zum Opfer fiel und drei Tage nach der Messerattacke zu Hause seinen Verletzungen erlag.
Im Dezember 1833 fiel er im Hofgarten einem Mordanschlag zum Opfer
Bis heute ranken sich Mythen, Rätsel und Legenden um Identität und Herkunft des Mannes. Von der These, er sei ein badischer Herzogssohn gewesen, bis zur Vermutung, er war nur ein Scharlatan, reichen die Erklärungsversuche. Auch wissenschaftliche Nachforschungen erbrachten keine Klärung, weshalb man zu den Hintergründen weiter spekulieren kann und darf.
Den Spuren des sonderbaren Mannes begegnen wir in der Folge an vielen Orten. Bei der Gaststätte in der Pfarrstraße, die seinen Namen trägt. Wenige Meter weiter in seinem Wohn- und Sterbehaus. Nebenan am Montgelasplatz mit einer weiteren, einen Baum umschlingenden Skulptur zu seinem Gedenken. Und auch in der allein ihm gewidmeten Abteilung im Markgrafenmuseum.
Dort, direkt hinter der Stadtmauer, entdecken wir noch ein kleines Denkmal. Diesmal für den Ansbacher Architekten Ernst von Bandel (1800–1876), der in der Hand eine Miniatur seines berühmtesten Kunstwerks hält: Er schuf das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald.
Wir beschließen den Tag – nach einem Abstecher in die Kirche St. Gumbertus, neben St. Johannis eine der beiden zentralen Innenstadtkirchen – wieder beim „Green & Bean“. Thorsten plaudert mit den Wirtsleuten und kommt wie schon auf der gesamten Tour immer wieder mit Menschen ins Reden. Wir blicken bei einem abschließenden kühlen Getränk zurück auf diesen exklusiven Bummel, im Laufe dessen uns die Stadt in den Dauerzustand einer permanenten Tiefenentspannung hineintransportierte.
Auf dem Weg zum Bahnhof sinnieren wir in der Abendstimmung noch über die drei Attribute, die wir nach diesem Tag am ehesten mit der Stadt in Verbindung bringen, und legen uns fest auf: klein, fein und leicht. In dieser Hinsicht ist die Stadt dann doch genau das Gegenteil von ihrer Wurst.