Die Schachten, einsame Weidelichtungen, liegen wie Inseln im dunklen Waldmeer. Auf unserem Weg durchs Höllbachtal zum Albrechtschachten im Bayerischen Wald warten Eiswände, Wasserfälle und eine urige Selbstversorgerhütte. Text: Christian Haas, Fotos: Frank Heuer
Schneeschuhtour zu den Schachten
„Die Schachten des Bayerischen Walds stellen besondere historische Kulturlandschaftselemente dar“, klärt Steffen Krieger zu Beginn der Tour auf. „Früher wurden auf diese speziell gerodeten Lichtungen vorwiegend Jungtiere zum Weiden getrieben“, fährt der 56-jährige Waldführer des Nationalparks fort. Von den erstmals im 16. Jahrhundert erwähnten, einst mehr als hundert Schachten sind noch rund drei Dutzend erkennbar, eine Handvoll wird sogar heute noch genutzt.
Die jeweils ein paar Hektar großen Hochflächen sind nicht nur für Weidetiere erhabene Orte, sondern auch für Wanderer. Und das sogar bei Schnee. Steffen kennt die Anforderungen dafür: „Die Wege müssen wir uns vor allem im oberen Bereich selbst spuren. Ohne Schneeschuhe würden wir ziemlich einsinken.“
Während der ersten Gehviertelstunde verzichten wir noch auf die Trethilfen. Die verschneite, nicht öffentliche Forststraße, die hinter dem Rothirschgehege am Parkplatz weiter in den Nationalpark führt, ist geräumt und eben. Dann zweigt unser Weg nach oben ab und wir schnallen die XXL-Latschen an.
Schneeschuhe sparen Energie, weil man durch die höhere Auflagefläche nicht so in den Schnee sackt. Nach einigen Höhenmetern biegen wir – jetzt handelt es sich nur noch um einen besseren Trampelpfad – ins Höllbachtal ab und laufen parallel zu dem gleichnamigen Flüsschen bergauf.
Steffen erklärt uns, woher der Name rührt. „Zum einen war es in dem engen Tal oft sehr neblig, zum anderen sorgten gelbe Schwammflechten für schwefelige Gerüche.“
Klare Indizien für die Unterwelt! Ein Stoff für die Fantasie, ein Segen für die Umwelt: Das Gebiet, topografisch ohnehin kaum für die Holzwirtschaft nutzbar, wurde schon früh unter Naturschutz gestellt.
Eiszapfen am Wegesrand
Und so ist das Setting himmlisch: Hier junge Birken, dort dicke Tannen und jede Menge Linden im Winterkleid. Es geht vorbei an Wasserfällen, die sich mitunter über mehrere Kaskaden ergießen.
Noch größeren Eindruck machen zapfige Eiswände an überfrorenen Felsen. Zudem geht es zwei-, dreimal über den gurgelnden Bach, von Glitschstein zu Glitschstein. Aufgepasst, dass man nicht unerwartet zum Wackelkandidaten wird!
Höllbachhütte: Himmlisch!
Nach etwas mehr als einer Stunde taucht am Rand eines Stauweihers die „Höllbachhütte“ auf. Das über 150 Jahre alte „Schmuckkästchen an der Höllbachschwelle“, als das sie gern bezeichnet wird, ist nicht öffentlich zugänglich, sondern an den Bayerischen Wald-Verein, Sektion Zwiesel, verpachtet. Ein Traum, den sich rund 500 Selbstversorger im Jahr verwirklichen. Herrlich gelegen, herrlich ruhig, herrlich urig.
Ein Traum, den sich rund 500 Selbstversorger im Jahr verwirklichen
Wir haben das Glück, dass der Hüttenwart, Herbert Habinger, gerade nach dem Rechten schaut und uns einen Einblick in die einfache, aber einfach gemütliche Stube gewährt. „I komm“, und dabei deutet der Rentner auf seine jahrzehntealten Tourenski, „regelmäßig hier rauf, is einfach schön.“
Was er weniger schön findet: „Die Schneeschuhe sind ein Graus.“ Wir schauen beschämt zu Boden respektive auf unsere Schneeschuhe. „Ned falsch verstehen: Auf den Wegen ist ja alles gut, aber viele gehen kreuz und quer, auch in der Nationalpark-Kernzone weiter oben, wo das Wegegebot herrscht.“
Nehmt Rücksicht auf das Auerhuhn!
Steffen, der bei einem Technologieunternehmen und „nebenbei“ als Naturfotograf, Buchautor, Vortragender und Waldführer arbeitet, springt dem Hüttenwirt bei: „Wir müssen den Tieren Rückzugsmöglichkeiten gewähren, insbesondere dem Auerhuhn.“ Mitteleuropas größtem Vogel soll ein besonderer Schutz zugutekommen. Vom Schutz profitieren aber auch Luchs, Fuchs, Fischotter, Wanderfalke und Co.
Bei Führungen sensibilisieren Steffen und seine Kollegen die Besucher für diesen Aspekt. Das Angebot an öffentlichen Touren ist groß, das Interesse an den hinter Lindberg beginnenden Schneeschuh-Rundtouren durch das Höllbachgspreng, wie der obere Schluchtenteil des Tals heißt, besonders: „Mit etwas Kondition kann da jeder mitgehen.“
Was man, wenn das renovierte „Rachelschutzhaus“ wie geplant 2024 öffnet, individuell gut machen kann: eine Mehrtagestour in Kombination mit dem neu eröffneten „Schutzhaus Falkenstein“. Den Gipfel des Großen Falkensteins erahnen wir immer wieder. Dank der markanten Holzbeschilderung (Pflanzensymbole stehen für Strecken-, Tiersymbole für Rundwege) würde man die Mehrtagesstrecke auch heutzutage schon bestens finden, nur müsste man zum Übernachten früher oder später wieder ins Tal.
Soloauftritt für den Weißen Riesen
Wir bleiben auf der Höhe, schlagen den verschneiten, nur mit wenigen Fußspuren versehenen Forstweg Richtung (Süd-)Osten ein und erreichen nach einer Weile den etwa 400 Höhenmeter über unserem Ausgangspunkt gelegenen Albrechtschachten. Der Wald tut sich auf, die Sonne bricht durch und sorgt für herrliches Funkeln auf der jungfräulichen Schneedecke, aus der sich in weiten Abständen immer mal wieder ein einzelner Laubbaum erhebt.
Den schönsten Akzent setzt ein Bergahorn, der sich im dichten Wald nebenan niemals so entfalten könnte. Jetzt dient er als Weißer Riese im Winterwonderland, im Sommer als Schattenspender. Der lang gezogene, rund sieben Hektar große Albrechtschachten war aufgrund seiner sonnigen Südlage bei Hirten als Übernachtungs- und Rastplatz besonders begehrt. Kein Wunder!
Rotes Höhenvieh statt Motorsensen
Anfang der 1960er war mit der Bewirtschaftung Schluss – unrentabel! So ging es den meisten Schachten. Bis auf sechs beweidete Areale schrumpfte der Bestand 2010, doch seit ein paar Jahren werden es wieder mehr. Dank Forschungsergebnissen, die dem Bestand und der Entwicklung der teils bedrohten Pflanzenarten auf den historischen Hochweiden positive Effekte bescheinigen, hat sich die Nationalparkverwaltung für ein Comeback der Schachten-Beweidung entschieden.
Statt Motorsensen und mühsamer Handarbeit übernehmen wieder Rinder, darunter das gefährdete Rote Höhenvieh, das Kappen der Baumschösslinge, sodass die Freiflächen nicht überwaldet werden. Auf dem Ruckowitzschachten etwa, mit knapp 17 Hektar der größte seiner Art, gehen die vierbeinigen Landschaftsgärtner wieder regelmäßig zu Werke. Zu tun gäbe es für die Tiere auch anderswo genug, rund dreißig Schachten gibt es im Arbergebiet.
Rund dreißig Schachten gibt es im Arbergebiet
Wie Perlen an einer Kette reihen sie sich entlang der Grenze nach Tschechien, darunter der Lindberger Schachten und die Beerenkopfalm, die sich mit der Talsperre bei Frauenau zu einer anspruchsvollen, 20 Kilometer langen und im Sommer durchaus beliebten Wanderung kombinieren lassen.
Aber bei so viel Schnee wie heute reduziert sich das Tempo, und das bei höherem Kraftaufwand. Die Folge: Wir stutzen die hochtrabenden Pläne auf die ursprünglich geplante Runde herunter. Elf Kilometer durch gehörig Schnee sind auch nicht ohne. Außerdem wollen wir die Sonne auf dem Schachten noch genießen. Bei einer Brotzeit geht das bestens, ebenso ein Foto-Feuerwerk. Das Setting ist ideal: vorne Schneeparadies mit einzeln stehenden Baumriesen, dahinter der dichte Wald. Nur einen Panoramablick vermissen wir.
Ähem, sind das Wolfspuren im Schnee?
Als wir nach einer Weile wieder den Weg Richtung Parkplatz einschlagen, lässt uns etwas abrupt anhalten. „Sind das etwa Wolfspuren?“, rätseln wir. Aufgeregt laufen wir den Weg weiter bergab. „Möglich wäre es“, meint Steffen, „schließlich nutzen auch Säugetiere die Wirtschaftswege, um Kraft zu sparen.“ Und der Mann kennt sich mit Tieren aus, insbesondere mit den die Gemüter erhitzenden Wölfen. Schließlich gelang Steffen 2017 als Erstem ein Live-Foto von einem Wolf im Bayerischen Wald.
Davor gab es „nur“ Bilder aus der Fotofalle. Ihre Spuren geschweige denn Begegnungen sind aber nach wie vor extrem selten. Daher wäre schon eine Fährte etwas Besonderes. Doch nach zwei, drei Kurven stellt sich heraus: Die Pfotenabdrücke gehörten wohl doch eher zu einem sehr großen Hund. Ein bisschen sind wir über diese Erkenntnis auch erleichtert …
Das müsst ihr wissen!
Start- und Endpunkt dieser rund elf Kilometer langen, mittelschweren Schneeschuhtour ist der Parkplatz Scheuereck hinter Lindberg. Eine gute Kondition und der Witterung entsprechende Kleidung sind ebenso notwendig wie ein warmes Getränk und eine Brotzeit, unterwegs gibt es nämlich keine Einkehrmöglichkeit.
Der Nationalpark bietet regelmäßig Führungen für fünf Euro an, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre sind frei. Bei Anreise mit dem Igelbus sowie bei Vorzeigen einer Nationalpark-Card oder einer Gästekarte mit GUTi-Logo wird nur die halbe Führungsgebühr erhoben. Schneeschuhe gibt es gegen eine Gebühr von 6 Euro.
Aus organisatorischen Gründen ist eine Anmeldung beim Nationalpark-Führungsservice (Telefon: 0800/0776650) möglichst frühzeitig, spätestens jedoch einen Tag vorher erforderlich.
Lust auf einen "Moonwalk" im Bayerischen Wald?
Video zum Winterwandern im Naturpark
Naturpark-Rangerin Dr. Melanie Chisté weiß um die Anziehungskraft der Natur. Mit Blick auf die dort lebenden Tiere lautet ihr wichtigster Tipp: Bleibt bitte auf den markierten Wegen. So erreicht man problemlos die schönsten Stellen und schützt Fauna und Flora.