Wie ist sie so, die kleinste Stadt Bayerns? Unterwegs zu divenhaften Landschaftsgärtnern, Mordfällen im Rübenkeller und Pop-Art im Tante-Emma-Laden
Rothenfels am Main: Bayerns kleinste Stadt
Wer sich beeilt, ist in drei Minuten durch mit der Citytour – zu Fuß! Diese Zeit wäre wahrscheinlich sogar mit Gipsbein zu schaffen. Auf der alten Hauptstraße vorbei an den Fachwerkfassaden mit viel Patina und Weinbewuchs, den hübschen Erkern und alten Zunftschildern.
Linker Hand die Stadtbibliothek in der Telefonzelle, dann das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert, recht niedlich anzuschauen. Der winzige Getränkemarkt am Ortsende von Rothenfels sorgt für Erfrischendes.
Rothenfels am Main wäre der Traum chinesischer Bustouristen: ein Städtetrip in der Garzeit für ein weich gekochtes Ei! Nur wäre dann die Ruhe passé. Apropos Ruhe: Ist heute Feiertag? Kein Auto ist zu sehen auf dem Kopfsteinpflaster. Ein älterer Herr fährt mit dem Fahrrad vorbei und wünscht freundlich Guten Morgen.
Es lohnt sich aber, etwas genauer hinzuschauen in der kleinsten Stadt Bayerns. Ein paar Meter die Treppe hinauf, vorbei an einem alten Steinbrunnen, hat die enge Obere Gasse fast mediterranes Flair, mit Pflanzen vor den Haustüren und Marmorbüsten. Sogar ein Strandkorb steht da.
Rothenfels ist in die Höhe gebaut, klebt äußerst hübsch am Nordhang des Main-Tals. An diesem Morgen ist das erst mal nur zu erahnen. Allmählich lichtet sich der Morgennebel. Und die Burg Rothenfels taucht auf. 1150 wurde das Gemäuer vom fränkischen Adeligen Markward II. von Grumbach errichtet. Nun dient die Festung als Jugendherberge und Bildungsstätte.
Den Rhythmus der Stadt beobachtet man am Main, der gleich hinterm Hochwasserschutz in aller Seelenruhe seine unterfränkischen Bahnen zieht. Oder aber im „Kunstraum“ an der Hauptstraße.
Vom Kauf- zum Kunstraum
Als sie das alte Fachwerkhaus mit dem spitzen Dach vor Jahren entdeckten, waren Martina Benge und Norbert Komorowski sofort schockverliebt. Einen der letzten Tante-Emma-Läden der Gegend gab es hier mal, 2007 zog das Künstlerehepaar aus Frankfurt ein und Bildhauerin Benge verarbeitete sogleich einen Teil des Inventars zu Kunst.
„Traumschiffe“ nannte sie eine Serie aus jener Zeit. Inspiriert vom Main fanden Hanfsäcke, altes Eisen und jede Menge Fundstücke vom Flussufer zusammen in märchenhaften Schiffsgestalten, die an die Boote im „Herr der Ringe“ erinnern. Ach ja, auch den menschlichen Körper findet die Künstlerin schön, vor allem den weiblichen, der meistens Thema ihrer Bronzeplastiken ist. Dieses Faible teilt sie mit ihrem Gatten.
Büsten und Brüste
Die Bilder von Norbert Komorowski machen gute Laune, auch weil hier mit viel Humor Themen und ganze Kunstepochen aufeinandertreffen. Ein römischer Kaiser etwa, der von seiner Büste herab mit einer Pop-Art-Schönheit in sexy Pose flirtet. Native Americans und Hollywood-Starlets in schriller, bunter Kombination. Oder einfach mal nur ein fast fertig gegessener Apfel im Porträt und in knallbunten Farben.
Erste Inspirationen lieferten Norbert die Filmplakate der 1950er- und 1960er-Jahre. Vormals Schauwerbegestalter, entdeckte Norbert während des Kunststudiums an der Frankfurter Städelschule die Pop-Art für sich, versuchte sich auch in anderen Stilen, vermischte diese miteinander und spielt bis heute damit.
Der „KunstRaum“ ist ein Lebensprojekt, das noch lange nicht fertig ist, wie sie sagen, Galerie und Atelier in einem. Ein Farbtupfer im historischen Rothenfels. „Und dann diese Ruhe“, schwärmt Martina Benge, „ist das nicht herrlich?“ Absolut, in den zehn Minuten, in denen wir vor der Tür Fotos machen, kommt nur ein Auto vorbei: das vom „Boss im Ort“.
Stadtführung mit dem Bürgermeister
Seit 2014 ist Michael Gram Erster Bürgermeister des Städtchens mit 1.000 Einwohnern. „Die unten am Main gelegene Stadt mit dem Rathaus hat nur 350“, erklärt er. Der Rest der Gemeinde wohnt im höher gelegenen Stadtteil Bergrothenfels, wo auch er mit seiner Familie und sechs Hunden lebt.
„Besuchern wird's es bei uns nicht langweilig. Wir haben die Altstadt, schöne Radwege und die Burg"
Bürgermeister, das macht er so nebenbei. „Hauptberuflich arbeite ich bei der Regierung von Unterfranken als Gewerbeaufsichtsbeamter. Das Amt des Bürgermeisters ist ein Ehrenamt.“ Was allerdings sehr viel Zeit in Anspruch nehme.
„Mit reduzierter Arbeitszeit im Hauptberuf, Homeoffice, einem guten Zeitmanagement sowie einer verständnisvollen Frau habe ich das bisher gut gemeistert,“ sagt er und krault Hündin Brenda, mit der zusammen wir an einen seiner Lieblingsorte gefahren sind, einen Picknickplatz am Waldrand hoch über der Festung und dem Main-Tal.
Das sportliche Zeitmanagement lässt ihm zum Glück Raum für Kreativität, die Telefonzellen-Bibliothek war eine seiner Ideen. Und er betreibt engagiert Stadtmarketing. „Besuchern wird es nicht langweilig. Zum einen haben wir die historische Altstadt, zum anderen schöne ebene Radwege am Main entlang und die Burg Rothenfels.“ Gram zählt Wanderwege und Aussichtspunkte mit Blick auf den bewaldeten Spessart auf.
„Durch unser intaktes Vereinsleben gibt es eine Vielzahl von Festen. Außerdem tolle Ausflugsmöglichkeiten!“Da sind etwa die „Schneewittchenstadt“ Lohr oder Würzburg zu nennen, das 50 Kilometer den Main abwärts liegt. Dann muss Gram wieder los. Unbedingt solle man noch bei den Büffeln vorbeischauen und beim Herrn Franz. „Der hat so einige Leichen im Keller!“
Krimikeller: Mordlust auf dem Bauernhof
Es gab einen Raum im Elternhaus, den Michael Franz die ersten 30 Jahre seines Lebens nicht betreten hatte. In der Familie nannten sie das schwarze Nichts hinter dem Schrank im Keller immer nur „Das Loch“. Was für sich schon klingt wie eine herrliche Gruselgeschichte, beschreibt den wahren Beginn der vergnüglichsten Kultur-Institution von Rothenfels: Seit der ersten Aufführung 2010 ist der „Krimikeller“ Kult und zieht sowohl Theaterfans wie Darsteller von weit über den Landkreis Main-Spessart und Würzburg an.
Lange hatte Franz, damals noch Journalist beim Bayerischen Rundfunk und zugleich begeisterter Amateur-Schauspieler in Würzburg, überlegt, was er mit dem geerbten Hof in seiner Heimat Rothenfels anstellen solle. Noch vor dem Boom der True-Crime-Storys im Fernsehen und der Podcasts kam ihm mit einer Freundin zusammen die Idee mit den Krimis.
Ein Theater im alten Mostkeller und Kuhstall! „Die Technik haben wir im Rübenkeller untergebracht“, berichtet Franz vergnügt. Und ist froh, das Trauma vom Loch überwunden zu haben. Dort ist heute die Garderobe, die fleißig genutzt wird. Die 92 Plätze seien meist gut gefüllt. Regelmäßig gibt es auch Aufführungen im Innenhof. Sogar zentral in Rothenfels hat man schon gespielt, vor 250 Zuschauern.
Biohof Tausch: Wasserbüffel mit Top-Job
Dieses Schlammbad-Wellness-Programm lassen sie sich nicht nehmen. Danach geben sich die Büffel von Bergrothenfels zum Fotoshooting die Ehre. Gechillte Wasserbüffel haben einen niedlichen Blick drauf, der eher an Yorkshire Terrier als an Rindviecher erinnert.
„Die können allerdings auch ganz schön stur sein“, erzählt Schäferin Selina Tausch. Kleiner Trick: Sie hat frische Äpfel mitgebracht, die die Büffelmeute gierig schlabbert. Die gehörnten Wasserratten mit Migrationshintergrund sind die exotischsten Bewohner auf dem Biohof Tausch und können sich das Divenhafte leisten, schließlich gehen sie einer anspruchsvollen Arbeit nach.
Als Angestellte im Naturpark Spessart halten die Büffel-Kids und die älteren Tiere im Sommer durch unablässiges Mampfen von Gras und Buschwerk die feuchten Tieflagen des idyllischen Hafenlohr-Tals frei und sie trampeln ökologisch wichtige Tümpel in den Boden. Währenddessen vergnügen sich die Teenager auf der Weide beim Hof.
Die Eltern von Selina zogen in den 1980er-Jahren nach Rothenfels und erfüllten sich den Traum vom Landleben. Die Begeisterung gaben sie an die Tochter weiter. „Es gibt ein Foto von mir, wie ich schon mit sechs Jahren stolz den Schäferstab in der Hand halte.“
2012 schloss sie die Schäfereiausbildung ab, da war sie 19. Auch die Zwillingsschwester und Freund Marcel helfen mit, denn es gibt immer viel zu tun. 400 blökende Fellkugeln gehören zur großen Tausch-Familie.
Zur Mittagspause nimmt sie sich Zeit, nach der Büffelriege auch den Schafböcken Hallo zu sagen. Von dem Nachwuchs dienenden Sexabenteuern in der Herde der Schaf-Girls abgesehen, bleiben die Böcke als reine Männer-WG in einer eigenen Umzäunung unter sich. Nun buhlen sie bei Frauchen Selina um Streicheleinheiten.
Und dann gibt es noch die drei Dutzend Galloways, die auf einer benachbarten riesigen Weide verteilt am Waldrand herumstehen und die Herbstsonne genießen. Selina ruft nach ihnen: „Fiona, Renate, Lena, Thor, Heidi, Olivia, Clara!“ Sogleich kommen alle angetrabt. Ganz besonders mag sie den braunen Thor. Einige der Tiere sehen sehr lustig aus, vorn schwarz und hinten weiß. Oreo-Kühe nennt Selina sie.
Von wegen Rothenfels in drei Minuten! Am Ende war es ein üppiger Tag in der kleinsten Stadt Bayerns. Und die Vorstellung im Krimikeller hat noch gar nicht angefangen!