Mit dem Geltendorf Train, vor allem aber mit Murals in New York, Rio, Paris und Sydney machte sich Street-Art-Künstler Loomit einen Namen. Dann kehrte er nach München zurück. Nichts los hier? Von wegen. Unsere Reporterin begleitete den Künstler beim Sprayen
Mit Street-Art-Legende Loomit durch München
„Das ist die gefährlichste Art, an einem Piece zu arbeiten“, sagt Loomit undeutlich durch seine Atemmaske und steigt von der Leiter herunter. Die steht mitten in der belebtesten Fußgängerunterführung Münchens neben dem Müller‘schen Volksbad.
Eine heikle Stelle? Hier, in einem der idyllischsten Viertel der „gemütlichsten Stadt Deutschlands“? Und das aus dem Mund eines Street Artist, der in der Bronx gesprayt hat, der an Hochhausfassaden und auf Bahngleisen herumgeturnt ist, um riesige Murals zu sprayen. Und nun bezeichnet er die Arbeit im knapp 17 Meter langen Tunnel als „Slam“, also schnelles Sprayen an einer riskanten Location?
Vom höchsten Wandbild der Welt bis zum Badezimmer des Münchner Oberbürgermeister Christian Ude hat der Mann im farbverspritzten Friesennerz, der mit bürgerlichen Namen Mathias Köhler heißt, seit den frühen 1980ern alles gestaltet und bemalt. In der Stille der Nacht und am frühen Morgen hat Loomit die Tunneldecke mit blauen und weißen Streifen versehen.
Inzwischen schiebt sich die Sonne über das Dach des Jugendstilbads und setzt Glitzerpunkte auf die daneben dahinrauschende Isar. Loomit klappt die Leiter zusammen. Schluss für heute mit der Deckenbemalung, er wird an den Wänden weiterarbeiten, das ist weniger riskant.
„Wir können den Ludwigstunnel nicht sperren, also drehen wir die Musik extra laut auf, um die Radfahrer zu warnen, damit sie die Geschwindigkeit drosseln. Sonst kann das zu fürchterlichen Zusammenstößen führen, sowohl mit der Leiter als auch mit uns Künstlern, wenn wir ein paar Schritte zurücktreten, um unsere Arbeit an den Wänden zu prüfen“, erklärt er.
Teamwork im Tunnel
Die anderen Künstler, das sind Flin, Loomits alter Freund und Kollege, der auf einer fetten Bachforelle dralle Babys reiten lässt, und Miriam Frank, die mit Lackstiften Haare, Borsten, Schuppen und Tattoos auf ihre skurrilen Radfahrer malt: zwanzig typische Münchner, die auf der Wand gemächlich Richtung Norden rollen.
„Ich genieße es, wenn Leute vorbeikommen und unsere Arbeit mögen“
„Sie sind also der berühmte Loomit“, beginnt ein Spaziergänger das Gespräch. Es gefalle ihm sehr, was hier entstehe, nämlich schöne, bunte Bilder wie aus einem Kindertraum, fährt er fort. „Ich genieße es, wenn Leute vorbeikommen und unsere Arbeit mögen“, sagt der Künstler.
Verbotene Bilder
Kaffeepause in der Boazn, dem ehemaligen Klohäusl neben dem Ludwigstunnel. „Loomit The Legend“ klappt eine Blechschachtel mit Stiften auf und den Malblock, sein Blackbook, wie die Skizzenblöcke in der Graffiti-Szene heißen.
Der Wortschatz der Writer und Aerosol-Junkies ist so grell und bunt wie ihre Pieces, die mit Pseudonymen signiert werden. Was Loomit bedeutet? Ein schönes Wort, sonst nichts. Mathias Köhler gab sich den Namen zu Beginn seiner Graffiti-Karriere, nicht einmal seine Mutter nennt ihn bei seinem Vornamen.
Vom illegalen Sprayen zu Auftragsarbeiten
„Bomben gehe ich schon sehr lang nicht mehr“, sagt Loomit und streckt sich in der Morgensonne, um die Verspannung vom Überkopfarbeiten abzuschütteln. „Bomben“, das sind jene Nacht- und Nebel-Aktionen, bei denen Sprayer die verbotenen Bilder schaffen und mit geheimen Kürzeln markieren.
Nur der harte Kern der Szene weiß, wer dahintersteckt. „Die illegalen Sachen überlasse ich den Jüngeren. Ich kümmere mich lieber um meinen Garten auf dem Land.“ Das hört sich für einen 55-Jährigen nach frühem Rückzug an.
Da Loomit kein großer Redner ist, muss man selbst herausfinden, dass er auf internationale Festivals und zu Graffiti-Jams eingeladen wird, Workshops gibt, für große Firmen Wandbilder sprüht, als Kurator für das Werksviertel und die Isar-Tunnels zuständig ist.
Auf 80 Meter Breite prangt seit 2023 am Stauwehr Oberföhring seine riesige Auftragsarbeit für Uniper. Gemeinsam mit den Graffiti-Künstlern Lando und Bert brachte er Kraftwerke, Wasser, Berge, Wälder, einen Donaulachs und einen Schwan auf das Gebäude.
Respekt in der Szene
Wo Loomit beteiligt ist, tauchen auch Tiere auf. An der Mauer rund um das Muffatwerk fliegen seine Kreuzungen aus Biene und Elefant spazieren. „Ich werde Frösche und Eidechsen malen,“ sagt er und zeigt auf die Skizzen von den Tunnelwänden in seinem Blackbook.
„Flin ist ein Jugendfreund, ich will schon ewig etwas mit ihm machen, ich liebe seine Libellen. Miriams Arbeit beobachte ich seit Kurzem, sie ist jung und wahnsinnig talentiert. Ich will Frauen in der Szene stärken, noch gibt es zu wenige.“
Den Tunnel hätte Loomit leicht auch allein geschafft, aber es ist unter Graffiti-Writern üblich, größere Projekte gemeinsam zu stemmen. „Jeder macht sein Ding innerhalb des Gesamtwerks. Beim Tunnel waren wir uns einig, die Umgebung aufzugreifen. Die weiß-blaue Decke macht den dunklen Schlund hell und freundlich.“
Wie er darauf kommt, dass das so bleibt? Dass nicht Leute daherkommen und alles übersprühen? „Meine Sachen werden nicht so schnell gecrosst“, versichert Loomit, „vor mir hat die Szene Respekt.“
Die Kunst der Vergänglichkeit
Nicht nur schlechte Arbeiten gelten als „Toy“ und werden bald übermalt. Immer mal wieder gibt es Neider und Dummköpfe, die Pieces zerstören. Damit muss ein Graffiti-Künstler leben, ebenso wie mit dem Lauf der Zeit. Wände werden abgerissen, verwittern, die Bilder verblassen oder verschwinden unter Moos und Knöterich, Passanten gehen vorbei und werden Teil des Bildes. Loomit zuckt mit den Schultern. „Das Vergängliche ist in meiner DNA.“
Loomit, die Street-Art-Legende
Der scheue Mann mit den dunklen Wuschelhaaren und dem klaren Blick ist seit über 40 Jahren eine Legende. Den Ruhm hat er sich als 17-Jähriger verdient. In einer kalten Märznacht 1985 zog er mit sechs Freunden los, um eine 54 Meter lange S-Bahn mit einem Krokodil und Pin-ups zu verzieren, den ersten „Wholetrain“ in Deutschland.
So eine „Karre“ vollständig zu besprühen ist die Königsdisziplin der illegalen Sprayer. Das Werk ging als „Geltendorf Train“ in die Geschichte ein. „Die 4.000 Mark Strafe für die Aktion hat meine Mutter als Ausbildungskosten verstanden“, sagt Loomit trocken.
Das Geld war gut angelegt. Der Bürgerschreck hat es sogar in den „Stern“ geschafft. „Wir sind da nachts unter Güterwaggons in dieses Depot geschlichen und haben 'ne riesengroße Panik geschoben, wenn ein Scheinwerferstrahl näherte“, erzählte er der Reporterin, „zweieinhalb Stunden haben wir gearbeitet. Dann hätt' ich mich kranklachen können. Das war voll der Rausch.“
Lernen von den Besten: New York
Nachdem er das Abitur in der Tasche hatte, zog es Loomit nach New York. Graffiti wurde ja in der Bronx erfunden. Er schlug bei „Seen“ auf, eigentlich Ritchie Mirando. Der Godfather of Graffiti war der Sohn eines Gewerkschaftsbosses in der Bronx. „Ich lernte bei Seen das Tätowieren, das war damals noch verboten.
Zum Geldverdienen habe ich Werbung für Muckibuden und Tabledance-Schuppen gemalt. Ich kam mir vor wie im Club Med für Sprayer“, erinnert sich Loomit, „wir hatten airless guns. Im Nu spritzt du mit denen einen ganzen Eimer weg. Den Strom für die Dinger haben wir aus Straßenlaternen gezogen. Den Bullen war das egal, sie interessierten sich nur für Drogen.
Wir hatten Marty dabei, den Manager von Seen, der hatte immer irgendeinen Kampfhund im Schlepptau. Das war sein eigentlicher Job: Diese Biester einsammeln, die niemand mehr haben wollte. Gut für uns. Die Bronx war in den 90er-Jahren noch gefährlich und wir waren die einzigen ,Weißbrote‘ dort. Aber egal, wir hatten kein Hautfarbe, wir hatten Bilder!“
Die Höhle des Sprayer-Königs
Ein Glück für die Münchner Graffiti-Szene, dass Loomit zumindest zeitweise hierher zurückkam. Er bezog eine Werkstatt im Kunstpark Ost, ab 1996 das größte Party-Areal Europas, und machte das Gelände zur Brutstätte der Münchner Street-Art-Szene. Loomit lud seine internationalen Kontakte ein, dort zu sprayen. Alle kamen.
Besuch in der Höhle des Sprayerkönigs kurz vor dem Abriss. Das alte Pfanni-Gelände wandelt sich gerade zum schicken Werksviertel Mitte. Neben dem Eingang klafft ein tiefes Loch, Bagger schaufeln Dreck. „Ein Paradies! Ich habe hier immer noch Narrenfreiheit“, meint er.
Das paradiesische an dem fensterlosen Raum ist schwer zu erkennen. Es ist eiskalt, Farbkübel überall, Spraydosen in einem Industrieregal, Leitern, eine Bohrmaschine mit Quirl, ein voll gekleckster Metalltisch, ein altes Fahrrad mit Anhänger und Lenkerkorb. Aus einem Radio schnorcheln Töne: Hip-Hop, der Soundtrack der Writer.
Grundkurs Street-Art
„Ich bekomme Farbreste von Firmen oder Projekten“, erklärt Loomit die vielen Eimer, während er Dosen und Marker zusammensucht und in seine Fahrradkörbe packt. „Wenn die Pigmente noch gut sind, arbeite ich sie auf, ich will so wenig Petrochemie verbrauchen wie möglich.
„Ich bringe ihnen nur etwas Technik und Disziplin bei. Den Rest muss man sie einfach machen lassen“
Auch Elektronik verwende ich nur, wenn es unbedingt nötig ist.“ Stimmt, Loomit lebt analog und in seinem eigenen Rhythmus. Das heißt auch, dass er nicht ganz leicht zu erreichen ist. Er schiebt nun das mit Dosen und Stiften beladene Rad zu einem Abrissgebäude. Gleich wird eine Schulklasse eintrudeln, um von ihm ein paar Grundlagen in Street-Art zu lernen.
Bevor die unschuldigen Knirpse es hören können, gibt er noch zu, dass er die Sprühdosen früher keineswegs gekauft hat. „Wir sind Baumarkttouren gefahren. Unter einer weiten Kutte trug man ein superenges T-Shirt, in das haben wir so viele Dosen wie möglich geklemmt. Manche konnten Gürtel von bis zu zwölf Cans durch die Kassen schmuggeln.“
Cooler Bildungsauftrag
Gleich wird der ehemalige Wilde den ultrastrengen Lehrer geben. Seit 25 Jahren macht er das so. Es funktioniert. Die Kinder müssen ihre Entwürfe vorzeigen, sonst bekommen sie keine Farben. Anstehen, Klappe halten, Vorsicht mit den Lackstiften, nicht rangeln und boxen. Kaum zu glauben, aber die Kinder, alle im Unfugsalter und aus einer Brennpunktschule, gehorchen wie die Lämmchen.
„Ich bewerte nicht, was sie da malen“, erklärt Loomit seinen pädagogischen Ansatz. „Ich bringe ihnen nur etwas Technik und Disziplin bei. Den Rest muss man sie einfach machen lassen.“
Wahrscheinlich fängt hin und wieder ein Mädchen oder Junge Feuer. Geht racken und bomben wie Loomit früher. Cool wäre dafür, wenn die Stadt mehr Flächen für die Jugendlichen freigeben würde. Für den Nachwuchs sorgt Loomit The Legend.
Slang-Begriffe der Graffiti-Szene
- Piece: Ein aufwendig gestaltetes, kunstvolles Graffiti
- Tag: Die handschriftliche Signatur eines Graffiti-Künstlers
- Throw-Up: Ein einfaches, schnelles Graffiti mit großen Buchstaben
- Buff: Das Übermalen oder Entfernen von Graffiti als Anti-Vandalismus-Maßnahme
- Writer: Ein Graffiti-Künstler
- Sketch: Vorzeichnung für ein Graffiti
- Crew: Eine Gruppe von Graffiti-Künstlern, die zusammenarbeiten
- Bombing: Das massenhafte Anbringen von Graffiti in einem Gebiet
- Stencil: Eine wiederverwendbare Schablone für Graffiti
- Wildstyle: Eine besonders komplexe und stilisierte Form des Graffiti
- Slam: Zügiges Anbringen vieler Tags unter riskanten Bedingungen
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