Bad Bocklet Stirnölguss
Namaste, Bad Bocklet!

Tiefenreinigung am Rand der Rhön. In Bad Bocklet bitten indische Ärzte und Therapeuten zur Ayurveda-Kur. Warum sich das kleine Staatsbad in Franken zu einem führenden Zentrum der jahrtausendealten Heilkunde entwickelte – und wie sich das anfühlt zwischen Stirnguss und Kräuterstempel

Lesezeit: 15 Minuten

Ayurveda in Franken: Heilkunst aus Indien in Bad Bocklet

Ruhig liegen. Entspannen. Nichts denken. Und nicht einschlafen. Das hatte Telens, der indische Therapeut, als Empfehlung für die nächsten 50 Minuten mitgegeben. Unmittelbar vor Beginn seiner Behandlung. Kurz bevor lauwarmes Öl in einem feinen Strahl mit kreisenden Bewegungen auf die Stirn rinnt, links und rechts hinunter über die Schläfen zu den Ohrläppchen und rein in den Nacken. 

Bevor der Geruch von Kräutern und Gewürzen die Nase durchdringt, eine Prise Mandel, etwas Kokos, ein Hauch von Sesam. Bevor der Kopf langsam frei wird und unruhige Gedanken allmählich verschwinden. Aufgelöst im Nichts.

Vor lauter Tiefenentspannung bin ich dann doch kurz weggenickt. Für einen Powernap unterm Kupferkessel. Shirodhara, der Stirnguss, ist die Königsdisziplin der Ayurveda-Therapie. Aber den verabreicht Telens nicht in seiner Heimat Indien, sondern mitten in Franken, in Bad Bocklet am Rand der Rhön. Dort wird die medizinische Naturheilkunde nun seit zehn Jahren genauso authentisch praktiziert wie seit vielen Tausend Jahren auf dem indischen Subkontinent.

Bad Bocklet, das Bayerische Staatsbad im Landkreis Bad Kissingen, war die letzten 300 Jahre vor allem wegen seiner Stahlquelle bekannt, die 1724 entdeckt wurde und aus der bis heute das eisenhaltigste Wasser in ganz Deutschland hervorsprudelt. Im Kurhaus von Bad Bocklet kann man darin baden, zur Anregung des Stoffwechsels, zur Entgiftung des Körpers und zur Stärkung des Immunsystems. Und wer wissen möchte, wie in etwa ein rostiger Nagel schmeckt, kann sich auch aus der Trinkquelle im Kurpark einen Schluck genehmigen.

Bad Bocklet Kunzmann Telens

Vom Indischen Ozean an die Fränkische Saale

Inzwischen beheimatet Bad Bocklet neben dem alten Stahlbad eines der führenden Ayurveda-Zentren im ganzen Land, mit Fachkräften aus der Heimat der Heilkunst. Aber wieso ausgerechnet hier, irgendwo im Norden Bayerns? Wer sich fragt, wie und warum es rund zwei Dutzend Ärzte und Therapeuten vom Indischen Ozean an die Fränkische Saale verschlug, der findet die Antwort bei Ebba-Karina Sander ... und bei einem ayurvedischen Mittagessen im Hotel „Kunzmann’s“: geschmorter Ofenkürbis und Udon-Nudeln mit Brokkoli und Lauch.

Ebba-Karina Sander war eine erfolgreiche Gesundheitsökonomin, in einer Klinik in Bad Kissingen arbeitete sie in der Unternehmensspitze, als bei ihr vor 20 Jahren Brustkrebs diagnostiziert wurde – und damit jene Krankheit, an der ihre Mutter schon mit 61 starb. Bei einem Klinikbesuch in Schweinfurt lernte sie zufällig Jobin Madukkakuzhy kennen, Arzt und Leiter eines Ayurveda-Zentrums in Parathode im Bundesstaat Kerala, tief im Südwesten Indiens.

Bad Bocklet Kopfmassage
Bad Bocklet Stirnölguss

In Kerala auf den Kopf gestellt

Von Ayurveda habe sie null Ahnung gehabt, so Sander. Weil ihre Prognose aber nicht sehr günstig war und sie neben der Schulmedizin andere Therapieformen ausprobieren wollte, flog sie drei Monate nach der Begegnung nach Kerala. Zu „Dr. Jobin“, wie sie Madukkakuzhy immer nennt. Eine ganz neue Erfahrung sei es gewesen. Und eine sehr anstrengende! „Die haben mich komplett auf den Kopf gestellt“, erinnert sie sich, rein bildlich gesprochen. Aber es war auch eine sehr erfolgreiche Reise.

„Ich bin immer noch da“

Jedes Jahr kehrte sie für einige Wochen nach Kerala zurück, bis ihr eine Idee kam: die Eröffnung einer Ayurveda-Praxis in Bayern. Keine Reisestrapazen, kein stundenlanger Flug, kein Jetlag und keine Umstellung auf das tropisch schwüle Klima. 

Viel sprach also dafür, die altindische Heillehre auch hier in der Region anzubieten. So fragte sie bei einigen Kurorten und Heilbädern nach, ob denn Interesse bestünde. Die erste Antwort, die sie bekam, kam von einem sehr begeisterten Wolfgang Back, seines Zeichens Bürgermeister von Bad Bocklet.

Und so eröffnete Sander zusammen mit Dr. Jobin im Frühjahr 2014 im „Kunzmann’s“ eine Zweigstelle des Madukkakuzhy-Zentrums. Mit Ärzten, Therapeuten und Fachkräften, die in Indien studierten und in Parathode ausgebildet wurden. 

So wie Telens, so wie Shyamili und Neela, die Therapeutinnen. Oder so wie Dona Francis, die Ärztin, die in Indien nach fünfeinhalb Jahren Studium an der Uni ihren „Bachelor of Ayurvedic Medicine and Surgery“ machte und die in den Erstgesprächen die Patienten in ihre jeweiligen Doshas einteilt. Ob Vatha, Pitha oder Kapha. So nennt man in der Ayurveda-Lehre je nach körperlichem und seelischem Zustand die drei Konstitutionstypen eines Menschen. Dann weiß Dona Francis auch, wie sie wen behandeln muss.

Bad Bocklet Frau im Ruheraum

Ölmassage zur Aktivierung der 107 Marmas

Es geht um ganzheitliche, individuell abgestimmte Medizin gegen schwere Krankheiten und chronische Beschwerden. Um Prävention zur künftigen Stärkung des Organismus. Um eine Umstellung der Ernährung. Um einen Reset für ein harmonisches Miteinander aus Körper, Geist und Seele.

Dass es sich bei Ayurveda nicht, wie manchmal falsch interpretiert wird, um ein Wohlfühl-Angebot aus dem Spa-Resort handelt, wird schon bei der Abhyanga deutlich, einer kraftvoll vierhändigen Ölmassage durch zwei Therapeuten am gesamten Körper. Dabei werden die laut Ayurveda-Lehre 107 Marmas, also die Vitalpunkte des Körpers stimuliert und aktiviert. Unter anderem für einen schnelleren Energiefluss und einen besseren Stoffwechsel.

Spätestens wenn Telens sich die seit Wochen verspannte rechte Schulter vorknöpft und ordentlich in die Mangel nimmt, wird klar, dass es sich nicht um gechilltes Relaxen im Rahmen eines Wellness-Urlaubs handelt. Ayurveda ist fordernd. Und niemand, der hierher kommt, macht Ayurveda ohne Grund.

Als Reporter ist man hier, um für einige Tage bei einigen Anwendungen als Selbsterfahrung in die Welt der Heilkunde einzutauchen, es sind Ayurveda-Schnuppertage. Ernst ist es aber bei den meisten der Gäste, Patienten mit unterschiedlichen Lebens- und Leidensgeschichten, von Krebs über Multiple Sklerose bis zu Parkinson, von Burn-out bis Long Covid. Viele sind schulmedizinisch austherapiert. Für viele ist Bad Bocklet die letzte Hoffnung.

Bad Bocklet Therapeutin
Bad Bocklet Massage

Panchakarma: Zwei Wochen Detox

Die meisten unterziehen sich dabei dem Panchakarma, einer zweiwöchigen Entgiftungskur. Mit täglichen Sprechstunden und Behandlungen je nach Dosha, von Abhyanga bis Shirodhara, von der Svedana, einem Kräuterdampfbad, bis zur Padabhyanga, einer Waden- und Fußmassage.

Täglich im Programm ist das Morgen-Yoga. Die Leiterin ist hier Viola Hill, sie kommt nicht aus Indien, sondern aus dem Rheinland. Auch sie fand durch eine seelische Lebenskrise zu den Themen Ayurveda, Yoga und Meditation. Seit ihrer Ausbildung zur Yoga-Lehrerin arbeitet sie in Bad Bocklet. Die Menschen hier in der Rhön seien herzlicher als bei ihr zu Hause, sagt sie, die Landschaft sei schöner, sanfter, weicher und offener.

Aus eigener Erfahrung kann Hill den Gästen vermitteln, wie wichtig es ist, auszubrechen aus dem Hamsterrad der Leistungsgesellschaft. Seelischen Ballast über Bord zu werfen, sich zu reinigen. Zu sich zu finden. Als die Frage aufkommt, wann man beim Yoga wirklich die spirituelle Erleuchtung erlange, antwortet Viola mit einem Lächeln: „Das dauert vermutlich mehrere Leben.“

Bad Bocklet Yoga Übung

Guten Appetit: Bei Fenchel, Spargel, Rote Bete

Auch die richtige Ernährung für eine gesunde Verdauung ist ein unverzichtbares Element in der Ayurveda-Lehre. Matthias Kirchner ist der Koch im „Kunzmann’s“, er arbeitete schon in Nobelküchen in Hamburg und auf Kreuzfahrtschiffen. Vor acht Jahren verschlug es ihn zurück in seine fränkische Heimat, wo er Gerichte für die Ayurveda-Gäste zubereitet.

Verabschiedet hat er sich dabei von der Philosophie, rein indische oder asiatische Mahlzeiten zu kreieren. So gibt es immer in Abstimmung mit Dr. Jobin in Kerala etwa Kürbis, Fenchel, Spargel oder ein Rote-Bete-Risotto. Und als Nachtisch am Mittag auch mal einen Muffin mit Pflaumen und Zimt. Beim Essen geht es im Ayurveda weniger um kompletten Verzicht als vielmehr um eine sinnvolle Reduktion. Matthias bringt es schön auf den Punkt: „Es wird bei uns nie genullt.“

Längst hat sich das Zentrum als Anlaufstelle für alle etabliert, die nach alternativen Behandlungsmethoden abseits der Schulmedizin suchen. Viele Stammgäste aus ganz Europa kommen immer wieder, darunter auch leitende Ärzte führender Krankenhäuser. Auch eine Uni-Professorin, wie Sander erzählt, sei in der vorlesungsfreien Zeit zweimal im Jahr hier für eine Kur zur Stärkung und zur Prävention.

Zum zehnjährigen Jubiläum im Mai 2024 gab es ein großes Fest, aus Berlin kam der indische Botschafter angereist, mit einer dicken Konsulatskarosse und Wimpel vornedran, es war mächtig was los in Bad Bocklet.

Aber wie ist das überhaupt für die Menschen aus Indien, die hier nun knapp 8.000 Kilometer fernab ihrer Heimat praktizieren und leben? Anfangs, so sagen es alle, mit denen man spricht, hätten sie sich fremd gefühlt. Das raue Klima, die Kälte, und man hört auch, dass sich ein Inder angesichts der blattlosen Bäume bei seiner Ankunft im Januar gefragt habe, ob hier mal eine Atombombe gefallen sei.

Bad Bocklet Chefkoch
Bad Bocklet Ofenkürbis

Indische Kinder und das Fränkische

Mittlerweile haben sie sich alle akklimatisiert. Auch Sajan Joseph Vadakkan, der am letzten Tag im „Kurhaus“ zum Gespräch bittet, samt einer anschließenden Pinda Sweda, einer Kräuterstempelmassage. Dabei klopfen die Therapeuten mit Baumwollsäckchen, die mit Reis, Zitrone und Kräutern gefüllt sind, auf den Körper.

Auch in diesem Traditionshotel bieten indische Fachkräfte aus Kerala Ayurveda-Therapien und Behandlungen an. Vadakkan kam gleich zu Beginn vor zehn Jahren mit seiner Frau nach Franken.

Seine jüngste Tochter geht in die zweite Klasse. Er sagt, sie spreche etwas Englisch, ausgezeichnet Deutsch, am allerbesten aber Fränkisch. Die Integration sei leichtgefallen, man habe ihn und seine Landsleute im kleinen Bad Bocklet aufs Herzlichste aufgenommen und willkommen geheißen. Einmal im Jahr fährt Vadakkan nach Indien, langfristig sieht er aber Franken als sein Zudehause. Die sanfte, weiche Rhön, in der ab Frühling ja auch wieder Bäume an den Blättern wachsen.

Am letzten Abend reißt die dichte Wolkendecke der vergangenen Tage das erste Mal auf. Es offenbart sich ein gewaltiger Blick hinaus ins Weltall, man versteht einmal mehr ganz gut, warum das Biosphärenreservat Rhön als Internationaler Sternenpark anerkannt ist. Weil man hier im Land der offenen Fernen so ungetrübt nach oben in den Nachthimmel blicken kann. Wahrlich ein guter Ort, um spirituell zu werden. Vielleicht klappt es hier ja sogar schon im nächsten Leben.

Bad Bocklet Ayurveda Kräuterstempel
Bad Bocklet Kräuterstempelmassage

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