Abhyanga gilt in der indischen Heil- und Lebenskunde Ayurveda als „Königsmassage“. Um sie zu genießen, muss man nicht nach Sri Lanka oder Kerala fliegen. Auf einer Insel mitten im Chiemsee wartet die Abtei Frauenwörth mit dieser Ayurveda-Massage auf
Ayurveda-Massage im Kloster Frauenchiemsee
Draußen am Steg legt der Raddampfer „Ludwig Fessler“ an. Die Menschen strömen von Bord, lachen, rufen. Kinder wollen ein Eis. Oben im großzügigen Massageraum in der Abtei Frauenwörth hört man nichts davon. Das ovale Bullaugenfenster, durch das wir den Trubel am Ufer beobachten, ist eingebettet in gut einen halben Meter dicke Klosterwände und isoliert bestens.
In der Wölbung des zweiten Bullauges steht die Skulptur einer Maria mit Kind. „Sie ist sehr alt und gehörte quasi zum Inventar, als ich 2019 hier meinen Massageraum eröffnen durfte“, sagt Gabriele Theimer-Nagele. „Für mich strahlt die Skulptur sehr viel Kraft und Energie aus und hat auch eine beruhigende Wirkung.“
Eine Stunde „Königsmassage“
In den hellen, lichten Räumen treffen Maria und Kind auf Buddha, Lotusblüten und Schriftzüge mit dem Wort „Namasté“. Diese hinduistische Grußformel drückt dem Gegenüber Respekt aus.
Gaby bereitet die Massageliege für die Abhyanga vor, die gut einstündige „Königsmassage“ der ganzheitlichen indischen Gesundheitsphilosopie Ayurveda. Eine Heizdecke sorgt für angenehme Temperaturen während der Massage.
Bis auf einen Einweg-Slip ist man bei dieser Ayurveda-Massage unbekleidet, aber jederzeit von flauschigen Handtüchern und Laken bedeckt und sichtgeschützt.
Welcher Dosha-Typ bin ich?
Wer mag, macht vor der Ayurveda-Massage einen Dosha-Test. Anhand von rund dreißig Fragen hilft er, das eigene Verhältnis der drei „Konstitutionstypen“ herauszufinden, die im Ayurveda definiert sind: Vata, Pitta oder Kapha.
Vata-Menschen sind, kurz gesagt, ausgesprochen lebenslustig, neugierig und flexibel. Bei Pitta-Typen sind Ehrgeiz und Disziplin besonders ausgeprägt, während Kapha für Ruhe, Geduld und Stabilität steht.
„Die meisten Menschen sind Mischtypen“, erklärt Gaby, die die Kunst der Ayurveda-Massage nach einer persönlichen Lebenskrise an der Paracelsus-Heilpraktikerschule in Rosenheim erlernte. „Bei mir sind Vata und Pitta vorherrschend.“
Je nach Dosha wählt Gaby auf Wunsch das Öl für die Abhyanga-Massage aus. Schwarz gereiftes, kalt gepresstes Sesamöl ist für alle drei Typen geeignet und hilft dabei, die Doshas in Einklang zu bringen.
Ayurveda-Massage: Mit liebenden Händen
Abhyanga ist mehr als eine Massage, das verrät schon die wörtliche Übersetzung: „Große Ölung mit liebenden Händen“. Im Prinzip geht es darum, bestimmte Körperpartien – Beine, Arme, Rücken, Brustbereich – mit warmem Öl auszustreichen und dabei die Marmas zu aktivieren, die nach der indischen Lehre insgesamt 108 Energiepunkte im menschlichen Körper.
„Große Ölung mit liebenden Händen“
Hände, Füße, Nacken und Kopf werden auch mit einbezogen. Um sich selbst zu erden, massiert Gaby barfuß und bewegt sich, konzentriert und sehr geschmeidig, im Rhythmus der leisen sphärischen Musik.
Wohlbehagen durch warmes Öl
Zu Beginn der Ayurveda-Massage umfasst sie die Füße des bequem in Bauchlage liegenden Gasts, um einen ersten Kontakt aufzunehmen. Dann deckt sie das erste Bein für eine „große Streichung“ bis hin zu den Fersen und Zehen auf.
Immer wieder gluckert warmes Öl aus dem Spender in ihre Hände – ein Geräusch, das man schnell mit Wohlbehagen assoziiert. Und so soll es auch sein: „Wir möchten eine Wohlfühl-Atmosphäre schaffen“, sagt Gaby.
Lautlos bewegt sie sich barfuß um die Massageliege, hält hier ein Tuch in der Hand, deckt dort ein Bein wieder zu und widmet sich sanft der Ferse und der Achillessehne. Durch intensives Reiben aktiviert sie die Fußreflexzonen. Es prickelt angenehm.
Effekt bis in die Haarspitzen
An den Oberarmen greift sie fest zu – „wie bei einem Sandwich“, lacht Gaby. Brustbein, Nacken und selbst die Haare nimmt sie sich mit viel Ruhe vor. Bis in die Spitzen streicht sie die Haare aus und zieht kontrolliert daran.
„Der Reiz an der Kopfhaut ist überraschend intensiv“
Der Reiz an der Kopfhaut ist überraschend intensiv. Und was, wenn jemand keine oder kaum noch Haare hat? „Dann baue ich eine schöne Kopfmassage ein“, sagt Gaby und widmet sich abschließend der Aufgabe, den Körper wieder „zusammenzusetzen“.
Eine Stunde lang hat sie Beine, Füße, Arme, Hände, Rücken, Brustbein, Nacken und den Kopf mit viel Liebe, Kraft und Sesamöl einzeln bearbeitet.
Die ganzheitlichen Berührungen zum Schluss dienen dazu, dass man sich auf der Massageliege wieder als Ganzes fühlt. Man ist neu angekommen im eigenen Körper, wunderbar entspannt und belebt von den Haarspitzen bis zu den Zehen.
Nachklang auf der Fraueninsel
Zum Ende der Abhyanga serviert Gaby Tee, den sich Seminarteilnehmer auch auf ihr Zimmer im Gästebereich der Abtei Frauenwörth mitnehmen können. Längst ist es Abend geworden, durch das Bullaugenfenster sehen wir, wie eines der letzten Schiffe zum Festland ablegt. Jetzt wird es ruhig auf der Fraueninsel – genau richtig, um sich auf eine Bank am Ufer zu setzen und die Massage mit einem Blick auf den im Tiefblau versinkenden See nachklingen zu lassen.
Gäste von nah und fern
Andrea, die Wirtin meiner privat geführten Pension, schließt gerade ihren Keramikladen und erkundigt sich, wie es war. „Bevor der Sommertrubel anfängt, sollte ich mir auch mal wieder eine Massage bei Gaby gönnen“, sagt sie. Wie Andrea haben viele der rund 250 ständigen Inselbewohner die wohltuenden Effekte der Abhyanga zu schätzen gelernt.
Auch viele Gäste vom Festland kommen regelmäßig, um unter den Augen der anrührenden Skulptur von Maria und Kind im Verein mit Buddha und Namasté-Postern die indische Kunst der Massage zu erleben.