Autorin Barbara Stummer schlemmt für ihr Leben gern. Wie sie eine Woche medizinisch betreuten Fastenurlaub als „Fasten-Küken“ erlebte und das Begleitprogramm aus schönen Erlebnissen und geistiger Nahrung genoss, notierte sie in ihrem Tagebuch
Fasten für Anfänger
Gäbe es einen bayerischen Lieblichkeits-Wettbewerb, der Ausblick von meinem Balkon im „Naturhotel Tannerhof“ in Bayrischzell würde gewinnen: Rechter Hand wächst der Wendelstein in den Himmel, links schwebt ein Paraglider den Hang herab. Keine zehn Meter vor mir grasen zwei gut frisierte Haflinger Seite an Seite mit einem Trüppchen Laufenten.
Eine Woche lang darf ich dieses Idyll nun genießen – dazu Massagen, Yoga und Wanderungen. Dass sich trotzdem ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breitmacht, hat tatsächlich mit dem Magen zu tun: Der wird in den nächsten Tagen leer bleiben.
Tag 1: Erst mal komplett entlasten
Mein Magen wird vergeblich auf sein Morgenmüsli warten, wird weder Spaghetti noch Salat bekommen und statt Kaffee und Wein mit Wasser und Tee vorliebnehmen müssen. Ich mache eine Fastenkur. Es ist die erste meines Lebens.
Ich stelle fest, dass mir die Idee bei der Planung vor zwei Monaten deutlich verlockender erschien als jetzt, wo sie Realität wird. Kann ich das, als klassischer Vielfraß mit Dauerhunger, überhaupt durchhalten? Einen Versuch ist es wert!
Studien legen nahe, dass ein zeitweiser Nahrungsentzug Rheuma, Bluthochdruck und Entzündungsprozesse eindämmt, das Immunsystem stärkt und das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Probleme und Krebs mindern kann.
Der amerikanische Altersforscher Valter Longo sagt dem Fasten gar eine lebensverlängernde Wirkung nach, da es den Abbau defekter Zellbestandteile fördere und die Zellen „verjüngt“. Wer wünscht sich das nicht? Dass gleichzeitig ein paar Pfunde purzeln, ist ein höchst sympathischer Nebeneffekt.
Wie ich als Fasten-Anfängerin gesund und munter durch die nächsten Tage komme, erklärt mir die Hotelchefin bei der Eingangsuntersuchung persönlich. Burgi von Mengershausen ist Ärztin, genau wie ihr Urgroßvater Christian, der das Haus 1905 als Kurheim eröffnete.
Die Großeltern fügten eine Fastenabteilung nach Otto Buchinger hinzu. Allerdings ohne sich sklavisch an die Vorgaben des Heilfasten-Erfinders zu halten. Ihr Motto: Weniger Verbote, mehr Genuss.
Das gilt im liebevoll renovierten und mit einem Architekturpreis ausgezeichneten Naturhotel bis jetzt. Mehr als 400 Kalorien pro Tag nimmt man trotzdem nicht zu sich, und das ausschließlich in flüssiger Form.
Für mich ist heute erst mal Entlastungstag. Ich habe die kürzeste Kur gewählt: Auf fünf reine Fastentage kommen ein Tag mit leichter Kost zu Beginn und zwei Aufbautage am Ende der Woche. So kann sich der Körper auf das reduzierte Nahrungsangebot einstellen und vorsichtig wieder ans Essen gewöhnen.
Meine Henkersmahlzeit, ein knackiger Gemüseteller, wird bereits im Fastenzimmer serviert. In der gemütlichen Bauernstube sind die Suppenlöffler unter sich – pietätvoll abgeschottet von den fürstlich verpflegten „normalen“ Hotelgästen. Ich erwarte schwermütige Asketen, finde aber ein bestens gelauntes Grüppchen vor, viele davon Wiederholungstäter, die mich als sogenanntes Fastenküken sofort unter ihre Fittiche nehmen.
Tag 2: Ich zehre von meinen Reserven …
Heute wird es ernst! Zum Frühstück gibt es Kräutertee, dazu je zwei Orangen- und Zitronenschnitze zum Aussaugen. Nicht kauen! Das würde den Appetit anregen. Und meiner ist angeregt genug: Ich stürze mich auf sie wie ein ausgezehrter Vampir.
Als Beilage werden Basentabletten serviert. Drei schlucke ich künftig zu jeder „Mahlzeit“. Sie puffern die beim Fasten ansteigende Harnsäure ab und vermeiden Gichtanfälle. Hoffentlich!
Anschließend treffe ich auf meinem Angstgegner: die Waage! Damit man nach der Kur einen Vergleich hat, werden mithilfe der Bio-Impedanz-Analyse Muskelmasse, Fettanteil und Wassergehalt meines Körpers gemessen. So genau will ich das gar nicht wissen. Aber zum Glück ist alles im grünen Bereich! Und ich starte frisch motiviert in den Tag.
Der Kalorienmangel wird mit schönen Erlebnissen und geistiger Nahrung kompensiert
Es gibt viel zu tun: von Aqua Fitness über Atemtherapie und psychologisches Coaching bis zu geführten Wanderungen, Physiotherapie und Konzertabenden auf der Hofbühne. Der Kalorienmangel wird mit schönen Erlebnissen und geistiger Nahrung kompensiert!
Ich gönne mir eine Yogastunde plus Fußreflexzonenmassage und habe keinerlei Ahnung mehr, warum mir diese Fastenkur mal so furchteinflößend erschien. Meine aktuelle Wohlfühlbilanz: zehn von zehn Punkten!
Kein Kunststück: Am ersten Fastentag bedient sich der Körper noch der leicht verfügbaren Glykogen-Reserven aus der Muskulatur und der Leber, die ausreichend Energie liefern.
Ein weiterer wichtiger Gute-Laune-Faktor ist das Mittagessen. Statt der erwarteten klaren Brühe bekomme ich drei Teller einer Tomatensuppe, die mir wie ein kulinarisches Wunder erscheint – gut gewürzt und so sämig, dass ich satt werde. Gemüsebrühe dürfte ich zusätzlich trinken. Ich schicke ein kleines Dankgebet an Burgi von Mengershausen, die überzeugt ist: „Das Fasten soll dem Körper und der Seele guttun.“
Weniger erfreulich erscheint mir die nun anstehende Darmreinigung mit 40 Gramm Glaubersalz. Das Initiationsritual jeder Fastenkur ist nötig, damit der Darm ruhiggestellt wird. Das soll das Hungergefühl mindern und das Fasten erleichtern. Mir graut es trotzdem. Drei Stunden lang wird das Badezimmer zu meinem liebsten Aufenthaltsort, dann ist der Spuk vorbei.
In jeder Hinsicht erleichtert führe ich meinem generalgereinigten Selbst beim Abendessen ein halbes Glas Gemüsesaft und ein halbes Glas Buttermilch zu, die ohne Übertreibung himmlisch schmecken. Nach einem Besuch in der urigen, 1936 erbauten Saunahütte des Hotels bin ich so entspannt, dass ich schlafe wie ein sehr müder Stein.
Tag 3: Speck-Visionen und meditatives Wandern
Geweckt werde ich von nagendem Hunger und einer „Rührei mit Speck“-Vision. Dabei bin ich Vegetarierin! Sollten diese Attacken nicht vorbei sein? Beruhigenderweise hat einer der Mitfaster auch damit zu kämpfen. Er hat sogar Buttermilch gebunkert, die er nachts heimlich trinkt. So weit darf es mit mir nicht kommen!
Zur Teufelsaustreibung beginne ich den Tag gesund, mit einer Wasserfolter: Zwei Runden Wechselguss, bei denen ich erst sehr heiß, dann eiskalt abgeduscht werden soll. Spitze Schreie aus der Nachbarkabine ...
Aber mir tut die Behandlung gut. Mein durch das Fasten in tiefste Tiefen gerutschter Blutdruck reagiert auf den Temperaturschock wie Popeye auf eine Dose Spinat. Ein Plan reift: Ich werde am Nachmittag wandern gehen!
Zuvor gibt es aber noch Unterstützung für meine hart an der Entgiftung arbeitende Leber. Dafür legt mir die Therapeutin einen warmen Heublumenwickel auf den Oberbauch und rollt mich nach Mumienart in eine Decke.
Ich döse ein wenig und fühle mich so behütet wie ein Känguru-Baby in Mamas Beutel. Schön, dass diese Behandlung nun alle zwei Tage stattfinden wird.
Ebenfalls schön ist, dass man bei akuter Wanderlust direkt am Hotel loslaufen kann. Ein Rundweg führt zum Hochplateau Hochkreuth: nur 45 Minuten Aufstieg, dann entspannt bergab zurück.
Eine gute Entscheidung, denn mittlerweile bin ich fastenbedingt auf dem Energieniveau eines altersschwachen Faultiers. Macht aber nichts. Bei meinem gemächlichen Tempo kann ich die Natur aufmerksamer genießen.
Der Wald duftet, der Kies knirscht unter meinen Schritten. Die Wanderung ist eher Meditation als Sport. Ist das gemeint, wenn Menschen schwärmen, dass sie beim Fasten zu sich finden? Ich fühle ich mich jedenfalls so ausgeglichen wie lange nicht mehr.
Tag 4: Willkommen in der Fastenkrise!
Mir ist übel und schwindlig, der Kopf dröhnt. Zwischen Tag zwei und vier muss der Körper auf die Verbrennung der Fettreserven umstellen was nicht bei jedem gleich reibungslos funktioniert. Meine Muskeln und Organe fühlen sich unterversorgt.
Hoffentlich helfen Burgi von Mengershausens Tricks: etwas Honig gegen den Unterzucker, literweise Tee und Bewegung gegen den niedrigen Blutdruck.
Ich krieche aus dem Bett zum Pilates-Kurs und tatsächlich: Es geht mir besser. Das erspart mir den Einlauf, der bei Kopfschmerzen und Hungerattacken oft angeraten wird und bei vielen Fastenkuren alle zwei Tage obligatorisch ist. Im „Tannerhof“ wird das glücklicherweise individuell entschieden. Ich gönne mir lieber eine Fastenmassage, die die Verdauung mittels Bauchmassage von außen anregt.
Tag 5: Glücksgefühl dank Fasten-Euphorie
Als ich die Augen öffne, liegt Frühnebel wie Watte über dem Tal. Nur die Berggipfel werden schon von der Sonne beschienen. Aus dem Dorf dringt Blasmusik herauf und mein Alltag zu Hause fühlt sich so fern an, als wäre auch er hinter einer Nebelwand verschwunden. In mir: Glücksgefühle.
Aus dem Dorf dringt Blasmusik herauf und mein Alltag zu Hause fühlt sich so fern an. In mir: Glücksgefühle.
Ist das dörfliche Idyll der alleinige Grund dafür? Oder werde ich mit der berühmten Fasten-Euphorie belohnt, die eintreten kann, weil vermehrt Serotonin freigesetzt wird? Möglich wäre es schon. Sogar der Hunger hat sich davongemacht.
Auch mein Tischnachbar ist bester Dinge. Er hat gerade erfahren, dass er sechs Kilo abgenommen hat. Laut Burgi von Mengershausen eignet sich Fasten durchaus zur dauerhaften Gewichtsreduktion, vorausgesetzt, man ernährt sich auch nach der Kur gesund.
Tag 6: 30-mal kauen? Och nö!
Das ging jetzt fast zu schnell: Der sechste Tag zählt zwar noch als echter Fastentag. Aber mittags steht bereits der gedünstete Apfel zum Fastenbrechen auf dem Tisch. Etwas lustlos kaue ich, wie empfohlen, jeden Bissen 30-mal, um die Verdauung anzukurbeln.
Was ist mit dem Vielfraß in mir passiert? Das Abendessen, ein kleiner Teller Tomatenessenz mit Gemüsestückchen, schaffe ich sogar nur zur Hälfte. Und als ich in der Hotellobby auf Gäste treffe, die mit einem Glas Wein anstoßen, merke ich, dass mir auch die Lust auf Alkohol abhandengekommen ist. Keine schlechte Entwicklung. Aber das wird ja wohl kaum lange anhalten, oder?
Tag 7 und 8: Und jetzt?
Die Antwort bekomme ich an den beiden Aufbautagen: Joghurt mit Leinsamen und Dörrpflaumen, Gemüse und Räuchertofu, ein Karottensoufflé. Alles wird restlos verputzt, es fühlt sich wie ein Neustart an.
Gesünder essen, nicht nur eine Breze vor dem Computer, das würde ich nach dem Fasten gern zu Hause umsetzen. Und viel mehr Bewegung in mein Leben integrieren. Wie gut mir das tut, habe ich in den letzten Tagen gemerkt.
Die abschließende Bio-Impedanz-Analyse bestätigt: Ich habe nicht nur zwei Kilo Fett weggefastet, sondern sogar etwas Muskelmasse gewonnen. Dazu kommt etwas, das sich mit Maschinen nicht messen lässt: eine kleine Schutzschicht aus Gelassenheit.