Das Homeoffice auf den Bauernhof verlagern? Arbeit und Vergnügen mit tierischer Gesellschaft, Bergblick und Badepause im See verbinden? Unsere Reporterin probierte das mit ihrem Sohn einige Tage lang aus
Workation auf dem Bauernhof
Mutterziege Lisl legt ihre Schnauze auf meinen Schreibtisch. Es ist ein runder Gartentisch, den ich kurzerhand unter die schattigen Obstbäume im Ziegengehege verfrachtet habe. Wunderbar, an einem heißen Sommertag draußen zu arbeiten!
Workation auf dem Bauernhof hat aber auch seine Tücken. Um auf dem Bildschirm noch irgendetwas zu erkennen, wandere ich den ganzen Vormittag dem Schatten hinterher. Zudem habe ich tierische Gesellschaft. Und eine Hängematte für die kleinen Abhängpausen zwischendurch. Selbst dort gesellt sich Ziege Lisl hinzu: Genauso flink, wie sie auf den Baumstämmen im Gehege herumklettert, springt sie in die Hängematte und lässt sich darin ihren kugelrunden Bauch kraulen.
Mein Sohn Nelion und ich haben uns für ein paar Tage in einer Ferienwohnung des Heissenhofs in Schörging, rund sechs Kilometer von Bernau am Chiemsee entfernt, einquartiert. Der Plan? Ferien fürs Kind und Flucht vor dem häuslichen Arbeitsplatz für mich.
Hof- statt Homeoffice! Von der perfekt ausgestatteten Wohnküche blicken wir über Streuobstwiesen hinüber zum Gipfel der Kampenwand in den Chiemgauer Alpen.
Hof- statt Homeoffice!
Der Balkon vor den zwei bauernmöblierten Schlafzimmern liegt über dem Spielplatz, der an die Kuh- und Ziegenweide grenzt. Die Wohnung bietet Platz für bis zu vier Personen inklusive Kinder, für die neben den Tieren jede Menge Zeitvertreib geboten ist.
Während ich zwischen Rosen und Geranien meine E-Mails checke, hat Nelion die Wahl: Er kann schaukeln, Trampolin springen, im Schwimmbecken planschen, auf der Kinderwerkbank hämmern oder Bobbycar fahren.
In Arbeitspausen streicheln wir die Hasen, schauen Landwirtin Marlene Lampersberger dabei zu, wie sie ein schwächliches Kälbchen mit der Milchflasche füttert, oder kraulen ausgiebig das Haflinger-Fohlen.
Heissenhof: Familientradition und Bilderbuchkulisse
Marlene bringt einen Korb voller Hasen ins Außengehege und gesellt sich zu uns. „Wir haben irgendwann mal zur Gaudi die Ziegen mit in die Hängematte genommen. Und dann hatte meine Tochter Anna so viel Spaß daran, dass sie jeden Nachmittag mit ihnen darin schaukelte“, sagt sie. „Ich probiere mit den Tieren viel aus und manchmal kommt eben so was raus“, erzählt Marlene lachend.
Der Heissenhof wird schon seit dem 17. Jahrhundert von der Familie Lampersberger betrieben. Heute ist der Hof vor der oberbayerischen Bilderbuchkulisse zwischen Chiemgauer Alpen und Chiemsee kein gewöhnlicher Landwirtschaftsbetrieb mehr.
Marlene und Christian Lampersberger halten keine Kühe, um mit ihnen möglichst viel Profit zu erzielen, sondern ihnen liegen ihre Tiere am Herzen.
Neben den zwei Haflingern Cortina und Cosima, dem Lewitzer-Pony Artus, den Katzen, Hasen, Laufenten und Zwergziegen leben hier auch fünfzehn Kühe. Die Mutterkühe weiden gemeinsam mit ihren Kälbern und den Jungochsen friedlich vor dem Hof. Die Kälber dürfen nach Herzenslust Tag und Nacht an den Eutern ihrer Mütter nuckeln.
„Als wir 2016 die Milchviehhaltung aufgegeben haben und alle Kühe auf die Weide ließen, haben uns viele Bauern prophezeit, das werde nicht funktionieren“, sagt Marlene. „Aber wir haben schnell gemerkt, wie schön sie in Freiheit leben!“ So wurde aus dem Versuch, den Tieren eine artgerechte Haltung zu ermöglichen, schnell eine echte Herzensangelegenheit. Zunächst hielt die Familie die Mutterkühe und Pferde nur als Hobby für die Kinder, dann auch für die Gäste des Hofs.
Slow down auf dem Land
Nach ein paar Stunden Hofoffice im Ziegengehege gehen wir am ersten Nachmittag ziellos spazieren und erkunden die Umgebung. Und uns erwartet eine Überraschung: Zwischen dem 50-Seelen-Dorf Schörging und dem nächsten Weiler Vachendorf liegt nicht nur ein 18-Loch-Golfplatz, sondern sogar eine Bahnhaltestelle mitten auf der grünen Wiese.
„Bitte machen Sie sich dem herannahenden Zug rechtzeitig bemerkbar, damit der Lokführer Sie frühzeitig sieht“, heißt es auf einem Aushang. Winken oder tanzen auf dem Bahnsteig, damit der Zug anhält?
An dieser Bedarfshaltestelle im Nirgendwo fährt tatsächlich stündlich ein Zug in Richtung Prien oder Aschau. Vom Bauernhof mal schnell per Bahn zum Chiemsee oder in die Chiemgauer Berge ist also kein Problem.
Lokale Naturprodukte
Wir wandern weiter zur Ramslmühle an der leise dahinplätschernden Prien. Der Müller zeigt uns seine 150 Jahre alten Walzenstühle, die noch heute in Benutzung sind. Im Mühlenladen verkauft die Familie Ramsl neben lokalen Naturprodukten auch besondere Getreide- und Mehlsorten, die sie an Bauern, Bäcker und Haushalte in der Region liefern.
Hoch über der Mühle im Prien-Tal thront das Schloss Wildenwart, in dem der volksnahe Herzog Max von Bayern, ein Urenkel des letzten bayerischen Königs Ludwig III., residiert. Durch ein Meer an Schachtelhalmen und Bärlauch spazieren wir durch den Wald zurück zum Heissenhof.
See-Office? Muss einfach sein
Am nächsten Morgen klopft Marlene mit einem üppigen Frühstückskorb in der Hand an die Tür der Ferienwohnung. Für Nelion bringt sie eine Kiste voller Bücher und Bausteine – meine ersten zwei Arbeitsstunden sind somit gesichert.
Mittags verwandeln wir das tierische Hofoffice in ein entspanntes See-Office. Im Chiemseepark Bernau-Felden kann ich sowohl auf den Tischen am großen Spielplatz als auch beim Vogelbeobachtungsturm Irschener Winkel meinen Laptop ausklappen, mit Blick auf Wasservögel und die Berge. Frischen Fisch gibtʼs um die Ecke aus dem Automaten von der Fischerei Lackerschmid oder gediegener im „Fischrestaurant Minholz“.
Planschen im Strandbad
Dank Marlene finden wir später noch den schönsten Badeplatz der Region: Das naturbelassene, frei zugängliche Strandbad Schöllkopf liegt unter uralten, schattenspendenden Eichen zwischen Prien und Bernau-Felden. Der Nachmittag klingt mit Chillen, Planschen und Eisessen aus, bevor dunkle Gewitterwolken aufziehen. Das Open- Air-Kino in Bernau fällt ins Wasser, stattdessen geht es stracks zurück in die Ferienwohnung.
Work-Life-Balance in der Natur
Angesichts der vielen Freizeitmöglichkeiten fällt uns das Erledigen der „To-doʼs“ am dritten Tag zusehends schwer. Zugegeben, die Arbeit kommt auf dem Hof etwas kürzer als zu Hause, wenn das Kind betreut wird.
Aber der Tapetenwechsel tut uns beiden gut. „Die Leute, die zum Hofoffice hierher kommen, wollen keine sechs Stunden durcharbeiten“, bestätigt Marlene. „Die fahren nach drei Stunden Arbeit zum See runter und arbeiten später wieder weiter.“
Marlene und Christian verleihen Räder an ihre Gäste, die paar Kilometer zum Chiemsee sind schließlich schnell runtergeradelt. Der Bodensee-Königssee-Radweg führt sogar unmittelbar am Heissenhof vorbei.
„Hier gibt es jede Menge tolle Wander- und Radwege. Frühaufsteher können schnell auf die Kampenwand steigen, das ist nicht weit weg. Für Kinder empfehle ich eine Almwanderung, zum Beispiel zur Hefteralm oder zur Feldlahnalm in Unterwössen. Dort gibt es Esel und Zwergziegen und der Weg führt schön am Bach entlang durch den Wald“, sagt Marlene.
Familienzeit statt Arbeitszeit
Natürlich könnte man auch mit dem Schiff über den Chiemsee schippern. Zur Schiffsanlegestelle in Prien fährt eine historische Dampf-Straßenbahn aus dem Jahr 1887 – ein Highlight für kleine Kinder. Leider reicht unsere Zeit nicht aus, um alles zu unternehmen und gleichzeitig die To-do-Liste abzuarbeiten. Die Work-Life-Balance ist beim Hofoffice zwar ganz gut im Lot, aber das nächste Mal lassen wir den Laptop daheim und konzentrieren uns ganz auf die Familienzeit.
Lust auf Hofoffice bekommen?
Arbeiten auf dem Bauernhof ist bei vielen „Blauer Gockel“-Höfen möglich. Der Heissenhof, den wir besuchten, liegt nur sechs Kilometer vom Chiemsee entfernt in Schörging in der Gemeinde Bernau.