Mit dem Hautmaler, Tätowierer und Jäger Daniel Bensmann unterwegs in den Allgäuer Bergen. Eine Tour mit viel Auf und Ab zu zwei grandiosen Gipfeln und einer urigen Hütte – und eine Reise zu persönlichen Höhen und Tiefen
Bergtour auf Hirschberg und Spieser bei Bad Hindelang
Die geheimen Gumpen am Hirschbachtobel zählen zu den Orten, an denen Daniel Bensmann ganz bei sich ist. Mit sich und seiner Heimat. Wo er auf den flachen Felsen liegend zur Ruhe kommt. Wo er dem Rauschen des Wassers lauscht, das über steile Steinflanken herabstürzt und das jeden Winter bei Eis und Schnee Äste und Zweige, alte Stämme und auch ganze Bäume mit in die Tiefe reißt.
„Jeden Frühling, wenn ich das erste Mal wieder hier bin, sieht die Szenerie anders aus“, erzählt uns der 33-Jährige. „Jedes Jahr ist eigen. Jedes Jahr ist anders.“
So wie es auch seine Bilder sind. Wenn er mit Feder und Tusche auf Pergament malt, Menschen, Tiere, Impressionen. Hier am Berg ist die wilde Landschaft die Leinwand. Die ungezähmte Natur, ein gewaltiges Gemälde. Manches Holz, sagt Bensmann, würde sicher schon 20 Jahre liegen, vielleicht sogar 30 oder mehr. Sein ganzes Leben lang.
Pinsel und ein Blatt Papier reichten zur Erfüllung
Ein Sommertag mit Daniel Bensmann in den Bergen von Bad Hindelang. Wir haben uns mit dem Hautmaler und Tätowierer zu einer Tour durch sein Revier verabredet. Dort, wo Daniel mit der Jagd zu Hause ist, aber auch mit seinem Herz und seiner Seele.
Schon in den ersten Minuten, auf den ersten Höhenmetern beim Anstieg auf den Hirschberg, wird klar: Es wird recht zügig vorangehen. Daniel nimmt seine Begleiter schnell mit, mit raschem Schritt auf dem Weg nach oben genauso wie mit den Geschichten auf der Reise durch sein Leben und seine Gefühlswelt.
Steil schlängelt sich der Pfad den Hausberg der Hindelanger hinauf, während Daniel von seiner Kindheit erzählt. Er spricht davon, wie er früh die Liebe zur Kunst entdeckte, dass er nie einen Fußball brauchte, Modellautos oder Spielkonsolen. Bleistift, Pinsel und ein Blatt Papier reichten zum Glück und zur Erfüllung. „Und doch war ich lange auf der Suche nach meinem Platz in der Welt“, sagt er oben am Hirschberg, mit 1.500 Metern Höhe dem ersten der zwei Gipfel dieses Tages. Das Kreuz des Hirschbergs steht 21 Meter unterhalb des Gipfels, weil es sonst von Bad Hindelang nicht zu sehen wäre.
Los Angeles, New York, Moskau, Bad Hindelang
In den späten Teenagerjahren, als er das Tätowieren erlernte, zog es Daniel hinaus in die Welt. War es ihm zu eng im Allgäu, arbeitete er in Tattoo-Studios in Los Angeles, Barcelona, New York, Moskau oder Edinburgh.
„Erst mit Mitte 20 merkte ich, dass ich doch hierher gehöre.“
„Erst mit Mitte 20 merkte ich, dass ich doch hierher gehöre, dass ich mich hier am wohlsten fühle“, sagt er und blickt über Bad Hindelang in Richtung Ostrachtal und hinüber zu den Bergen der Allgäuer Hochalpen.
Daniel kennt sie alle beim Namen, die Rotspitze, den Breitenberg, die Mittagsspitze. Natürlich auch den Hochvogel. Er reicht das Fernglas und deutet in die Ferne. Während hinten die Bergstation des Nebelhorns durch die Linsen schimmert, sagt er, dass er nach den Jahren der Suche wieder angekommen sei. „In meinem Heimathafen.“ Dort ist er vor Anker gegangen.
Am Anfang war das Fremdeln mit der Heimat
Zu Beginn hatte er es schwer in der Heimat. Daniel geriet in eine Sinnkrise, erzählt er, als wir den Gipfel verlassen und zunächst in eine kleine Senke hinabsteigen. Dass er Probleme hatte, sich in der Heimat zu integrieren, weil sie ihn erst mit Argwohn und Skepsis betrachteten, weil er nicht hierher passte mit seinen Tätowierungen überall am Körper, an den Beinen, Armen, auf dem kahlen Kopf. Und auch nicht mit seinem Tattoo-Studio, das er dann eröffnete.
„Wäre ich nach Berlin gegangen und hätte am Prenzlauer Berg mein Tatoo-Studio aufgemacht, hätte ich es wesentlich leichter gehabt“, sagt er. Aber die steinigen und ungemütlichen Wege sind ja oft die interessanteren, das ist im Leben so wie beim Bergsteigen auch.
Exotentum als Bensmann’sche Familientradition
Ein wenig ging es ihm wie seinen Eltern. Die eröffneten zu Anfang der 1980er den allerersten Bioladen der Region. Sie galten bei den Einheimischen als Exoten, als Spinner. Man prophezeite ihnen, dass sie nach wenigen Wochen wieder zusperren könnten.
Doch wie Bioläden inzwischen als Vorzeigeobjekte für lokale Nachhaltigkeitskonzepte mit regionalen und saisonalen Lebensmitteln dienen, so hat sich auch Daniel Bensmann gegen alle Widerstände durchgesetzt.
Er wurde in den vergangenen Jahren immer mehr zum Hindelanger Werbebotschafter, zu einem Aushängeschild, mit dem man sich gern sehen lässt. Der Hütmôlar, wie sie ihn hier auch nennen, der Hautmaler ist seit einem Jahr auch Bayern-Botschafter.
Auch in der Jagdgenossenschaft ist Daniel nach anfänglichen Schwierigkeiten angekommen, sagt er, als wir das kleine Rinnsal des Hirschbachs kreuzen und damit auf dem Anstieg zum Spieser, dem zweiten Gipfel, in seinem Jagdbezirk ankommen.
Sie hatten bald gemerkt, dass da nicht einer daherkam, der mal auf die Schnelle den Jagdschein machte, um schießwütig in der Gegend herumballern zu können, sondern einer, der es mit der Tradition, der Bedeutung und den Werten der Jagd sehr ernst nimmt.
Klingt paradox: Jäger mit Tötungsskrupel
Daniel war 20, als er mit seinem Onkel das erste Mal auf der Jagd war. Es dauerte lange, bis er sich entschied, den Jagdschein zu machen. Als er sein erstes Tier erlegt hatte, ein Reh, brauchte er eine Woche, bis er mit sich im Reinen war. Ein Tier zu töten, das beschäftigte ihn. Aber er blieb bei der Jagd, weil er die Notwendigkeit sah, den Wildbestand in den Bergen zu regulieren, damit die Verbiss-Schäden nicht überhandnehmen und weil es auch ein Stück Heimatkultur ist.
Natürlich weiß er um die Kritik von Tierschützern an der Jagd, weiß auch um die schwarzen Schafe, die als verantwortungslose Trophäensammler blutrünstig einem teuren Hobby nachgehen. Und man muss die Jagd an sich auch nicht mögen. Aber man kann Daniels Sicht darauf akzeptieren.
Spieser-Gipfel
Die Jagd, sagt er, als wir auf dem 1.641 Meter hohen Spieser, dem Höhepunkt der Tour, sitzen, verstärke seinen Bezug zur einzigartigen Natur. Sie diene ihm als Inspiration für seine Motive, die er auf Pergament verewigt.
Eine halbe Stunde bleiben wir am Gipfel, dann münden die intensiven Gespräche allmählich in ein langes Schweigen: Wir genießen einfach in Ruhe den phänomenalen Blick von der diesigen Zugspitze im Osten bis zum Hohen Ifen mit seinem markanten Bergrücken im Südwesten.
„Hirschalpe“: Kaiserschmarrn und Almen-Gossip
Nach der inneren Einkehr ist es Zeit für die kulinarische: Beim Abstieg steuern wir eine von Daniels Lieblingshütten an, die „Hirschalpe“. Es gibt eine herzhafte Brotzeit mit Hauswurst und Weißbier, Käsbrot und Kaiserschmarrn. Als wir essen, setzt sich Johann zu uns, der Wirt. Er übernahm vor sechs Jahren mit seiner Frau die Hütte und wurde in dieser Zeit zu einem guten Bekannten von Daniel.
Lange palavern sie in ihrem ganz eigenen Allgäuer Idiom, das den Urlaubern aus nördlicheren Bundesländern erkennbar wie eine Fremdsprache erscheint. Sie sprechen über den Gamsbestand, über die zwei harten Corona-Jahre und sie tauschen nette Anekdoten über Tagesausflügler aus der Großstadt aus.
Johann lacht in seinen grauen Bart hinein, als er die Geschichte des Münchner Autofahrers erzählt, der sich vor zwei Wochen einbildete, die nicht öffentliche Forststraße vom Oberjoch bis zur „Hirschalpe“ hochbrettern zu können. Ihn stoppte erst die geschlossene Schranke, die Johann auch nach langer Diskussion standhaft unten ließ. Weshalb der Gast fluchend, schimpfend und schwitzend zurückfahren musste – auf dem engen Fahrweg ohne Wendemöglichkeit im Rückwärtsgang.
Alles ist im Fluss
Auf Johann wartet wieder Arbeit, als ein halbes Dutzend junger Burschen eintrifft. Für die mächtig muskelbestückten Soldaten der im Oberallgäu stationierten British Army ist die „Hirschalpe“ bei den Bergtouren mit Ausbilder Keith schon zu einer Art Stammlokal geworden. Ein Pub in den bayerischen Highlands!
Es ist Zeit für den Aufbruch zur letzten Etappe: Abstieg durch den Hirschbachtobel, ein keilförmiges, bewaldetes und verwunschenes Tal mit wundervollen Badestellen am Fuß des Wasserfalls. Zeit auch zum Sinnieren über einen Ausblick, was noch kommt und was sein wird.
Daniel will das Leben auf sich zukommen lassen, sagt er, vielleicht zieht es ihn auch mal wieder weg. „Im Moment kann ich mir das aber nicht vorstellen.“ Dass er den Anker wieder lichtet, in seinem Heimathafen. Aber alles entwickelt sich und immer wieder sieht es neu und anders aus, im Leben von Daniel und an den Gumpen im Tobel. Alles ist im Fluss. Alles ist im Bach.
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