Der Wald tut Menschen gut. Seine Heilkraft wird seit Jahren wissenschaftlich untersucht und genutzt. Nun haben bayerische Heilbäder spezielle Kur- und Heilwälder eingerichtet. Wir waren in Bad Wörishofen in solch einem „grünen Therapieraum“ unterwegs.
Kur- und Heilwald Bad Wörishofen
Was – keine Umarmung? Oh, aber gehört das nicht dazu …? „Nein, Bäume umarmen, das mache ich bewusst nicht während meiner Waldbaden-Führungen“, lacht Maria Rück. „Dieses Klischee, das bei vielen Menschen herumgeistert, wenn sie von Waldbaden hören, möchte ich nicht bedienen. Mir geht‘s nicht um Effekthascherei, sondern darum, die Gesundheit zu fördern, durch bewusste Sinneswahrnehmungen, Langsamkeit und Entschleunigung. Und durch Achtsamkeit.“
So, das musste gleich mal gesagt werden! Wir treffen die inspirierende Frau mit den kurzen, blonden Haaren – zertifizierte Waldgesundheitstrainerin und Waldtherapeutin – am Parkplatz „Versunkenes Schloss“. Hier, etwas außerhalb im Westen von Bad Wörishofen, startet sie ihre Führung.
Schon Pfarrer Kneipp hat’s gewusst!
„Shinrin Yoku heißt Waldbaden in seinem Ursprungsland Japan, wo es seit den 1980er-Jahren praktiziert wird. Übersetzt bedeutet das etwa ‚Eintauchen in die Atmosphäre des Waldes‘“, erzählt Maria während der ersten Schritte.
Doch eigentlich sei Bad Wörishofen – so viel Lokalpatriotismus darf sein – die Wiege der Waldmedizin. Pfarrer Kneipp habe schon vor 150 Jahren das Liegen im Wald zur Stärkung der Gesundheit empfohlen, ebenfalls die Atemgymnastik im Fichtenwald!
In den 1990ern besuchte ein japanischer Wissenschaftler der Universität Tokio, Professor Iwao Uehara, regelmäßig Bad Wörishofen. Dort ließ er sich vom Allgäuer Naturheilpionier inspirieren. Uehara gehört zu einem Team von Forstwissenschaftlern, das Kneipps Methode und seine Ideen ins Shinrin Yoku integriert und stetig weiterentwickelt – zum Wohle stressgeplagter Großstädter im Fernen Osten.
Mehr als sechzig Waldtherapiestationen gibt es heute in Japan, auch die Südkoreaner nutzen zunehmend den Wald als Gesundbrunnen.
Grüne Paradiese voller Überraschungen
Und auch in Bayern tut sich was! Dreizehn bayerische Kurorte haben im Juli 2022 Kur- und Heilwälder ausgewiesen, darunter auch Bad Wörishofen. Zertifiziert hat sie das Kompetenzzentrum für Waldmedizin und Naturtherapie in Bad Wörishofen unter Mitarbeit der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Kurwälder sind kleine Waldparadiese. Die Areale haben eine Größe von mindestens sechs Hektar – etwa acht Fußballfelder –, damit ein spezielles Waldinnenklima entstehen kann. Sie sind ausreichend weit von Verkehrs- und Zivilisationslärm entfernt, ruhig und gegliedert in Ruhe- und Aktivitätszonen.
Der ideale Kurwald
Im Kurwald wächst Mischwald. Die möglichst verschiedenartigen Bäume sind jung und alt, klein, mittel und groß, krumm oder gerade, es gibt auch Buschwerk – die Mischung macht’s. Und Abwechslung ist Trumpf: Man läuft über Waldboden, Moos oder Gras, über breite Wege oder schmale Pfade, auch mal durchs Unterholz.
Es gibt Lichtungen und dichtes Laubdach, Totholz, vielleicht noch Felsen, Tümpel oder Bäche, Hügel oder Gräben. Das Auge freut sich über Licht und Schatten, Sichtachsen und Blicke ins Freie. Kurz, Kurwälder sprechen alle menschlichen Sinne an!
Achtsam Schritt für Schritt
Ein breiter Forstweg führt uns hinein ins gesunde Grün. Wir atmen tief ein und aus, konzentrieren uns ganz auf die Atmung. „Schon 20 Minuten Aufenthalt im Wald können Stresshormone erheblich reduzieren und so Herzfrequenz und Blutdruck senken“, erklärt Maria. Waldluft sei so rein wie die Luft am Meer oder im Gebirge.
Eine wichtige Rolle spielen dabei Duftstoff-Bestandteile von ätherischen Ölen, sogenannte Terpene, die die Bäume in die Luft abgegeben. Diese Düfte wirken unmittelbar auf den Menschen und der Körper kann diese über die Lunge oder die Haut aufnehmen. Es gebe Hinweise, dass dies eine gesundheitsfördernde Wirkung habe, was allerdings noch nicht wissenschaftlich gestützt sei, betont Maria.
Beyond Spaziergang
Im Unterschied zum „normalen“ Spaziergang im Wald geht es beim Waldbaden um mehr, als nur an der frischen Luft und im Grünen sein. Hier stehen Sinneserleben, Achtsamkeit und mentale Entspannung im Fokus, um Abstand zum Alltag zu schaffen und um wieder „zu sich zu kommen“.
„Komorebi“ nennen Japaner das Licht, das durch die Blätter in den Wald fällt
Der Herbstnebel löst sich allmählich auf. Sonnenstrahlen dringen durch die hohen Baumkronen. Die Japaner haben dafür ein eigenes Wort: „Komorebi“ nennen sie das Licht, das durch die Blätter in den Wald fällt.
Wir verlassen den Weg und treten ein in den Wald. Mit Bedacht, auf jeden Schritt achtend. Fichtenzapfen bedecken den weichen Boden, Holz knackt unter den Füßen, über uns krächzt ein Vogel. Der Geruch von Pilzen dringt in die Nase, eine kleine Rotkappe lugt aus dem weichen Waldboden hervor. Ansonsten Stille.
Entspannte Wachheit durch Waldklänge
Zeit für Achtsamkeitsübungen. Wir schließen die Augen und öffnen sie langsam wieder – wie viele verschiedene Grüntöne es im Wald gibt. Wie gut das tut! Ebenso achten wir auf die Geräusche, von denen wir im Wald umgeben sind. Wir hören einen Vogel zwitschern, leises Säuseln von Blättern, entferntes Rauschen.
Irgendwie beruhigend – oder wie‘s die Wissenschaft, laut Wald-Handbuch der LMU-München, nennen würde: Die Waldklänge erzeugen in der menschlichen Psyche eine „entspannte Wachheit“ durch das Freisetzen von Endorphinen im limbischen System. Und das wirkt sich entlastend auf die Psyche aus. Zudem können mentale Kapazitäten wie Konzentration und Aufmerksamkeit regeneriert werden. Wer sagt’s denn!
Einen Dankesklaps für Dr. Baum
Jeder sucht sich nun einen Baum aus, der einen, na ja, gerade anlacht. Wir betasten und fühlen die Rinde. Wir rütteln am Baum und spüren, wie stark und unerschütterlich er dasteht, fest verwurzelt im Waldboden. Lehnen uns mit dem Rücken an seinen Stamm, spüren die Kraft und lassen diese Energie in uns einströmen. Gestresste Menschen könnten, so Maria, Entspannung finden und merken, wie Ballast von ihnen abfiele. Langsam lösen wir uns und geben dem Baum zum Abschied einen freundlichen Klaps. Es muss ja nicht immer eine Umarmung sein …
Wir verlassen kurz den Wald, schauen am Waldrand in die offene Landschaft und über Wiesen, auf denen der Tau in der Sonne glitzert. Genießen den Wechsel vom schattigen Waldesinneren ins Helle und Weite. Gehen am Waldrand entlang und biegen wieder ein in den Forst. Und erleben eine Überraschung.
Reizvolles Chaos
Wie sieht’s denn hier aus? Tote Bäume liegen kreuz und quer durcheinander. Windbruch, den die Orkane Vivian und Wiebke vor Jahren angerichtet haben. Die Sturmschäden wurden bewusst so gelassen. Das kleine Chaos strahlt einen besonderen Reiz aus. Ein mehrere Meter hoher roter Keil, aus Holz errichtet, erinnert an die zerstörerische Naturgewalt. Zwei Vögel zwitschern aufgeregt, als könnten sie sich wegen dieser Unordnung gar nicht beruhigen.
Bedächtig ziehen wir weiter, an einem Weiher vorbei, lassen die Ruhe und Stille des Wassers wirken, biegen ein in einen mit Gras bewachsenen Weg, darauf verstreut gelb verfärbte Blätter und Lichtflecken, von der Sonne hingeworfen.
Wir setzen im feuchten Gras jeden Schritt langsam vor den anderen, spüren den weichen Untergrund. „Es geht ums Spüren, um Achtsamkeit. Im Alltag erfahren wir so viel Zerstreuung. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns einmal ganz auf uns selbst konzentrieren“, so Maria. Bald darauf weichen die Bäume auseinander – und wir erreichen eine Lichtung. Einen Therapieplatz.
Heilwald: Kurwald mit Zusatz-Qualifikation
Bad Wörishofen darf, neben Bad Füssing und Bad Kötzting, seinen Kurwald auch Heilwald nennen. Während der Kurwald für die Gesundheitsvorsorge und Gesunderhaltung da ist, dient der Heilwald auch der therapeutischen und rehabilitativen Behandlung von Patienten. Und muss dafür zusätzliche Kriterien erfüllen.
Unter anderem sind, neben hohen Anforderungen an Ruhe und Luftreinheit, geringe Entfernung zur Reha-Einrichtung wichtig, Barrierefreiheit und vor allem speziell eingerichtete Therapieplätze und qualifiziertes Personal wie Waldtherapeuten.
Der Therapieplatz, den wir betreten, ist angelegt auf einer runden Lichtung, etwa 20 Meter im Durchmesser, umringt von hohen Buchen. Der Boden ist eben und weich, bedeckt mit Holzschnitzeln. Den „Eingang“ markieren zwei junge Buchen, die einmal zusammenwachsen und ein „Tor“ bilden sollen. Man fühlt sich sofort wohl und geborgen auf dem Platz und unter dem hohen Blätterdach.
Alles mit Zertifikat, natürlich
Das Spektrum an waldtherapeutischen Maßnahmen, die in einem Heilwald möglich sind – durchgeführt von zertifizierten Waldtherapeuten, auch zusammen mit einem Arzt oder Physiotherapeuten –, ist groß. Sie werden eingesetzt bei Burnout, Depressionen, Schlaf- und Angststörungen und vielem mehr.
Die Bandbreite reicht von Body-Mind-Verfahren wie Qigong, Tai-Chi und Yoga über Klimatherapien wie Frischluft-Liegekur oder Heliotherapie und Bewegungstherapien wie Gymnastik, Gleichgewichtstraining und Sturzprophylaxe bis zur körperorientierten Psychotherapie oder patientenzentrierten Gesprächstherapie. Auch die Kneipptherapie kann mit der Waldtherapie gut kombiniert werden.
Tun gut: Waldmikroben und Fichtennadeln
Wir genießen in Ruhe den Genius Loci und setzen uns auf den Boden. Oder legen uns auf den Rücken und sehen fasziniert, wie die Bäume in den Himmel wachsen. Und tun dabei auch etwas für die Gesundheit: Im Waldboden tummeln sich Millionen unterschiedliche Waldmikroben, die durch die Waldluft und beim Riechen an der Erde über Haut und Atemtrakt in den Körper gelangen und dem menschliche Darmmikrobiom guttun.
Zum Dank an die guten Waldgeister zaubert Maria noch ein Mandala aus Blättern und Beeren auf den Waldboden. Und wir stoßen an mit einem Tässchen Tee aus Fichten- und Kiefernadeln, gestiftet von Bäumen aus dem Kur- und Heilwald Bad Wörishofen und von Maria selbst gemacht. Schmeckt lecker nach Wald und enthält viel Vitamin C. Natürlich sehr gesund!
Bushcraft im Selbstversuch
Bushcraft ist (Über-)Lebenskunst in der Natur. How to Waldschrat? Das lernten unsere Reporter im Selbstversuch mit Waldhandwerk-Coach Sepp Fischer