Kinder bei der Vorstellung bei im Circus Luna
Manege des Lebens

Balancieren, schweben, Rollen spielen: Das Training für eine Zirkus-Vorstellung fördert neben Fantasie auch Körpergefühl, Koordination und Teamgeist. Unsere Reporterin sah sich das Trainings-Camp des „Circus Luna“ in der Rhön und die Vorstellung von 55 Kindern an. Text und Fotos: Angelika Jakob

Lesezeit: 16 Minuten

Circus Luna in der Rhön

Zeitdiebe eilen in die Manege des „Circus Luna“, grimmig dreinblickende Jungen und Mädchen mit aufgemalten Bärten in zu großen Jacketts paffen glimmende Theaterzigarren. Aktenkoffer werden abgestellt, um mit Diabolos zu jonglieren, immer wieder schauen die kleinen Gauner auf die Uhr: Pure Zeitverschwendung, dieses Spiel! Der treibende Rhythmus von „Time is Money“ verstärkt die unfrohe Hetze.

Als der Spuk vorbei und die grau gekleidete Bande abgetreten ist, toben fünf Mädchen und Jungen in rot-weiß geringelten T-Shirts durch den roten Vorhang. Fröhliche Musik. Sie klettern auf Trapeze, schweben, turnen und schaukeln. Die nächste Nummer gehört wieder den Bösen von der Zeitsparkasse. Theaternebel und gruftiges Schnaufen aus der Musikanlage kündigt sie an, sie führen Tricks mit Schwerterkiste und Nagelbrett vor.

Geschminkte Kinder

Zirkus im Biosphärenreservat

Dann tritt Momo auf, das zarte, kleine Mädchen, das den Zeitdieben trotzt. Hora, der Herr der Zeit, ein lieber, aber etwas verpeilter Herrscher, wartet auf sie bei einer Tasse Tee. Er wird Momo helfen, den Menschen die gestohlene Zeit zurückzubringen. Als lockeres, thematisches Gerüst für die Vorstellung haben Peter und Claudia Bethäuser, Pädagogen und zugleich die Zirkusdirektoren, den Roman „Momo“ von Michael Ende ausgesucht.

Gut und Böse, Artistik und Spielszenen wechseln sich ab wie an diesem Sommertag Wolken und Sonnenschein über dem Zelt. Nach einem Gewitter sprüht Sonnenregen über das rot-weiße Zelt des „Circus Luna“, das auf einem historischen Mühlenanwesen steht. Der Kirchturm von Elfershausen im Bioshärenreservat Rhön gehört zu dem märchenhaften Bild, außerdem die Saale, über die sich Bäume neigen, eine Anhöhe und Stoppelfelder. Über das Ganze spannt sich ein Regenbogen, für einen Augenblick ist es zu schön, um wahr zu sein.

Circus Luna

Wie geht eigentlich cool?

Die Generalprobe ist zu Ende. 55 kostümierte Kinder im Alter von 9 bis 13 Jahren stürmen aus dem Zelt, kleine Akrobatinnen, Ganoven, Trapezkünstlerinnen, Clowns, Seiltänzer und Luftikusse aller Art schnattern durcheinander. Was ist gut gelaufen? Alles! Peter und Claudia sind zufrieden mit ihrer Truppe.

Später, beim Mittagessen, als alle auf der Terrasse des Mühlenhauses sitzen, kommen Fragen auf. „Claudia, ich weiß nicht, was ich machen muss, um richtig cool auszusehen“, will einer der kleinen Zeitdiebe wissen. „Mach einfach gar nichts, tu so, als ob dich das alles langweilt“, rät Claudia.

Kinder werden für die Vorstellung geschminkt

Pädagogik auf dem Drahtseil

Peter und Claudia Bethäuser, beide Mitte fünfzig, haben den „Circus Luna“ vor fast 30 Jahren gegründet. Claudia ist Sozialpädagogin mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe.

Peter hat als 19-Jähriger Erfahrungen bei einem Kinderzirkus in Spanien gesammelt, er zog mit Clown Frosch, Zelt und Bauwagen umher, jonglierte, machte Quatsch auf dem Schlappseil und stemmte als starker Mann und Akrobat turnende Kinder in die Luft, was er immer noch tut. Später schloss er eine Ausbildung zum Kulturpädagogen ab. Die Anerkennung als Zirkuspädagoge folgte.

Claudia lernte Peter bei einem dieser frühen Zirkusprojekte kennen. Sie entschied sich für den Tanz auf dem Drahtseil. Auch im übertragenen Sinn: Der Weg in die Selbstständigkeit und der Kauf der renovierungsbedürftigen Mühle waren riskant. Der „Circus Luna“ finanziert sich aus den Einnahmen.

Kinder fördern, indem sie ihrer Lust an Bewegung freien Lauf lassen können

Von Akrobatik bis Zauberei dürfen die Kinder alles ausprobieren, nach zwei Tagen entscheiden sie sich für mindestens zwei Gruppen. Sie können ihre Fähigkeiten erstaunlich gut einschätzen, weiß Claudia aus Erfahrung. Zirkuspädagogik kam Ende des letzten Jahrhunderts in Mode. Die Pädagogenszene hatte entdeckt, wie gut man Kinder fördern konnte, indem man zuließ, dass sie ihre Lust an Bewegung, Darstellung und Spiel in kleinen Vorstellungen auslebten.

Jedes Kind findet seinen Platz

Gemeinsam ein Programm zu erarbeiten weckt Fantasie und Gruppengefühl. Manche Kinder entdecken neue Talente bei sich. Die Belohnung für Ausdauer und Konzentration ist eine gelungene Vorstellung, Fehler werden weggesteckt, kleine und große Erfolge anerkannt, Zuversicht und Selbstwertgefühl steigen.

„Wir feiern auch kleine Fortschritte“, beschreibt Peter die Stimmung. „Wir verpacken bescheidenere Talente in eine Geschichte, denken uns zum Beispiel eine kleine Sprechrolle aus. Jedes Kind findet einen Platz, an dem es glücklich ist.“

„Jedes Kind findet einen Platz, an dem es glücklich ist.“

Fähigkeiten fördern, nicht Defizite bekämpfen – auf diesen Nenner lässt sich das pädagogische Konzept verkürzen. „Wir schaffen den Rahmen, in dem Kinder und Jugendliche ihre Talente entdecken und ausbauen können. Der Rest ergibt sich“, erklärt Peter das Ziel der einwöchigen Feriencamps. „Die Kinder suchen sich etwas aus, auf das sie Lust haben, da bleiben sie dann mit Begeisterung und Zähigkeit dran.“

Peter und Claudia Bethäuser, Circus Direktoren
Kinder bei der Vorstellung im Circus Luna

Langeweile tut gut

Konzentrationsprobleme, Bewegungsmangel und Fantasielosigkeit sind Probleme, die durch übermäßigen Medienkonsum ausgelöst werden können. Beim „Circus Luna“ haben TikTok und Instagram Pause. Die Smartphones sind zu Hause geblieben, Fernseher gibt es nicht. Vor dem Schlafengehen liest Peter aus dem Buch „Momo“ vor.

„Die Kinder halten die entstehende Langeweile aus“, beobachtet Claudia. „Wenn sie sich nicht sofort mit Medienkonsum ablenken können, erwachen Fantasie und Spieltrieb. Plötzlich haben sie wieder an einfachen Sachen Spaß. Niemand braucht Likes, Selbstbestätigung finden sie beim Proben, in der Gruppe und im Spiel.“

Kinder bei der Vorstellung

Leerlauf ist gewollt

Geprobt wird jeweils dreieinhalb Stunden am Vormittag und drei am Nachmittag. In den Pausen sitzen die Kinder zusammen und spielen Karten oder Wassermelone, ein Kreisspiel. Wer seine Ruhe haben will, zieht sich ins Schlafzelt zurück. Manche üben ihre Tricks. Trainer Abdul Elakel, 62, ist immer in der Nähe und hilft. Als Pyramidenbauer und Springer ist er durch die großen Manegen der Welt getingelt, seit über 20 Jahren begleitet er den „Circus Luna“. Während der Sommermonate wohnt er in einem kleinen Wohnwagen auf dem Gelände.

„Abdul kann gar nichts!“, quietscht Corinna, die gerade versucht hat, mit Abduls Hilfe auf einer großen Kugel zu balancieren. „Der gibt sich eine Ohrfeige und fällt davon um! Der stolpert und stürzt und schämt sich nicht mal dafür!“ „Nachts trösten wir uns gegenseitig, wenn wir Heimweh haben“, sagt Milena. „Ich war schon zweimal hier. Dieses Jahr ist meine kleine Schwester dabei, aber sie hat keine Angst, obwohl sie erst neun Jahre alt ist.“

Premiere! 55 mal Aufregung und Vorfreude

Zur Premiere am frühen Abend werden die Eltern der Kinder erwartet, aber auch Besucher aus ganz Unterfranken kommen in die öffentlichen Vorstellungen. Hinter dem Zelt wird im Akkord geschminkt, die Zeitdiebe bekommen Bärte und dichte Augenbrauen, alle anderen wirken mit ihren roten Lippen, Lidstrich und Glitzer auf den Wangen ein wenig verzaubert.

Aufregung, Vorfreude und Lampenfieber von 55 Kindern kann man nicht sehen, aber irgendwie doch fühlen. Die Luft scheint zu vibrieren. Nach und nach trudeln die Zuschauer ein, gut 200 Menschen werden mitfiebern, ob die Kunststücke gelingen. Bunte Lämpchen, Zirkusmusik und der Duft nach Popcorn und frischen Brezen verzaubern den Platz vor dem Zelt. Mit einem Tusch beginnt die Vorstellung.

Die untergehende Sonne taucht das rot-weiße Zelt in schräges Licht. Drinnen, im Scheinwerferlicht wechseln sich Anspannung, Nervosität und Glücksgefühle ab: Alle Saltos sind geschlagen, die Menschenpyramide steht, Meister Hora hat seinen Text geschafft.

Nach zwei Stunden Vorstellung rennen 55 strahlende Kinder zu fetziger Musik ein paar Mal um die Manege, sie baden im rauschenden Beifall. Dass sie in der lustigen und anstrengenden Zirkuswoche auch eine ganze Menge für das Leben gelernt haben, wissen sie nicht. Ist auch egal jetzt. Sie freuen sich auf die Premierenfeier mit Pizza, Party und Lagerfeuer.

Kinder bei der Vorstellung
Kinder bei der Vorstellung im Circus Luna
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