Bayerns kleinstes Weinbaugebiet liegt nicht weit von Regensburg zu Füßen der Ruhmeshalle Walhalla. Nach 1950 drohte das Ende des Baierweins. Aber eine Handvoll engagierter Weinliebhaber bemüht sich um seine Rettung
Die Rettung des Baierweins
Reste des Nachtnebels hängen noch über der ruhig dahinfließenden Donau. Laut Navi geht es links zur kürzesten Weinstraße Deutschlands. Entspannt rolle ich auf der Uferstraße gen Osten.
Aber irgendetwas stimmt hier doch nicht. Vergeblich halte ich Ausschau nach den typischen Attributen einer „Weinstraße“ wie in der Sonne leuchtenden Rebreihen und pittoresken Weingärten auf sanft gewellten Hügeln, so wie man es aus Mainfranken kennt. Doch von allem ist weit und breit nichts zu sehen!
Erst in Tiefenthal werde ich fündig, vor der Terrasse von Weinbau Luttner. Mit herbstlich gefärbten Weinreben im Rücken genießt man dort oben ein herrliches Panorama. Der luftige Blick über die Donauauen reicht an klaren Föhntagen bis zu den Berchtesgadener Alpen.
Franz Luttner läuft an diesem Morgen noch nicht ganz auf 100 Prozent. Ein guter Freund sei am vorherigen Abend zu Besuch da gewesen, erzählt er. Mit einer guten Flasche Rotwein aus Georgien im Gepäck. Die habe man unbedingt probieren und gründlich analysieren müssen.
Franz ist einer der größten Erzeuger von Baierwein, oder wie man heute sagt: Regensburger Landwein. Gemeinsam mit seiner Frau Doris, die er beim Judo kennen und lieben lernte, bewirtschaftet er im Nebenerwerb ungefähr 2,5 Hektar Agrarfläche. Das entspricht fast der Hälfte der noch verbliebenen Baierweinberge an den Südlagen der Donau.
PiWi statt Müller-Thurgau
Weingut dürfen sich die Luttners nicht nennen, dafür ist ihre Anbaufläche zu klein. Vor zwölf Jahren stellte Franz seinen Betrieb auf Bio um und ersetzte die traditionellen Baierweinreben, Weißer Elbling und Müller-Thurgau, durch die robusten „PiWis“. Dabei handelt es sich um pilzwiderstandsfähige Rebsorten wie Solaris, Johanniter oder Regent.
Diese Zukunftswein-Züchtungen sind – wie auch Cabernet Blanc, Souvinier Gris oder Phoenix, eine Kreuzung aus Bacchus und Villard Blanc – resistenter gegen Einflüsse wie Hitze, Pilzbefall und Schädlinge.
Gespritzt werden Franzʼ Weinstöcke trotzdem, aber nur mit einem Kontaktspritzmittel aus Kupfer und Schwefel, das den Trauben nicht unter die Haut geht und sich vor der Ernte verflüchtigt. Die Böden nährt Franz mit einem Sud aus Brennnessel, Schachtelhalm und Jauchebrühe. Alles von Hand, versteht sich.
Rosé-Rarität, handgerüttelt
Stolz präsentiert das Winzerpaar Luttner seinen Tiefenthal Rosé Sekt. Der Bio Cuvée Brut mit feiner Perlage, aus weißen Johanniter- und roten Regent-Trauben gepresst, handgerüttelt und in traditioneller Flaschengärung gereift, ergibt gerade mal 500 Flaschen im Jahr. Eine rare Delikatesse, die mit feudalen Geschmacksnoten glänzt. Dazu passend reicht Doris Wildschinken aus dem Bayerwald.
Baierwein war im Mittelalter Altbayerns Volksgetränk Nummer eins
Kaum vorstellbar, aber die Hänge im Donautal zwischen Schloss Wörth und Donaustauf waren einst voller Rebstöcke. Baierwein war im Mittelalter Altbayerns Volksgetränk Nummer eins.
Während der Landshuter Fürstenhochzeit im Jahr 1475 soffen die Gäste aus dem gemeinen Volk in acht Tagen stattliche 370.000 Liter des altbayerischen Rebsafts. Die herrschaftlichen Gäste im Dunstkreis des Brautpaars, des Landshuter Herzogssohns Georg und der polnischen Königstochter Hedwig, bevorzugten hingegen italienischen Importwein aus dem Trentino.
Bier, Mehltau, Frost: Der langsame Tod des Baierweins
Der Niedergang des Baierweins kündigte sich im 16. Jahrhundert an. Die Kunst der Weinerzeugung verblasste nach dem Dreißigjährigen Krieg, nicht nur wegen der zunehmenden Konkurrenz durch die fleißigen Bierbrauer. Und das Bier war schließlich deutlich bekömmlicher.
König Ludwig I. urteilte 1827, nach der Verkostung eines extra erlesenen Baierweins, schonungslos: „Ich zöge es ohne zu zaudern vor, auf Wasser als auf diesen Wein beschränkt zu werden.“ Eine desaströse Mehltau-Missernte 1906 und ein frostklirrender Winter in den 1950ern besiegelten das Schicksal des Baierweins endgültig.
Die Gallier aus Bach an der Donau
Nicht ganz! Am Genussort Bach an der Donau ist die Baierwein-Apokalypse glücklicherweise vorübergegangen. Es ist der 17. September, Tag der Weinlese.
Gut gelaunt rücken morgens rund dreißig Erntehelfer mit Rebscheren und Eimern an, um die Weinberge des Baierwein-Museums zu lichten. Dass es in Strömen regnet, stört niemanden.
Am Bacher Scheibelberg werden alle Arbeiten von Hand erledigt
Der Sommer war heiß und trocken, sorgte für gut befüllte Rebstöcke mit goldgelb-süßen Dolden. Am Bacher Scheibelberg werden alle Arbeiten von Hand erledigt. Eimerweise schleppen die Hobbywinzer die Trauben herbei.
Alle freuen sich aufs kommende Wochenende, wenn beim Federweißer-Fest der neue Jahrgang erstmals verkostet wird. Die wassergeführte Hydro-Weinpresse zermalmt auf Hochtouren Trauben. Die frische Vitaminbombe ist eine kleine Sensation.
Drei Stunden später sieht man nur zufriedene Gesichter: 700 Liter Traubensaft sind abgefüllt, der Gärprozess wird per Hefeansatz eingeleitet.
Drei Jahre ist Gerti Rissmann Mitglied des 1997 gegründeten Fördervereins. Im durchnässten Weinberg trägt sie eine karierte Regenjacke und Latexhandschuhe. Unter der Kapuze strahlen ein Lächeln und bunte Haarsträhnchen hervor. Beim Traubendoldenschneiden spricht sie von „der Erhaltung eines Kulturerbes“.
Der lokale Wein gehöre genauso zu Bach wie die Donau. Und dass die Rettung des Baierweins allein mit Mitgliedsbeiträgen nicht zu stemmen sei. Da stünden auch höhere Instanzen in der Pflicht, denn Wein sei schließlich ein Teil der Heimat.
Alte Tradition mit neuem Label
Die unter der Regie des Fördervereins mit neuem Label wiederbelebte Weinspezialität „Regensburger Landwein“ hat sich längst zu einem gefragten Tropfen und auch zu einer touristischen Attraktion gemausert. Zahlreiche Tagesausflügler lockte der Museumsverein mit Vorzeigeweinberg und Weinlehrpfad per Donauschiff aus Regensburg ins Weindorf Bach.
Highlight des BaierWeinMuseums und des denkmalgerecht restaurierten Bacher Biethauses ist die 700 Jahre alte Baumpresse. Der positive Geist der Vereins-Community ermutigt darüber hinaus Hobby-Weinbauern, ihren eigenen Weinberg zu pachten, zu bestellen und zu ernten.
„Die Ältesten gehen bald in den Ruhestand“, sinniert Irmela Riedl, die Wirtin der gemütlichen Weinstube „Zum Kruckenberger“. Dort, wo hauseigener Baierwein aus dem Kellerfass an die Theke fließt, soll demnächst die Quelle versiegen? „Die Nachfolge ist nicht gesichert, die Jungen kommen nicht nach. Man kann es Ihnen nicht mal verdenken ...“
Aber noch strahlt Irmis kenianische Sonnenskulptur in warmen Farben über die Terrasse in Richtung Donau und knistert das Holzfeuer in der urgemütlichen Stube. So lässt sich der Schoppen von Irmis Hauswein, ein klassischer Cuvée aus Elbling und Müller-Thurgau mit feinsäuerlichen Fruchtnoten, stilvoll genießen.