Der über 80-jährige Herbert Wechs baut in seiner kleinen Werkstatt im Allgäuer Hinterstein seit über sechs Jahrzehnten Alphörner aus dem Holz der zähen Bergfichte. Über die hohe Kunst des Instrumentenbaus, den Klang der Berge und einen denkwürdigen Auftritt mit James Last
Alphornbauer Herbert Wechs
Der heilige Josephus hat alles im Blick: die große Kreissäge und die alte Drehbank, die mächtigen Blöcke aus Fichtenholz und all die Werkzeuge wie Schneidmesser, Schnitzeisen, Schabhobel.
Genau der richtige Ort für den Schutzpatron der Schreiner, der seit Jahrzehnten eingerahmt oben an der Wand hängt. In dieser kleinen Werkstatt im Allgäu, in der es nach Sägespänen riecht und nach Holzleim, wartet man nur darauf, dass gleich der Pumuckl eine Schachtel Nägel runterwirft.
Man wartet nur darauf, dass gleich der Pumuckl eine Schachtel Nägel runterwirft
Das beschauliche Meister-Eder-Idyll wird an diesem späten Vormittag urplötzlich von einem kräftigen Ton durchdrungen. Das tiefe F schallt durch den Raum, weil Herbert Wechs am Mundstück testet, ob es denn gut klingt, ob ihm auch dieses Instrument wieder einmal gut gelungen ist. So wie fast alle Alphörner, die er in den vergangenen mehr als 60 Jahren gebaut hat.
Ein kühler Frühlingsmorgen in Hinterstein, einem abgelegenen Pfarrdorf, das laut Gemarkung offiziell noch zum Gemeindegebiet von Bad Hindelang gehört, aber gefühlt mehr zum Rand der Welt.
Straßen enden hier und führen ins Nichts. Im Süden türmen sich die kantigen Massive der Allgäuer Hochalpen auf, die an diesem Tag von wabernden Wolken verhüllt sind. Die Mittagsspitze versteckt sich hinter den dichten Schwaden ebenso wie die beiden Gipfel des Kleinen und des Großen Daumen.
Ruhestand? Keine Option!
Herbert Wechs kommt an diesem Tag wieder recht früh in die Werkstatt neben seinem Wohnhaus. 81 ist er im Januar 2024 geworden, längst hätte er mit dem Arbeiten aufhören können. Aber wenn wieder eine Anfrage kommt, der Auftrag für den Bau eines neuen Instruments, sagt er natürlich zu, legt sich wieder die Schürze um, greift zu Holz und Werkzeug. „Warum sollt’ ich’s nicht machen“, meint er. „Das Alphornbauen ist ja meine Leidenschaft.“ So wie auch das Musizieren.
Die Musik prägt schon seit Generationen das Leben der Familie Wechs. Herberts Opa Wendelin leitete um die Wende zum 20. Jahrhundert den Kirchenchor, sein Vater Adalbert gründete die erste Jodlergruppe Hinterstein. Und auch Herbert selbst kam früh zum Singen. Mit seinen Brüdern Albert, Hubert und Otto legte er als Quartett der „Wechs Büebe“ schon früh umjubelte Auftritte hin. Bereits 1949 jodelten sie im Bayerischen Rundfunk – die Oberallgäuer Boygroup der Nachkriegszeit.
Kurz nach dem tragischen Tod des Vaters infolge eines Sturzes von einem Bretterstapel 1956 schloss Herbert seine Schreinerlehre ab, in einer Zeit, in der das bis dahin in der hiesigen Musikszene recht unbeachtete Alphorn eine Renaissance erfuhr.
Auf jahrhundertealten Motiven und Kirchenbildern entdeckte der Hindelanger Traditionspfleger, Sänger und Zitherspieler Michael Bredl Darstellungen des Blasinstruments und erkannte, dass das längst in Vergessenheit geratene Alphorn im Allgäu tatsächlich zur langen Geschichte der Volksmusik gehört. Zum Klang der Heimat.
Die Alphorn-Pioniere
So wurden Herbert und sein Bruder Albert zu den ersten Schreinern, die sich in die Kunst des Alphornbaus einlasen und vertieften. Die Testphasen dauerten lange, die ersten Prototypen waren akustische Rohrkrepierer. Immer wieder fingen die beiden Brüder von vorn an, bis sie endlich den richtigen Ton trafen und dann so richtig durchstarteten.
Die Brüder Wechs waren die allerersten Schreiner, die sich auf den Alphornbau einließen
„Vor allem in den Sechziger- und Siebzigerjahren konnten wir uns vor Aufträgen von Volksmusikgruppen kaum mehr retten“, erinnert sich Herbert. „Es hat geboomt.“ Und so wurde der Alphornbau zur Akkordarbeit.
Aber die Brüder Wechs fertigten das Instrument nicht nur an, sie spielten auch drauf. Beim Donauländertreffen in Novi Sad oder beim Tänzelfest in Kaufbeuren.
Dann meldete sich eines Tages das Management von James Last. Der Maestro des swingenden Easy Listening wünsche für seinen Auftritt in Kempten als musikalische Komponente mit Lokalkolorit Alphornbläser als Begleitmusiker für seine Big Band.
Für ihn, so Herbert, sei das aufgrund des Lampenfiebers der schlimmste Tag überhaupt gewesen. „Ich war so aufgeregt wie sonst nie mehr in meinem Leben, ich hätte keinen Ton rausgebracht.“ Das musste er zum Glück auch nicht: War ja alles Playback!
Unschlagbar: Die Allgäuer Bergfichte
Mit dem Spielen ist es beim Herbert weniger geworden, aber mit dem Instrumentenbau konnte er nicht aufhören. Und so steht er auch an diesem Vormittag wieder in seiner Werkstatt und erklärt die einzelnen Arbeitsschritte und anhand der Gesamtrezeptur natürlich auch die wichtigste Zutat: das perfekte Holz für den optimalen Klang.
Aus der Erfahrung vieler Jahrzehnte kommt für ihn dabei nur die Allgäuer Bergfichte aus einer Höhe von 800 bis 1.200 Metern in Frage. Andere Bäume hätten oftmals Risse und Sprünge, „zu maschtig“ seien sie, sagt er, also zu instabil, zu weich.
Wenn er so von den Charaktereigenschaften der robusten und rustikalen Fichte erzählt – fest, standhaft, zäh und bedächtig gewachsen –, dann erinnert das fast an die Wesenszüge der Einheimischen. Wie der Allgäuer, so auch sein Alphornholz.
Sägen, Fräsen, Drechseln, Leimen
Dann zeigt er uns, wie er aus den Holzblöcken zwei Rohrhälften mit der idealen Wandstärke von vier bis fünf Millimetern heraussägt. Wie er sie ausfräst und abdrechselt und sie dann aneinanderleimt, wie er den bogenförmigen Becher als unteres Endstück mit einer Schablone passgenau herausschnitzt und die Teile dann für das fertige Alphorn zusammenklebt.
Für alle Schritte zusammen braucht Herbert immer so rund 60 Stunden. Wahrscheinlich könnte er es bei all seiner Routine inzwischen auch deutlich schneller. Aber warum sollte er?
Wie viele Alphörner er seinem Leben gebaut hat? Er hat nicht mitgezählt, aber wenn es tausend waren, warum sollte er beim tausendundersten plötzlich in Hektik verfallen? „Jedes Einzelstück verlangt nach Zeit“, sagt er, „nach Hingabe, nach Präzision.“
Das Holz muss schnaufen können
Seiner Arbeitsweise und seinem Stil ist er treu geblieben. Eher amüsiert spricht er über die dick mit dem Flechtmaterial Peddigrohr eingewickelten Instrumente von den Nachbarn im Südwesten. Fast schon ein Erkennungsmerkmal, ein Markenzeichen des Schweizer Alphorns.
Unverständlich sei ihm das, sagt Herbert, „das engt das Holz doch viel zu sehr ein, es nimmt ihm die Fähigkeit zu schwingen und trübt damit die Resonanz und die Klangfarbe.“ Als würde es ihm die Luft zum Atmen rauben. Bei ihm könne das Holz befreit durchschnaufen.
18 Zentimeter länger und der tiefste Ton des Alphorns wäre ein E statt einem tiefen F
Natürlich hat er auch von all den grotesken Rekordjagden gehört, vom größten Alphorn der Welt mit 47 Metern in mehreren Teilen oder vom 20-Meter-Instrument in einem Stück. Alles nix für den Herbert, der seine Hörner seit jeher in 3,64 Meter Länge zusammenschreinert.
Und weil jedes Stück anders ist, weil das Holz auch arbeitet, sind es manchmal halt auch 3,65 Meter. Die Größe ist auch entscheidend für die Tonart, 18 Zentimeter länger und der tiefste Ton wäre ein E. Kürzer, und man hätte ein Fis als Grundton. Beim Herbert ist es immer das tiefe F.
Überall auf der Welt spielen sie auf Herberts Hörnern, die mit den Jahrzehnten zu Hintersteins erfolgreichstem Exportschlager aufstiegen, in Franken, am Niederrhein und sogar an der amerikanischen Westküste: Ein aus Kaufbeuren in die USA ausgewanderter Musiklehrer hatte bei Schreiner Wechs ein Instrument für das Wahlfach Alphorn an seiner Schule in Seattle bestellt: „Für die Kinder dort war das vermutlich so exotisch wie für uns ein australisches Didgeridoo.“
Ob jemand aus den nächsten Generationen seiner Familie die Tradition fortführt und selbst gebaute Alphörner von Hinterstein um die halbe Welt schickt? Herbert Wechs hat da seine Zweifel.
Bei Sohn Stefan standen die Chancen gut, dann aber sattelte er um und ist heute Bauingenieur bei der Gemeinde. Immerhin sind sie aber alle musikalisch. Ob Kontrabass oder Zither, Gitarre oder Gesang, Hackbrett oder Diatonische – die Kinder und Enkel singen und spielen in verschiedenen Gruppen und Formationen.
Herbert ist immer bei familiären Volksmusikabenden dabei, ebenso wie bei Konzerten auf Kulturbühnen oder Kirchen. Gern geht er auch auf die Bergmessen mit Alphornbläsern wie etwa zur Strausbergmesse über Imberg oder auf die „Berglar Kirbe“ am Fellhorn über Oberstdorf.
„Das sind Augenblicke, die mich sehr ergreifen und berühren“, sagt er zum Abschied an der Tür und blickt hinaus auf die hinter den Wolken versteckten Berge. Auf seine Berge. „Wenn es schön gespielt wird und wenn es kilometerweit durch die Täler tönt, dann geht der Klang des Alphorns emotional tief rein in deine Seele.“ Und das sogar noch tiefer als sein tiefstes F.