GoHo

Unsere Stadtwanderung durch Nürnberg startet in Gostenhof. Dann geht es über den Rosenaupark, die Hesperidengärten und den Burggarten zum Wöhrder See. Unterwegs besuchen wir die Bayern-Botschafter Valentin Rottner und Stefan Stretz sowie deren Lieblingsplätze

Lesezeit: 12 Minuten

Stadtwanderung durch Nürnberg

Sonntagmittag im Biergarten des „Schanzenbräu“. Im Schatten einer alten Linde genießen Gäste Schäufele und perfekt gebräunte Rostbratwürste, daneben schleicht eine Katze durch den verwilderten Hinterhof. Ein halbes Dutzend Kirchgänger im feinen Zwirn hat sich zum Bier verabredet. Ganz klar: Das urige Wirtshaus ist ein beliebter Nachbarschaftstreff im Stadtteil Gostenhof.

„Das Rotbier verbindet uns im Viertel“, sagt Bayern-Botschafter Stefan Stretz und zapft uns eine Runde des Nürnberger Lokalgetränks. „Gebraut nach unserem Geheimrezept mit vier Malzsorten!“

Seinen ersten Sud rührte der Braumeister 2004 in einem ausgedienten Waschkessel an, um seinen Freunden zu beweisen, dass er das Handwerk beherrscht. Heute ist der „Schanzenbräu“ die Nummer zwei in Nürnberg.

Stefan Stretz

Fotogenes Scherbenviertel

Stefans Gasthaus ist die erste Station auf unserer Stadtwanderung von Park zu Park, von Garten zu Garten. Das Grün begann gleich hinter dem Startpunkt am Hauptbahnhof. Am Handwerkerhof stiegen wir am Morgen die Treppen hinunter in den Frauentorgraben, ein grünes Band mitten durch die Innenstadt.

Am Spittlertor mit seinem dicken Turm tauchten wir dann in das bunte „GoHo“ ein – so nennen sie Gostenhof in Anlehnung an den New Yorker Stadtteil SoHo. An der Strecke liegen türkische Gemüseläden und griechische Cafés, Fassaden mit Street-Art, Graffiti mit linken Kampf­parolen und gemeinnützige Stadtteilläden. Die Vergangenheit als Scherbenviertel ist eben noch spürbar – verewigt im Song „Dou schdäihd a Haus in Gost’nhuf“ des Liedermachers Günter Stössel.

Gostenhof-Runde mit Stefan

„Das ist meine Hood, hier bin ich aufgewachsen“, sagt Stefan Stretz. „Als ich zur Schule ging, wollte keiner nach GoHo ziehen, der Wohnraum war günstig. Wir haben das Viertel dann mit entwickelt und salonfähig gemacht.“ Heute leben in Gostenhof viele Künstler, es gibt hippe Läden und Ateliers. „Kommt, ich zeige euch ein paar Lieblingsorte“, gibt Stefan das Zeichen zum Aufbruch für eine Runde.

Wir stöbern im „Bambi-Boom“, einer Boutique mit fair produzierter Designermode, und bewundern bei der „Fach­marie“ die originellen Souvenirs lokaler Designer, vieles davon nachhaltiges Upcycling: Waschbeutel aus ausrangierten Luftmatratzen oder Schmuck aus alten Dosen. „Sogar unser Pfarrer ist ein cooler Typ“, erzählt Stefan. In der Dreieinigkeitskirche treten Heavy-Metal-Musiker auf und es wird sogar zur Rock-Kirchweih geladen.

„Heike Stahl müsst ihr kennenlernen“, sagt der Bayern-Botschafter. „In ihrem, Salon Regina‘ fand mein erster Bieranstich statt. Es kamen so viele Gäste, dass die Polizei anrückte.“ Das Café an der Fürther Straße entpuppt sich als Gesamtkunstwerk im Vintage-Stil mit Blümchentapeten, Möbeln aus den 50er-Jahren und vielen ironischen Ausstattungsdetails.

„Ich war einst die Erste hier am ‚Boulevard‘“, sagt die quirlige Chefin, die sich mit dem Salon ihren Lebenstraum erfüllte. „Die Banken war damals entsetzt, dass ich hier ein Café eröffnen wollte.“ Heute ist es ein Kultort.

Nürnberg Cafe

Schauplatz der Nürnberger Prozesse

Gostenhof steht auch für ein dunkles Stück Geschichte: „Meine einstige Schule liegt direkt neben dem Knast“, sagt Stefan, der damals regelmäßig Prozesse besuchte und sich danach mit Mitschülern in der Kneipe am Schwurgericht traf. „Ich fand die Gerichtsverfahren aufregend, teilweise auch lustig, wenn sich jemand um Kopf und Kragen redete“, erinnert er sich, während wir die Treppe zu Sitzungssaal 600 hinaufsteigen.

Dieser Saal war 1945 und 1946 Schauplatz der Nürnberger Prozesse vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Heute finden hier keine Verfahren mehr statt, ein multimediales Museum informiert über die Prozesse und ihre Hintergründe.

Im Schatten der knorrigen alten Bäume im historischen Rosenaupark verabschiedet sich Stefan. Wo sich im Mittelalter der Fischteich eines Ritterordens erstreckte, verabredete er sich nach der Schule oft mit Freunden. Doch wir wollen weiter, auf einen kurzen Abstecher zu einer neuen Kunst-Location im Jakobsviertel.

Rosenaue
Künstlerin

Knorrige Buchen und ­Zitrusbäume

Weiter geht’s entlang unseres „grünen Fadens“: Im Kontumazgarten chillen Studenten in den Wiesen oder auf der Aussichtsplattform über der Pegnitz. Noch idyllischer wird es am Nordufer, wo zwischen kleinen Fachwerkhäusern mit Rosengärten ein Treppenweg zum Stadtteil St. Johannis hinaufführt.

Durch eine unscheinbare Pforte tauchen wir ein in die barocken Hesperidengärten, ein Relikt vergangener Jahrhunderte, als sich ein Netz von über 300 Bürger- und Lustgärten um die Stadtmauer zog.

Der Duft der Buchsbaumhecken, die sich um eine Sonnenuhr gruppieren, liegt in der Luft. Steinerne Märchenfiguren stehen neben sakralen Statuen. Rund um die plätschernden Brunnen stehen dekorativ Zitronenbäume. Sie ver­halfen dem Garten zu seinem Namen nach einer griechischen Sage. Die Früchte sehen so perfekt aus, dass wir sie noch mal vorsichtig in die Hand nehmen für einen Echtheits-Check.

Zitronengarten

Burggarten mit versteckter Oase

Über die Hallerwiese wandern wir bis zur Stadtbefestigung und dann hinauf in den Burggarten, das Revier von Gärtner Friedrich Knoll. „Das ist der beliebteste Garten der Nürnberger“, sagt er. „König Maximilian II. hat ihn einst nicht nur für sich, sondern auch für die Bürger anlegen lassen. Es gab zeitweise sogar einen Biergarten und eine Kegelbahn.“

Knoll schwärmt von seinem Arbeitsplatz, an dem immer etwas blüht oder duftet: im Frühjahr der Flieder und der Schneeball, Anfang Juni die Rosen in der großen Bastion, gefolgt von den Schnurbäumen. „Dann bildet sich hier ein weißer Blütenteppich“, sagt Knoll. Doch es gibt nicht nur Zierpflanzen, sondern auch Wildblumenwiesen, Obstbäume und eigene Bienenstöcke.

Dann führt der Gärtner durch eine schmale Tür in den Maria-Sibylla-Merian-Garten, der eine Hommage an die Künstlerin und Naturforscherin darstellt, die sich hier vor 300 Jahren mit Pflanzen und Insekten beschäftigte. Mit ­Themenbeeten zu Düften, Zierpflanzen und Heilkräutern ist der neu gestaltete Garten ein kleines Idyll im Trubel der Festung.

Valentin Rottner

Hochzeit auf der Kaiserburg

„Die Burg ist einer der wichtigsten Orte in meinem Leben“, sagt Valentin Rottner. Der Jäger und Chefkoch hat sich mit den Wildgerichten in seinem Restaurant „Waidwerk“ einen Michelin-Stern erkocht.

„Meine Eltern haben mich als Kind regelmäßig auf die Burg mitgenommen. Und ich durfte hier heiraten, natürlich in fränkischer Tracht.“ Wir treffen den Bayern-Botschafter Valentin Rottner auf dem Wehrgang über dem Tiergärtnertorplatz mit Breitwandblick auf die Burgtürme und das Albrecht-Dürer-Museum.

Noch ist der Platz zu unseren Füßen fast menschenleer, doch schon bald werden sich die ersten Gäste auf ein fränkisches Craft-Bier in der Bar „Wanderer“ treffen. Auch Valentin ist oft dabei: „Hier oben gibt es keinen, der meckert“, schwärmt er.

„Sobald nach dem Winter die erste Sonne rauskommt, sitzt da die ganze Stadt“, sagt Valentin. „Und im Sommer hocken die Leute auf dem Kopfsteinpflaster und man hört die wildesten Geschichten. Die einen kommen von der Partynacht, die anderen waren fränkisch essen. Irgendeinen Kumpel trifft man immer.“ Oder einen Fußballfreund, auch wenn der absolute Lieblingsort des bekennenden FC-Nürnberg-Fans das Stadion ist und bleibt.

Der belebte Nürnberger Burg Platz

Zwischen Kettensteg und Wöhrder See

Valentin begleitet uns bis zum Kettensteg von 1824, der sich über die Pegnitz spannt. Es ist eine der ältesten eisernen Hängebrücken Europas. „Ich mache oft einen Abstecher über den Steg. Und ich war schon mit jeder meiner Freundinnen hier“, lacht Valentin. Schließlich ist es von hier aus auch nicht weit bis zur Liebesinsel, wo abends die Pärchen am Ufer sitzen. In den letzten Jahren hat sich die Stadt mit Grünanlagen, Uferwegen und Terrassen zum Wasser hin geöffnet. Beim Panoramablick von der Maxbrücke – einer der abwechslungsreichsten Abschnitte der Tour – erleben wir Mittelalter pur: die trutzige Fronveste mit dem Schlayerturm, Weinstadel und Henkersteg, in dessen Brückenhaus einst der Scharfrichter wohnte.

Treppauf, treppab, mal links, mal rechts geht es an der Pegnitz entlang. Dort wechseln sich Fachwerkbauten mit 70er-Bausünden und modernen Ensembles wie dem Deutschen Museum ab. Auf den Brücken sitzen Einheimische und Gäste bei Eis und Bier, aus Gärten am Ufer steigt Grillduft auf.

Wir lassen den Tag im inklusiven „Café Strandgut“ am Nordufer des drei Kilometer langen Wöhrder Sees ausklingen. Aus dem früheren Hochwasserschutz-Stausee haben die Nürnberger ein Naherholungsgebiet mit Badestrand (Norikusbucht), Calisthenics-Geräten, Seilnetz-Anlage und Vogelschutzgebiet geschaffen. Vor uns dümpeln aber statt Haubentauchern, Rallen und Zwergtauchern bunte Einhörner und Flamingos im Wasser. Die knallbunten Tretboote werden am Ufer gegenüber verliehen.

Pegnitz

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