Wildkräuterköchin Claudia Schulte zur Hausen sucht im Perlacher Forst nach Zutaten für Ihre Kräuterküche
Wild!

Viele Wildpflanzen sind nicht nur gesund, sondern peppen Gerichte auch geschmacklich auf. Sie sind auch in den Randbereichen großer Städte zu finden. Wir streiften mit einer Kräuterpädagogin durch den Perlacher Forst bei München.

Lesezeit: 15 Minuten

Kräuterwanderung und Kräuterküche

Der Perlacher Mugl ist vermutlich der kleinste Aussichtsberg Bayerns. Künstlich errichtet und mit Laub bewachsen, „ragt“ er knapp 30 Meter auf. Schon nach den wenigen Schritten Aufstieg hat man vom „Gipfel“ einen fantastischen Ausblick auf die Alpen. Das Panorama reicht von den Berchtesgadener Bergen im Osten bis zu den Allgäuer Alpen, die sich im Westen am Horizont verlieren.

Ebenso spannend ist es, den Blick statt in die Ferne auf den Boden rund um den Mugl zu richten und dort die Schönheit der Natur zu entdecken: die wunderbare Welt der wilden Pflanzen und Kräuter. Insbesondere die der essbaren … Und da sich die feinen Kräutlein gern im Grün verbergen – welcher Laie kennt sie schon! –, ist der Expertenblick gefragt. Wie der von Claudia Schulte zur Hausen.

Die zertifizierte Kräuterpädagogin Claudia Schulte zur Hausen bietet auch Wanderungen an

Kräuterparadies am Stadtrand

Die zertifizierte Kräuterpädagogin und passionierte Köchin bietet Naturfreunden und Feinschmeckern Wanderungen an, bei denen essbare Wildpflanzen gesammelt werden. Anschließend zeigt Claudia, wie man mit ihnen kocht und Rezepte verfeinert.

Das Sammeln und Verarbeiten von Heilkräutern ist ein weiterer Schwerpunkt ihrer Workshops. Die Wiesen, die den Mugl umgeben, gehören zu ihren Lieblingsrevieren.

Der gut 13 Quadratkilometer große Perlacher Forst erstreckt sich am südöstlichen Stadtrand von München – vom Rathaus in der Stadtmitte sind‘s nur sechs Kilometer bis zum Nordeingang des Parks in Harlaching!

Schnurgerade Forststraßen führen durch Fichten-Laubholz-Mischwälder, ziehen vorbei an Lichtungen und Wiesen mit wilden Obstbäumen. Und Pfade schlängeln sich durch Wald und Unterholz.

Die Menschen gehen im Forst spazieren, radeln, joggen oder genießen einfach nur die Natur. Ja, Einsamkeit und Stille findet man hier auch.

Wiesenkräuter aus dem Perlacher Forst in München in einem Weidenkörbchen
Direkt von der Wiese aufs Brot: So schmecken die Kräuter besonders frisch

Frischer Atem hält Pflanzen fit

Claudia hat für ein Kräuterpicknick ein traumhaft schönes Fleckchen am Fuß des Mugl ausgesucht. „Ich liebe diese Wiese“, ruft sie entzückt. Auf einem urigen Tisch aus knorrigem Holz, von Wind und Wetter ganz grau, sind Teller, Brot, Butter und Holundersaft angerichtet.

Ein wilder Apfelbaum spendet Schatten. Die spätsommerliche Sonne hat noch viel Power, vertreibt schnell die morgendliche Frische. Letzte Tautropfen glitzern im Gras. Fehlen nur noch die Kräuter!

Der Fotografin zuliebe hat die Expertin ein Weidenkörbchen mitgebracht. „Die Leser lieben‘s doch romantisch!“, lacht sie. Eigentlich verwendet Claudia lieber eine Brotzeitdose aus Glas oder Metall. „Am besten pustet man noch hinein, das ausgeatmete CO2 hält die Pflanzen länger frisch“, lautet ihr ganz profaner Tipp.

Verschiedene Wiesenkräuter und Blüten auf einem Holztisch

Wichtig: Genau hinschauen!

In gebührendem Abstand vom Wegrand – „je weiter in der Wiese, desto weniger Hunde“, so Claudia – durchstreift sie die Wiese. Auffallend die vielen pinkfarbenen Punkte: Klee. „Gut, die Kleeblüten können wir schon mal für unsere Kräuterbutter verwenden“, sagt die Expertin. Jetzt heißt’s in die Hocke gehen, um das zarte Gewimmel von Stängeln, Blättern und Blüten aus nächster Nähe zu begutachten.

„Wie unendlich viele unterschiedliche Pflanzen man auf der Wiese entdeckt, fasziniert mich immer wieder“, begeistert sich Claudia. „Dabei sollte man immer ganz genau hinsehen und die Kräuter sicher bestimmen, damit keine giftigen im Korb landen, das ist das A und O“, rät sie. Im Zweifelsfall zieht sie auch mal ein Buch zurate oder eine App. Tipp: „Flora Incognita“ ist eine gute Wahl.

Warum fühlen sich die Wildpflanzen dort im Perlacher Forst wohl? „Die Wiesen im Forst werden nicht landwirtschaftlich genutzt und gedüngt. Außerdem werden sie nur einmal im Jahr gemäht. So kann sich eine Vielzahl an Wildpflanzen ansiedeln“, erklärt Claudia. Wie die Schafgarbe, die Claudia jetzt in den Korb legt. Achillea millefolium, die Gewöhnliche Wiesen-Schafgarbe.

Augenbrauen der Venus

Das Kraut mit den feingliedrigen Blättern und kleinen weißen Blüten ist nicht nur heilsam. Es wirkt unter anderem entzündungshemmend, krampflösend und hilft bei Menstruationsbeschwerden. Zudem fasziniert es mit mythischem Background. Man nennt es auch „Kraut des Achilles“.

Schon Achilles behandelte Wunden und Blutungen mit Schafgarbe

Der antike Haudrauf war heilkundlich bewandert und behandelte damit erfolgreich die eiternde Wunde eines gewissen Königs Telephos. Im Altertum fand die Pflanze Verwendung zur Wundheilung und Stillung von Blutungen. Wesentlich poetischer der zweite Spitzname: Wegen ihrer filigranen Blätter, die geschwungen sind wie Augenbrauen, heißt die Schafgarbe auch „Augenbraue der Venus“.

Kräuterpädagogin Claudia Schulte zur Hausen steht bei einer Goldrute im Perlacher Forst in München

Unübersehbar: Goldrute

Peu à peu füllt sich so das Körbchen. Es finden sich ein: Hohlzahn – „da nehmen wir die Blüten zur Deko, die Blätter sind zu pelzig“, so Claudia, die in gebotener Kürze die Funde beschreibt. Des Weiteren Flockenblume – „wir nutzen ebenfalls die schöne Blüte“; Bibernelle – gut als Schleimlöser bei Husten und Schnupfen, „man sollte sich allerdings beim Bestimmen auch an Blättern und Stängel und nicht nur an den weißen Blüten orientieren, denn bei Doldenblütlern gibt es auch giftige Verwechsler“, betont Claudia.

Spitzwegerich – gut gegen Entzündungen; Wilde Möhre, die leberschützend wirkt; Wiesenlabkraut, das laut Volksheilkunde die Lebensgeister wecken soll; Steifhaariger Löwenzahn mit vielen gesunden Bitterstoffen; junger Giersch – „der löst Harnsäure und unterstützt mit viel Kalium eine basische Ernährung“.

Und weil sie unübersehbar und in großer Zahl in der Sonne leuchten, landen noch Blüten der Goldrute im Korb. „Die Goldrute ist eine invasive Pflanze“, erklärt Claudia, „das hier ist die Kanadische Goldrute. Viele mögen sie nicht, weil sie so massiv auftritt, aber ich bin da anderer Meinung.

Die Bienen lieben sie, außerdem schmecken die Blüten würzig und Goldrutentee kann heilsam auf das Harnwegsystem wirken.“ Die Sammelaktion hat auch eine Libelle neugierig gemacht, im Zickzack-Tiefflug sondiert sie die Lage über der Wiese.

Kräuterpädagogin Claudia Schulte zur Hausen macht Kräuterbutterbrot an einem Holztisch im Perlacher Forst
Ein Butterbrot mit frisch gepflückten Kräutern im Perlacher Forst in München genießen

Brot, Butter, Kräuter: Köstlich gesund!

Genug gesammelt. Die Kräuterfrau schnibbelt das grüne Häufchen, in dem die weißen, gelben, pinkfarbenen und lila Blüten zauberhaft leuchten, auf einem Holzbrett klein, füllt alles in eine Schale. Sie streicht Butter auf eine Scheibe Brot und taucht diese mit der Butterseite hinein – fertig ist das Kräuterbutterbrot.

Ein appetitlicher bunter Teppich bedeckt jetzt die Brotscheibe. Zum Hineinbeißen … Und wie schmeckt’s? Die Kräuter verbreiten im Gaumen außergewöhnliche, nicht alltägliche Aromen, intensiv, mit scharf-würzigen, bitter-herben Noten. Und ein bisschen auch waldig-geheimnisvoll …

„Wildpflanzen werden ja nicht vom Gärtner gepampert, sie müssen sich in der Natur allein ‚durchbeißen‘“, erläutert Claudia. „Deshalb entwickeln sie etwa zum Schutz vor Wetterwidrigkeiten oder Fressfeinden Bitterstoffe, Gerbstoffe, ätherische Öle und viele Stoffe mehr, die wiederum gesund sind für uns Menschen.

Bitterstoffe regen beispielsweise Speichelfluss und Verdauung an und sorgen dafür, dass wir Nährstoffe besser aufnehmen. Frische Wildpflanzen liefern durchschnittlich viermal so viele Mineralstoffe und Vitamine wie konventionelles Gemüse!“ Schon der Genuss einer Handvoll vom wilden Superfood täglich wirke sich gesundheitsfördernd aus.

Kräuterpädagogin Claudia Schulte zur Hausen sammelt Vogelbeeren im Perlacher Forst in München
Claudia Schulte zur Hausen bereitet ein Birnenkompott mit Vogelbeere zu

Bittersüß: Birnenkompott mit Vogelbeere

Zur Zubereitung des Desserts geht’s per Rad in das Bistro „aroma&kraut“ im nahen Unterhaching, das auf nachhaltige Kulinarik und Wildkräuter spezialisiert ist. Die Fahrt über die sonnigen Forstwege, vorbei an Wald, Büschen und üppigen Goldrutengruppen dauert gute zehn Minuten.

Vogelbeeren enthalten viel Vitamin C und sollen heilende Wirkung haben bei Husten und Bronchitis

Hier und da leuchtet es knallig orange auf am Waldrand. Claudia stoppt und pflückt zwei, drei Hände voll der reifen Vogelbeeren. Roh schmecken sie, nun ja, sehr, sehr bitter. Beim Kochen wandle sich, so Claudia, die Parasorbinsäure um in Sorbinsäure, sie mache die Beere bekömmlich. Vogelbeeren enthalten viel Vitamin C und sollen heilende Wirkung haben bei Husten und Bronchitis.

Das charmante Bistro verfügt zusätzlich über eine schicke moderne Werkstattküche, in der Claudia Wildkräuter-Workshops gibt. Hier kocht sie aus Birnen und Vogelbeeren nun das Kompott. „Bei meinen Gerichten ergänze ich gern die herben Noten der Wildpflanzen mit mildem Gemüse oder süßen Früchten“, kommentiert die Kräuterköchin.

Sie richtet das Kompott mit vorbereiteten süßen Streuseln an. Die bitter-herbe Note der Vogelbeere und die Süße von Birne und Streusel schaffen ein ganz außergewöhnliches, faszinierendes Geschmackserlebnis. Natürlich – und köstlich!

Das Bistro „aroma&kraut“ in Unterhaching bei München
Birnenkompott mit Vogelbeeren und süßen Streuseln
Kräuterpädagogin Claudia Schulte zur Hausen auf einer Wiese im Perlacher Forst

Ein grüner Schatz

Seit acht Jahren gibt Claudia nun Wildkräuter-Workshops und verbindet so ihr Hobby als experimentierfreudige Köchin mit ihrem Faible für gesunde Kräuter. Nicht nur die Wildpflanzen, auch das Sammeln selbst mache ihr Spaß, erzählt sie, und fördere die Achtsamkeit: „Wenn ich beim Sammeln im Wald oder auf der Wiese unterwegs bin, vergesse ich alles um mich herum, schalte komplett ab und konzentriere mich nur auf die Pflanzen.“

Zum Abschied gibt die Expertin noch einen kleinen Kräuter-Knigge mit auf den Weg. Dabei ganz wichtig: Immer genau wissen, was man da sammelt; nur einen Handstrauß pro Kopf und Tag entnehmen; und nur die Triebe, die man genießen möchte; keine geschützten Pflanzen sammeln; und an den Fundstellen nur so viel ernten, dass genug für Tiere, Insekten und zum Weiterwachsen übrig bleibt.

Kurz, mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand sammeln, denn, so Claudia, „wir haben einen unglaublichen Schatz da draußen, es lohnt sich wirklich, darauf aufzupassen!“

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