Donauwörth gehört zu Bayerns kleineren, weniger bekannten, aber reizvollen Städten mit langer Geschichte. Wir erfuhren bei Puppen, Bonbons und Bier viel über den Charakter der Stadt und ihrer Menschen. Deren Motto? Immer schön langsam!
Sehenswürdigkeiten in Donauwörth: Ein Stadtrundgang
Plötzlich wird es hektisch, unten auf der Reichsstraße. Vor dem Hotel „Goldener Hirsch“ spuckt ein Reisebus drei Dutzend Touristen aus. Der dichte Pulk eilt der Reiseführerin mit ihrem grünen Regenschirm hinterher.
Von unserem Aussichtspunkt hoch oben auf der Kirchengalerie ist gut zu beobachten, wie die Gruppe Richtung Rathaus hastet und rechts abbiegt, runter zur Wörnitz und rüber zur Insel Ried. Urlauber auf Durchreise, so scheint es. Vermutlich die Romantische Straße im Schnelldurchlauf.
Schade eigentlich. Schließlich ist das der richtige Ort, um abzubremsen und anzukommen. Sich einzulassen auf das sehr eigene, sehr gemächliche Tempo von Donauwörth. Auf eine Stadt im Entschleunigungsmodus.
Sehr langsam geht es schon zu Beginn unserer Tour zu: Bedächtig kraftsparend winden wir uns jene 217 Stufen empor, die über eine knarzende Holztreppe im Kirchturm des Liebfrauenmünsters nach oben in die alte Wohnung des Turmwächters führen.
Donauwörth in 360°
Gleich zum Auftakt ein mythenumwobener Ort, an dem eine der bedeutendsten Sagen Donauwörths ihren Anfang nahm. Eines Nachts vor grauer Zeit schlug der Hausmeister der Legende nach von dort aus Alarm, weil er den Schellenberg im Norden in Flammen wähnte.
Aufgeregt rückten die Löschtrupps aus, um festzustellen, dass das vermeintliche Feuerinferno lediglich dem Lichtspiel des blutrot aufgehenden Vollmonds geschuldet war – weshalb man die Donauwörther andernorts seither gerne „Die Mondspritzer“ nennt.
Den Schellenberg mit dem neu eröffneten Freibad sieht man sehr gut von hier oben. Der Aussichtsbalkon ist der beste Platz, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Er bietet eine 360-Grad-Sicht über die Dächer der Stadt.
Im Westen das Fuggerhaus und die Klosterkirche Heilig Kreuz, im Osten fällt der Blick auf die Donau und ringsherum ins grüne Umland des bayerisch-schwäbischen Donau-Ries. Bei diesem prachtvollen Panorama kommt bald der Gedanke: Doch ganz gut, dass Donauwörth so klein geblieben ist, kompakt und überschaubar.
Fast-Boomtown im 17. Jahrhundert
Dabei hatte Donauwörth ja das Zeug, mal groß rauszukommen, aber so richtig – als blühende und aufstrebende Reichsstadt bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts. Nach rabiaten Straßenschlachten zwischen Protestanten und Katholiken aber erfolgte als Sanktion die Reichsacht und damit der Entzug der rechtlichen Autonomie.
Der drastische Bevölkerungsrückgang und der aus der konfessionellen Fehde von 1606 und 1607 resultierende Dreißigjährige Krieg taten ihr Übriges. Und so war’s mit dem Wachstum der Boomtown dann wieder vorbei. Aus heutiger Sicht ganz gut.
Um viel Geschichte geht es auch, als wir nach dem Abstieg durch das enge Stiegenhaus gegenüber durch die Schustergasse und eine kleine öffentliche Parkanlage, den Gewürz- und Kräutergarten, unser nächstes Ziel erreichen: das Käthe-Kruse-Museum.
Puppen, Puppen, Puppen
Thomas Heitele, Leiter des Hauses, nimmt sich viel Zeit, um uns durch die Räume mit den 150 historischen Puppen und Schaufensterfiguren und durch die weltgrößte Sammlung mit den Werken der legendären Puppenmacherin zu führen.
Zu sehen sind Exponate wie Friedebald und Ilsebill, Margretchen und Jockerle, das Schielböckchen oder das Baby Bauz von 1910 – aus der sehr frühen Schaffensphase von Käthe Kruse. Sie schuf anstelle der bis dahin üblichen, kalt sterilen Porzellanpüppchen weiche und biegsame Figuren aus Holz und Stoff, die echten Kindern nachempfunden waren und die sich dadurch erstmals als Spielgefährten zum Kuscheln und zum Knuddeln eigneten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zog Käthe Kruse mit ihrem Mann Max aus Berlin hierher, sie lebten in einer Villa in der Kapellstraße. Sitz der Käthe-Kruse-Puppenmanufaktur ist Donauwörth noch heute.
Vor der Vitrine mit der originalgetreuen Rekonstruktion mit Kruse-Figuren in einer historischen Schaufensterauslage erzählt uns Heitele, was ihm so gefällt an Donauwörth.
Ein Riesenstück vom Meteorit
Der Spazierweg am Ufer der Wörnitz, sagt Heitele, sei einer seiner Lieblingsorte. Und der Mangoldfelsen, nur 100 Meter von seinem Museum. Das mächtige Trumm Felsmonolith ist ein Überbleibsel des Meteoriteneinschlags vor 15 Millionen Jahren 30 Kilometer nordwestlich im Nördlinger Ries. Heute dient das Relikt als imposante Kulisse für die alljährlichen sommerlichen Open-Air Theaterabende.
Direkt ums Eck liegt der alte, nur noch für Radfahrer und Fußgänger geöffnete Eisenbahntunnel – auch das ist für Heitele noch so eine Donauwörther Besonderheit. Bis 1877 fuhren dort die Züge der Ludwigs-Süd-Nord-Bahn von Lindau nach Hof durch.
Im Zweiten Weltkrieg war der Ort Munitionsversteck und Lager der ansässigen Rüstungsproduktion. Das war neben der strategischen Lage ein Grund mehr für schwere Luftangriffe der US-Airforce, die noch in den letzten Kriegswochen die Altstadt rund um die Reichsstraße in ein riesiges Trümmerfeld verwandelten.
Edel: So süß aber auch
Die Zerstörung vom April 1945 hatte auch direkte Auswirkungen auf die nächste Station unseres Stadtbummels: die Bonbonfabrik Edel, Donauwörths zuckersüße Traditionsbetrieb. Seit 1864 stellten die Edels über Generationen ihre Naschwaren in der Reichsstraße her. Da nach den Bombenabwürfen von ihrem Haus nur noch Ruinen übrig waren, zogen sie raus ans Zollfeld in den Norden der Stadt. Mit dem Tod von Robert Edel 2001 ging der Betrieb an seine beiden Mitarbeiter über, deren Söhne heute die Firma leiten.
Einer von ihnen ist Joachim Lang. Sich mit ihm beim Rundgang durch die Fabrikanlage zu unterhalten macht wenig Sinn. Dafür ist es viel zu laut in der Werkshalle mit ihren industrieromantischen Apparaturen aus den 1950er-Jahren. Die Kochmaschinen sind wahre Hexenkessel, in denen sich bei 150 Grad die Grundmischung aus Zucker und Glukosesirup zusammenbraut. Dann werden den 30 Kilo schweren Klumpen auf einem Kühltisch mit den jeweiligen Aromen und Farbextrakten die Zutaten für Geschmack und Kolorierung beigemischt.
Süße Grüße für die ganze Welt
Der sogenannte Kegelroller formt aus dem fetten Batzen ein dünnes Geschlängel, aus dem mit Schneide- und Prägemaschinen rund 7.500 Bonbons entstehen und in die Kiste am Ende des Fließbands purzeln. „Macht etwa eine gute Million Guttis täglich“, sagt Lang, als wir wieder zurück in seinem sehr ruhigen Büro sind.
„Wenn ich dann Fremden mein Donauwörth zeige, wird mir immer wieder bewusst, wie wunderschön die Stadt ist“
Der Bedarf ist groß: Man exportiere die 250 verschiedenen Sorten in die ganze Welt, nach Skandinavien, Südkorea, China und in die USA. Und selbst in Australien und Neuseeland lassen sie sich die Donauwörther Bonbons auf der Zunge zergehen. Selbst wegzuziehen, den Firmensitz woanders neu aufzuschlagen, das kam für Lang und seine beiden Mitinhaber nie in Frage.
Natürlich ist er viel herumgekommen auf seinen Dienstreisen, den diskreten Charme seiner Geburtsstadt Donauwörth nimmt er aber vor allem immer bei Besuchen von Freunden und Geschäftspartnern wahr. „Die Heimat sieht man leicht als selbstverständlich an“, sagt er, „aber wenn ich Fremden mein Donauwörth zeige, dann wird mir immer wieder bewusst, wie wunderschön die Stadt ist.“
Und was ist sein Donauwörth nun so? Von der idyllischen Uferpromenade am alten Donauhafen spricht der Bonbonkönig, vom Kalvarienberg als Ruhepol oder auch vom dort angrenzenden Freibad am Schellenberg.
Abstecher ins Brauhaus
Wir schlendern zurück in die Stadt und durch die in den Nachkriegsjahren als prachtvolles Ensemble wieder aufgebaute Reichsstraße, die von einem bayerischen Ex-Staatsminister einmal mit dem toskanischen Siena verglichen wurde.
Für einen kleinen Abstecher schauen wir am Nachmittag im „Donauwörther Brauhaus“ in der Zirgesheimer Straße bei Simon Baumer vorbei. Der ausgebildete Biologe und Betriebswirt kam als Autodidakt zum Bierbrauen. 2019 belebte er ein altes Handwerk wieder, indem er nach der Schließung der letzten örtlichen Brauerei 1981 nun eine fast 700-jährige Tradition weiterführt.
Fünf Hektoliter umfasst seine Brauanlage inzwischen. Bei den Sorten beschränkt sich Baumer auf die Klassiker Helles, Dunkles, Weißbier, dazu ein obergäriges Landbier sowie die Pilgerlust. Letzteres ist ein dunkles Radler, für das sich Simon 2021 bei der Enthüllung einer Friedenstaube am Donauspitz nebenan inspirieren ließ, einem Denkmal auf dem Jerusalem-Weg, der von Spanien über Donauwörth nach Israel führt.
Unser Weg führt am Ende dieses Tages nur noch rüber auf die Ried, die Altstadtinsel zwischen den beiden Armen der Wörnitz. Sie ist ein bei Einheimischen beliebtes Refugium.
Vor einem der Cafés, Kneipen und Lokale sitzen wir bei einem kühlen Sundowner, blicken auf die Kinder, die sich an der Gelateria über ihren Becher mit den Eiskugeln vertiefen, auf die beiden älteren Damen, die sich am Fischerbrunnen herzlich über ein zufälliges Wiedersehen freuen. Und auf das junge Pärchen, das Arm in Arm Richtung Museumsplatz flaniert, verträumt und ganz bei sich, langsam und ganz gemächlich. Genau das richtige Tempo für Donauwörth.