Zwei Wanderer an der ehemaligen Grenze zwischen Eschlkam und Všeruby
Grenzgänger

Von Bayern nach Böhmen und zurück: Auf dem 160 Kilometer langen Baierweg begegneten wir viel Geschichte und vielen Geschichten. Wir erlebten großartige Landschaften diesseits und jenseits der Grenze, trafen auf spannende Menschen und einen schlafenden Drachen

Lesezeit: 15 Minuten

Baierweg: Fernwanderung von Bayern nach Böhmen

Dort, am Feldweg nach dem kleinen Waldstück, war die Welt einst zu Ende. Direkt beim kleinen, schmalen Bach Chamb, der so friedlich vor sich hinplätschert. Sepp Altmann kann sich noch gut erinnern, wie er als Kind aus seinem Heimatort Eschlkam die fünf Kilometer hierher geradelt kam. Wie er auf den Zaun schaute, auf den Stacheldraht, wie er sich dachte, wie es dahinter wohl aussieht. Drüben in den Ortschaften in der Tschechoslowakei. Für den Sepp waren es böhmische Dörfer. In jeder Hinsicht.

Wanderer auf dem Baierweg im Bayerischen Wald an einem kleinen Bachlauf

Dass hier einst der Eiserne Vorhang verlief, die Grenze zwischen den großen Machtblöcken des Kalten Kriegs, mag man sich heute an diesem Ort kaum vorstellen. Um die Geschichte und die Geschichten von damals zu hören, gibt es keinen besseren Begleiter als den Sepp. Nach dem Zerfall des Ostblocks brach er als einer der ersten Pioniere zu Wandertouren hinüber ins fremde Nachbarland auf.

Nun nimmt er uns als Gäste mit zu dieser sehr speziellen Grenzerfahrung. Auf diese Etappe, die zu den vielen Höhepunkten des Baierwegs zählt. Dieser Wanderweg führt entlang einer alten Handelsstraße auf knapp 160 Kilometern von Straubing hinein in den Bayerischen Wald, hinüber nach Böhmen und schließlich wieder zurück nach Furth im Wald. Wer auf dem Baierweg unterwegs ist, der bekommt nicht nur viele Einblicke in die Historie, sondern genießt auch sagenhafte Ausblicke.

Blick auf Furth im Wald am Baierweg
Mann blickt vom Bogenberg auf die Donau

Heimat der weiß-blauen Raute

Unmittelbar nach Beginn der ersten Etappe auf dem Bogenberg öffnet sich schon ein prächtiges Panorama mit Blick auf die Donau und das südliche Niederbayern, bei guter Sicht reicht er bis zu den Alpen. Das Kreismuseum neben der spätgotischen Wallfahrtskirche erzählt dazu die Geschichte der früher hier ansässigen Grafen von Bogen, deren Wappenschild im 13. Jahrhundert von den Wittelsbachern übernommen wurde. Dessen Design ist heute das weltbekannte Markenzeichen des Freistaats, Bayerns Corporate Design: die weiß-blaue Raute.

Und die Raute gibt uns die Richtung vor, als Markierung des Baierwegs. Die Strecke führt an den ersten beiden Tagen vorbei am Kloster Windberg und der Mühle, die dem sagenumwobenen Waldpropheten Matthias Lang seinen legendären Namen gab: dem Mühlhiasl. Weiter geht es auf Forststraßen und Feldwegen über Sankt Englmar, einen der bekanntesten Urlaubsorte des Bayerwalds, nach Kollnburg und Viechtach. Und zum Start des dritten Tages zu einem verwunschen anmutenden Ort, dem fast sechs Kilometer langen Höllensteinsee.

Wanderwegweiser am Baierweg im Bayerischen Wald

Mystischer Morgen in Bayerisch Kanada

Es ist noch früh am Morgen. Nebelfetzen wabern nach einer regnerischen Nacht über den Ufern, der See dampft. Eine mystische Stimmung, wenn man mit dem Holzboot über das Wasser rudert. Nichts zu hören außer vereinzeltem Vogelsingsang. Nichts zu sehen außer Wolken, Wäldern, Wildnis. Nicht zu spüren außer grundentspannter Ruhe.

Man versteht gut, warum diese Gegend im Viechtacher Land oft auch „Bayerisch Kanada“ genannt wird. Die Szenerie mutet an, als läge der Landstrich irgendwo in der Einsamkeit Ontarios oder in einem Nationalpark unweit der Rockys. So richtig Trubel herrscht hier ganz selten. Am ehesten noch beim schon traditionellen Triathlon, jedes Jahr im Juli. Der schöne Name des Dreikampfs mit 1.000 Meter Schwimmen, 24 Kilometer Radeln und 10 Kilometer Laufen: Bayronman.

Ein Mann im Ruderboot auf dem Höllensteinsee, ringsherum Wald im Nebel

Für Astrid Miethaner und Andrea Schwarzmüller ist der Landstrich ganz einfach: Heimat. Ein Sehnsuchtsort, von dem sie nicht mehr wegkommen. Die beiden Schwestern sind hier ganz in der Nähe aufgewachsen, seit Kurzem betreiben sie den Bootsverleih an der Nordwestspitze des vor genau 100 Jahren aufgestauten Sees.

Der Kiosk von Astrid und Andrea ist das richtige Ziel für Wanderer oder für Kanufahrer, die nach einer mehrstündigen Paddeltour auf dem Schwarzen Regen wieder an Land gehen. Dort gibt es Kaffee, Kaltgetränke und Brotzeiten. Und etwas weiter oben bald noch mehr: im Höllensteinhaus hoch über der Staumauer, das derzeit noch Baustelle ist, weil es Andrea und Astrid zu einem schönen Ausflugslokal herrichten lassen. Mit schöner Terrasse und gläsernem Steg in luftiger Höhe.

Astrid Schwarzmüller am Kiosk Ihres Bootsverleihs am Höllensteinsee
Wanderrast am Höllensteinsee im Bayerischen Wald

Knapp unterm Gipfel: Die Hütte der Geiger-Schwestern

Wir lassen „Bayerisch Kanada“ hinter uns und ziehen weiter nach Norden. Zu zwei anderen Schwestern, die ihren Traum von einer Gaststätte am Berg schon verwirklicht haben: Monika und Michaela Geiger mit ihrer urigen Holzhütte knapp unterhalb des Gipfels des 750 Meter hohen Haidstein. Ein Hügel nahe Bad Kötzting, der auf einem gemütlichen Anstieg bequem zu erreichen ist. Vom Wirtshaus führt ein kleiner Kreuzweg ganz nach oben zur kleinen Kapelle St. Ulrich und zum nächsten imposanten Rundumblick. Hier ist auf wenigen Metern alles beisammen: Kirche, Wirtshaus, Landschaft – das bayerische Dreigestirn.

Der nächste Abschnitt führt in Richtung Grenze, zum Hohen Bogen bei Neukirchen beim Heiligen Blut. Lange glaubte man, der Berg habe seinen Namen wegen seiner topografischen Form, dem lang gezogenen Rücken. Später fanden Heimatforscher aber Hinweise auf eine Adelsfamilie, die hier einmal eine Burg errichtet haben soll. Die Grafen von Bogen. Schon wieder die mit der Raute!

Aussichtsturm auf dem Berg Koráb in Tschechien

Dass der Übertritt nach Böhmen nicht mehr weit ist, erkennt man an den sonderbaren Bauten am Gipfel. Dystopische Betontürme wie aus einem alten Science-Fiction-Film. Relikte des Horchpostens, den die NATO in den 1960er-Jahren zur ersten Hochphase des Kalten Krieges aufstellte – zum Abhören der Streitkräfte jenseits der Grenze.

Wir sind auf dem letzten Kilometer Bayern, als Sepp auf dem Waldweg von den ersten Kontakten Ende der 1980er-Jahre erzählt. Als der Eiserne Vorhang langsam porös wurde und es ein Fußballspiel der Eschlkamer in Všeruby gab.

Als die Grenze dann ganz fiel und als sie Tausende Tschechen rund um ein großes Bierzelt zu einer Willkommensfeier empfingen, mit Volksmusik von hüben und drüben. Und wie sie merkten: So weit waren sie in ihrem Brauchtum eigentlich gar nicht auseinander. Und so sah man dann endlich die Menschen von nebenan. Dobrý den, Herr Nachbar.

Grenzstein an der bayerisch-tschechischen Grenze

Der Wanderpionier: Mit Sepp auf Tour nach Böhmen

Ab 1990 bot Sepp Altmann als Tourismus-Chef von Eschlkam Wandertouren hinüber nach Böhmen an. Als Grenzgänger war er ein Pionier. Anfangs habe er noch einige Bedenkenträger beschwichtigen müssen, die fragten, ob man da nicht doch noch erschossen werde. Oder ob da nicht noch Minen herumlägen, auf die man steigen könnte. Mit der Zeit verflogen die Sorgen. Mit der Zeit wuchs man zusammen.

Schaurige Geschichten, bald 80 Jahre her

Auf dieser Passage des Baierwegs, auf der auch ein Abschnitt des Jakobswegs nach Santiago de Compostela verläuft, erinnert kaum noch etwas an vergangene Zeiten. Am ehesten noch die Wegweiser zum Iron Curtain Trail, einem Radfernweg, der über knapp 10.000 Kilometer von der Barentssee über Eschlkam ans Schwarze Meer führt. Und die Hinweistafeln vorne an der Straße, am alten Zollhaus kurz vor Všeruby.

Dort erfährt man schaurige Geschichten. Etwa dass tschechoslowakische Behörden nach 1945 auf eigenem Territorium fingierte Grenzzäune zogen und dahinter falsche Zollhäuser mit US-Sternenbanner errichteten. Wie sie amerikanische Zigaretten und Schweizer Schokolade verteilten, um Fluchtwillige im Glauben zu lassen, sie hätten nach Überwinden der Anlage bereits den rettenden Westen erreicht. 

Erzählten die Flüchtenden von ihrer Freude, den Sozialismus hinter sich zu lassen, enttarnten sich die vermeintlichen US-Soldaten als Geheimdienstmitarbeiter und verhafteten die Abtrünnigen an Ort und Stelle. Schaurige Geschichten, bald 80 Jahre her.

Ehemaliger Kolonnenweg in Tschechien bei Všeruby

Von Kdyně nach Domažlice: Ruinen und Alleen

Heute ist der Weg frei. In beide Richtungen. Der Bavorská Ceska, wie der Baierweg nun heißt, führt über den sanften Hügel Čepice und die Europäische Wasserscheide zwischen Elbe und Donau in die Kleinstadt Kdyně. Weiter geht es auf den Korab, den markanten Berg mit seinem Aussichtsturm. Zu alten Ruinen wie den mitten im Wald gelegenen Burgen Nový Herštejn und Rýzmberk.

Über charmante Eichenalleen wie kurz vor Zahořany. Und schließlich hinein in die historische Altstadt von Domažlice, der Hauptstadt der Choden, einer alten tschechischen Volksgruppe. Das alljährliche Chodenfest an einem Wochenende im August mit bunten Trachten, alten Tänzen und der traditionellen Dudelsack-Musik ist eines der bedeutendsten Volksfeste Tschechiens.

Zwei Männer machen eine Rast am Baierweg bei Kdyně in Tschechien
Wanderer an der Burgruine Nový Herštejn in Tschechien

Auch ohne Folklore hat Domažlice mit seinen Geschäften und Lokalen in den Arkadengängen einen besonderen Reiz. So wie die Umgebung. Am letzten Tag, auf dem Weg zurück nach Bayern, geht es noch hinauf zum Aussichtsgipfel Veselá hora mit der Wallfahrtskirche des heiligen Laurentius.

Bei einer Brotzeit schweift der Blick in die Weite und durch den Kopf summt Bedřich Smetana. „Aus Böhmens Hain und Flur“, der vierte Satz seines Zyklus „Mein Vaterland“. Eine Liebeserklärung an die idyllische Landschaft des alten Königreichs, eine Hommage ans tschechische Nationalgefühl und die im 19. Jahrhundert unter der Habsburger-Herrschaft aufflammende Sehnsucht nach einem eigenen Staat.

Domažlice: Die Altstadt wurde 1975 zum städtischen Denkmalreservat erklärt

Im Haus des Drachen: Der Rekord-Roboter aus Furth

Der Abschied von der Aussicht fällt schwer. Auf dem finalen Teilstück geht es wieder über die Grenze zum Zielort des Baierwegs: nach Furth im Wald. Wir machen einen kurzen Abstecher in die Drachenhöhle, ein Museum, das derzeit gerade renoviert wird und 2025 zur nebenan stattfindenden Landesgartenschau wieder eröffnet. Natürlich geht es darin um den Drachenstich von Furth, Deutschlands ältestes Volksschauspiel. Die Tradition reicht ein halbes Jahrtausend zurück.

Immer im August zeigt das opulente Spektakel auf dem Stadtplatz die Inszenierung vom Kampf von Gut gegen Böse mit dem feuerspeienden Ungetüm als imposantem Hauptdarsteller. Die Geschichte ist immer die gleiche, geändert hat sich nur der Drache. 

Steckten früher noch Menschen im Kostüm des Fabelviechs, ist es in der neuesten Version seit 2010 jede Menge Elektronik. Mit elf Tonnen Gewicht und über 15 Meter Länge, 140 PS und einer Flügelspannweite von zwölf Metern schaffte es das technische Wunderwerk sogar ins Guinness-Buch der Rekorde: als größter Schreitroboter der Welt.

Weil der Drache am Tag unseres Besuchs im Tiefschlaf vor sich hin schlummert, ziehen wir weiter und hoch auf den Stadtturm am Schlossplatz. Von oben ein letzter Rundumblick – auf eine Stadt und in zwei Länder. Auf eine Gegend, die zum Glück nicht mehr trennt. Sondern nur noch verbindet.

Thomas Roßmann mit dem Further Drachen im Museum Drachenhöhle in Furth im Wald

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