Raus aus dem Alltag, rein ins Abenteuer auf Bayerns kurvenreichstem Fluss. Die Wörnitz schlängelt sich langsam durch das Nördlinger Ries bis nach Donauwörth. Zwei Tage auf dem SUP-Board, fernab von Lärm und Hektik, wirken Wunder
Standup Paddling-Tour auf der Wörnitz
Den Ausgangspunkt unserer Tour bildet Fessenheim, eine kleine Gemeinde in der Weite des enormen Meteoritenkraters, der das Nördlinger Ries prägt. Vor 15 Millionen Jahren schlug dort ein Asteroid ein, dessen unvorstellbare Wucht sich bis heute in der Landschaft entdecken lässt.
Davon spürt man allerdings nichts, wenn man am Ufer der Wörnitz steht, umgeben von hohen Gräsern und blühenden Stauden, bereit für die ersten Paddelschläge. Boardverleiher Pierre Proschek, ein Kenner der Region, beruhigt uns: „Weichere Flussfinnen braucht ihr bei dem aktuellen Wasserstand nicht.“ Pierre brachte uns an diesem Morgen mitsamt Boards in seinem Pick-up von Harburg aus nach Fessenheim.
So gleiten wir entspannt ins Wasser, werden Teil des Stroms. Munter paddeln wir los und sind bald von üppiger Ufervegetation umgeben. Mit Rückenwind und dem sanften Schub der Wörnitz bewältigen wir die ersten Kilometer spielerisch leicht.
Ein Fluss der Stille
Die Wörnitz, die ihren keltischen Namen „Warantia“ – die Schlängelnde – zu Recht trägt, zieht uns mit sanfter Strömung in ihren Bann. Sie kurvt in engen Kehren gen Süden. Die Wörnitz ist ein Fluss der Stille und der Entschleunigung, auf und an dem wir stressfrei die Natur erleben.
„Störche klappern in der Ferne. Ab und zu hebt ein Graureiher mit majestätischen Flügelschlägen vom Ufer ab“
Von Anfang an spüre ich, wie die Ruhe des Flusses auf mich übergeht. Es ist die stille Schönheit, die die Wörnitz so besonders macht. Anders als auf der „benachbarten“ Altmühl sind hier auf dem Fluss kaum Paddler unterwegs. Tatsächlich sind wir an dem sonnigen bis wolkigen Sommer-Montag die einzigen Menschen auf der Wörnitz.
Das Wasser trägt uns ganz sanft flussabwärts. Die Natur präsentiert sich üppig und lebendig. Schilfgras wiegt sich sanft im leichten Wind, überall summt und zirpt es. Blaue Libellen, die im Licht der Sonne wie kleine Edelsteine funkeln, tänzeln über das Wasser.
Störche klappern in der Ferne. Ab und zu hebt ein Graureiher mit majestätischen Flügelschlägen vom Ufer ab. Es ist eine heile Welt, die man leicht übersieht, wenn man zu schnell unterwegs ist. Aber hier, auf dem Paddelboard, inmitten der ruhigen Flusslandschaft, fällt jeder noch so kleine Moment ins Auge.
Freie Fahrt für Paddler
Das Schöne an der Wörnitz ist, dass es für Standup-Paddler nur wenige Hindernisse gibt. Einen Fußgängersteg bei Hoppingen unterfahren wir, indem wir uns flach auf unsere Boards legen. Das einzige Wehr des Tages erreichen wir schon wenige Kilometer hinter Fessenheim beim Elektrizitätswerk Wennenmühle. Die Tragedistanz ist mit etwa 300 Metern sportlich und erfolgt auf der rechten Uferseite.
Danach fließt die Wörnitz begradigt und mit mehr Schub durch einen malerischen Auwald mit hohen Bäumen, Wurzelwerk und Biberhöhlen. Äste hängen tief über dem Wasser und laden zum Unterpaddeln ein.
Nach fast sechs Kilometern entdecken wir an der Mündung des Baches Schwalb eine Sandbank, an der wir die Paddelboards schonend anlanden können, ohne die Ufervegetation zu schädigen, die ein wichtiger Brutplatz ist. Wir genießen diesen Rastplatz, untermalt vom Gurgeln und Rauschen kleiner Wasserkaskaden.
Auf den kommenden Kilometern werden wir eins mit dem Fluss. Es ist eine fast meditative Erfahrung, den Mäandern der Wörnitz zu folgen. Man wünscht sich, das Leben sei wie dieser Fluss: geschmeidig, ohne Hast, immer in Bewegung, aber gleichzeitig nie zu schnell.
Wir sind fast gezwungen, den Moment zu leben, denn mit jeder Kurve eröffnet sich ein neues Bild. Ein kontemplatives Dahingleiten durch eine zauberhafte Welt aus Schilfgras, gelben Teichrosen und violett blühendem Blutweiderich.
Gleichgewichts-Test
Die Stromschnellen vor Heroldingen holen uns zurück in die Realität und fordern unseren Gleichgewichtssinn. Wir passieren idyllische Häuser an schönen Flussgrundstücken. Im Vorbeipaddeln grüßen Anwohner von ihrer Terrasse hoch über dem Fluss. Hier zeigt uns die Wörnitz, was eine Flussschleife ist: Gefühlte zwei Kilometer paddeln wir um den kleinen Ort herum. Schneller wäre es gewesen, die Boards durch den Ort zu tragen.
Wir umrunden den Rollenberg. Auf der kargen, mit Wacholderbüschen bewachsenen, rund 100 Meter hohen Erhebung lässt ein Junge sein Modellsegelflugzeug im Aufwind kreisen. Wir sind am südlichen Kraterrand des UNESCO-Geoparks Ries angelangt und verlassen nun endgültig den Meteoritenkrater.
Pitstop in Harburg
Eine gute Stunde paddeln wir noch bis zum Etappenziel Harburg, das uns mit grandioser Kulisse empfängt. Schöner kann man das Ortsbild kaum wahrnehmen als bei der langsamen Annäherung über das Wasser. Rechts von der mittelalterlichen Steinbrücke erhebt sich die Altstadt, über allem thront die Burg Harburg, die erstmals im Jahr 1150 erwähnt wird.
Die Torbögen wurden mit Suevit erbaut, dem Gestein, das durch die Schmelze beim Einschlag des Asteroiden entstand. An einem Holzsteg vor der Steinbrücke endet das heutige Flussabenteuer nach exakt 18,27 Kilometern und fünf Stunden Paddelzeit. Wir tragen die Bretter in den nahe gelegenen Biergarten „BUBS“. Der Ausschank unter Streuobstbäumen am Wörnitz-Ufer ist der perfekte Ort für ein kühles Donauwörther Weißbier, von dem wir auf den letzten SUP-Kilometern bereits träumten.
„Am Flussufer genießen wir unseren Zwiebelrostbraten“
Pierre, aufgewachsen in Wemding, gelernter Elektriker und selbst begeisterter Kanufahrer, betreibt die Biergarten-Lounge seit diesem Jahr. Hier ist es nicht nur die Ästhetik allein, die zählt, sondern auch das Gefühl, am richtigen Ort zu sein, zur richtigen Zeit. Wir beziehen unsere Zimmer im Hotel „Goldenen Lamm“ am gegenüberliegenden Flussufer und genießen später den Abend auf der Restaurant-Terrasse mit Blick auf die historische Steinbrücke und bei herrlichem Zwiebelrostbraten.
Jessika, eine Pilgerwanderin aus Norddeutschland, gesellt sich zu uns. Sie wandert die Strecke nach Augsburg. Als sie von unserem Flussabenteuer hört, beschließt sie, uns morgen in einem von Pierres Leihkanus bis nach Donauwörth zu begleiten.
Vorglühen für Traktor-Spaß
Zu später Stunde werden wir Zeugen einer weiteren interessanten Form der Langsamkeit. Wir beobachten, wie Mike Berndorfer, ein junger Einheimischer, der am Nachbartisch saß, den Motor seines Lanz Bulldog aus dem Jahr 1935 mit der offenen Flamme eines benzinbetriebenen Bunsenbrenners vorglüht und in Gang setzt.
15 Minuten vergehen, bis sich das Aggregat in Bewegung setzt und Mike sich stolz mit seinen Freunden auf einem weiteren Traktor über die historische Steinbrücke verabschiedet. Am nächsten Morgen zeigt sich die Wörnitz dann von einer anderen Seite. Zunächst allerdings heben wir die Paddelboards sowie Jessikas Kanadier südlich der Harburger Steinbrücke ins Wasser.
Ausreichend Trinkwasser, Sonnencreme, Handtuch und eine Menge belegter Semmeln aus Mayer’s Backstube sind in den wasserdichten Drybags verstaut.
Jetzt wird sie wild, die Wörnitz
Der Fluss, der uns am Vortag so sanft begleitet hat, wird plötzlich breiter und weiter – das ist wohl dem Zufluss der Eger zuzuschreiben. Dazu bläst ein böiger Gegenwind, der das Vorankommen zur Herausforderung macht.
Eine Weile paddeln wir zudem an einem scheinbar nicht enden wollenden Zementwerk und der B25 entlang. Aber kaum wendet sich die Wörnitz von der Bundesstraße ab, tauchen wir wieder ein in die schöne, natürliche Wörnitz-Welt, fast wie am Vortag.
„Aah, ist das schön hier!“, strahlen die Augen unserer Pilgerin. „Genauso hatte ich mir das nach euren Erzählungen gestern Abend vorgestellt“, bekundet die Sozialpädagogin, die im beruflichen Leben gefährdete Familien betreut.
Kurz darauf ein Aufschrei. In einer engen Flussbiegung verliert Jessika im wackligen Kanadier die Balance und fällt ins Wasser. Mit gemeinsamen Kräften und unter herzlichem Lachen holen wir sie zurück ins Boot und entleeren an einem privaten Holzsteg den mit Wasser vollgelaufenen Rumpf.
Sightseeing vom Brett aus
Wir paddeln auf Ebermergen mit seinem markanten Kirchturm zu. Die historische Brücke aus Jurakalkstein mit ihren sieben Jochen und gedeckten Pfeilern ist ein Höhepunkt der heutigen Etappe. Im Sog der Flussverengung ducken wir uns durch einen der engen Rundbögen hindurch.
Die Kalvarienbergkapelle von Wörnitzstein, die auf einer Felsnase thront, ist das letzte Highlight unserer Reise. Wir bewundern das Rokoko-/Barock-Bauwerk vom Wasser aus. Zu nah kommen wir nicht. Das Ufer rund um die Dorfbrücke ist dicht bewachsen und unzugänglich. Vielleicht ist es besser so – manche Schönheit sollte man einfach aus der Distanz betrachten.
Nach zwei Tagen und 41 Paddelkilometern erreichen wir unser Ziel: Donauwörth. Die Stadt begrüßt uns mit ihrer prächtigen historischen Kulisse und mit mächtigen Hochwasserschutzmauern.
Aus reiner Neugier paddeln wir noch weiter bis zur Donau. Deren Fließgeschwindigkeit aber hat ein anderes Kaliber als die Wörnitz – für uns nicht machbar. So endet die Tour wie geplant im Kanuclub Donauwörth.
Es gibt kaum bessere Orte, um die Zeit zu vergessen, als auf einem Fluss wie der Wörnitz. Da zählt nicht mehr, wie schnell man vorankommt, sondern nur, dass man in Bewegung ist. In einer Welt, die ständig beschleunigt, ist das vielleicht die wichtigste Lektion der Reise auf dem Wasser: Entschleunigung als Kunst des Lebens.