Die Stadt an der Donau ist mittelalterlich, nur nicht in puncto Inklusion: Viele der Highlights im Weltkulturerbe sind inzwischen barrierefrei erlebbar, wie wir bei unserem Besuch feststellen durften
Regensburg barrierefrei erleben
Die Kirchturmspitzen und Stadttortüme machen ganz kribbelig, der Dom sorgt für eine regelrechte Berg- und Talfahrt, dann tauchen die Finger ab in die mittelalterlichen Haushöfe, fahren durch die engen Altstadtgassen, über die Stadtmauer hinweg auf die Donau.
Huch, die Steinerne Brücke fühlt sich ja seltsam an! Das bronzene Stadtmodell, das Regensburg im 17. Jahrhundert zeigt, vermittelt nicht nur Blinden ein gutes Gefühl. Eine klasse Idee, den Besuch des UNESCO-Welterbes mit dieser buchstäblichen Erfahrung zu beginnen
Auch für Rollstuhlfahrer: Die Steinerne Brücke
Viele Highlights der besterhaltenen mittelalterlichen Großstadt Deutschlands sind von hier nur ein paar Schritte entfernt. Die meisten lassen sich dabei barrierefrei erleben. So etwa die Steinerne Brücke, die nach ihrer Sanierung auch für Rollstuhlfahrer leicht zu passieren ist. Der Koloss auf steinernen Füßen, die wie Schiffchen aussehen, verbindet den altbayerischen Stadtteil Stadtamhof mit der Regensburger Altstadt.
Der Dom mit seinem Farbenrausch durch die riesigen Glasfenster aus dem 13. und 14. Jahrhundert ist leicht zugänglich, wie auch viele der Altstadtgassen. Ein abgeflachtes Kopfsteinpflaster macht es Rollstuhlfahrern ebenso leicht wie Besuchern und Besucherinnen, die nicht ganz so gut zu Fuß sind. Neuerdings gibt es auch einen barrierefreien Zugang zum Reichssaal des Immerwährenden Reichstags im Alten Rathaus.
Stadtführung mit Gebärdensprache
„Regensburg verbindet die ökologische und soziale Nachhaltigkeit miteinander“, sagt Mathilde Brandis, Inklusionsbeauftragte von Regensburg Tourismus. „Viele Regensburger Lokale sind barrierefreie Treffpunkte – mit regionaler Küche, fair gehandelten Lebensmitteln und Speisen für die unterschiedlichsten Vorlieben, auch für Allergiker und Allergikerinnen.“ Und seit 2019 hat Regensburg nun auch ein inklusives Hotel – das „Hotel Includio“.
Natürlich ist auch die Tourist-Info barrierefrei, so Brandis. „Wir freuen uns, wenn sich die Menschen in Regensburg wohlfühlen und die Stadt ohne Barrieren entdecken können. Zum Beispiel bei einer inklusiven Stadtführung in leichter Sprache, die auch mit deutscher Gebärdensprache möglich ist.“ Schon für die Reiseplanung gibt der Online-Ratgeber der Stadt „Regensburg barrierefrei“ viele Hinweise zur Zugänglichkeit.
Veränderung beginnt im Kopf
Die sind auch wertvoll für Reiseprofis wie Ferdinand Bindrum. Der Informatiker aus München hat im Rollstuhl schon viele Länder der Welt bereist und weiß, dass das Erlebnis manchmal auch von vermeintlich profanen Dingen abhängt.
„Gibt es überall barrierefreie Toiletten? Das ist halt leider sehr wichtig“, sagt er. Für Besucher ist entscheidend, ob alle Sehenswürdigkeiten mit dem Rollstuhl gut zu erreichen sind und die Anreise selbstständig machbar ist.
Im internationalen Vergleich fallen ihm beim Thema Inklusion zwei Vorbilder ein: Singapur und die Vereinigten Arabischen Emirate. „Dort habe ich bei nahezu jeder Sehenswürdigkeit eine barrierefreie Möglichkeit aufgezeigt bekommen, um einen schönen Urlaub zu haben. Es muss sich also einiges in den Köpfen der Verantwortlichen ändern, um mehr Barrierefreiheit in Deutschland zu etablieren.“
Ertastbare Stadtmodelle, sanierte Kopfsteinpflaster
Regensburg geht mit gutem Beispiel voran, hat er an diesem sonnigen Herbsttag buchstäblich erfahren. „Die Stadt hat das Thema Inklusion sehr gut umgesetzt. Was mich besonders beeindruckt hat, war das sanierte Kopfsteinpflaster, was jetzt immer mehr eingesetzt werden soll. Dies ist für Rollstuhlfahrer eine große Erleichterung. Was mich zudem sehr positiv überrascht hat ist, dass neben den Rollstuhlfahrern auch an andere Arten von Behinderungen bei der Modernisierung der Städteplanung gedacht wurde.“ Beispielsweise beim ertastbaren Stadtmodell.
Auch das „Haus der Bayerischen Geschichte“ lässt sich vor dem Besuch mit den Fingern kennenlernen, die kleine Bronze-Version des Museums steht vor dem Eingang. So viele Finger-Trigger wie beim mittelalterlichen Regensburg im Miniaturformat gibt es im HdBG indes nicht: Der Riesenbau an der Donau, der 2019 eröffnet wurde, ist schnörkellos und hat dennoch viele eigenwillige Ecken und Kanten.
Kultur-Tipp: Das „Haus der Bayerischen Geschichte“
Im lichtdurchfluteten Foyer empfängt ein riesiger bayerischer Löwe die Besucher. Zu Fuß oder im Rollstuhl kann man sich danach aufmachen zur Zeitreise. Die führt von der Geburt des modernen Bayerns in den Napoleonischen Kriegen bis in die Gegenwart. Märchenkönig Ludwig II ist ebenso vertreten wie die „Spider Murphy Gang“.
Wer dabei auch Zeit mitbringt, kann dort locker einen ganzen Tag zubringen. Allein der riesige Leuchttisch mit dem Satellitenbild von Bayern ist ein Highlight, der den Forschertrieb weckt: Auf Tablets können Informationen zu jeder der mehr als 2.000 bayerischen Gemeinden aufgerufen werden.
Besonders macht das Museum zudem, dass von den 1.000 Exponaten 300 Bürgerinnen und Bürgern stifteten. Beispielsweise die Taschenuhr von Bauer Ludwig Gruber aus Oberalteich, in der noch das Geschoss steckt, das 1916 an der Westfront das Gerät traf und so dem Soldaten das Leben rettete.
Oder der Teddybär der kleinen Anneliese Weber, den das Mädchen in den Luftschutzkellern von Würzburg an sich drückte. Der Auslöser des Kriegs-Wahnsinns wird ebenso thematisiert: Ausgestellt ist beispielsweise der Großglobus aus Hitlers Arbeitszimmer im „Führerbau“ der NSDAP-Reichsleitung in München.
UNESCO-Welterbe und ein historisches Gasthaus
Übrigens gibt es in Regensburg gleich zwei UNESCO-Welterbe zu entdecken. Den ersten Titel erhielt die Stadt 2006 für die Regensburger Altstadt und Stadtamhof. 2021 kam dann noch der römische Donaulimes hinzu. Spektakulärste Hinterlassenschaft der alten Sandalenträger ist die „Porta Praetoria“ in Regensburg, das fast 2.000 Jahre alte Nordtor des römischen Legionslagers „Castra Regina“.
Es ist eine gute Idee, den Stadtbesuch dort zu beschließen, wo er begann. Gleich beim Stadtmodell steht die „Historische Wurstkuchl“. Das Gasthaus erfreut sich seit 500 Jahren größter Beliebtheit. Sehenswert ist in den oberen Etagen die interaktive Ausstellung des Besucherzentrum Welterbe. Natürlich ist auch sie barrierefrei!